Korrekturfilter / Phase

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bvk
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Korrekturfilter / Phase

Beitrag von bvk »

Guten Tag, bitte erlaubt mir eine grundsätzliche Frage,

wie hier im Forum schon dargestellt betreibe ich Aktivlautsprecher, wobei die Frequenzweiche und Filter bereits an der Quelle, dh als Plugin im Player realisiert sind. Das Plugin heißt Fabfilter ProQ, und ist im Player PureMusic unter MacOS eingebettet. Das Ergebnis hört sich gut an.

Mich interessiert Folgendes:
ProQ bietet EQ die Einstellungen Zero Latency welche Phasenverschiebungen zulässt bzw. prinzipbedingt erzeugt, aber auch Einstellung ohne Phasenverschiebungen dafür mit Latenzen. Bei der phasenstarren Einstellungen gibt es 4 "Qualitätsstufen" die sich durch unterschiedliches Verhalten bei hohen Filtergüten, bzw. bei der Tieftonwiedergabe unterscheiden. Beim Betrieb mit hoher Latenz ist das Verhalten bez. Preringing laut Tutorial auch im Tiefton und bei hohen Filtergüten besser.

Auszug aus dem Handbuch von ProQ:
FabFilter hat geschrieben:Zero latency mode is the default. While it introduces phase changes, it is CPU-efficient and doesn't result in any latency, so it is the best mode for e.g. live usage. Also, it's quite possible you might like the coloration introduced by the phase changes when mixing, for example.

Linear Phase - Low Latency provides linear-phase processing with a minimal latency. Use only with low Q settings, or when only changing the mid-high part of the spectrum. With a sample rate of 44.1 kHz, it results in a total latency of 3072 samples (about 70 ms).

Linear Phase - Medium Latency is a good compromise between low-frequency resolution and latency and we recommend to use this in general for linear-phase processing. The total latency is 6144 samples at a sample rate of 44.1 kHz (about 139 ms).

Linear Phase - High Latency gives very good low-frequency resolution. If you need to use high Q settings when changing the low end of the spectrum, use this mode. The total latency is 12288 samples at a sample rate of 44.1 kHz (about 279 ms).

Linear Phase - Maximum Latency results in even better low-frequency resolution at the expense of latency and possible pre-echo problems. The total latency here is 24576 samples at a sample rate of 44.1 kHz (about 557 ms).
Es gibt also den Zusammenhang: Null Latenz führt zwangsläufig zu Phasenverschiebungen, Phasenstarrheit zu Preringing? Warum eigentlich?

Grüße BvK
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

bvk hat geschrieben:Guten Tag, bitte erlaubt mir eine grundsätzliche Frage,
Hi,
es sind hier doch alle Fragen erlaubt, solange sie nicht Sitte und Anstand widersprechen.
Also auch grundsätzliche Fragen z.B. zu Lautsprechern, Wiedergabegeräten und auch Filtern.

Ob mir dann auch eine grundsätzliche Antwort erlaubt ist? :D
bvk hat geschrieben:Es gibt also den Zusammenhang: Null Latenz führt zwangsläufig zu Phasenverschiebungen, Phasenstarrheit zu Preringing? Warum eigentlich?
Im einfachsten Fall ist die Antwort: Physik.

Das Filter mit Null Latenz ist ein sog. minimalphasiges Filter. Es beschreibt die Lösung für das Problem, einen gegebenen Frequenzgang mit dem kürzestmöglichen Zeitsignal zu erzielen. Beispiele für solche Filter sind die passiven Frequenzweichen, die schlichtweg kausal auf ein Eingangssignal mit einem Ausgangssignal antworten und zwar unmittelbar. Dabei treten aber Phasenverschiebungen auf. Was gleichbedeutend ist mit: bestimmte Frequenzen kommen am Ausgang schneller raus als andere.

Nun kann man sich ja überlegen, was passiert, wenn man eine zu schnelle Frequenz verzögert. Das zugehörige Ausgangssignal wird zeitlich nach hinten geschoben. Wenn man das nun passend für alle zu schnellen Anteile macht, erreicht man den Zustand, wo eben alle Frequenzen gleichzeitig herauskommen. Das Zeitsignal weist dann eben genau deswegen eine Latenz aus, wir erhalten dann ein linearphasiges Filter, welches mit einer symmetrischen Pulsantwort gekennzeichnet ist. Die Latenz entspricht der halben Filterlänge dividiert durch die Abtastrate.

Schaut man sich nun flache und steile Frequenzgänge an, dann sind die zugehörigen minimalphasigen Pulsantworten kurz (flach) oder lang (steil). Demzufolge braucht es bei langen Antworten entsprechend mehr Verschiebung (Latenz) bis die schnellste Frequenz so weit verzögert ist, dass sie zeitlich mit der langsamsten Frequenz zusammenfällt.
Daher also die Aussage seitens ProQ, dass mit hohen Güten Q, gleichbedeutend mit steileren Flanken im Frequenzgang, die linearphasigen Filter eine höhere Latenz aufweisen.

Merke: wenn drei Mann um 12 Uhr mit dem Bus fahren wollen, muss derjenige zuerst losgehen, der am längsten unterwegs ist. Während der schnellste von ihnen noch gemütlich weiterfrühstückt.

Vielleicht wird mit den Ausführungen auch erklärbar, was dann z.B. ein gemischtphasiges System oder ein maximalphasiges System ist. Das wäre ansonsten wiederum eine neue grundsätzliche Frage ...

Grüsse
Uli
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play-mate
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Beitrag von play-mate »

Hallo Bvk,

Es gibt im Web viele Infos zu Phasenverschiebungen und Gruppenlaufzeit.
Wikipedia erlärt es ganz gut, finde ich:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenlaufzeit

Alle Filter erzeugen eine Zeitverschiebung. Ob nun analoge Frequenzweichen oder Digitale, ist dabei prinzipiell egal.

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In der Grafik siehst du wie sich die Phase genau beim Schneiden der zwei Signale, zu einem Phasenwechsel innerhalb der Bandpasslage kommt. D.h dass das niederfrequente Signal (in 1 Frequenzzyklus) "abgebremst" wird, und das höherfrequente Signal sozusagen eine "Einschwingzeit" (auch 1 Frequenzzyklus) bekommt.

In herkömlichen analogen Frequenzweichen kann man gegen Zeitverschiebungen nur schwer etwas machen, aber digitale Filter können gewisse zeitliche (Phasen-) Korrekturen vornehmen. In deinem Plug-in werden diesse Korrekturen im Prozessor kalkuliert und eingerechnet.

Ein Computer/CPU arbeitet nicht (!) mit einem kontinuierlichen Signal sondern immer in Zyklen von Datenmengen, und um eine Zeitverzögerung ins Musiksignal einzubauen, muss eine gewisse Datenmenge vorhanden sein, sonnst kommt es zu Aussetzern & Knistern. Dabei ist zu bemerken dass niedrige Frequenzen grössere Zeitverschiebungen benötigen, und damit grössere Buffers erfordern.

Viele Grüsse Leif
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bvk
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Beitrag von bvk »

Herzlichen Dank für eure Antworten,

die vorsichtige Anfrage resultierte aus der Feststellung dass mein physikalisches Grundwissen sehr zu wünschen lässt, über meine Abitursnote in diesem Fach möchte ich lieber schweigen. Nun fordert aber die Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen wenigstens ein Grundverständnis der Verhaltensweisen von Wellen, unabhängig davon ob es sich um Druck- oder Lichtwellen handelt.

Wenn ich euch und die diversen Wikipediaartikel zum Thema richtig verstehe, entsteht dann eine Zeitverschiebung wenn die die Amplitude einer Welle nicht frei ausschwingen kann sondern durch einen beliebigen Einfluss gedämpft wird. Ein EQ ist ja nichts anderes als eine Einflussnahme auf die Amplitude = Lautstärke. Soweit richtig? Folglich wäre es auch unbedeutend wodurch die Dämpfung oder Anhebung erfolgt, durch einen Wollteppich oder einen Widerstand oder einen Verstärker. Somit entstünden in jedem Signalalverlauf in der Realität ständig Phasenverschiebungen, die in ihren Werten frequenzabhängig unterschiedlich ausfallen.

Da kommt ja in einer Aufnahme-Wiedergabekette einiges zusammen wenn man die Anzahl der Übergänge in den Bauteilen bedenkt. Phasenkorrigiert wird , wenn überhaupt, am Schluss . Die Phasenkorrektur im Rechner funktioniert nur deshalb weil die unterschiedlichen Phasenlagen berechnet werden können, und der Ausgleich mindestens die Zeitverschiebung benötigt die erforderlich ist um die Phasenverschiebung zeitlich zu korrigieren, plus die Rechenzeit für das ganze. Da es eine unendliche Anzahl von Frequenzen gibt, kann in endlicher Zeit auch nicht jede mögliche Phasenverschiebung korrigiert werden , man muss sich also auf Frequenzbänder mit ähnlichen Eigenschaften beschränken. Wenn ich das so im wesentlichen richtig interpretiert habe wäre mir schon einiges klarer.

Grüße Bernd

PS: es gibt ja über die Verhaltensweise von Wellen recht anschauliche Experimente mit Wasserflächen die angeregt werden und oft zur Darstellung von Interferenz herangezogen werden. Diese sind für Nichtrechner wie mich eine große Hilfe, leider habe ich soetwas zum Thema Amplitudendämpfung / Verstärkung noch nicht gefunden.
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Shefffield
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Beitrag von Shefffield »

Moin, Bernd!

Ich möchte zu bedenken geben, dass für unsereiner der Unterschied zwischen absoluter Phasenverschiebung (das Signal kommt einfach später aus dem Quellgerät/Verstärker/Lautsprecher) und frequenzabhängiger Phasenverschiebung entscheidend ist.

Absolute Phasenverschiebung liegt ja schon dadurch vor, dass wir die Musik später hören, als sie gespielt und aufgenommen wurde. Dadurch wurde aber (theoretisch) nichts an den internen Verhältnissen der Musik geändert.

Relative Phasenverschiebung kommt dann ins Spiel, wenn nur ein Teil des Gesamtsignals beeinflusst wird, üblicherweise ein Frequenzbereich. Hiermit ist nämlich immer auch eine Beeinflussung der zeitlichen Abläufe verbunden - egal, ob die Frequenzbeeinflussung elektrisch (Beispiele: Frequenzweiche, EQ) oder mechanisch (Beispiele: Bassreflexsystem, mehrere über die Schallwand verteilte Schallquellen) passiert.

Die einzige mir bekannte Möglichkeit, diesen Zusammenhang zu "entkoppeln", ist eine digitale Verarbeitung, wie sie Uli beschrieben hat. Nur so ist es möglich, mittels einer gezielten Verzögerung (also Pufferung in der digitalen Welt) der "unverbogenen" Frequenzbereiche die zeitlichen Änderungen der "verbogenen" Frequenzen auszugleichen. Dies vermeidet relative Phasenverschiebungen und vergrößert die absolute Phasenverschiebung (there is no free lunch).

Meiner Meinung nach ist die relative Phasenverschiebung analoger Weichen dafür (haupt-) verantwortlich, dass ich regelmäßig bei linearphasig (mit FIR-Filtern) angesteuerten Lautsprechern klar mehr Auflösung und Durchhörbarkeit feststelle als bei passiv beweichten Lautsprechern (auch mit zusätzlicher digitaler Über-Alles-Korrektur). Ob das für minimalphasige Aktivweichen ("Analogweichen") mit Über-Alles-Digitalkorrektur genauso gilt, müsste ich mal gehörmäßig überprüfen.

Ich hoffe, ich habe Dich damit nicht noch weiter verwirrt, sondern das Bild abgerundet.

Bis bald,
Axel
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bvk
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Beitrag von bvk »

Danke Axel,

das habe ich verstanden. Es deckt sich auch mit dem Gedankengang den ich dazu aus den ersten beiden Antworten entwickelt hatte. Wie gesagt, für mich der die Physik dahinter erst jetzt versucht annähernd zu verstehen, sind die Beiträge der Akustiker in den verschiedenen Medien viel zu rechenlastig, deshalb freut es mich dass ihr euch bereitfindet die Sachverhalte in einfache Worte umzusetzen, obwohl das für euch wahrscheinlich "kalter Kaffee" ist.

Grüße Bernd
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Bernd und Axel,

vielleicht kann ich ein bißchen 'was aus meiner Praxis der letzten Jahre beitragen.

Die Aktivierung meiner B&W N804 erfolgte ja in drei Schritten, die jeweils klangliche Auswirkungen hatten.

1. Halbaktivierung IIR
TT/MT mit IIR Filtern digital-aktiv getrennt
MT/HT mit IIR Filtern unverändert passiv
Parametrische IIR Equalizer zur Tonalitätsanpassung
Delay im MT/HT Zweig
Je Weg ein SP-996 Monoblock
Hörbare Effekte: Mehr Kontrolle, bessere Räumlichkeit, verbesserte Impulstreue, neutralere Abstimmung als die IIR Passivversion

2. Vollaktivierung IIR
TT/MT mit IIR Filtern digital-aktiv getrennt
MT/HT mit IIR Filtern digital-aktiv getrennt
Trennfrequenzen verschoben
Filtercharakteristiken verändert (original, Hobby-HiFi N804 Weiche, dann Harsch IIR Weichenarchitektur mit Phasengangsbegradigung)
Parametrische IIR Equalizer zur Tonalitätsanpassung
Delay im MT & HT Zweig zur Sprungantwortoptimierung
Je Weg ein SP-996 Monoblock
Hörbare Effekte: bessere Ortungsschärfe und Räumlichkeit in Breite und Tiefe, Klangablösung von den LS, nochmals verbesserte Impulstreue.
Mit der Harschweichenarchitektur habe ich über 1 Jahr sehr schön gehört

3. Vollakrivierung FIR
TT/MT mit FIR Filtern digital-aktiv getrennt
MT/HT mit FIR Filtern digital-aktiv getrennt
Trennfrequenzen verschoben
Filtersteilheit erhöht
Wege einzeln mit FIR Filtern Frequenz und Phase linearisiert (ab ca. 200 Hz wegen Latenz), Sprungantwortoptimierung
Parametrische IIR Equalizer zur Tonalitätsanpassung
BR Öffnung verschlossen, mit IIR PEQ entzerrt
Je Weg ein SP-996 Monoblock
Hörbare Effekte: Weiter verbesserte Ortungsschärfe und Räumlichkeit in Breite und Tiefe, LS verschwinden, nochmals verbesserte Impulstreue. BR Rohrverschluss bringt mehr Basskontur und Tiefe. Bessere DA Wandler, als bei 1./2. BigBen scheinen auch Verbesserung zu bringen.
Damit höre ich seit zwei Jahren und habe die Abstimmung nicht mehr verändert.

Just my 2 cents.

Gruß,
Winfried

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bvk
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Beitrag von bvk »

Hallo Winfried,

da kommt ja was auf mich zu. Momentan bin ich etwa auf deiner Stufe 2 der Optimierung. Die Weiche ist in der Playersoftware realisiert und die EQs als Plugin ebenfalls. Das EQ Plugin ,siehe oben, unterstützt phasentreue EQs. Zunächst kann ich mal versuchen auch die Weiche hier abzubilden. Insgesamt hoffe ich auf raschen Fortschritt. Musikalisch sind meine Dinger ja schon, jedenfalls kann ich beim Zuhören mit geschlossenen Augen nicht still sitzenbleiben. Verbesserungspotential gibt es noch beim Ablösen von den Lautsprechern, da geht noch was, hoffe ich jedenfalls. Da etwa ab 200 Hz Breitbänder mit 15cm Durchmesser eingesetzt sind bündeln die ziemlich, was die Hörposition etwas einschränkt bzw die Homogenität des Klangfeldes beschränkt.

Grüße Bernd
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