Hallo zusammen,
lasst mich von meinen Eindrücken berichten, die ich auf dem Workshop am 28.01.2017 gewonnen habe. Es ging nicht um einen vordergründigen Vergleich von Lautsprechern, sondern um sehr grundlegende Fragen, welche grundsätzlichen Fehlerarten Lautsprecher machen (müssen) und wie diese Fehler korrigiert werden können. Theoretisch erläutert aber auch anschaulich demonstriert von Herrn Dr. Lutz. Über seinen Vortrag will ich hier berichten. Wegen dem Grundlagencharakter möchte ich die Thematik in diesem Unterforum bringen.

Dr. Lutz bei seinem Vortrag
Erster Teil: physikalische Effekte und daraus resultierende Fehler
Im ersten Teil ging es physikalische Effekte und daraus resultierende Fehler, die jeder Lautsprecher macht unabhängig seiner Realisierung.
Manchmal sind die Argumente erschreckend einfach. Der Hub, den unser Trommelfell bei hohem Schalldruck macht, liegt im Bereich von 1 µm. Die Schalldruckmessung durch unser Gehör ist also de facto „weglos“. Ein kompakter Lautsprecher dagegen muss, um genügend Schalldruck zu erzeugen, eine deutlich größere Amplitude machen und einen Weg von – Größenordnung – 10 mm zurücklegen.
Bei 1 m Hörabstand machen diese 10 mm immerhin 1% aus. Die Membran ist mal näher und mal weiter weg vom Hörer und daher schwankt der Schalldruck, der beim Hörer ankommt entsprechend. Dies führt – wie anschaulich erläutert – zu einer nicht-linearen Amplitudenmodulation, die vom Hörabstand abhängt und im Wesentlichen zu einem k2 Klirr führt.

Nicht-lineare Amplitudenmodulation
Durch die bewegte Membran (mit nicht vernachlässigbarem Hub) entsteht aber noch ein weiterer Fehler. Mal bewegt sich die Membran auf den Hörer zu und mal von ihm weg. Dies führt zu einer Phasenmodulation, die wir als Dopplereffekt kennen. Sie ist unabhängig von der Entfernung zwischen Lautsprecher und Hörer ist erzeugt im wesentlichen ebenfalls einen k2 Klirr.

Phasenmodulation (Dopplereffekt)
Betrachtet man nun beide Effekte Amplitudenmodulation und Phasenmodulation zusammen und lässt einen Lautsprecher zwei Töne mit unterschiedlichen Frequenzen abspielen, so ergeben sich im resultierenden Frequenzspektrum am Hörplatz Seitenlinien als Artefakte. Am Beispiel von 1000 Hz und 50 Hz kann man das in dem folgenden Bild anschaulich sehen, wo Summen- und Differenzfrequenzen wie z.B. 1050 Hz und 950 Hz entstehen, ohne dass diese im Ursprungssignal enthalten sind.

Nicht-lineare Mischprodukte bei der Überlagerung von 50 Hz und 1000 Hz
Soweit so schlecht, aber welche Bedeutung hat das für den resultierenden Klang? Ein Ton führt zu Klirrfaktoren, harmonisch zu seiner Grundschwingung. Bei mehreren Tönen entstehen Seitenlinien, die i.a. nicht harmonisch zu den Ursprungsschwingungen sind. Je mehr Töne wir betrachten, umso mehr füllt sich das Spektrum mit solchen Verzerrungsartefakten und das resultiert am Ende in einem Rauschen. Die naheliegende These: das Rauschen lässt die Ruhehörschwelle zur Mithörschwelle ansteigen und leise Töne sind nicht mehr hörbar. Detailverlust, der sich als Verlust von Transparenz der Musikreproduktion bemerkbar macht.

Überdeckung von Details durch Anheben der Hörschwelle
Dies wurde durch ein Hörbeispiel demonstriert. Von 11 kontinuierlich leiser werdenden Tönen konnten nach Addition eines Rauschens nur noch 5 bis 6 Töne gehört werden. Wenn Ihr das nachvollziehen wollt, solltet Ihr die Lautstärke so einstellen, dass Ihr beim Abspielen der Datei ref.wav den 11. und letzten Ton gerade noch hören könnt. Dann mit derselben Pegeleinstellung die Datei Maskiert.wav abspielen und zählen, wie viele Töne dann noch hörbar sind.
Zweiter Teil: Fehler realer Schallwandler
Im zweiten Teil des Vortrags von Herrn Dr. Lutz ging es um das Verhalten realer dynamischer Lautsprecher. Charakteristisch ist hier das Verhalten oberhalb und unterhalb der mechanischen Resonanz.

Dynamischer Lautsprecher – oberhalb und unterhalb der Resonanz
Oberhalb der Resonanz arbeitet der Magnetantrieb des Lautsprechers gegen die träge Masse. Das Antriebs-System arbeitet hier nahezu linear. Unterhalb der Resonanz wirkt die mechanisch Feder, die kein konstantes Verhältnis zwischen Weg und Kraft aufweist. Bei größeren Membran-Amplituden entstehen hier starke Verzerrungen.

Dynamischer Lautsprecher – nicht-lineares Verhalten unterhalb der Resonanzfrequenz
Am Beispiel eines dynamischen Lautsprechers mit einer Resonanzfrequenz von 55 Hz wurde dies veranschaulicht. Gibt man zwei Frequenzen auf das System oberhalb der Resonanzfrequenz (z.B. 300 Hz und 400 Hz), so halten sich Intermodulationen in Grenzen. Ganz anderes ist es bei zwei Frequenzen unterhalb der Resonanzfrequenz (z.B. 30 Hz und 40 Hz). Hier entstehen Mischfrequenzen, die nicht harmonisch zu den Grundfrequenzen sind und daher besonders auffallen. Die Auswirkungen davon haben wir bereits im ersten Teil des Vortrags kennen gelernt: Die Mithörschwelle steigt, das Klangbild läuft zu und Transparenz geht verloren.
Nun entsteht eine weitere Komplikation durch den Schalldruckfrequenzgang. In unserem Beispiel mit dem 30 Hz Ton bei einer Frequenz, bei der der Schalldurckpegel ca. 10 dB unter jenem für 90 Hz liegt. Angenommen es entsteht hier ein 10% k3 Klirr. Durch den 10 dB höheren Schalldruck bei 90 Hz erscheint dieser k3 oberhalb der Resonanzfrequenz im linear arbeitenden Bereich des Lautsprechers und schlägt mit 30% zu Buche.

Klirrkomponenten aus dem Bereich unterhalb der Resonanzfrequenz wirken durch den Verlauf des Schalldruckfrequenzgangs besonderes ungünstig
Eigentlich ein trockenes Thema, könnte man denken. Aber es war spannend. Denn hier wurden all die Zuschmiereffekte systematisch aufgeführt, mit denen sich Herr Müller jahrzehntelang beschäftigt hat. Je schlimmer es wurde, umso mehr war klar, dass es ein Happy End geben würde. Aber wie würde das gehen? Konnte es für alle gezeigten Effekte Gegenmaßnahmen geben?
Dritter Teil: Gegenmaßnahmen zur Fehlerkorrektur
Nun also zu den Gegenmaßnahmen. Hier würde ein ganzes Bündel vorgestellt. Beginnen wir mit der ersten Maßnahme, über die wir schon viel diskutiert haben:
1. Gegenmaßnahme: Geschwindigkeitsregelung der Membran

Geschwindigkeitsregelung der Lautsprechermembran
Die Momentangeschwindigkeit der Lautsprechermembran wird über einen Sensor erfasst, dessen Signal wird verstärkt und geeignet auf das Ausgangssignal aufsummiert. Dieses Verfahren verringert die Nichtlinearitäten des dynamischen Lautsprechers erheblich.
Herr Lutz hat ausgeführt, wie die Verstärkung des Sensor-Signals wirkt, wenn es seinerseits fehlerbehaftet ist. Die Präzision der Sensorregelung steht und fällt mit der Präzision des Sensors und der Behandlung des Sensorsignals. Herr Müller und Herr Lutz haben dieses Verfahren modernisiert und nochmals verbessert für die DelPhi.
2. Gegenmaßnahme: Regelung der Lautsprechermembran durch nicht-lineare Vorentzerrung
Vorentzerrung? Oh, für einen Moment schossen mir digitale Korrekturverfahren durch den Kopf. Aber – es geht auch analog!

Nicht-lineare Vorentzerrung (Stellsystem) der Lautsprechermembran
Angenommen, man möchte das Beschleunigungssignal x möglichst ohne Verzerrung durch den Lautsprecher ausgeben. Der Lautsprecher macht aber eine Verzerrung g(x). Also benötigt man die Umkehrfunktion f(x), so dass g(f(x)) = x ergibt. Vorentzerrung samt Verzerrung durch den Lautsprecher = gewünschtes Signal.
Herrn Dr. Lutz ist es gelungen, eine solche nicht-lineare Vorentzerrung f(x) auf analogem Weg zu realisieren, so dass sich das gewünschte Signal x in guter Näherung ergibt. Damit steht eine kostengünstigere Alternative zur Sensorregelung zur Verfügung ohne auf die Vorteile rein analoger Signalverarbeitung verzichten zu müssen (Vermeidung von AD-DA-Doppelwandlung im Lautsprecher).

Korrekturschaltung von Dr. Lutz
Wie diese Korrekturschaltung wirkt, haben wir an einem spannenden Beispiel hören können. Auf einen Test-Lautsprecher wurde ein 30 Hz Ton gegeben. Wie wir im zweiten Teil des Vortrags gesehen hatten, ist es vor allem der k3, der in diesem Fall mit 30% zuschlägt, wenn keine Korrektur stattfindet.
Und wie klang es? Na ja, es brummte halt mit 30 Hz. Dann wurde die Kompensation angeschaltet und das Brummen wurde deutlich dünner. Und ohne die Kompensation war der fettere Bass wieder da.
Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, warum verzerrungsarme Lautsprecher im Tiefbass als bassarm empfunden werden können. Denn das menschliche Gehör lässt es sich nicht nehmen, aus den vorgefundenen vermeintlichen Obertönen die „fehlenden“ Grundtöne zu ergänzen. Es resultiert ein verstärkter Tieftonanteil der im Ausgangssignal nicht vorhanden war. Sounding durch Fehlverhalten. Spannend!
3. Gegenmaßnahme: Dopplerkompensation
Der Doppereffekt – das hatten wir im ersten Teil des Vortrages gesehen und gehört – wirkt sich in einer Phasenmodulation aus.

Dopperkompensation
Um diese Phasenmodulation zu kompensieren, benötigt man einen Analogrechner und einen Phasenmodulator. Damit kann die Phase so modifiziert werden, dass sich der Lautsprecher so anhört, als stünde die Lautsprechermembran still.

Wirkungsweise des Phasenschiebers zur Dopplerkorrektur
Kommt die Membran auf den Hörer zu, muss die resultierende Phase nach links verschoben werden, läuft die Membran vom Hörer weg, wird die Phase nach rechts verschoben. Delta Phi in der Phase = DelPhi, Namensgeber für den jüngsten Lautsprecher aus dem Hause Silbersand. Der Phasenschieber selbst ist wiederum analog realisiert. Das Ergebnis nach der Korrektur: ein festes Phasenzentrum trotz bewegter Membran.
4. Gegenmaßnahme zur Amplitudenmodulation
Bleibt noch die als erstes genannte Fehlerquelle, die nicht-lineare Amplitudenmodulation, die unglücklicherweise abhängig ist von der Entfernung zwischen Lautsprecher und Hörer. Auch sie lässt sich korrigieren u.z. durch eine Vektormodulation. Sinnvoll ist das zwar nur für relativ kurze Hörabstände (<2m) und fest stehende Abhörpositionen, aber Hr. Lutz und Hr. Müller arbeiten weiter daran, auch diese Gegenmaßnahme zu realisieren. Wir dürfen also auf weitere Entwicklungen gespannt sein.
Fazit
Ein sehr interessanter Vortrag mit Einblicken in die grundlegenden Probleme beim Lautsprecherbau. Fehlerquellen wurden nicht nur benannt, sondern physikalisch erläutert. Alle genannten Effekte lassen sich prinzipiell korrigieren u.z. Maßnahmen, die auf rein analogem Weg realisierbar sind.

Korrekturmaßnahmen im Überblick
Praktisch gezeigt wurden die Effekte durch Anwendung des Audio-Messystems FLEXUS aus dem Hause NTI. Anhand von Frequenzgangmessungen und Spektralauswertungen wurde die Wirkung der Korrekturmaßnahmen demonstriert, insbesondere die Dopplerkompensation und die Wirkung der nichtlinearen Verzerrungskompensation.

Laboraufbau mit Audio-Signalprozessor und NTI-Messequipment
Alle genannten Maßnahmen sind in der neuen geregelten Zweiwegbox Delphi von SILBERSAND implementiert. Dr. Lutz zeigte bei seinem Vortrag einen anderen Lautsprecher, einen Konzept-Lautsprecher, welcher ebenfalls alle Korrekturmaßnahmen implementiert hatte, aber anstelle der sensorischen Geschwindigkeitsregelung der Membran mit der nichtlinearen Verzerrungskompensation arbeitet.

Konzept-Lautsprecher von Dr. Lutz
Einige der vorgeführten Hörbeispiele sind zu finden unter "ars auditus", Martina Kremer, Universität Wuppertal, Fachbereich Elektrotechnik, Informationstechnik, Medientechnik
ars auditus - überhaupt eine sehr interessante Adresse, unter der Grundlagen zu Akustik, Gehör und Psychoakustik allgemein verständlich beschrieben und anschaulich mit Beispielen belegt werden.
Insbesondere findet Ihr dort die Hörbeispiele zum Thema Amplitudenmodulation, Frequenzmodulation (Doppereffekt), sowie die Maskierungseffekte durch Rauschen.
Viele Grüße
Harald