Dieter Ilg - Bass (Jazz)

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Franz
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Dieter Ilg - Bass (Jazz)

Beitrag von Franz »

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Der Name des Albums ist Programm. Der Kontrabass - hier live eingepielt. Mehstimmig, gezupft, gestrichen, geklopft oder am oberen Ende der Tonleiter auch geriebenen :mrgreen: .

Deutschlands führender Jazzbassist hat es endlich gewagt. Nach seinen viel gerühmten Trioproduktionen, der lustvollen Bearbeitung von Volksliedern aus dem In- und Ausland und dem intimen Zusammenspiel mit Saxophonlegende Charlie Mariano ist es nun so weit: Dieter Ilg legt sein erstes Soloalbum vor. Und "solo" ist in dem Zusammenhang wortwörtlich zu nehmen. Ganz allein, d.h. nur mit seinem treuen dicksaitigen Tieftonbegleiter bestreitet der Jazzman die jüngste Veröffentlichung "Bass".

Wie macht er das nur? So mancher Hörer wird staunend vor den heimischen Lautsprechern sitzen und kopfschüttelnd rätseln, welche Hilfsmittel Dieter Ilg herangezogen hat, um all diese unterschiedlichen Klänge zu erzeugen. Doch seien Sie versichert: Es kommen überhaupt keine Hilfsmittel zum Einsatz. Kein Netz und kein doppelter Boden, keine Effektgeräte und keine verfremdenden Soundprozessoren an der Mixerkonsole - hier ist alles echt und handgemacht. Was man hört, stammt ausschließlich von einem ganz normalen Kontrabass. Allerdings beschränkt der Mann aus Freiburg im Breisgau sein Spiel nicht auf die vier Saiten, auch der Holzkorpus und die Zargen, der Wirbelkasten, das bundlose Griffbrett, der Steg und der Saitenhalter dienen ihm als Klangquelle.

Was Ilg mit dem double bass anstellt, ist schlicht phänomenal! Gleich im Eröffnungsstück "Arirang", das auf einer koreanischen Melodie basiert, fasziniert der Virtuose mit raffinierten Spieltechniken. Er greift Bassstimme und Melodielinie gleichzeitig, begleitet sich sozusagen selbst, bevor er dann in einem furiosen Groove-Teil richtig loslegt. Im Folgetitel "Savannah Samurai", T.C. Boyles berühmtem Roman "East Is East" gewidmet, setzt er die gedämpften Saiten seines Instruments perkussiv als Rhythmusgeber ein. Und beim American-Songbook-Schlager "I Fall In Love Too Easily" verblüfft er anschließend mit vertrackten Flageolett-Fingerfertigkeiten und in der Oktave geführten Motivketten.

Nicht weniger virtuos und originell ist der "E-Blues" gestaltet. In dieser Eigenkomposition transformiert Dieter Ilg das uralte Zwölftaktschema des Blues in ein modernes Kontrabass-Kabinettstück, lässt seinem Spieltrieb freien Lauf und groovt, dass sich die Balken biegen. Sehr erfinderisch zeigt er sich auch in "Ilgoretto". Angelehnt an eine Arie aus Giuseppe Verdis "Rigoletto" fasziniert er hier mit einem wuchtigen Bordun-Brummbass, dessen tiefe Dauertöne die Melodie stützend tragen. Diese Instrumentalnummer ist im Übrigen ein Musterbeispiel für Ilgs sanften, respektvollen Umgang mit der Tradition.

Den führt er auch in zwei Volksweisen aus dem deutschsprachigen Raum anschaulich vor. Das um 1780 entstandene Kinderlied "Guter Mond, du gehst so stille" verwandelt Ilg in eine rhythmisch pulsierende tour de force für Solo-Stehbass. Und das Handwerksburschenlied "Es, es, es und es" aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird bei ihm zur traurig-schönen Ballade (die nebenbei bemerkt listig den Rockklassiker "Smoke On The Water" zitiert). Ilg lässt sich und dem Hörenden dabei viel Zeit, den einzelnen Stimmen zu folgen. Als lauschte man einem Gespräch mehrerer Personen.

In diesen Bearbeitungen überlieferter Volksweisen führt Dieter Ilg seine Auseinandersetzung mit dem lange Zeit verpönten Liedgut deutscher Zunge fort. Damit hat er sich ja seit den späten 90er Jahren immer wieder beschäftigt. Auf den Alben "Folk Songs", "Fieldwork" und „LIVEILG“ etwa schürfte er als einer der ersten Jazzer in unseren Breitengraden tief nach den Wurzeln der eigenen kulturellen Identität und rehabilitierte in Verruf geratene Lieder wie "Im Märzen der Bauer" und "Der Mond ist aufgegangen".

Neben der deutschen Folkloretradition hat es ihm ganz offensichtlich auch die japanische angetan. Auf seinem Solodebüt "Bass" jedenfalls flirtet Ilg in den aneinandergereihten Titeln "Hanami" und "Tsuyu" (aus der Feder seines langjährigen Duopartners Charlie Mariano) kräftig mit der Klangwelt Nippons. Er entlockt seinem Stehbass fernöstlich anmutende Klangfolgen, die mitunter gar an die Koto-Zither erinnern. Was freilich sehr gut passt, steht der Begriff "Hanami" doch für die Tradition des Kirschblütenfests und "Tsuyu" für die alljährliche Regenzeit im Land der aufgehenden Sonne.

Ein ganz besonderes Bravourstück ist Dieter Ilg mit "Animal Farm" gelungen, George Orwells gleichnamigen Roman erzählt er da gleichsam mit musikalischen Mitteln. Der Storyteller nutzt sämtliche Bauteile des Kontrabasses und ahmt lautmalerisch einen ganzen Zoo nach. Es jault, grunzt und trappelt, dass es eine wahre Freude ist. Tierisch gut! Noch einen Schritt weiter geht Dieter Ilg in "Cousin Mary". In dieser Neufassung eines John-Coltrane-Werks gibt er sich nicht mit verzwickten Spieltechniken und ungewohnten Bassklängen zufrieden, er tritt auch selbst in Aktion. Mit Mund und Füßen bringt er Sounds hervor, die sich mit seinem Instrument zur untrennbaren Einheit verbinden. Förmlich so, als wären die beiden, Bass und Mensch, fest miteinander verwachsen. Der menschliche Körper als natürliche Verlängerung des Basses (vice versa).

Voller Experimentierfreude und Entdeckergeist treibt Ilg auf "Bass" die Auseinandersetzung mit dem altehrwürdigen und zugleich hochaktuellen Kontrabass voran, dabei fallen ihm am laufenden Band neue, so noch nicht gehörte Kniffe ein. Hier werden die Saiten nicht nur in Jazzmanier gezupft, es wird auch nach Herzenslust gerieben, gezerrt, geklopft und gehämmert. Doch egal welche Ausdrucksmöglichkeiten der Visionär auch wählt, stets bleibt er musikdienlich. Selbst noch so raffinierte Spieltechniken verkommen bei ihm nie zum Selbstzweck oder zur Effekthascherei, bei aller Virtuosität verliert Ilg nie das Eingängig-Sinnliche aus dem Auge bzw. Ohr.

Nicht zuletzt diese Fähigkeit, sein enormes handwerkliches Können in den Dienst der Musik zu stellen, hat dem Ausnahmebassisten in den vergangenen dreißig Jahren so manches Engagement internationaler Größen eingebracht. Unter anderem stand er mit Mike Stern, Randy Brecker, Peter Erskine, Dave Liebman, Thomas Quasthoff, Nguyên Lê, Till Brönner und Albert Mangelsdorff, auf der Bühne und/oder im Studio. Und das ist nur eine kleine Auswahl all der Hochkaräter, mit denen er gemeinsame Sache machte.

Auf "Bass" ist Dieter Ilg nun erstmals ganz und gar in eigener Sache tätig. Er tritt aus dem Schatten des Sideman ins Rampenlicht, erhebt das Begleitinstrument Kontrabass in den Rang eines Soloinstruments und ersetzt quasi im Alleingang eine ganze Band. Darüber hinaus gelingt es ihm, seinen Tonerzeuger geradezu physikalisch erfassbar zu machen, er steht zum Greifen vor uns. "Bass" - das ist Bassmusik pur und ohne Geschmacksverstärker, das ist eine Vielzahl bunt schillernder Sound-Schattierungen von lediglich einem Instrument. Minimale Besetzung, maximale Klangausbeute!
http://www.dieterilg.de/seiten/katalog.html

Für Aktivlinge genau das passende Futter. Mal mit Pasivlautsprechern hörend vergleichen. Dann weiß man Bescheid. :D

Gruß
Franz
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Speedy
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Beitrag von Speedy »

Hallo Franz,

danke für den Tipp, Dieter Ilg kennt man natürlich, aber diese Veröffentlichung ist mir neu.

Auch nur mit Bass eingespielt :

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Decebal Badila - Nothing But Bass

Man kann es stellenweise gar nicht fassen, dass da wirklich nur der Bass benutzt wird, dürfte bei Ilg genauso sein.

Beste Grüße
Speedy
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tp
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Beitrag von tp »

Hallo Franz,

über diesen Plattentip freue ich mich ganz besonders - und kann Deine euphorischen Beschreibungen über dieses Album absolut nachvollziehen. Dieter Ilg live mit seinem Soloprogramm zu hören ist ein wirkliches Highlight.

Auch wenn's off topic ist:
Ich kenne Dieter seit unserer Jugendzeit. Wir beiden haben die ersten Schritte zur Jazzmusik mit einer gemeinsamen Band in der Zeit zwischen 1974 und 1981 gemacht. Schon damals war das Ausnahmetalent in Dieter unüberhörbar. Es war mir und ist mir nach wie vor eine große Freude, seinen Profiweg zu beobachten und mich mit ihm regelmäßig auszutauschen.
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JOE
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Beitrag von JOE »

tp hat geschrieben:Dieter Ilg live mit seinem Soloprogramm zu hören ist ein wirkliches Highlight.
Lieber Fredi,

da kann ich nur zustimmen: Vergangenes Jahr habe ich ihn in Berlin live + solo hören können - und es war für meine Frau und mich ein bleibendes Erlebnis!

Also neben der Konserve die Empfehlung sich zu informieren, wann und wo er auftritt.*

Gruß
Joe


* Für die ganz großen Feinschmecker dieser Termin: VINCENT KLINK / PATRICK BEBELAAR, Musikalische Lesung mit DIETER ILG am Sonntag, 31.1.2010 im Schwarzen Adler, Oberbergen.
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Marco A.
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Beitrag von Marco A. »

Hallo zusammen,

auch ich möchte mich bei Franz für diesen Tipp bedanken. :cheers:

Vor einigen Tagen bin ich in den Genuss gekommen und konnte beim Franz Musik hören, wir haben 5 Stunden lang Musik gehört, einfach genial. Leider hat die Zeit nicht mehr gereicht um auch diese CD zu hören, von der Franz auch an diesem Nachmittag sehr geschwärmt hat. Da ich allerdings von allen anderem was mir der Franz so aufgelegt hat total begeistert war, habe ich mir diese CD einfach mal mitbestellt, zum Glück. So habe ich dieses Instrument noch nie von einer CD gehört. Diese CD bekommt von mir 5 Sterne. :P

Mit besten Grüßen
Marco
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Hi,

normalerweise ordere ich nie ungehörte CDs just auf Empfehlung. Nun hat Franz doch bei mir den Pawlow'schen Reflex ausgelöst. Also geordert. Bin gespannt.

Grüsse, Uli
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Nun, da es auch bei Uli hektisch wird,

möchte ich nicht nachstehen: habe also soeben das Album auf Napster eingetunt. Ein sehr schöner, singender Bass!

Aber was sehe ich, der erste Titel trägt den Namen von Winfrieds Hotel in München: Arirang :shock:

Also flugs bei Wikipedia nachgelesen und Folgendes gefunden:
Wikipedia hat geschrieben:Arirang ist das beliebteste Volkslied der Koreaner und wurde bei internationalen Sportveranstaltungen für gesamtkoreanische Mannschaften als Ersatz für die Nationalhymne verwendet. Nach dem Lied ist das nordkoreanische Arirang-Festival benannt.
Winfried, ein schöner Name für dein Hotel, dessen Wahl sicherlich mit dem Heimatland deiner lieben Frau zu tun hat. Jetzt möchte ich natürlich zu gerne wissen, ob es auch wirklich das koreanische Volkslied ist, das Dieter Ilg hier spielt.

Viele Grüße
Rudolf
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wgh52
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ARIRANG

Beitrag von wgh52 »

"Arirang" ist von sehr grosser Bedeutung für das koreanische Volk (speziell wenn sie "in der Fremde" sind: Es bezeichnet eigentlich eine Landschaft in Korea, die für die Koreaner eine Art Indentifikationszentrum bedeutet, um die sich Legenden ranken, viele Volkslieder und Tänze tragen Arirang im Namen oder erwähnen Arirang im Text.

Wenn Koreaner (diese Leute sind sehr gesellig!) "Arirang" sehen oder hören, bedeutet das für sie: Hier ist es heimatlich, hier versteht man meine Sprache und Bedürfnisse, hier kann ich mich zu Hause fühlen, hier gibt es Koreaner. Auch in unserem Hotelnamen haben wir dieses Wort genaus deswegen und um Koreaner eindeutig anzusprechen.

Das Stück konnte ich mir noch nicht anhören (hab auf die Schnelle keine Vorhörmöglichkeit gefunden), aber sobald meine Frau und ich es angehört haben, können wir sagen wie koreanisch es klingt bzw. ob es wirklich ein koreanisches Lied ist.

Gruss,
Winfried
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Rudolf
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Dieter Ilg live zum (kostenlosen) Download

Beitrag von Rudolf »

Liebe Freunde,

wer Dieter Ilg einmal zur Probe hören will, dem sei dieser kostenlose Download (sowohl in 16/44,1 als auch in 24/96kHz) eines Konzertmitschnitts auf Schloss Elmau nahegelegt:

http://www.hifistatement.net/de/musik/downloads

Viel Spaß beim Hören!

Viele Grüße
Rudolf
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tp
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Beitrag von tp »

Ein musikalisches Thema mit dem Dieter Ilg in den vergangenen Jahren unterwegs und im Studio war, ist seine jazzgeprägte Sichtweise auf Otello. Im Trio mit piano und drums eingespielt (wobei der drummer Sequenzer-Passagen simultan einsetzt). Das Erlebnis das Otello-Programm live zu hören war enorm beeindruckend und dieses Feeling ist auf dem selbst verlegten Studio-Album mit hervorragender Tonqualität konserviert. Der später erfolgte Live-Mitschnitt (auf ACT verlegt) eines Konzertes auf Schloß Elmau bringt des Konzerterlebnis noch direkter, noch näher in die Abhöratmosphäre. Aus meiner Sicht sind beide Alben ganz "fette" Empfehlungen:

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Viel Spaß beim Hören,
lg Fredi
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Franz
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Beitrag von Franz »

Vielen herzlichen Dank für diese Empfehlungen. :cheers:

Gruß
Franz
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