Hallo Richard, hallo Winfried,
offensichtlich habe ich mich missverständlich ausgedrückt
. Also gebt mir bitte noch einen Versuch:
Das Obertonspektrum ist im Grunde genau das, was Richard und ich bei unseren Messungen vorgestellt haben. Um in der von mir bemühten Analogie zum Topfschlagen zu bleiben - wenn der Kochlöffel auf den Topf trifft, ist das der Anregungsimpuls des Systems Kochtopf, so eine Art Diracimpuls. Genau diese Antwort auf einen Diracimpuls interessiert, es ist die Impulsantwort eines Systems. Bei den Lautsprechermessungen wurde diese aber nicht durch einen Diracimpuls gemessen, sondern mit einem Gleitsinussignal, dessen Übertragung durch das System Lautsprecher aufgezeichnet wurde. Da man den anregenden Gleitsinus (Logsweep) genau kennt, kann man aus der Inversen des Logsweeps gefaltet mit der Systemantwort die Impulsantwort berechen. Darin steckt das gesamte Übertragungsverhalten. Stellt man diesen Impuls nach Fouriertransformation nicht auf der Zeitachse, sondern über der Frequenz dar, erhält man den Amplitudenfrequenzgang des Systems. Aber auch die Phasenbezüge von Eingangssiganl zu Ausgangssignal sind darin enthalten (sonst ließen sich daraus nicht so vorzüglich die FIR-Korrekturfilter rechnen). Warum aber der Umweg über den Gleitsinus, wenn doch nur die Impulsantwort interessiert? Warum nicht gleich mit einem Diracimpuls angeregt und gut ist's? Mal von messtechnischen Details wie der enormen Verbesserung des Signal-Rauschabstandes bei diesem Verfahren abgesehen, bekommt man noch etwas anderes serviert. Schaut man sich sozusagen mit der Lupe die Gegend um die Impulsantwort auf der Zeitachse an, findet man links vom Hauptimpuls, der die Grundwelle K1 repräsentiert, noch weitere kleine Impülschen. Sie repräsentieren die Oberwellen K2 bis Kx, je weiter weg auf der Zeitachse von K1, desto höher die Ordnung. Diese Nebenimpulse kann man nun genauso wie K1 fouriertransformieren und als Frequenzgang der Oberwellen darstellen. Das ist bis hierher, was man in den vorgestellten Auswertungen von mir gesehen hat.
Gehen wir nun wieder zurück auf die Zeitachse. Der Hauptimpuls mit den (hoffentlich) kleinen Nebenimpulsen ist der akustische Fingerabdruck des Systems. Für dieses Verhältnis von Grundwelle zu Oberwellen (das Obertonspektrum also) ist unser Gehör ungeheuer empfindlich, macht es doch den charakteristischen Eigenklang eines Instruments, einer Stimme, des umgedrehten Topfes oder eigentlich von allem, was klingt, aus. Bei den von Richard zitierten Hörschwellen dagegen geht es darum, ab wann ich die Verzerrung eines Sinussignals erkenne, das ist etwas grundlegend anderes, denke ich. Ich möchte ein Beispiel geben für diesen erkennbaren Fingerabdruck eines technischen Systems. Operationsverstärker haben auch so einen Oberton-Fingerabdruck. Oft wird behauptet, die Oberwellen lägen so unglaublich niedrig in ihrer Amplitude, dass man das auf keinen Fall hören könne. Mein Lieblings-OPA, der 627, ist ja ein begehrtes Objekt chinesischer Fälschungswerkstätten, weil sich damit ordentlich Geld machen lässt. Ein OPA627 kostet grob 20 Euro, ein Billig-OP, dessen Aufdruck abgeschliffen und neu etikettiert wird, kostet ein paar wenige Cent. Mit dem Plagiat funktioniert die Schaltung aber genauso, zumindest oberflächlich betrachtet. Nun habe ich Herrn Sellenthin in Berlin schon beinahe zur Verzweiflung gebracht, als ich gesagt habe, das, was ich geliefert bekommen habe, sieht zwar aus wie ein 627, klingt aber nicht wie ein 627, ist also kein 627. Er hat dann gesagt, zweifelsfrei lässt sich das nur klären, indem man das Obertonspektrum misst. Zurück geschickt, er hat das Spektrum gemessen, kein 627 gewesen. Das menschliche Gehör ist also in der Lage, diese winzigen Unterschiede im Klirrspektrum eindeutig mit einem Eigenklang des Systems zu verknüpfen. Zur Ehrenrettung von Herrn Sellenthin sei noch angemerkt, dass er unschuldig war, schon der offizielle (!) Distributor war in der Not des zeitweilig bei diesem Bauteil auftretenden Lieferengpasses einer gefälschten Charge auf den Leim gegangen
.
Zurück zum Lautsprecherchassis. Die Gegenkopplung zerstört diesen Eigenklang, was sich messtechnisch darin ausdrückt, dass die Klirrkomponenten alle gemeinsam im Rauschen versacken. Wie bei meinen Messungen gesehen, da gibt es kein charakteristisches Verhältnis. Vielleicht kommt das so langsam Deiner Frage näher, Richard, warum die Ks bei mir alle so auffällig auf einem Niveau liegen über der Frequenz.
Viele Grüße
Gert