Hörbarkeit von Gruppenlaufzeitverzerrungen

phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

Wenn John Watkinson recht hat, ist es eben doch nicht so einfach, dass Gleichheit der Gruppenlaufzeit ausreichen würde (siehe weiter oben).

Was PSI macht sind keine Bessel Allpässe als Verzögerungsleitungen , wie im Tietze-Schenk beschrieben, sondern vorgestellte Phasenequalizer. Verzögerungsleitungen wie im Tietze-Schenk werden übrigens benötigt, um eine Subtractive-Delay Weiche nach Lipshitz-Vanderkooy korrekt zu implementieren (also eben keine Phasenschieber!).

Der grössere PSI hat übrigens einen Phasenequalizer von etwas mehr als 40. Ordnung.

Etwas habe ich noch vergessen: Gemäss Martin Colloms gibt es Fehler in der Dynamikwahrnehmung bei zu schlechtem Impulsverhalten. Gleich hohe Dynamikunterschiede würden bei transienten und statischen Signalen nicht gleich empfunden wenn die GLZ nicht konstant ist.

Gruss

Charles
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Klaus,
KSTR hat geschrieben:Als makroskopischen Bereich sehe ich den Bereich, wo sich die Gruppenlaufzeiten so stark insgesamt ändern oder auch entprechend schnell über der Frequenz, dass Einzelinstrumente oder Stimmen zeitlich in verschiedene Frequenzgruppen zerfallen. Quasi ein Dispersionseffekt.
ich glaube, das ist das, was Malte so schön beschrieben hat. Dispersionseffekt finde ich dafür einen sehr treffenden Begriff.
Spannender wird es im Bereich unterhalb des Offenhörbaren... also z.B. mutmasslich eine schön langsam und sauber um 360 Grad drehende Phase. Dort erscheint mir plausibel dass man subtile Änderungen in Klangfarben usw hören kann, da nun die tatsächlichen Wellenformen je nach Phasengang anders sind und damit sowohl die Chassis wie das Ohr subtil anders klirren. Ob sich eine Änderung in der Räumlichkeit ergibt durch moderate Phasenverzerrungen im Verlgleich zu perfekter Linearphasigkeit? Dazu müsste mE am Rest des LS und der RA alles passen, umgangssprachlich.
Ich bilde mir ein, eine solche Anlage in einem solchen Raum zu haben (wer würde schon gerne zugeben, dass all die Mühen zwar nicht umsonst, aber doch vergeblich waren :mrgreen: ). Und ich bin schon sehr gespannt auf diesen letzten Schritt zur absoluten Linearphasigkeit. Wobei, das mit dem letzten Schritt muss man relativieren, wie oft dachte ich schon, die momentane Umbaumaßnahme sei der letzte Schritt?

Allerdings sind 4ms auch satte 1.3m Laufweg....
Ja, aber 4ms kommen schnell zusammen, wenn Du die PSpice-Simulation der Summe aller Wege bei mir anschaust. Das liefert allein der Tiefpass für die Tieftöner.

Viele Grüße
Gert
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Jungs,

sieh an, die Diskussion kommt langsam in Fahrt :cheers:.
phase_accurate hat geschrieben:Wenn John Watkinson recht hat, ist es eben doch nicht so einfach, dass Gleichheit der Gruppenlaufzeit ausreichen würde (siehe weiter oben).
Ich weiß es einfach nicht - das war ja der Grund, warum ich die Diskussion vom Zaun gebrochen habe. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass Uli recht hat mit seiner Annahme, dass für's Stereo-Hören erst mal die Phasengleichheit am Hörplatz wichtig ist. Welche tonalen und vielleicht auch die Tiefenstaffelung betreffende Effekte durch eine Herstellung absoluter Linearphasigkeit gehörmäßig hervorgerufen werden (oder eben auch nicht), bin ich sehr gespannt.
Was PSI macht sind keine Bessel Allpässe als Verzögerungsleitungen , wie im Tietze-Schenk beschrieben, sondern vorgestellte Phasenequaliser. Verzögerungsleitungen wie im Tietze - Schenk werden übrigens benötigt um eine Subtractive-Delay Weiche nach Lipshitz - Vanderkooy korrekt zu implementieren (also eben keine Phasenschieber !).
Klär mich bitte auf, was ist der Unterschied zwischen einem Phasenschieber und einem Allpass? Ich war bisher der Meinung, dass ein Allpass ein Phasenschieber ist. Ich würde sogar einen Allpass genau so definieren: Eine Schaltung, die in der Lage ist, eine frequenzabhängige Phasenverschiebung zu machen, aber bei allen Frequenzen die Verstärkung 1 hat.

BTW: Wenn man für die Allpässe bei der LV-Weiche keine Bessel-Allpässe (mit dem Ziel, ein reines Delay zu machen) verwendet, sondern Allpässe, die genau die gleichen Koeffizienten (also z. B. Butterworth) wie im parallelen Tiefpass haben (mit halber Ordnungszahl, ist klar), dann wird's erst richtig gut. Im Sinn von exakter Phasengleichheit zwischen den Wegen.
Etwas habe ich noch vergessen: Gemäss Martin Colloms gibt es Fehler in der Dynamikwahrnehmung bei zu schlechtem Impulsverhalten. Gleich hohe Dynamikunterschiede würden bei transienten und statischen Signalen nicht gleich empfunden wenn die GLZ nicht konstant ist.
Das ist interessant - hast Du einen Link?

Viele Grüße
Gert
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phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

Zuallererst zu Colloms: Nein, einen Link habe ich leider nicht. Das Statement stammt aus seinem Buch "High performance Loudspeakers". Ich hatte es einmal von einer Bibliothek ausgeliehen und durchgelesen.

Zu der Allpass Geschichte: Natürlich sind Allpässe Phasenschieber, kein Zweifel. Bei geschickter Dimensionierung kann man damit Verzögerungsleitungen bauen, welche bis zu einer oberen Grenzfrequenz eine flache Gruppenlaufzeit aufweisen. Diese sind in der erwähnten und allseits beliebten "Elektronikerbibel" abgehandelt. Für diese Verzögerungsleitungen werden Allpässe mit relativ niedriger Filtergüte verwendet.

Der Phasenequalizer hingegen ist der Weiche vorgeschaltet und besteht aus Allpässen 2. Ordnung mit höheren Güten. Deren GLZ hat den Verlauf eines Tiefpasses mit einem Peak. Mit einer geschickten Dimensionierung kann man nun (unter Erhöhung der gesamten GLZ) die GLZ eines Systems linearisieren. Der Betrag der GLZ hat auch immer noch die Form eines Tiefpasses, da wir ja die Physik nicht umkrempeln können. D.h. irgendwo (hoffentlich ausserhalb des Audio Frequenzbereichs) ist dann fertig mit linearer GLZ. Solche Equalizer werden u.a. in Modems verwendet. Es gibt in der Nachrichtentechnik auch Anforderungen an Bandpässe mit konstanter GLZ. So ein Bandpassfilter in passiver Form findet sich z.B. als Z.F. Filter in den Revox Tunern zwecks Reduktion der harmonischen- und IM-Verzerrungen.

Das Grundprinzip ist hier erklärt (allerdings nicht am Beispiel einer Frequenzweiche, tut aber nichts zur Sache), Fig. 6 ist speziell illustrativ :

http://www.lecroy.com/tm/Library/WhiteP ... on2006.pdf

Hier sieht man eine Application Note zu einem Filter Design Programm welches Phasenlinearisierung beherrscht. Sehr schön sieht man wie die Ordnung des Allpass EQs zunimmt mit der Gruppenlaufzeit, der Bandbreite und der geforderten Linearität (Seite 126). Das Programm ist übrigens nicht billig !

http://www.linearx.com/files/pdf/FilterShopApp_01.pdf

Interessant ist, dass Uli Brüggeman zwar ein Programm verkauft, mit dessen Hilfe man auf dem PC obercoole linearphasige Weichen implementieren kann aber die Phasenlinearität an sich als unwichtig betrachtet.

Gruss

Charles
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Interessant ist, dass Uli Brüggeman zwar ein Programm verkauft, mit dessen Hilfe man auf dem PC obercoole linearphasige Weichen implementieren kann aber die Phasenlinearität an sich als unwichtig betrachtet.
:cheers:
Haha. Find ich lustig. Ein gelungener Aprilscherz. :D
Einfach mal drei Bilder. Sprungantworten. Hoffe das mit den links klappt.

Zuerst mal wie übliche LS aussehen:

Bild

Was die Exzessphasenkorrektur draus macht, also mit Optimierung der Gruppenlaufzeit:

Bild

Und wenn man es auf die Spitze treibt (= Kanalgleichheit in den ersten ms) ein Bild welches das im Vergleich zeigt:

Bild

Das letztere ist ist nur über ein spezielles Verfahren zu erreichen, wo ich immer noch überlege wie ich das Geld für ein Patent zusammenbekomme (was man bei dem Business dann nie wieder reinbekommt :) ).

Ich muss dazu auch vermelden, dass das Hörergebnis eine hervorragende Fokussierung aufweist. Obwohl man dabei wieder beim Frequenzgang Ungleichheiten in Kauf nehmen muss, die man aber seltsamerweise nicht wahrnimmt. Alles eine Frage der Balance.

Die Notwendigkeit, gewisse Kompromisse eingehen zu müssen, vertrete ich übrigens mittlerweile äusserst kompromisslos.

Uli
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Kleiner Nachtrag fürs Verständnis: die Bilder zeigen Messungen am Hörplatz !
Uli
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phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

Haha. Find ich lustig. Ein gelungener Aprilscherz.
Vielleicht hatte ich eventuell Deinen letzten Post falsch verstanden ! :oops:

Die Step Responses sehen übrigens hervorragend aus !

Gruss

Charles
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Charles,

danke für die Links, hab's glaub' ich begriffen, was Du meinst. Wobei das gezeigte Beispiel eine konstante Gruppenlaufzeit bis zur Grenzfrequenz zeigt, die dann steil in den Keller fällt. Was für die gezeigte Anwendung völlig ausreichend ist. Für eine Frequenzweiche müsste der Übergangsbereich zum nächsten Zweig noch mit abgedeckt werden, denke ich. Und dieser nächste Zweig müsste dann die GLZ des darunter angesiedelten erhalten. Je höher dann die obere Grenzfrequenz des oberen Zweiges, desto mehr Korrektur-Allpässe sind nötig, um die geforderte GLZ zu erreichen. Oder meinetwegen nenn es Phasenschieber mit einer Gruppenlaufzeitkontur, die zu derjenigen des Hochpasses invers ist, wenn Du unter Allpass eher was mit konstanter Gruppenlaufzeit über einen weiten Bereich verstehst. Damit wird aber dennoch ein ganzes Grab voller Phasenschieber nötig.

Mein Fazit: Einen Tiefpass bis zur Grenzfrequenz mit konstanter GLZ auszustatten, ist analog ein machbares Unterfangen. Einen in der Frequenz darüber angesiedelten Hochpass ebenfalls mit genau dieser Gruppenlaufzeit auszustatten, erfordert eine unhandlich große Anzahl an Phasenschiebern.

Hallo Uli,

speziell die blaue Kurve im letzten Diagramm, die in den ersten ms die braune praktisch völlig überdeckt, macht mir den Mund derart wässrig, dass ich heute abend als erstes versuchen werde, die Soundkarte endlich unter Linux zum Singen zu bringen. Melde mich dann wieder per Mail für die nächsten Schritte, wenn's klappt.

Viele Grüße
Gert
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phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

Mein Fazit: Einen Tiefpass bis zur Grenzfrequenz mit konstanter GLZ auszustatten, ist analog ein machbares Unterfangen. Einen in der Frequenz darüber angesiedelten Hochpass ebenfalls mit genau dieser Gruppenlaufzeit auszustatten, erfordert eine unhandlich große Anzahl an Phasenschiebern.
Einen Tiefpass bis zu seiner Grenzfrequenz mit konstanter GLZ auszustatten ist je nachdem nicht speziell schwierig. Bessel-Tiefpässe kommen schon so "angeliefert". Höhere Ordnungen sind hier sogar etwas besser als die tieferen Ordnungen.

Eine Linkwitz-Weiche zweiter Ordnung kann z.B. mit 4 bis 5 Allpässen 2. Ordnung bis etwas über 20 kHz entzerrt werden. LR 4 erfordert schon etwas höheren Aufwand.

Ich bin im Moment daran so etwas zu bauen mit Dynaudio Chassis welche ich noch am Lager hatte.

Falls ich später in diesem Jahr noch Zeit habe, werd ich noch einmal etwas ähnliches bauen mit drei Wegen. Ich werde aber dieses Prinzip nur im Mittel-Hochton Bereich einsetzten. Bass/Mittelton wird klassisch subtraktiv getrennt werden.

Gruss

Charles
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Malte
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Beitrag von Malte »

Hallo Gert,
Fortepianus hat geschrieben:speziell die blaue Kurve im letzten Diagramm, die in den ersten ms die braune praktisch völlig überdeckt, macht mir den Mund derart wässrig,
Ich würde etwas Bedenken anmelden, wenn eine Sprungantwort wegen ihrer zugegebenermaßen schönen Anstiegsflanke den Mund wässrig macht. Denn in der Praxis bringt eine "schöne" Sprungantwort nichts, weil hörbare Verzerrungsphänomene - nämlich die mit einem Sprungsignal am Hörplatz ohne Zeitfensterung gar nicht so einfach messbaren GLZ-Verzerrungen im Bass - sich im Diagramm munter verstecken können und man zugleich geneigt ist, tendenziell nicht hörbare Phänomene - wie ein versetzter Sprung zwischen Mittel- und Hochtöner im Bereich <0,1ms - zu optimieren, weil sie die ästhetische Qualität der Sprungantwort so stark beeinflussen ;-)

Die klassische Messung der Gruppenlaufzeit über Frequenz würde ich da eindeutig bevorzugen, da sieht man schneller, wo es Probleme gibt und wo nicht.
Ich habe außerdem die Vermutung, dass es bei der Laufzeitverzerrung darauf ankommt, ob die Laufzeit sich schlagartig ändert (wie in praktisch allen in der Literatur beschriebenen Untersuchungen) oder einen weichen Verlauf über der Frequenz hat.
Einen Einfluss hat das bestimmt, die Frage ist, wie relevant es in der Praxis ist. Die typischen Höreindrücke, die bei extremen Verzerrungen der Gruppenlaufzeit beschrieben werden, rühren jedoch meist von transienten Schallereignissen her, die sich über mehrere Oktaven erstrecken, etwa Grundton und die Obertöne eines Trommelschlags/ gezupften Basses, oder plötzliche Schallereignisse wie Klatschen, harte Konsonanten, Zischlaute, Bells, Triangel etc. - da liegt die Vermutung nahe, dass es auf das Zeitverhalten der Teilfrequenzen zueiander auch im Verhältnis von mehreren Oktaven ankommt. Und dass sich letztlich die Extreme "plötzlicher Sprung in der Gruppenlaufzeit" und Allpass nicht soo stark unterscheiden, dass man für beide quasi getrennte Gesetze einführen müsste.

zu Klaus:
phase_accurate hat geschrieben:Spannender wird es im Bereich unterhalb des Offenhörbaren... also z.B. mutmasslich eine schön langsam und sauber um 360 Grad drehende Phase. Dort erscheint mir plausibel dass man subtile Änderungen in Klangfarben usw hören kann
Also, einen Allpass 4. Ordnung über das gesamte hörbare Frequenzband habe ich schon einmal im AB-Test über Kopfhörer gehört. Ich konnte überhaupt keinen Unterschied hören. Das heißt natürlich nicht, dass es unter den von Dir beschriebenen Bedingungen - Lautsprecher, weitere nichtlineare Verzerrungen - nicht welche geben könnte, ich halte es allerdings für unwahrscheinlich.
Allerdings sind 4ms auch satte 1.3m Laufweg....
Im Bassbereich nichts Ungewöhnliches, bei herkömmlichen Bassreflexkonstruktionen reden wir eher von 10...30ms, von Kaskaden-Bandpass-Woofern will ich lieber nicht anfangen. ;-)

Die Frage ist, ob man über das gesamte Frequenzband eine absolute Linearphasigkeit herstellen muss, oder ob es genügt, im Mittelhochton perfekt zu entzerren (wo man mit maximal 0,5 oder 1ms zu kämpfen hat), und dem Bass höhere Verzögerugen zugestehen mag.

zu Uli:
uli.brueggemann hat geschrieben:Zweite Behauptung: wir hören deutlich GLZ sobald sie zwischen zwei LS unterschiedlich ist. Sonst täte es Stereo nicht. Die Zeitunterschiede können dabei minimalst sein.
Ja. Hier, sprich Laufzeitverzerrungen Interchannel, wiederum kann man Hörschwellen um 0,05 ms (!) oder weniger als realistisch betrachtet, das habe ich selbst schon im Kopfhörer-Versuch verifiziert. Die Hörbarkeit bei Lautsprecher-Stereophonie ist wohl etwas toleranter, vielleicht um Faktor 2.
Wenn also beide LS in einem Raum jeweils einen Schall erzeugen der mit identischen GLZ beim Hörer ankommt dann ist es egal ob innerhalb des Schalls unterschiedliche GLZ vorliegen.
Nein, auch hier dürfen gewisse Grenzen nicht überschritten werden, die natürlich um einige Stellen höher liegen, nehmen wir mal Faktor 20...100 an, je nach Frequenzbereich.
Sprich: nimm die Bäume und mach nen ordentlichen Wald draus
Der Wald besagt in diesem Fall allerdings, dass bei herkömmlichen Lautsprechern der Faktor Pegeldifferenz stärker wirkt als die Phasen/Laufzeitdifferenz.

Viele Grüße

Malte
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Kienberg
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Beitrag von Kienberg »

KSTR hat geschrieben:Man kann zwei Bereiche bei Phasenverzerrungen unterscheiden.

Als makroskopischen Bereich sehe ich den Bereich, wo sich die Gruppenlaufzeiten so stark insgesamt ändern oder auch entprechend schnell über der Frequenz, dass Einzelinstrumente oder Stimmen zeitlich in verschiedene Frequenzgruppen zerfallen. Quasi ein Dispersionseffekt. Diesen Bereich kann wohl jeder, auch mit einer eher mäßig auflösenden Anlage / RA erfahren, je nach Ausprägung.
Hallo Klaus,

eine sehr interessante Klassifizierung, die endlich mal Hörergenisse mit einbezieht.

Die erste Kategorie deckt sich mit vielen Ergebnissen die ich immer wieder bei Lautsprechertests habe. Vor allem bei der Reproduktion von Blechblasinstrumenten stelle ich oft nach wenigen Minuten fest, das klingt nicht echt, hier spielt ein Lautsprecher, der Klang ist weit weg vom "Ding an sich". Hier kann ich mir den von Dir eingeführten "Dispersionseffekt" recht gut als Erklärung für das negative Hörerlebnis vorstellen.
Spannender wird es im Bereich unterhalb des Offenhörbaren... also z.B. mutmasslich eine schön langsam und sauber um 360 Grad drehende Phase. Dort erscheint mir plausibel dass man subtile Änderungen in Klangfarben usw hören kann, da nun die tatsächlichen Wellenformen je nach Phasengang anders sind und damit sowohl die Chassis wie das Ohr subtil anders klirren.
Diese zweite Kategorie konnte ich vor einiger Zeit sehr gut beim Vergleich einer Silbersand FM 701, B&M 35 und Geithain RL 800 K detektieren. Nur bei der FM 701 konnte ich bei Trompeten, Posaunen und Hörnern die feinen, allein durch Details in der Bauart, wie Legierung/Stärke des Blechs, Ziehverfahren (gehämmert oder gewalzt), Elastizität des Schalltrichters und Beschichtung, Mechanik der Ventil-Maschine, etc. bedingten Unterschiede in einer Deutlichkeit hören, die ich bisher nur beim Testen beim Instrumentenbauer dingfest machen konnte.

Auch bei der präzisen Wiedergabe kleinster Änderungen in der Spielweise in den Takten mit Dämpfereinsatz waren bei diesen Toplautsprechern noch Unterschiede erkennbar, wobei mir auch die Erkennung der benutzten Dämpfer wieder bei der FM 701 mit ihrer sensorbasierten Regelung aller Chassis am leichtesten gelang.

Gruss Sigi
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Malte hat geschrieben:Die klassische Messung der Gruppenlaufzeit über Frequenz würde ich da eindeutig bevorzugen, da sieht man schneller, wo es Probleme gibt und wo nicht.
Malte,

Wie misst man klassisch die GLZ über der Frequenz am Hörplatz? Die Fourier-Transformation zeigt einen eingeschwungenen Zustand. Und ohne frequenzabhängige Fensterung macht das dann gar keinen Sinn weil dann z.B. viel zu viele hochfrequente Zyklen im Vergleich zu tieferen Frequenzen enthalten sind. Und wieviele Zyklen nimmt man dann als Fensterbreite bei der Auswertung?

Neben der Sprungantwort, die man natürlich richtig lesen muss, verwende ich auch die S-Transformation zur Darstellung. Die zeigt sowohl Frequenz- und Zeitverhalten in einem Bild:

Beispiel unkorrigiert:

Bild

und korrigiert:

Bild
Nein, auch hier dürfen gewisse Grenzen nicht überschritten werden, die natürlich um einige Stellen höher liegen, nehmen wir mal Faktor 20...100 an, je nach Frequenzbereich.
Hatte schon zuvor geschrieben: Extremtests vielleicht mal ausgenommen. Das war damit gemeint.
Der Wald besagt in diesem Fall allerdings, dass bei herkömmlichen Lautsprechern der Faktor Pegeldifferenz stärker wirkt als die Phasen/Laufzeitdifferenz.
Bin da anderer Ansicht. Panning ist per Laufzeitdifferenz viel einfacher einzustellen als per Amplitudenvorgabe. Aber ich möchte mich da nicht verbeissen. Es sollte beides richtig sein :)

Uli
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Kienberg hat geschrieben:Nur bei der FM 701 konnte ich bei Trompeten, Posaunen und Hörnern die feinen, allein durch Details in der Bauart, wie Legierung/Stärke des Blechs, Ziehverfahren (gehämmert oder gewalzt), Elastizität des Schalltrichters und Beschichtung, Mechanik der Ventil-Maschine, etc., bedingten Unterschiede in einer Deutlichkeit hören, die ich bisher nur beim Testen beim Instrumentenbauer dingfest machen konnte.
Hallo Sigi,

das spricht offensichtlich deutlich für die Prinzipien, die hinter der FM 701 stehen. Was halt nun die Frage ist, in wieweit die Eigenschaften des Phasengangs dieses LS insgesamt sowie der Einzelwege dafür dominant oder zumindest relevant daran beteiligt sind.

Oder vielmehr den Gaul von hinten aufzäumen: Mit diesem LS müsste gut zu prüfen sein, ob ein vorab "über alles" moderat verbogener Phasengang etwas an der Hörempfindung ändert... wobei das dann wiederum nur aussagekräftug wäre, wenn die FM701 linearhasig abgestimmt wäre (ist sie? Mir war so als nicht). Ansonsten müsste man einen zur Linearphasigkeit führenden korrigierenden Phasengang anwenden und schauen ob sich das anders anhört und evtl. sogar besser (authentischere Illusion vermitteln). Und noch einen Schritt weiter, nämlich das alles am Hörplatz so sinnvoll es geht... dann sind wir da, wo Uli anfängt...

-------:--------

@Malte: Ich habe bisher bei einem ähnlichen Test auch nix gehört, bzw das was an Unterschieden da war, kann ich nicht sauber allein dem Phasengang schulden. Ich denke mir allerdings, dass das sehr stark vom Testmaterial abhängt, wg. folgendem Gedankengang:
Bei Klängen, wo die Obetöne sehr hart "in-sync" mit dem Grundton sind, also über weite Teile phasenstarr zueinander, haben wir eine relativ stabile Wellenform, während wir bei einer Phasenverzerrung ein ebenso stabiles, aber deutlich anderes Wellenbild haben. Meines Wissen fallen z.B. Blechbläser annähernd in diese Kategorie. Andererseits haben Saiteninstrumente eigentlich immer eine Obertonspreizung und auch multiple, fast gleiche Obertöne und teilweise chaotische Effekte, sodass die Wellenform schon in sich leicht phast und schwebt, was ja auch den speziellen Klang ausmacht. Dort wird durch eine Phasenverzerrung aus einer bereits "chaotischen" Wellenform eine andere, aber doch sehr "charakterlich ähnliche" chaotische Wellenform. Das dürfte auch bei Schlaginstrumenten zutreffen. Das wird sich, durch welche Mechanismen auch immer (z.B. andere Verzerrungen), mE wesentlich schwerer dingfest machen lassen als bei exakten in-phase-Obertönen mit einer eher stabilen Wellenform. Es sei denn, die Attackphase ist durch größere Sauereien schon ausreichend, als Erkennungmerkmal... oder die unterschiedlich projezierten Raumanteile, falls vorhanden...

Dazu müsste es doch schon einige Untersuchungen gegeben haben, weiß jemand was konkretes?

Grüße, Klaus
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Uli,

kannst Du bitte freundlicherweise kurze Interpretationen der beiden Diagramme "für unbedarfte" abgeben?
Ich sehe da z.B. nur marginale Differenzen, auf die ich mir aber keinen "Reim" im Zusammenhang mit diesem Threadthema machen kann.

Danke,
Winfried
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Winfried,

klaro.
3D-Ansicht. Nach rechts schräg hoch verlaufend die Zeit. Von oben links nach schräg unten die Frequenz und zwar ansteigend. Und die Amplitude als Berghöhe in farbig.

Die hohen Frequenzen nehmen einen kurzen Zeitraum in Anspruch, daher quasi die Bügelfalte im vorderen Bereich. Zu niedrigen Frequenzen hin wird es immer breiter. Weil linearphasige Zerlegung bei der S-Transform wird es nach beiden Seiten breit. Einfach mal so akzeptieren.

Wenn nun alles zeitrichtig auf einen Punkt kommt würde sich ein durchlaufend gerader Bergkamm ergeben. Kommen GLZ ins Spiel dann verschieben sich die Gipfel entsprechend der Zeit.
Das ist im unkorrigierten Fall klar zu sehen. Auch an den Einbuchtungen entlang des ansteigenden Bergkammes.

Im korrigierten Fall schieben sich die Gipfel in Richtung der gewünschten Linie. Das sollte mit dieser Erklärung hoffentlich zu sehen sein.

Man kann noch mehr lesen. Typischerweise gibt es in jedem normalen Raum Täler, die sich von Anfang bis Ende der Zeit hinziehen. Da ist praktisch keine GLZ-Korrektur möglich. Grund sind remanente Auslöschunen aufgrund von Raummoden. Und so zeigt sich auch im korrigierten Fall bei einer Frequenz ein Tal das parallel zur Zeitachse läuft.

Übrigens: die kleinen parallelen Bergkämme die dem grossen folgen sind durch Reflektionen verursacht. In diesem Fall erfolgen die Reflektionen über einen breiten Frequenzbereich. Es gibt natürlich auch Fälle wo dann Spektren gefiltert werden. Dann entstehen Inseln.

Die S-Transformation oder Stockwell-Transformation zeigt schön was sich über der Zeit im Spektrum tut. Es ist kein gleitendes Fenster mit Forier-Transformation wie beim Wasserfalldiagramm.

Uli
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