Hallo zusammen,
ein schöner Thread, Oliver. Ich schreibe mal, was ich gerade so höre, aber nicht lachen, bitte: bei mir ist seit einigen Tagen der Bruckner ausgebrochen. Wenn ich die Musik nicht mehr über die Lautsprecher höre, "brucknert" es in mir weiter.
Besonders angetan hat es mir die 7. Sinfonie, E-dur, und da wiederum der 2. Satz: Adagio. Ich kenne mehrere gute Aufnahmen davon. Celibidache mit den Münchnern, Haiting mit dem Concertgebouw Orchester, Solti mit dem Chicago Symphony Orchestra. Wenn ich vergleiche, lande ich allerdings doch wieder bei Bruno Walter mit dem Columbia Symphony Orchestra.
Besonders die große Steigerungswelle im Satzanhang (etwa ab 3/5 der Spiellänge des Adagios), die ihren Höhepunkt in einer fff Stelle in C-Dur hat, zelebriert Walter für mich einfach am schönsten. Wer sich für Details interessiert zur 7. Sinfonie,
hier ist eine griffige Formanalyse zu finden.
Bruckners Musik hat etwas selbstähnliches. Wenn man eine Bruckner-Sinfonie gut kennt und eine andere Bruckner-Sinfonie zum ersten Mal hört, erkennt man nach wenigen Sekunden, dass es sich um Bruckner handeln muss.
Mit leichter Übertreibung kann man sagen, daß alle Hauptthemen der Ersten Sätze, alle Gesangsthemen der Ersten Sätze, alle Hauptthemen der Adagiosätze, alle Scherzo- und Triothemen, alle »Choralthemen« usw. usw. einschließlich der Nebengebilde durch »Familienähnlichkeit« verknüpft sind. Sie wirken alle wie Abwandlungen je eines Urmodells. Sie alle, Themen, Formbildungen, Rhythmen, Modulationen sind immer »unverkennbarer Bruckner«, aber sie sind niemals »unverkennbar 3. Symphonie« oder irgendeine andere.
Besonders treffend finde ich diesen Text, der die "Urgewalt" der Brucknerschen Kontrastierungsmethode beschreibt.
Das Thema wächst sich zum breiten, in sich geschlossenen und vielgliedrigen Themenkomplex aus. Blockartig werden die Komplexe gegeneinander gestellt; die Kontraste dieser Gegenüberstellungen werden im Laufe der Zeit immer massiver. Durchführungsteile bringen regelmäßig die kompliziertesten Verwicklungen des thematischen Materials, das jedoch fast nie im Bethovenschen Sinne »entwickelt«, sondern meist kontrapunktisch verwoben und übereinandergeschichtet wird. Hierdurch entstehen gewaltige »Kampfgruppen«, so z.B. im 1. Satz der 5. Symphonie (Originalfassung). Die scheinbare Gegensätzlichkeit der motivischen Erfindung enthüllt sich im Verlaufe der Symphonie meist als Resultat aus einem einzigen thematischen Kern. Die verschiedenen, im Laufe des Werkes auftretenden Themen kehren oft als Zitate wieder und werden mit Vorliebe im Finale, besonders in der apotheotischen Schlußsteigerung, vielfältig und gewaltig übereinandergetürmt (5. und 8. Symphonie bieten Musterbeispiele). Episodische Gruppen erscheinen häufig, so vor allem die sog. »Choräle« der Finali, hymnisch feierliche, vom massierten Blech vorgetragene Themen, die liedartig gehalten, aber nicht gegebenem Choralmaterial entnommen sind. Sie werden im Gefüge des Satzes als Orte innerer Sammlung eingesetzt, etwa vor dem Durchbruch der Schlußsteigerung.
Quelle der Zitate: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 02, S. 379
Viele Grüße
Harald