Richard Wagner - neue Lesarten

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
alcedo
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Beitrag von alcedo »

Guten Abend Matthias,
matia100 hat geschrieben: 02.11.2023, 17:35 Die Walküre in Dresden ist im übrigen für den 9.5.24 17:00 terminiert (anders als oben in meinem Post angegeben).
wie war denn deine Erfahrung in Dresden? Ich bin sehr gespannt, was du berichten magst zu der gestrigen Aufführung ...

Beste Grüße
Jörg
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matia100
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Beitrag von matia100 »

Hallo Jörg und alle Wagner Interessierte,

die Aufführung ist noch frisch und das Erlebte wird mich wohl länger beschäftigen. Ich wurde schon im letzten Jahr mit dem „Rheingold“ vorkonditioniert und dachte mir schon das wird bestimmt ganz toll.

Mit einer derartigen Wucht hatte ich aber nicht gerechnet. Schon die ersten Klänge des Orchesters, in der glasklaren Einleitung bestimmt vom tiefen Gegrummel der Kontrabässe wurde deutlich, hier wird alles anders. Gut, ich hatte die Walküre innerhalb 2 Jahren dreimal erlebt, davon eine konzertant, aber das hier war wirklich neu.

Das Orchester ist tiefer gestimmt als heutzutage üblich (mit 435Hz) und die überwiegenden Natursaiten der Streicher tun ihr Übriges so daß sofort eine andere Tonalität den Orchesterklang charakterisiert, tiefer und dunkler. Kent Nagano´s Herangehensweise ist ungeheuer einnehmend und dadurch sympathisch mit immer wieder exakten und deutlichen Anweisungen auch an die ausgezeichnete Sängerriege. Er blieb stets ausdifferenziert. Mir fielen ebenso die „vielen Soli“ einzelner Instrumente auf (Cello, Harfe, Schlaghölzer etc.) die man so heraus gehoben vorher nicht bemerkt hatte. Das Orchester spielte energisch und mit maximalen Pathos wenn gefordert, gleichzeitig waren leiseste Stimmungen im Resonanzraum spürbar, so das man den Atem anhielt. Das Orchester ist wie von Wagner bei der Uraufführung in Bayreuth im Jahre 1876 postiert, also Bässe links, Harfen rechts usw.

Wie ich hörte war es nach Prag, Amsterdam, Köln, Hamburg wohl schon die fünfte Aufführung und so spielten sie alle wie befreit und vor allem wie beseelt.

Interessant sind die zum Teil nachgebauten Instrumente, die Wagnertuben und noch markanter in ihrer Abweichung vom Gewohnten insbesondere Hundings Ankündigungshorn, ein extra angefertigtes Stierhorn. Dieses Instrument tönte über allem mit einem derben und dörflichen Naturton, schön schräg. Überhaupt war das reinstes Musiktheater vom aller Feinsten. So brauchte es auch keine Bühne, die Phantasie war in der Imagination perfekt. Ich will nicht unerwähnt lassen, daß ich die letzte Walküre in Bayreuth mit zwar phantastischer musikalischer und sängerischer Aufführung erlebte, aber eben auch mit einer für mich unerträglichen Inszenierung durchstehen mußte. Nach einem solchen Erlebnis will man nur noch die reine Musik…
Kent Nagano mit Walküren.jpg
Kent Nagano mit Walküren.jpg (107.64 KiB) 163 mal betrachtet
Kent Nagano, sichtlich stolz mit seinen Walküren:

Oder eben Theater mit Musik. Kommen wir gleich zum manchmal geschmähten Walkürenritt. So etwas habe ich bisher nicht erlebt, hierbei überzeugte mich das neue Konzept der „Wagner-Lesarten“ besonders: Die Walküren waren in perfekter sängerischer Abstimmung zueinander im wildesten Geschrei, wie es keine Choreinstudierung hätte theatralischer bei gleichzeitiger Kultiviertheit der hervorragenden Sängerinnen, aber besser machen können. Ein einziger Hochgenuss. So wird es Wagner sich wohl vorgestellt haben, heutzutage klingt das üblicherweise immer nur glattgebügelt und viel zu sauber intoniert. So wird aber der Inhalt bestmöglich transportiert: ein zunächst forscher Auftritt der Walküren-Kriegerinnen die erst Wotan beeindrucken dann aber zurückweichen vor dessen womöglicher Ungnädigkeit bis zum eingeständigen Abgang.

Ein solches Erlebnis hinterläßt dann einen gesamtheitlichen Eindruck bei dem nicht irgendeine einzelne Tugend, ein Instrumentalist oder SängerIn oder eine Besonderheit im Dirigat herausgehoben werden sollte. Der Gesamtklang, obwohl so anders und ungewohnt, wird nicht hinterfragt sondern überwältigt nur. Man spürt die ganze Kraft des Stücks, wird hin und her gerissen, nimmt Teil an der Handlung (!). Eben wie im Theater, wenn der Funke überspringt.

Was will man mehr – und das im Konzertsaal.

Die Besetzung war eine andere als in Köln. Für mich hervorstechend waren Sieglinde und Siegmund als Paar (Sara Wegener und Maximilian Schmitt), auch Hundings sehr schöner Bass (Tobias Kehrer). Die Gesangsriege war durch die Bank extrem gut in der Prononcierung was die Textverständlichkeit wirklich steigerte und auch sicher im Text (man konnte ja auch nichts einfach so wegsingen). Aber ja, es half die Übertitelung zum mitlesen.

Allesamt gute Schauspieler die sich voll ins Zeug legten und mit Mimik und Gestik zu Höchstform aufliefen. Im Schlußakt sind Wotan und Brünhilde dann gleich auf in ihrem Disput und bringen das ganze Desaster derart intensiv auf den Punkt das man vollkommen geplättet ist (sächsisch für „sprachlos gemacht wird“).

Nein, ein Bühnenbild habe ich nicht vermisst.

Im Anhang der Link auf das hiesige Programmheft, es ist etwas ausführlicher hinsichtlich des Projektes „Wagner – Lesarten“.

Die „Walküre“ hat schon mehr Resonanz abbekommen als das „Rheingold“ und es ist zu hoffen das dieses Projekt bis zur Vollendung des gesamten Rings im Jahre 2026 die Bedeutung Wagners wieder bekannter macht und auch zurecht rückt. Seine Themen sind hochaktuell, seine medialen Vorschläge bis heute nicht ausgereizt, wie wir hier sehen und hören können.

Und natürlich wünsche ich mir auch die Senkung des Altersdurchschnitts der Besucher.

Ich hoffe inständig auf Mitschnitte zum Nachhören, dies schien diesmal der Fall gewesen zu sein obwohl nichts davon zu lesen war. Wenn jemand eine Information dazu hat bitte um Posting hier.

Viele Grüße
Matthias
https://www.musikfestspiele.com/fileadm ... igital.pdf
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Matthias,

vielen Dank für die von dir übermittelten Eindrücke. Hoffen wir mal, dass es wirklich Mitschnitte gibt.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Guten Morgen, Matthias,

bei deiner plastischen und begeisterten Schilderung kann man sich das Konzert recht gut vorstellen. Vielleicht wird dadurch auch noch mehr Interesse für den Ring geweckt. Es wäre ihm zu gönnen.

Deine Idee mit dem verlinkten Programmheft finde ich sehr gut. Daher habe ich schnell mal geschaut, ob es das noch von der Kölner Aufführung gibt und habe es hier beigefügt (wie lange der DOWNLOAD-LINK aber funktioniert, kann ich nciht sagen).

Viele Grüße
Jörg
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Thomas86
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Beitrag von Thomas86 »

Hallo Matthias,

Danke für den Bericht und die Verlinkung der Info-Broschüre.
Das werde ich mir gern zu Gemüte führen.

Grüße
Thomas
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