Bachs Violinsonaten in einer atemberaubenden Interpretation

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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alcedo
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Bachs Violinsonaten in einer atemberaubenden Interpretation

Beitrag von alcedo »

Guten Abend, Klassikfreunde

... und insbesondere Kammermusik-Freunde ;-)
Denn es gibt eine neue Aufnahme von Bachs Violinsonaten und Partiten - diesmal mit dem deutsch-amerikanischen Geiger Augustin Hadelich.

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Was für eine atemberaubende Technik besitzt dieser Geiger! Ich hatte ihn schon vor einigen Jahren in München mit Dvoraks Violinkonzert (mit Jakub Hrusa/ SO des BR) gehört und war von seiner Fingerfertigkeit UND seiner musikalischen Ausdruckskraft sehr eingenommen. Im Gedächtnis blieb mir aber auch sein schrecklicher Werdegang. Schon früh als Wundergeiger gehypt, erlitt ein Großteil seiner Haut durch einen Brand im Elternhaus schwerste Verbrennungen und Hadelich musste sich zahlreichen Operationen unterziehen. Inzwischen gehört er zu den erfolgreichsten Violinisten in den Staaten und wird auch hier immer bekannter. Diese Aufnahme gehört auf jeden Fall zu den besten Interpretationen dieses (sicher nicht leicht zugänglichen) Werks - zumindest habe ich nur wenige auf diesem Niveau bislang gehört. Eine extrem schnelle und sauber intonierende linke Hand und ein gut geführter Bogen mit viel Sensibilität.
Ja, er kann die Chaconne aus der 2. und ja, er spielt auch das Prelude aus der 3. hervorragend. Aber am spannendsten sind die langsamen Stücke - pure Meditation! Diese Aufnahme ist atemberaubend - zumindest für mich.

Beste Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

danke für den Hinweis auf diese Einspielung. Ich habe gerade kurz bei Qobuz in den ersten Titel reingehört. Inbesondere im Vergleich zu meiner alten Aufnahme mit Zehetmair:
https://www.discogs.com/de/Johann-Sebas ... se/4431693
fällt auf, wie facettenreich und gefühlvoll Hadelich spielt. Das ist schon spannend. Fragt sich allerdings, ob die historisch informierten Rezensenten über ihn herfallen. ;) Aber das kann uns ja egal sein. :cheers:

Und ich habe nur ein "Vorurteil" formuliert; die übrigen Titel wollen ja auch noch gehört werden. Bin gespannt, welche zusätzlichen Erkenntnisse sich dann einstellen.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Melomane hat geschrieben: 26.05.2021, 08:37 Fragt sich allerdings, ob die historisch informierten Rezensenten über ihn herfallen. ;) Aber das kann uns ja egal sein. :cheers:
Hallo Jochen,

das ist eine spannende Frage. Hadelich ist natürlich - wie alle heutigen Musiker - "historisch informiert", weiß um ihre Vor- und Nachteile sowie Bedeutung. Er spielt auf einer (modernisierten) Guaneri (vormals von Henryk Szeryng gespielt - dem ein (der?) Meilenstein in der Interpreation dieser "Sei Solo" gelungen ist) mit einem Barockbogen. Manchmal spielt er mit deutlichem ausdrucksstarkem vibrato, manche Stücke dagegen nicht; Verzierungen: manchmal mehr, manchmal weniger usw. Er sieht dies nicht dogmatisch und erläutert dies auch immer wieder gerne in Interviews.

Mich hat sein Konzept oder besser: dieses Album jedenfalls überzeugt.

Viele Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,
alcedo hat geschrieben: 26.05.2021, 19:16 Hadelich ... spielt auf einer (modernisierten) Guaneri (vormals von Henryk Szeryng gespielt - dem ein (der?) Meilenstein in der Interpreation dieser "Sei Solo" gelungen ist) mit einem Barockbogen.
Das finde ich wiederum spannend.
Er sieht dies nicht dogmatisch und erläutert dies auch immer wieder gerne in Interviews.
Und das sehr sympathisch. :cheers:

Viele Grüße

Jochen
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luebeck
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Beitrag von luebeck »

alcedo hat geschrieben: 26.05.2021, 19:16 Er spielt auf einer (modernisierten) Guaneri (vormals von Henryk Szeryng gespielt - dem ein (der?) Meilenstein in der Interpreation dieser "Sei Solo" gelungen ist) mit einem Barockbogen.
Hallo Jörg,
vielen Dank für den Hinweis auf diese Interpretation von Hadelich mit seiner Guaneri, vormals in Gebrauch von Henryk Szeryng, einem meiner Lieblings-Violinspieler. Somit muß ich mich wohl auf die Jagd nach einer bezahlbaren LP-Ausgabe der Szeryng-Interpretation machen.
Die Interpretation von Hadelich gefällt mir in seiner frischen Art und ich empfinde sie als gar nicht so kontemplativ.
Wenn ich es ruhiger haben möchte, greife ich auf die Sonaten und Partiten von Nathan Milstein zurück:
https://www.discogs.com/de/Johann-Sebas ... se/6619709
Schöne Grüße!
Günter
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo,

ich habe mittlerweile mit Kopfhörer die ersten beiden Werke gehört. Was mir dabei auch sehr gut gefällt, ist der zumindest mich nie nervende Klang des Instruments.

Da werde ich mir bei Gelegenheit Aufnahmen mit Szeryng anhören. Vielleicht lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Klang und Aufnahmetechnik erhören.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

luebeck hat geschrieben: 27.05.2021, 10:57 ... vielen Dank für den Hinweis auf diese Interpretation von Hadelich mit seiner Guaneri, vormals in Gebrauch von Henryk Szeryng, einem meiner Lieblings-Violinspieler. Somit muß ich mich wohl auf die Jagd nach einer bezahlbaren LP-Ausgabe der Szeryng-Interpretation machen.
Die Interpretation von Hadelich gefällt mir in seiner frischen Art und ich empfinde sie als gar nicht so kontemplativ.

Wenn ich es ruhiger haben möchte, greife ich auf die Sonaten und Partiten von Nathan Milstein zurück:
Hallo Günter,

die beiden von dir genannten Aufnahmen höre ich auch immer wieder gerne. Mein "Vierer-Gestirn" der Bach-Violinsonaten sind Szeryng - Faust (2012, nicht die aus 2009) - Podger (eine ausgewiesene Barockexpertin) und eben Milstein, wobei ich bei Szeryng bislang die (für mich) insgesamt stimmigste Interpretation verortete. Und nun macht ihm Hadelich gehörig "Konkurrenz" ;-)

Viele Grüße
Jörg
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frankl
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Beitrag von frankl »

Hallo Jörg,

hier will ich noch ein spätes Dankeschön für Deinen Tipp zu diesem tollen Album nachholen; der Geiger Augustin Hadelich war mir zuvor unbekannt.

Am letzten Samstag hatte ich ungeplant einen freien Abend in Hamburg. Ich habe also in den Spielplan der Elbphilharmonie geschaut und wusste, was ich von dem angekündigten Solisten zu halten habe: Augustin Hadelich.

Ich hatte mal wieder Glück, und konnte noch eine zurückgegebene Karte für das ausverkaufte Konzert ergattern (ein hervorragender Platz im unteren Block B). Augustin Hadelich hat mit dem NDR Elbphilharmonieorchester ein großartiges Beethoven-Violinkonzert gespielt, genau auf der hier schon erwähnten Guarneri Geige, die früher auch von Henryk Szering gespielt wurde. Es war das erste Mal, dass ich in der Elbphilharmonie ein richtig groß besetztes Orchester hören konnte - und das hat mir auch außerordentlich gut gefallen. Ein wunderbar klarer Klang aus dem man das Instrument des Solisten in allen Feinheiten heraushören konnte.

Sonst gab es noch ein "interessantes" Stück von Ligeti, und ein sehr schönes "Pelleas und Melisande" von Arnold Schönberg in riesiger Besetzung mit über 130 Musikerinnen und Musikers.

Viele Grüße,
Frank
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frankl
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Beitrag von frankl »

Hallo Forenten,

nachdem ich hier im letzten Jahr von meinem Konzerterlebnis mit Augustin Hadelich in der Elbphilharmonie berichtet habe, schreibe ich hier noch eine kleine Fortsetzung.

Am letzten Wochenende konnte ich Augustin Hadelich nochmal in der Kölner Philharmonie sehen und hören.
Diesmal hat er das Violinkonzert von Brahms für meinen Geschmack wundervoll gespielt. Dies wurde begleitet vom Konzerthausorchester Berlin unter dessen neuer Chefdirigentin Joana Mallwitz. Der Sound des Orchesters hat mir sehr gut gefallen, sehr klar und differenziert, und die Lautstärken der verschiedenen Instumentengruppen waren sehr ausgeglichen, es wurde nichts übertönt und es hat sich nichts in den Vordergrund gedrängt. Auch das Soloinstrument hat sich wundervoll in den Gesamtklang integriert. Die Orchesteraufstellung war ungefähr, was man wohl deutsche Aufstellung nennt, bis auf die Kontrabässe, die ganz hinten in der Mitte aufgereiht waren und ein schönes Klangfundament beitrugen. Durch die Aufstellung gibt es sehr schöne wellenförmige und Ping-Pong-Effekte bei den Streichern. Joana Mallwitz leitete das Orchester mit sehr großen und eleganten, fast an Ballet erinnernden, Bewegungen.

Nach der Pause wurde noch die 3.Symphonie von Beethoven gespielt, auch das für meinen Geschmack einfach großartig. Wer Gelegenheit hat, das noch andernorts live zu sehen: unbedingt hingehen!

Das erste Album mit Joana Mallwitz und dem Konzerthausorchester bei der Deutschen Gramophon ist wohl für August angkündigt (Kurt Weill). Ich bin mal gespannt, wie das zuhause klingen wird. Da ist sicher in den nächsten Jahren weiteres zu erwarten.

Viele Grüße,
Frank
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

frankl hat geschrieben: 04.06.2024, 00:45 Ping-Pong-Effekte bei den Streichern.
Hallo Frank,

im Konzert nennt man das Dialog. Und das war der Grund, die ersten und zweiten Violinen gegenüber Platz nehmen zu lassen. Für heutige Hörgewohnheiten eher ungewohnt. Aber wenn man diese "deutsche" Sitzordnung verkostet, ergeben sich in der Tat oft neue Erkenntnisse. Schließlich haben die "alten" Komponisten ja dafür komponiert. Die heute übliche "amerikanische" Sitzordnung ist ja eine Folge der Aufnahmesitzungen für Tonträger. Zwei Gruppen Violinen links machen nun mal mehr her. Wenn ich mich recht erinnere...

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Moin zusammen,
Melomane hat geschrieben: 04.06.2024, 08:11 Für heutige Hörgewohnheiten eher ungewohnt. Aber wenn man diese "deutsche" Sitzordnung verkostet, ergeben sich in der Tat oft neue Erkenntnisse.
Nur als Ergänzung: es gibt auch heute noch einige (Traditions-)Orchester, die in deutscher Aufstellung musizieren. Spontan fallen mir die Bamberger Symphoniker ein.
Auch experimentieren immer wieder Dirigenten bei bestimmten Werken damit, aktuell z.B. Paavo Järvi.

Viele Grüße,
Jörg
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