Hallo Schorse,
selbst wenn der Lautsprecher ruht, bewegen sich die Luftteilchen unmittelbar an der Membran (
Brownsche ("Molekular-")Bewegung). Die bewegte Membran erzeugt eine Schallwelle im Raum, aber wie beim Pendel ist der Punkt der maximalen Auslenkung zugleich der Punkt, wo die Membran sich kurzzeitig nicht bewegt, weil ein Richtungswechsel stattfindet. Hingegen ist die Ruheposition (Verstärker aus) etwa der Bereich, wo die Membran mit maximaler Geschwindigkeit durchgeht und die Bewegung maximal an die Luftteilchen vermittelt.
Die Pfeile deiner Grafiken verweisen auf Punkte. Ein bewegter Punkt vermag im Gewimmel der Luftteilchen nichts auszurichten, erst die hinreichend große Fläche. Ob (Nawi-)Konus oder konvexe Kalotte, die Formen sind nach Kriterien von Stabilität (wie eine Staumauer) gewählt. Wenn die Schallgeschwindigkeit in der Membran höher ist als in Luft, überholt sie die bei der Schwingspule angeregte Schallwelle und der vorn abgestrahlte Teil ist früher beim Hörer als der hinten mit dem größeren Abstand?
Am Beispiel Sprungantwort des Lautsprechers kann man das zeitliche Abstrahlverhalten analysieren, hier
Avantgarde Uno Nano:
und zerlegt auf die einzelnen Chassis:
kann man sehen, dass das Mitteltonhorn trotz deutlich weiter entfernter Treibermembran den Tiefton überholt, den Hochton nahezu einholt. Der Hochton ist invertiert und ca. 0,75ms voraus, der Mitteltöner schwingt 2 Schwingungen pro ms nach (entspricht 2kHz, das Nachschwingen taucht im Wasserfalldiagramm auch deutlich auf). Auf Hochtönerachse gemessen offenbart das Zeitverhalten der Box die Laufzeiten der Töne von den Membranen einschließlich Frequenzweicheneinfluss. Natürlich könnte man den Hochtöner 8cm zurückverlegen und umpolen, aber dann ist der Mitteltontrichter im Weg (hat stereophile.com beim Vorgänger gemessen)
Beim klassischen Tannoy Koaxialchassis der
Churchill ist der Hochtöner auf der Rückseite des Magneten und das Horn wird durch den Polkern heführt und die Bassmembran verlängert es.
zeigt den Vorsprung des Hochtons vor dem mechanisch vorgelagerten Tiefton.
Ich habe noch nicht gesucht/gefunden geschweige denn selbst gemessen, und kann nicht sagen, ob eine atmende Kugeloberfläche gehörmäßig im Nahbereich so lokalisiert wird wie wenn die Welle (schon früher) von ihrem Zentrum ausginge. Aber da die erste Wellenfront am Ohr zählt und man normalerweise so nah dran nicht hört, ist das wohl akademisch.
Es wird Gründe haben, dass bei 99% aller Lautsprecher die Hochtöner vorauseilen. Es liegt in der Natur der Frequenzweiche, dass die tiefsten Töne die größte Verzögerung erfahren. Da ist der Ort der Schallabstrahlung schon fast nebensächlich, wenn man beschließt, alle Chassis mit einer bündigen formschönen Frontplatte anzuordnen.
Ein zurückliegender Hochtöner ist schwer zu integrieren, und dessen Reflexionen am Bassgehäuse wären eine ernsthafte Einschränkung. DSP oder Software wie Acourate kann die Exzessphase ausgleichen und damit die Sprungantwort optimieren. Uli hatte vor Jahren hier Musikstücke bemustert, bei denen die Unterschiede bei Gruppenlaufzeiten überraschend(?) hörbar wurden.
Da das zeitkohärente (oder noch besser zeitkoinzidente) Verhalten ein Merkmal guter Lautsprecher ist, beschäftigt man sich schon lange damit. Ich habe irgendwo noch einen Prospekt von einem Technics 3-weg LS mit Horn HT und MT, wo man eine vertikale Linie in der Seitenansicht gezogen hat, an der die Chassis ausgerichtet waren. Auch Brüel&Kjaer hatte ein Paper zum Thema Lautsprechermessung mit dem Hinweis auf den Versatz. Die optische Ausrichtung der Chassis ist somit in der Praxis wenig zielführend.
Grüße Hans-Martin