Claudio Arrau

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Bernd Peter
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Claudio Arrau

Beitrag von Bernd Peter »

Hallo,

das schöne Sommerwetter schafft Zeit fürs Lesen, die Biographie von Horowitz über Arrau ist wieder mal fällig.

Zu Arrau kam ich vor Jahren beim Lesen der Klatschzeitschriften im Wartezimmer eines Arztes.

Da hatte sich eine schwerkranke Schriftstellerin in ihrer Villa auf einer Mittelmeerinsel ein Todescocktail verabreicht und ist bei den Klängen der Sonate in A, Mozart, KV 331, gespielt von Arrau, ein-/weggeschlafen.

Die CD habe ich mir noch am selben Tag besorgt.

Nein, keine Selbstmordgedanken, reine Neugierde!

Wenn mir nach ruhiger Intensität zumute ist, wird diese Einspielung fast automatisch gesucht.

Aber nun zu Arrau:

Claudio Arrau, 1903 - 1991, hat eines mit Mozart gemeinsam, beide waren Wunderkinder.

Claudio hat mit 2 Jahren angefangen, beim Klavierspiel der Mutter Beethoven für sich als Lieblingskomponisten zu entdecken.

Später hat er sich die Noten angeschaut und konnte sie bald ohne fremde Hilfe lesen.

MIt 5 Jahren gab er das 1.Konzert in seinem Geburtsland Chile, die Eltern selbst waren spanische Einwanderer.
Zitat einer gefeierten Konzertpianistin beim Spiel des kleinen Claudio: Großer Gott, das Kind spielt ein Stück vom Blatt, das mich zum Weinen brachte, als ich es studierte...und ich habe es nie richtig hingekriegt. Und jetzt seht euch an, wie er es spielt!
Claudios Mutter schrieb ihrer Schwester, daß der Junge wohl nicht ganz "normal" sei.

Diese glaubte an eine Übertreibung, besuchte die Familie und sagte bald darauf nur noch: Packt eure Sachen, zieht nach Santiago, das Kind muss dem Präsidenten vorgestellt werden.

Über ein Stipendium kam er 1911 nach Deutschland und war dort von 1913 - 1918 Schüler von Martin Krause, einem der letzten Schüler Franz Liszts.

Berlin mit 4 Opernhäusern war damals die Musikmetropole der Welt, mit Furtwängler, Kleiber, Klemperer, Walter und Blech als Dirigenten.
Zitat: Krause war mein Ersatzvater, er war ungeheuer autoritär, ich zittterte vor ihm. Ich habe ihn nur mit "Herr Professor" angesprochen.
Arrau selbst hatte ab seinem 15.Lebensjahr - nach dem Tod Krauses 1918 - keinen Lehrer mehr.

Kompensiert wurde dieser menschliche Verlust durch Dr. Abrahamsohn, Arraus späteren Psychoanalytiker und "Guru, teils Vater und teils älterer Bruder".

Allein, durch Krause reifte das Wunderkind und bekam seine grundlegende musikalische Ausrichtung.

Zitate (teils zusammengefasst) von Arrau :

Je weniger man gefallen will, umso kreativer ist man.

Früher wollte ich vollkommen sein, göttlich - aber dadurch erreicht man immer das Gegenteil.

Die großen Geister kommen dank einer ständigen Zunahme von Bewußtsein, Bemühen und Weisheit ganz zu sich selbst, es entsteht eine Kreativität, die aus noch tieferen Quellen aufsteigt als alles, was früher war. Diese Macht der Individuation gilt es zu erreichen.

Man muß mit dem Klavier eins werden, es ist kein totes Ding, das es zu attackieren gilt, auf das man einschlägt.

Über Horowitz: Ich habe nur selten derart eruptives Klavierspiel gehört. Ich war fassungslos vor Staunen. Meine Mutter, der es keiner recht machen konnte, war hingerissen! Auf dem Heimweg sagte sie: Du solltest dich ans Klavier setzen und üben - er spielt besser als du!

Wie spielt der ältere Arrau? Aus der Biographie zusammengefasst:

Er übt seine Kunst mit ernster Bescheidenheit, hat dabei alles, was man sich wünscht: Technik, Kraft, Herz und Verstand.

Er ist tiefgründiger Interpret, grenzt sich vom Virtuosen ab, dessen Künste an der Tastatur beginnen und enden.

Sein Spiel hat etwas Organisches, etwas Lebendiges, das unmittelbar aus den Kräften der Natur gespeist zu werden scheint.

Er hat - für Kenner - einen absolut unverkennbaren eigenen Klang, er umwirbt das Instrument, anstatt es sich gefügig zu machen.

Bachs Werke hatte er aufgehört zu spielen, als Pianist spielte er keine Musik mehr, die für das Cembalo komponiert worden war.

Ein Schüler Arraus: Früher war ich ein vorwiegend angriffsorientierter Pianist, heute achte ich auf den Fluß des Spiels.



Gruß

Bernd Peter
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Eusebius
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Beitrag von Eusebius »

Hallo Bernd!

Ich mag Arrau sehr, habe unzählige Aufnahmen von ihm.
Seine Kreisleriana von Schumann hat für mich Referenzstatus.

Unvergessen bleibt mir die ganzseitige Todesanzeige seines Labels Philips in den großen Zeitungen:

Eine hell erleuchtete Bühne nur mit einem funkelnden schwarzen Konzertflügel darauf.
Auf dem Klavierhocker sitzt niemand.
Als Text nur: Claudio Arrau 1903-1991.

Das ging unter die Haut.
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Rainer,
Seine Kreisleriana von Schumann hat für mich Referenzstatus.
danke für den Tip, wird angegangen.

Arrau übrigens hat bei diesem Werk Gieseking sehr geschätzt.

Nette Grüße

Bernd Peter
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Guenni
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Beitrag von Guenni »

ich habe auch ne Ganze Menge von ihm auf CD und Festplatte.
und kannte auch schon ein wenig seiner Biografie. Danke nochmal fürs Auffrischen. Ich habe von ihm natürlich eine Palette an Beethoven Sachen - obwohl er der Meinung war das dieser Gesamt Kosmos der Sonaten wohl nur von Arthur Schnabel in seiner Gänze erfasst wurde. Ich liebe seine Fugen sehr. Oder die Hammerklaviersonate. Les Adieux packt mich immer wieder. Was ich noch schön fand weil garnicht so häufig zu finden sind die Chopinschen Variationen zu "La ci darem la mano".
Bei Schubert fand ich pedalisierte er ein wenig zu häufig. Da war mir Foldes, Kempff oder Richter dann lieber.
Einzig diese kleinen Nebengeräusche manchmal auf Aufnahmen (muss wohl ne protzige Uhr oder ein Armband gewesen sein) störten mich ein wenig. Obwohl die muss man bei solchen Interpretationen dann wohl hinnehmen wie den knarzigen Stuhl von Gould. :mrgreen:

PS das mit Bach ist schade. Denn ich finde seine Goldberg Variationen sehr intensiv und gelungen.
vielleicht ist das aber nicht nur dem Cembalo gewidmet sondern dem eigenen Drill dem er sich unterworfen hat in der Kindheit. Als er in Chile zur Aufnahme ins Konservatorium vorspielen sollte (und Ihr hab ja oben gelesen, wie früh das der Fall war) so geht auch eine Legende, muss er wohl den gesamten Bach auswendig drauf gehabt haben. Es gibt halt Menschen die sind anders als Andere.

PPS: http://www.youtube.com/watch?v=1ljq4MwzAbo
da habe ich irgendwo im Publikum 15 Jährig gesessen und vor mich hin gestaunt. die 111er ist mir immer eine der Liebsten daraufhin geblieben.

die Diabelli Variationen von Ihm ein echter Hochgenuss.
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Günter,

diese Abkehr von Bachs "Klavierwerken" hatte wohl damit zu tun, daß er Wanda Landowska auf dem Cembalo spielen hörte.

Der Hauptgrund scheint aber seine Ansicht zu sein, daß das "Sinnliche am Klavier" Bachs Zeit völlig fremd war.
Als er in Chile zur Aufnahme ins Konservatorium vorspielen sollte (und Ihr hab ja oben gelesen, wie früh das der Fall war) so geht auch eine Legende, muss er wohl den gesamten Bach auswendig drauf gehabt haben.
Die kleine Geschichte stimmt, in Berlin hat er bei der ersten Begegnung zu Edwin Fischer, einem Schüler und Assistenten Krauses, gesagt: "Was willst Du hören? Ich hab den ganzen Bach drauf."

Gruß

Bernd Peter
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

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Die Arrau-Biographie (mit Aufzeichnung von Gesprächen) gibt es antiquarisch für ein paar Euro - ich kann sie nur empfehlen! Sehr lesenswert! :D

Schöne Grüße
Holger
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