Bach - Klavierkonzerte (Murray Perahia)
Verfasst: 01.07.2012, 09:20
Bach: Klavierkonzerte 1, 2, 4, BWV 1052, 1053, 1055 mit der Academy of St. Martin in the Fields (Leitung M. Perahia)
Hallo zusammen,
eigentlich ist es nicht so meine Sache, Musik-Empfehlungen zu verfassen, aber diesmal wurde es aus Versehen eine, ausgehend von Olivers Thread Was hört ihr gerade, und was macht die Scheibe so toll?. Ich wollte nur kurz begründen, warum dies zur Zeit meine Favoriten-CD ist - und schon wurde es immer mehr:
Angesichts der Tatsache, dass es von diesen Werken Einspielungen wie Sand am Meer gibt bildet diese Aufnahme in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahme. Murray Perahia spielt mit dem Orchester absolut perfekt zusammen; in vielen Passagen ein spannungsvoller lebendiger Dialog zwischen Orchester und z.T. auch mit einzelnen Instrumentengruppen, bei dem sich niemand in den Vordergrund drängt und dem anderen die Show streitig macht, sondern beide sich gegenseitig in ihrer Wirkung unterstützen. Hier stellt es sich als Vorteil heraus, dass der Solo-Pianist zugleich auch Dirigent des begleitenden Orchesters ist.
Zudem spielt Murray Perahia Bach in einer Weise, die man eher für Komponisten wie Mozart oder Mendelssohn als angemessener empfinden würde. Deshalb kommt diese Einspielung so leicht, so perlend und tänzerisch daher und löst sich aus der formalen Starre, die so vielen barocken Einspielungen (nicht der Musik selbst!) unangenehm zu eigen ist. Ich kenne einige, die diese Aufnahme von Murray Perahia genau deshalb ablehnen, weil sie nicht der "streng historischen Aufnahmepraxis" (was immer man darunter verstehen mag) entsprechen.
Doch muss man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass die Menschen damals in den wenigsten Fällen still und andächtig lauschten, wie es durchaus z.B. bei geistlicher Musik der Fall war (und auch da haben die Zuhörer ihren Emotionen Ausdruck verliehen - bei den Aufführungen der Matthäus-Passion z.B. gab es nicht wenige, die weinten).
Bei vielen anderen Werken aber war es üblich, dass die Menschen während der Darbietungen aßen, tranken, tanzten, sich unterhielten u.s.w. - legendär die Tafelmusiken von G.Ph. Telemann. Manches hatte mit heutigen Maßstäben gemessen den Charakter von Hintergrundmusik, anderes wiederum hatte den Charakter eines Dance-Festival oder Pop-Konzerts (z.B. die großen Open-Air Veranstaltungen von G.F. Händel, wie die Feuerwerksmusik).
Die Barockmusik war Ausdruck des damaligen Zeigeistes, seiner tiefen Spiritualität wie auch seiner überbordenden Lebensfreude. Und beides vermittelt diese Einspielung aus meiner Sicht treffend - ersteres in den langsameren Sätzen, die schon fast klassisch-schwelgerisch-sinnlich interpretiert sind, letzteres in den Allegro- und Presto-Sätzen, in denen eine fast an Vivaldi erinnernde italienische Leichtfüßigkeit zum Ausdruck kommt.
Zur Aufnahmequalität: Sie befindet sich in ihrer Tonalität eher auf der warmen, volltönenden Seite. Die Bass-Lagen des Pianos kommen authentisch wuchtig und zugleich konturiert rüber, wie man es auch in natura kennt. Dennoch ist die Aufnahme nicht dumpf. Sie entspricht der natürlichen Tonalität der durch die Luftdämpfung in einem Konzerthaus entstehenden Höhenreduktion. Die Violinen sind seidig mit Korpus aber auch einem deutlichen Bogenanstrich. Celli und Kontrabass kommen kraftvoll und konturiert zum Einsatz.
Die räumliche Abbildung ist leider nicht ganz geglückt: Zwar ist das Orchester gut in Breite und Tiefe gestaffelt, doch das Piano wabert wie auf so vielen Aufnahmen orientierungslos in einer zu breiten Mitte herum. Mit AcourateFlow erfährt es zwar Linderung, doch hier geht es um die räumliche Ausdehung des Pianos im Vergleich zur räumlichen Ausdehnung des Orchesters. Diese Balance ist nicht gut abgemischt - für mich der einzige Wermutstropfen.
Während einiger Piano-Läufe hört man übrigens zwischendurch ein deutliches Klicken, welches ich nicht der Piano-Mechanik zuordnen kann (dazu ist es zu hell), sodass ich vermute, dass es wahrscheinlich von einem Ring oder von den Fingernägeln herrührt. Das empfinde ich aber nicht als störend sondern eher als Zeugnis einer lebendigen Aufnahme.
Von dieser Aufnahme gibt es übrigens noch eine empfehlenswerte zweite CD (Piano-Konzerte 3,5,6,7), die ich ebenfalls besitze und in der exakt das weitergeführt wird, was für die erste CD gilt. Darüberhinaus existiert noch eine Dreier-CD (Sonderedition), in der beide CDs zusammengefasst und noch ein paar weitere Stücke (unter anderem ein Piano-Solo-Stück) enthalten sind (alles von Sony produziert und herausgegeben).
Grüße
Fujak