4 - Klangliche Eigenschaften von Lautsprechern
Technische Daten können die Klangqualität von Lautsprechern nicht hinreichend beschreiben. Auch die verbale Beschreibung eines Lautsprechers lässt in der Regel an Eindeutigkeit zu wünschen übrig. Das verspürt jeder, der sich nach der Lektüre eines Testberichts über die klangliche Gestalt der Testexemplare Rechenschaft zu geben versucht. Dennoch hat sich in der (Test-)Branche ein in gewisser Weise standardisiertes Vokabular eingebürgert. Zwar werden in den verschiedenen Testinstitutionen und -zeitschriften unterschiedliche Testverfahren praktiziert, zwar hat jeder Autor einen gewissen Kernwortschatz zur Beschreibung von Lautsprecherqualitäten, doch einige Begriffe tauchen überall, auch in ausländischen Publikationen, auf.
Die üblichen Begriffe sind, im Gegensatz zu physikalischen, nicht eindeutig definierbar. Sie stammen zum Teil aus Bereichen, die mit dem auditiven nichts gemein haben, was aus Vokabeln, wie Volumen, Durchsichtigkeit, Seidigkeit, Leichtigkeit, Offenheit, Präsenz, Verhangenheit, hervorgeht. All diese Begriffe sind bereits mit bestimmten Vorstellungsinhalten belegt. Das hat zwar den Vorteil, dass man sich unter ihnen etwas vorstellen kann, aber auch den Nachteil, dass man zu Analogien gezwungen ist. Bei Analogien besteht die Gefahr, dass das Übersteigen von dem einen in den anderen Bereich nicht voll funktioniert. Bleibt aber dieser Transfer aus, so kommt es zu falschen Vorstellungen.
Zudem sind die Begriffe mit subjektiv unterschiedlichen Inhalten und Wertvorstellungen belegt. Die Gefahr, missverstanden zu werden, ist also nicht gering. Dennoch soll versucht werden, einige Begriffe etwas zu veranschaulichen: Sie sollen so definiert werden, dass sie – vereinfacht ausgedrückt – eine möglichst anschauliche Sammlung von Beispielen darstellen, unter denen hoffentlich mindestens eines ist, das eine ungefähre Vorstellung von dem vermittelt, was gemeint ist. Hierbei wird jeder Leser die Erfahrung machen, dass sich meine Vorstellungen nicht vollends mit seinen decken. Quod erat demonstrandum.
4.1 - Die üblichen Begriffe
In den üblicherweise verwendeten Begriffen sind komplexe und musikalisch recht unspezifische Wahrnehmungskategorien erfasst. Sie sagen dem musikalisch „Gebildeten“ und dem aktiv Musizierenden wenig Konkretes, sind aber durchaus angebracht im Hinblick auf eine breite Leserschicht.
Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, die einzelnen Begriffe als Gegensatzpaare zu definieren. Das hebt die Anschaulichkeit und Verständlichkeit des Textes, darf aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, die Übergänge zwischen den Gegensatzpaaren seien nicht fließend. In der Tat ist es schwierig, bei isolierter Anhörung einer Box zu entscheiden, ob ihr Klangbild nun beispielsweise präsent oder entfernt ist. Nur der unmittelbare, sogenannte AB-Vergleich zweier Boxen macht eine Entscheidung möglich. Eigentlich müssten deshalb die Gegensatzpaare der Testmethode entsprechend in komparitivischer Form definiert sein, also statt „offen – verhangen“ zweckmäßigerweise „offener – verhangener“ (jeweils im Vergleich zweier Boxen zu verstehen).
Aus den folgenden Beschreibungen der Begriffe bzw. Eigenschaften geht zugleich hervor, wie man sie ggf. in Hörtests untersuchen kann.
(1) hell – dunkel
Hell timbrierte Boxen sind oft scheinbar bassschwach, dunkel timbrierte oft scheinbar höhenschwach. Neigen dunkel timbrierte Boxen zu einem satten, vollen Klang von mittlerer Durchsichtigkeit, so tendieren helle Boxen zu einem schlanken, präsenten, durchsichtigen und definierten Klangbild. Bei dunkel timbrierten Boxen kann der Obertonbereich fehlen. Man achte deshalb darauf, ob Triangel, Becken, Orgelmixturen u.ä. sich genügend abheben und nicht im Gesamtklang untergehen. Die Gefahr, dass eingedunkelte Boxen zu wenig Brillanz besitzen, ist groß. Dunkle Boxen „klingen nach Bayreuth“, helle „nach Kirche“.
Bei hell timbrierten Boxen können die Mitten oder unteren Mitten etwas fehlen. Man prüfe deshalb, ob Celli nicht zu sehr aufgehellt werden und mehr wie Bratschen klingen. Posaunen müssen noch soviel Substanz und Körper besitzen, dass sie in hohen Lagen nicht wie Hörner klingen. Bei hell timbrierten Boxen haben Geigen zu wenig „Holz“, zu viel „Saite“. Die menschliche Stimme klingt auf helltimbrierten Boxen etwas spitz, eng und substanzlos, auf dunkelgetönten weich, füllig, zu sonor und bisweilen charakterlos. Klavierwiedergabe fehlt bei dunklen Boxen die „Härte“, die Präzision des Anschlags, dagegen wirken die unteren Oktaven etwas zu wuchtig und undifferenziert. Bei einem guten, ausgeglichenen Instrument sind die Übergänge zwischen den einzelnen Lagen „zu deutlich“ spürbar bei hellen Boxen; bei dunklen sind sie nivelliert.
(2) vordergründig, präsent – entfernt
Vordergründige Boxen klingen so, dass man beim Hören mit geschlossenen Augen glaubt, das Orchester befinde sich da, wo die Boxen stehen, schlimmstenfalls in ihnen. Sie neigen bisweilen dazu, ein „akustisches Loch“ in der Mitte zwischen den Boxen zu produzieren. Jedenfalls kann man bei ihnen oft eindeutig die Lautsprecher als Schallquellen identifizieren. Bei ungünstiger Konstellation sonstiger Eigenschaften neigen sie zu Härte, Drahtigkeit und Aufdringlichkeit. Sind die sonstigen Eigenschaften gut, klingen sie offen und frei. Jedenfalls ziehen sie die auditive Aufmerksamkeit auf sich.
Entfernt klingende Boxen lassen das Schallereignis scheinbar etwas hinter die Boxen zurücktreten. Die Gefahr des Lochs in der Mitte besteht wenig. Die Lautsprecher sind nicht eindeutig als Schallquellen identifizierbar. Bei weiteren positiven Eigenschaften klingen sie recht räumlich, bei ungünstiger Konstellation etwas verschwommen, unpräzise und in der Klangdefinition den präsenten Boxen unterlegen. Aufdringlich sind sie in den wenigsten Fällen. Mitunter neigen sie zur Verhangenheit. Eine ziemlich hohe Verwandtschaft besteht zwischen vordergründigen und hell timbrierten Boxen. Andererseits sind oft entfernt klingende Boxen auch leicht eingedunkelt.
Übertragungen von Beifall-Klatschen sind ein guter Prüfstein dafür, ob eine Box vordergründig oder entfernt klingt: Bei präsenten Boxen findet das Klatschen im Hörraum statt; die Akustik des Wohnraumes wird bei hohen Lautstärken regelrecht von der übertragenen „überspült“. Bei entfernt klingenden Boxen bleibt der Hörraum als solcher erhalten, das Klatschen findet scheinbar in einem anderen Raum, der hinter den Boxen liegt, statt. Ist Vordergründigkeit mit zuviel Brillanz verbunden, wird aus dem Beifallklatschen ein Wasserfall.
(3) schlank – voluminös
Ob ein Lautsprecher voluminös oder schlank klingt, hängt wesentlich davon ab, wie er den Bereich der Bässe und der unteren Mitten verarbeitet. Ein schlanker Klang scheint zunächst etwas bassschwach zu sein; bei genauerem Hinhören wird jedoch deutlich, dass er meist impulstreuer, detailreicher und durchhörbarer ist als ein voluminöserer. Bei voluminös klingenden Lautsprechern hat die Basswiedergabe oft mehr Quantität als Qualität: Hoher Pegel bei mangelhafter Impulstreue und gleichzeitiger unnatürlicher Verdickung, „Umwölkung“ der unteren Mitten. Es gibt nur eine Handvoll Boxen, die ein voluminöses und zugleich prägnantes Klangbild erzeugen können.
Durch die bei Radios, Musikschränken, Diskothekenboxen, Musikautomaten und einer überzahl schlechter HiFi-Boxen übliche Bumsigkeit und Dumpfheit der unteren Mitten und Bässe sind wir derart an eine unsaubere Wiedergabe gewohnt, dass es nur wenige qualitätsbewusste Hersteller wagen, (zumal in der unteren und mittleren Preisklasse) Lautsprecher zu bauen, die statt einer starken, aber unpräzisen Wiedergabe des unteren Frequenzbereichs ein schlankes, transparentes, offenes und weithin verfärbungsfreies Klangbild erzeugen. Auch die den elektrostatischen Lautsprechern nachgesagte Bassschwäche beruht oft auf diesem Missverständnis, auf dieser Verwechslung von Qualität und Quantität.
Welche von zwei Boxen die voluminösere ist – gleiche Verfärbungsfreiheit vorausgesetzt –, kann man mit Blasmusik testen. Die voluminösere Box differenziert Tuba, Horn, Trompete und Posaune besser als die schlankere, bei der Posaunen ggf. schon etwas nach Hörnern klingen. Ein Duo von Bass und Cello klingt auf einer guten schlanken Box sauber, gestaffelt; auf einer guten voluminösen zusätzlich noch plastischer; auf einer schlechten voluminösen dagegen undifferenziert, verwaschen und topfig.
Schlanke Boxen eignen sich meist nicht für Räume mit mehr als etwa 70 m³ Volumen, weil sie den Raum nicht „füllen“ können. Das Klangbild gerät in Gefahr, dünn, mickrig zu werden. Voluminösere Lautsprecher haben es leichter, große Räume zu „füllen“, ohne allerdings für kleinere ungeeignet zu sein.
(4) flächig – räumlich
Flächig klingende Boxen erzeugen ein -Klangband-, das von Lautsprecher zu Lautsprecher reicht. Räumlich klingende erzeugen einen Klangraum, der sich zwischen den Boxen und um sie herum abbildet. Räumlichkeit darf nicht mit unnatürlicher Halligkeit, hervorgerufen durch eine Anhebung im Frequenzbereich um 200 Hz, verwechselt werden, die man bei genauem Hinhören oft als Mulmigkeit oder Bumsigkeit identifizieren kann. Schlankheit und Flächigkeit einerseits sowie voluminöses und räumliches Klangbild andererseits sind oft nahe verwandt.
Bei räumlich klingenden Boxen wird die Tiefenstaffelung eines Orchesters (bei sehr guten Aufnahmen) erkennbar. Bei flächigen dagegen stehen die dominierenden Instrumente immer „vorn“, an der Rampe. Die Eigenschaft „flächig“ ist oft vereint mit der negativen Eigenschaft „flach“. Ein flaches Klangbild wird oft als „technisch“, als unmusikalisch empfunden. Es fehlt ihm „der musikalische Atem“. Wenn es auch oft auf Anhieb eine hervorragende Klangdefinition vortäuscht, so erkennt man doch bei genauerem Hinhören sowie in Langzeittests, dass sich die exakte Klangdefinition auf einige wenige Instrumente oder Instrumentengruppen beschränkt. Andere Instrumente werden im Tutti nicht identifiziert. Beispielsweise gehen die Bratschen im Gesamtklang des Orchesters unter. Auch mit Choraufnahmen sind Flachheit und Flächigkeit gut zu testen: Man achte darauf, dass alle Stimmen, vor allem auch Mezzosoprane und geteilte Tenöre, exakt zu hören sind.
(5) offen – verhangen
Klingt eine Box offen, frei, so spielt das Orchester quasi im Hörraum. Die Musiker scheinen vor den Lautsprechern zu sitzen. Bei verdeckt klingenden Boxen scheint ein Vorhang vor dem sonst vielleicht gut durchgezeichneten Schallereignis zu stehen. Die Verwandtschaft offen, hell und vordergründig ist ebenso stark wie die zwischen verdeckt und entfernt. Schaltet man von einer verhangenen auf eine offene Box, so entsteht der Eindruck: „jetzt gehen das Licht an und der Vorhang auf!“ oder „jetzt wird frische Luft in den Raum geblasen“.
Offene Boxen dürfen aber nicht mit überbrillanten, überpräsenten Bluffern verwechselt werden. Es gibt überdies nur wenig offene Boxen, die in den Mittellagen verfärbungsfrei sind! Ein offenes, aber lagenspezifisch oder instrumentenspezifisch verfärbtes Klangbild wird oft von Hornlautsprechern produziert.
(6) neutral – verfärbt
Verfärbungsfreie Boxen findet man selten. Und sind sie dann noch frei und voluminös, dann hat man es mit den besten Lautsprechern des Weltmarktes zu tun.
Die Neutralität ist mit normalen Musikprogrammen nicht objektiv festzustellen, denn Verfärbungen können in Hülle und Fülle auf dem Weg vom Geber (Mikrofon, Tonabnehmersystem) über die Elektronik (Verstärker, Sender, Empfänger-Verstärker) auftreten; Neutralität ist nur vergleichsweise zu erfassen: Die Box (X) klingt neutraler als die Boxen (Y) und (Z). Eigentlich kann man Neutralität nur negativ definieren: Eine Box ist neutraler als eine andere, wenn sie weniger Verfärbungen (als die andere) hat, in einer gegebenen Anlage und bei gegebenem Programm.
Jeder Lautsprecher verfärbt mehr oder weniger, wenn auch in je unterschiedlichen Bereichen. So gibt es Boxen, die bevorzugt Blechbläser verfärben, während andere dazu neigen, Streicher in hohen Lagen zu verfärben. Es ist letztlich eine subjektive Entscheidung, welche Verfärbung als penetranter empfunden wird.
Erfahrungsgemäß scheinen sehr hell timbrierte und überbrillante Boxen neutraler zu klingen als weniger präsente und brillante, weil das Klangbild analytisch, offen und frei zu sein scheint. Doch wirken diese Boxen – wie man in Langzeittests feststellen kann – auf Dauer aggressiv, hart, lästig. Bei solchen Boxen kann man beispielsweise kaum noch heraushören, dass sich der Klangcharakter einer Oboe ändert, wenn auf einem langen Ton ein crescendo liegt.
Verfärbungen mit Rauschsignalen testen
Mit einiger Übung kann man Verfärbungen mittels rosa-Rauschen feststellen: Rauschen lässt sich mit unseren Sprechorganen nur näherungsweise nachbilden. Ein „Sch“ ist in gewisser Weise ein Rauschsignal. Jedermann weiß, dass man ein „Sch“ in verschiedenen Tonlagen, „hell“ oder „dunkel“ zischen kann: Wenn wir beim Artikulieren des „Sch“ die Zähne aufeinanderpressen und die Lippen zurückziehen (die Ohren bekommen Besuch von den Mundwinkeln), ist die Tonlage des Zischens hoch, im Grenzfall geht das Zischen in ein scharfes „s“ über. Wir erzeugen ein Rauschen, das im Wesentlichen aus hohen Frequenzen besteht. Öffnen wir aber etwas den Mund und schürzen die Lippen (die Oberlippe berührt die Nasenspitze), dann besteht das Rauschen im Wesentlichen aus ziemlich tiefen Frequenzen (genau besehen aus mittleren), der Klangschwerpunkt des Rauschens ist tief.
Rosa-Rauschen können wir mit unseren Sprechwerkzeugen nicht erzeugen. Denn dieses Rauschen umfasst die Frequenzen von 20 Hz bis 20000 Hz, also des ganzen Hörbereichs, und das in einem definierten Amplitudengang. Rosa-Rauschen hat keinen Klangschwerpunkt!
Eine Box klingt neutral, wenn sich bei der Reproduktion von rosa-Rauschen kein Klangschwerpunkt, also keine „Tonhöhe“ des „RauschGeräusches“ feststellen lässt. Dennoch muss man bei gezieltem Hinhören das markante Brodeln im Bassbereich ebenso vernehmen können wie das nicht scharfe (!) Zischen in den höchsten Frequenzbereichen. Schlanke Boxen brodeln nicht, stumpfe zischen nicht. Rosa-Rauschen, das von sehr guten Boxen übertragen wird, ist eigenartigerweise auch bei hohen Lautstärken nicht unangenehm.
Verfärbungen mit Musik testen
Zum Testen von Verfärbungen eignet sich Musikprogramm, das Glissandi von Streichinstrumenten durch alle Lagen enthält. In den verfärbten Lagen ändern die Instrumente plötzlich ihren natürlichen Klangcharakter. Sie werden eine Spur verhangener, oder sie näseln; oft erscheinen sie aggressiv. Bisweilen klingt es so, als habe man eine Tasse über die Ohrengestülpt. Auch Klaviermusik eignet sich gut zum Feststellen von Verfärbungen: Treten Verfärbungen (Umfärbungen) auf, so ändert sich der Charakter des Instruments: Aus einem Steinway wird ein Bösendorferoder – je nachdem – ein Bechstein. Sinngemäß gilt das für andere Instrumente; z. B. kann aus einer Bariton-Klarinette eine Bass- oder Altklarinette werden. Aus diesen Beispielen geht hervor, dass die Tendenz einer Verfärbung auch davon abhängen kann, ob eine Box dunkler oder heller timbriert ist, ob sie schlank oder voluminös zeichnet, ob die unteren Mitten „ausgedünnt“ oder „verdickt“ sind.
Als Verfärbungen sind auch jene fauchigen Klangbilder von Blechbläsern und Sängern anzusehen, die zwar ein sehr räumliches und offenes Klangbild suggerieren, aber unnatürlich sind. Viele verfärbende Boxen schmeicheln der Musik und täuschen wegen ihres unaufdringlichen Klangs eine große Natürlichkeit vor. Die Verfärbung von präsenten Boxen äußert sich oft in einem gewissen Näseln oder in einer leichten Gepresstheit oder Heiserkeit des Klangs.
Ein Grund für die Schwierigkeit, Verfärbungen festzustellen, liegt wohl darin, dass unser Gehör verbildet ist. Durch jahrelanges „Training“ mittels Radio u.ä. Klangerzeugern haben wir uns an einen verfärbten Klang gewöhnt, so dass ein neutrales Klangbild zunächst unnatürlich erscheinen mag. „Technische“ Klangbilder sind für viele Menschen die „natürlichsten“. Neutrale Boxen machen nichts daher, sie fallen nicht auf, aber sie vermitteln Musikerlebnisse.
Orgelmusik als „Soundindikator“
In welchem Ausmaß Lautsprecher mit Eigenklang (Sound, Verfärbung) behaftet sind, wird auch für testunerfahrene Hörer bei Hörvergleichen mit Orgelmusik besonders deutlich. Zweckmäßigerweise spielt man lang ausgehaltene Akkorde ein. Beim Umschalten von der einen auf die andere Box ändert sich der Klangcharakter so, als sei die Orgel plötzlich anders disponiert oder intoniert oder registriert: mal mehr, mal weniger 16- oder 8-Fuß-Register; mal stärker mal schwächer intonierte 8-Füßer; mal mehr, mal weniger Aliquoten; in einem Falle eine dreifache, im anderen Falle eine siebenfache Mixtur.
(Ähnliche Phänomene treten auch bei symphonischer Musik auf, doch hier sind sie nicht so eindeutig als Verfälschung identifizierbar bzw. zu beurteilen. Man höre beispielsweise einmal darauf, welche Instrumente beim Umschalten in den Vordergrund rücken und welche zurückgenommen erscheinen.)
Des Testens ganzer Jammer ...
Welcher Lautsprecher letztlich am wenigsten verfärbt, kann eigentlich nur ermessen, wer Werk, Orgel und Disposition kennt; genau gesehen müsste er sogar bei der Aufnahme dabeigewesen sein. Die Entscheidung für diese oder jene Box wird nämlich zusätzlich dadurch erschwert bzw. relativiert, dass die technischen Bedingungen der Aufnahme (Art, Charakteristik, Anzahl und Aufstellung der Mikrofone, Abmischung, verwendete Filter, Schneidentzerrung) ebenfalls den Originalklang umfärben. Insofern steckt ein Körnchen Wahrheit in der spitzfindigen Werbung, die weismachen will, „originalgetreu“ könne nur hören, wer den bei der Aufnahme benutzten Monitor oder zumindest einen Lautsprecher (mit dem spezifischen Sound) des gleichen Herstellers besitze.
Schließlich tragen auch auf der Wiedergabeseite Plattenspieler und Verstärker ihren Teil zur Veränderung der originalen Klangstrukrur bei. An diesem Beispiel wird deutlich, warum beim Testen möglichst viele und verschiedenartige Programme verwendet werden sollten, warum eine gegenseitige klangliche Abstimmung der Wandler (Optimierung!) notwendig erscheint, und warum trotz aller „Vorsichtsmaßnahmen“ die Ergebnisse eines (Lautsprecher-)Tests nie frei von Subjektivismen sein können, also nie verallgemeinert oder gar absolut gesetzt werden dürfen.
Der Test „Original gegen Reproduktion“
Als Lösung aus diesem Dilemma wird mitunter der A/B-Vergleich von Originaldarbietung (die zunächst bzw. zugleich aufgezeichnet wird) und Wiedergabe (dieser Aufzeichnung) propagiert. Aber auch bei diesem Verfahren sind die technischen Bedingungen der Aufnahme (Art und Aufstellung der Mikrofone) als klangbeeinflussende Faktoren nicht auszuschalten. Weitaus problematischer ist allerdings die Tatsache, dass bei der Wiedergabe die Akustik des (Aufnahme- und Wiedergabe-)Raums sozusagen zweimal vorhanden ist. Diese Gegebenheit kann erfahrungsgemäß den Lautsprechern so sehr schmeicheln, dass selbst klanglich „minderbemittelte“ Lautsprecher überzeugend gut wirken; von gravierenden wahrnehmungspsychologischen Schnitzern dieses Verfahrens ganz zu schweigen!
(7) ausgewogen – unausgewogen
Ausgewogene Boxen klingen weder dunkel, noch hell. Sie sind nicht eindeutig präsent und nicht eindeutig entfernt. Sie „machen nichts daher“, sind deshalb sehr gut – und sehr selten. In einem Feld von Lautsprechern, die „in die Ohren springende“, auffällig gute Eigenschaften haben – was immer man subjektiv als gut empfindet –, haben es ausgewogene Boxen mitunter schwer, sich durchzusetzen. Man sollte deshalb solch „unscheinbaren“ Lautsprechern besondere Aufmerksamkeit widmen und sie ggf. in den Langzeittest einbeziehen. Dagegen sind Boxen, die auf Anhieb, durch besondere Vorzüge auffallen, nur in seltenen Fällen auch ausgewogen.
(8) transparent, durchsichtig – verschwommen
Durchsichtig ist eine Box, wenn sie das Schallereignis präzis abbildet: Bei guten Aufnahmen muss es möglich sein, die einzelnen Solisten, Soloinstrumente, Stimmen eines Chors und Instrumentengruppen eindeutig voneinander zu unterscheiden. Undurchsichtige Boxen können zwar ein voluminöses und „angenehmes“ Klangbild erzeugen, geben dem Hörer aber nicht die Möglichkeit, sich auf bestimmte Instrumente zu konzentrieren. Sie produzieren einen Klangbrei. Offene, präsente und schlanke Boxen tendieren eher zur Durchsichtigkeit als verdeckt und voluminös klingende. Besser gesagt: Sie haben es in puncto Durchsichtigkeit leichter.
Manche Boxen können erst ab einer relativ hohen Lautstärke durchsichtig klingen, andere sind bei geringen Lautstärken offener. Erfahrungsgemäß benötigen Kompaktboxen eine höhere Lautstärke, damit sie sich „freistrahlen“. Sie neigen bei geringer Lautstärke zu einem etwas näselnden oder gepressten und verhangenen Klangbild, dem Durchsichtigkeit abgeht. (In diesem Zusammenhang muss aber auch bedacht werden, dass die meisten Verstärker bei geringen Lautstärken gepresst, eng und undurchsichtig „klingen“!) Dagegen besteht bei Boxen mit sehr hohem Wirkungsgrad (Bassreflexboxen, Boxen mit Hornlautsprechern) die Gefahr, dass sie zwar durchsichtig klingen, aber etwas verfärben, und zwar bei allen Lautstärken.
Durchsichtigkeit großorchestraler Werke
Durchsichtigkeit lässt sich selbstverständlich mit großorchestralen Werken testen. Man muss allerdings sicher sein, dass die Aufnahme ein Höchstmaß an Transparenz und Sauberkeit besitzt. Bei analytischen Boxen bleibt die Identifizierbarkeit der einzelnen Klanggruppen auch erhalten bei plötzlichen großen Dynamiksprüngen, also bei einem subito ff-Einsatz. Setzen wir einmal einen Verstärker voraus, der diesen Sprung mühelos überträgt: Dann kann es passieren, dass sich eine wenig durchsichtige Box „verschluckt“: Für einen kurzen Augenblick verschwindet die Durchsichtigkeit, bestimmte Instrumentengruppen werden verdeckt, verschluckt von der großen Trommel oder dem Becken. Das sollte man durch die öftere Wiederholung ein und derselben Passage untersuchen.
... und einfacher Klangstrukturen
Die Qualität „Durchsichtigkeit“ lässt sich auch mit weniger komplexen Signalen untersuchen: Bei einem Duo Bass-Cello müssen die beiden Instrumente klar getrennt nebeneinanderstehen, sie müssen sich, ohne klanglich auseinanderzufallen, eindeutig voneinander abheben. Die Instrumentierung der Einleitung von „Also sprach Zarathustra“ muss eindeutig erkennbar werden. Bei einem Blockflötenduo – zwei Sopranflöten – müssen sich die Klangfarben der beiden Flöten voneinander abheben. Überbrillante Boxen versagen bei diesem Test. Auch Sopran-Duette müssen in diesem Sinne – vor allem in den höchsten Lagen – durchsichtig bleiben.
Eine durchsichtige Box zeichnet sich in den meisten Fällen durch eine feine Klangdefinition aus. Man teste mit Soloinstrumenten, die man sehr genau kennt! Haben Trompeten nicht einen zu engen, spitzen Klang? Klingt die Sologeige „raumfüllend“, weich, „gestrichen“, mit viel „Körper“, „Glanz“ und „Holz“? Zischt das Becken oder klingt es? Knödelt der Heldentenor oder strahlt seine Stimme (so er eine hat)? Hat die Pauke einen Klang, der sich nach Tonhöhe, Stärke des Anschlags und verwendetem Schlegel deutlich ändert, oder klingt sie das eine wie das andere Mal? Ist der Flügel tatsächlich ein Flügel? Meist klingen Flügel breiig, sie „schwimmen“.
Auch kleine Besetzungen, Streichquartette und Einspielungen von alten Instrumenten eignen sich zur Untersuchung der Durchsichtigkeit. Die Instrumente eines Streichquartetts müssen exakt auseinandergehalten werden können, ohne dass das Klanggeschehen als Ganzes auseinanderfällt. Wird die 1. Geige nicht durch die Pizzicati im Bass verschluckt? Durchsichtigkeit und Neutralität gehen nicht oft Hand in Hand.
(9) weich – rau, hart
Bei rau zeichnenden Boxen klingen hohe Streicher etwas aggressiv und drahtig. Statt Glanz haben sie viel -Stahl-, eben Härte. Die menschliche Stimme ist gepresst. Barock-Trompeten sind eine Nuance zu groß, zu spitz, Mixturen von Barock-Orgeln klingen wie die neuerer Orgeln, die mit hohem Winddruck betrieben werden.
Auf die Dauer wirken rau zeichnende Boxen lästig. Man identifiziert sie oft zu spät, weil sie zu den Bluffern gehören. „Weichzeichner“ machen nichts daher und werden beim oberflächlichen Testen „überhört“. Oft wird überbrillant mit weich verwechselt!
Allerdings darf man dunkel, verhangen und entfernt abbildende Lautsprecher nicht mit weichzeichnenden identifizieren, obwohl hier eine gewisse Verwandschaft vorliegen kann. Weiche Boxen kann man auch identifizieren, indem man bei voll aufgedrehtem Höheneinsteller hört. Dann klingen sie ungewöhnlich hell, zischen aber nicht.
(10) angenehm, natürlich – lästig
Bisweilen tauchen in der Literatur die Kriterien „angenehm“ und „natürlich“ auf. Möglicherweise ist in einem Test eine Box als sehr natürlich, doch wenig angenehm ausgewiesen. Ein solches Ergebnis kann die Verwirrung beim Leser sehr groß werden lassen. Viele Musikfreunde unterscheiden nicht zwischen „angenehm“ und „natürlich“; denn eine Box, die ein Klanggeschehen mit höchstmöglicher Naturtreue nachzuzeichnen vermag, könne, so sagen sie, nicht „unangenehm“ klingen.
In einer künstlichen Hörsituation, wie sie Tests darstellen, können sich ggf. Boxen profilieren, die scheinbar „natürlich“ klingen. Im Langzeittest wird sich jedoch diejenige Box positiv abheben, die man stundenlang hören kann, ohne dass sie lästig wird, ohne dass sie ermüdet. Als die „natürlicher“ klingende ist sie – auf die Dauer des Hörgenusses – die „angenehmere“. Das hat nichts mit Schönfärberei im Sinne von Bass- und/oder Höhenanhebung bzw. -absenkung oder mit „freundlichen“ Verfärbungen zu tun! „Natürlich“ klingende Boxen zeichnen sich dadurch aus, dass man sie lange Zeit mit hoher Lautstärke hören kann, ohne nervös zu werden oder aus Gründen einer hörpsychologischen Stresssituation den letzten Ton des musikalischen Werks herbeizusehnen.
Am Beispiel des Begriffpaars „angenehm – lästig“ wird die Subjektivität von Lautsprecherbeurteilungen beispielhaft deutlich, und sicherlich werden viele Leser der hier dargelegten Auffassung nicht folgen. Wie dem auch sei: Übereinstimmung herrscht wohl hinsichtlich der Forderung, ein Lautsprecher (bzw. Musikwiedergabe) dürfe nicht lästig sein. Wann eine Box als lästig empfunden wird, das allerdings ist subjektiv unterschiedlich; es hängt von den klanglichen Zielvorstellungen sowie den auditiven Gewohnheiten und musikalischen Vorlieben des Hörers ebenso ab wie von seinen Erwartungen an das Medium HiFi-Stereophonie:
Erwartungen an das Medium
Vielen bedeutet HiFi-Stereophonie die Übertragung des Konzertsaals in den Wohnraum; Anhänger dieser Auffassung bevorzugen Boxen, die ein weiträumiges, entfernt klingendes, nicht unbedingt sehr brillantes, aber Tiefenstaffelung abbildendes Klangbild erzeugen. Sie sind manchmal bereit, für die Erfüllung dieser Forderung Verfärbungen in Kauf zu nehmen.
Anderen soll HiFi-Stereophonie die Partitur transparent werden lassen. Sie bevorzugen ein präsentes, ggf. flächiges, aber „verfärbungsfreies“ Klangbild. Der samtig-saftige und voluminöse Klang, den „Dokumentaristen“ bevorzugen, schlägt sie weniger in Bann als vielmehr jene „Indiskretion“, die eine exakte Klangdefinition der Instrumente zulässt. Natürlich ist es vermessen, die beiden Erwartungshaltungen so eng zu definieren. Die Übergänge sind durchaus fließend und auch von der jeweiligen Stimmung abhängig, in der man Musik „aufsucht“.
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