Liebe Forenten,
aufgrund Eurer großen Interessenbandbreite hier im Forum will ich mit einer Art
Management Summary
beginnen.
Hier spanne ich am Beispiel meines Elternhauses den Bogen von der Frage, was man mit einem Erbe anfangen sollte bis hin zu Fragen der Architektur. Der Anknüpfungspunkt zu diesem Forum erschöpft sich dabei in der Idee, es einmal im Hinblick auf seine Eignung für ein Forumstreffen zur Diskussion zu stellen und in der einen oder anderen innerhalb der oben erwähnten Bandbreite liegenden Detailfrage, zu welchen ich mich über Anregungen von Euch freuen würde. Dass dabei der Bezug zum Hauptinteresse dieses Forums im Großen und Ganzen verloren geht, liegt in der Natur der Sache und ich finde es daher nur fair, darauf bereits an dieser Stelle ausdrücklich hinzuweisen.
Danke für Euer Verständnis
Peter
Lieber Uwe,
lieber Rudolf,
liebe Forenten,
in einem Atemzug mit der Kathedrale St. Étienne in Metz oder der Abtei Cadouin in Cadouin genannt zu werden, ehrt mich sehr, also genau genommen mein Elternhaus im ganz wörtlichen Sinne und ist mir, da mich Euer Interesse freut, Ansporn, das Kaleidoskop meiner grundsätzlichen Erwägungen an diesem Orte einmal aufzufächern.
1. Grundsatzentscheidung
1.1. Einleitung
Zwei Gedankengänge führen mich dazu, das Haus, nun von meiner Schwester und mir, zu vermieten, denn natürlich spricht auch einiges für Eigennutzung oder Verkauf, wie auch einiges gegen Vermietung spricht. Aus Sicht des Gebäudes, des Objekts also, ist die Wirkung aller Argumente unabhängig von der Nutzungsabsicht, des Subjekts also: was gut für den Verkauf wäre, wäre dies immer auch für die Vermietung und umgekehrt umgekehrt. Das gilt auch für die Eigennutzung, aber da ich alleine lebe, wäre mir das Haus schon ohne Erweiterung eher zu groß und meine Schwester beabsichtigt, in Berlin zu bleiben.
1.2. Objektiv
Die Lage, Substanz und das Potential bringen mich zu dem Schluss, dass die Vermietung nach vorheriger Erschließung eben dieses Potentials ein Gedanke ist, welcher der Verfolgung lohnt.
1.3. Subjektiv
Meine Schwester lebt ebenso wie ich alleine und ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung macht es nicht allzu schwer, zu erkennen, dass eine spürbare Aufbesserung der Altersversorgung insbesondere für kinderlose höchst erstrebenswert ist, denn im Zweifel werde ich im Alter auf der Suche nach einer helfenden Hand kein Kind anrufen können, sondern darauf angewiesen sein, professionelle Hilfe zu beauftragen, und sei die Hilfe auch noch so klein. Da ich (bis kurz vor Schluss, wenn es gar nicht mehr anders geht) nicht ins Heim möchte, erschöpft sich ein jeder Hilferuf nicht in bloßem Klingeln nach dem Pfleger, sondern im Abzeichnen des Arbeitszettels und dem Begleichen der Rechnung. Meine Schwester und ich werden auf das Geld angewiesen sein, da brauche ich nur eins und eins zusammen zu zählen.
2. Entscheidungsfindung 1: Aufstellung des Konzeptes
2.1. Einleitung
Damit ist der Rahmen abgesteckt. Ein noch immer schier unbegrenzter Möglichkeitenraum tut sich auf, in dem zu bewegen ich erst einmal Sicherheit erlangen musste. Dies gelingt mir nur über Klarheit meiner Gedanken über und in der Folge Sicht auf den Sachverhalt.
2.2. Dilemma 2042
Wäre das Haus mit seinen gut 50 Jahren heute auch gut vermietbar, muss ich erkennen, dass das nicht die Frage ist, vor der meine Schwester und ich stehen. Vielmehr geht es darum, was in, sagen wir, 25 Jahren ist. Um es kurz zu machen: dann bekomme ich zwei Probleme, die ich heute noch nicht habe. Zum einen wird das Haus als energetischer Super-GAU dann kaum noch gut vermietbar sein und zum anderen könnte ich mit meinen dann 80 oder 81 Jahren darauf überhaupt nicht mehr reagieren. Kraft für einen Umbau -- körperliche wie wirtschaftliche -- hätte ich dann nicht mehr, da ich zu alt wäre, könnte aber auch keine mehr mobilisieren, da ich in dem Alter keine Finanzierung für eine Sanierung mehr bekäme. Ein klassisches Dilemma.
2.3. Ausweg: Arsch hoch und tanzen
So komme ich zu der Erkenntnis, dass der Ausweg aus dem Dilemma nur darin bestehen kann, gar nicht erst in es hineinzulaufen, denn aus einem Dilemma gibt es keinen Ausweg (sonst wäre es ja keines). In der Theorie ist das schnell gesagt, in der Praxis aber bedeutet das, dass ich jetzt ran muss: Arsch hoch und tanzen, wie ziemlich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn ein Kollege mal gesagt hat. Dass ich dazu entschlossen bin, war gemeint, als ich zuletzt schrieb, dass die Beschlusslage hergestellt sei.
2.4. Problem: Bindungswirkung
Nun kann man einwenden, dass derart weitreichende Pläne an der Gegenwart und damit am eigenen Leben vorbeiführen. „Wie bringt man Gott zum Lachen? Indem man ihm seine Pläne zeigt.“ Schließlich binde ich meine Schwester und mich für knapp 20 Jahre (so lange wird die Rückführung des Darlehens aus den Mieteinkünften in etwa dauern) daran, auf Mittelzuflüsse aus den Mieteinkünften zu verzichten.
2.5. Lösung: Flexibilität
Vollkommen richtig, aber Investitionen in ein marktgängiges, im besten Falle also gleichermaßen gut vermiet- wie verkaufbares Wohnhaus entfalten keinerlei finale Bindungswirkung, da auf grundstürzende Änderungen im Leben immer mit einem Verkauf oder der weiteren Beleihung des Hauses reagiert werden könnte, wobei dann die getätigten Investitionen liquidiert oder als Sicherheit herangezogen werden würden (der durchschnittliche Preis einer vermieteten Wohnung liegt nur bei rund 73% von dem einer frei lieferbaren und die Transaktionskosten wie Grundsteuer sind nicht unerheblich, das weiß meine Nachtmütze alles, aber hier geht es um die Findung des Konzepts). Ein Hausbau oder eine Investition in ein Haus ist eben doch etwas gänzlich anderes als zum Beispiel ein Kind, welches man eben nicht verkaufen kann, wenn es einmal eng wird.
2.6. Zwischenruf
Bis hierhin hört sich alles wohlabgewogen, aber doch ohne zwingende Logik, mit einem Wort lauwarm oder blutleer an. Ob ich es nun wirklich mache oder nicht ist bis hierhin für mein Lebensglück nicht kriegsentscheidend. Nur, weil ich nicht ins Heim will, jetzt schon einen derartigen Aufstand zu veranstalten wäre ein bisschen zuviel l‘art pour l’art, jedenfalls zumindest dann, wenn ich dabei auch noch so täte, als wäre es wichtig.
3. Entscheidungsfindung 2: Feststellung des Konzeptes
3.1. Einleitung
Ohne abschließende Feststellung bliebe jede Aufstellung wirkungslos, eben ein Luftschloss. Die Aufstellung von Konzepten, also die gedankliche Vollendung einer Idee, kann für sich genommen sehr erfüllend sein, wäre hier aber unzureichend, denn hier ist Tanzen gefragt.
3.2. Mein ganz persönlicher Antrieb
Ich hatte es mir nie eingestanden oder mich auch nie ernsthaft danach gefragt, aber es gibt tatsächlich etwas, wovor ich panische Angst habe: nämlich davor, dass mir klar wird, dass ich vor geraumer Zeit eine Gelegenheit habe verstreichen lassen, diese Gelegenheit nachzuholen mir heute aber nicht mehr möglich ist und -- ganz entscheidend -- ich das damals schon gewusst habe, mich damals aber nur aus Feigheit wegen des damals noch fehlenden Leidensdrucks vor der Entscheidung gedrückt habe; und ich mich heute zu allem Überfluss auch noch daran erinnern kann, dass mir das damals bereits alles vollkommen klar war.
3.3. Schummeln ist nicht
In solchen Dingen kann ich mich nicht belügen. Ich erinnere mich an solche Sachen und es ist mir nicht gegeben, mir die Versäumnisse später schönreden zu können. Das macht mir inzwischen das Herz nicht mehr schwer, denn meistens geht es um letztlich unwichtige Dinge. Ein seltenes Paar Aktivlautsprecher nicht gekauft zu haben, als es damals auf ebay angeboten worden ist zum Beispiel. Das darf man unaufgeregt erdulden (ebenso, es gekauft und noch nie benutzt zu haben). Im Gegenteil: das schult die eigene Gelassenheit.
3.4. Sprechen wir konkret: das Schreckgespenst
Hier geht es um was: das Bild, dermaleinst hochbetagt mit meiner Schwester am Tisch meiner bescheidenen Einzimmerwohnung in Bargteheide -- dort werden die Mieten noch erschwinglich sein -- über den Kaktus auf der Fensterbank auf den benachbarten, trüben Supermarktparkplatz zu blicken, weil wir heute den Umbau des Hauses nicht auf uns nehmen wollten und meine Schwester dann fragen zu müssen, ob sie sich auch an mein damaliges Wort von Taylor Swift erinnert, möchte ich mir nicht einmal näher vorstellen. Denn machen wir uns nichts vor: es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass es so kommen würde.
3.5. Querdenken oder einfach nur Kommissar Zufall
Aber was hat nun Taylor Swift mit meinen Umbauplänen zu tun? Ganz einfach: ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken und so war sie es, die mir den Weg zu Feststellung meines Konzeptes nicht unerheblich geebnet hat. Als ich sie im Radio zum wiederholten Male einen neuen Hit singen hörte, fiel mir eine Textpassage auf
Taylor Swift in Blank Space hat geschrieben:
Don’t say
I didn’t say
I didn’t warn you.
mit welcher ich schlagartig jene drängende Klarheit gewann, die ich alter Skeptiker als Treibstoff brauche, um meine Zweifel einhegen zu können. Denn ich kann mir nun nicht mehr sagen, dass ich nicht gesagt hätte, dass ich mich nicht gewarnt hätte.
Fange ich also an, zu tanzen.
4. Wie sieht mein Konzept denn nun aus?
4.1. Maßnahmen: Umfang
Neben der notwendigen technischen, vornehmlich also energetischen, Sanierung kann man darüber hinausgehen und sich über eine Erweiterung Gedanken machen: trägt das Grundstück (Größe
und Lage, also Stadtteil) ein größeres Haus oder ist es ganz im Gegensatz sogar geboten? Besteht ein Markt für ein erweitertes Haus, hat das durchaus Sinn, denn auch für die Rente gilt die alte Pharmazeutenregel: viel hilft viel. Lässt sich das alles bejahen, ist noch zu klären, ob sich eine Erweiterung sinnvoll gestalten lässt. Ich nenne das Rhythmus, wenn ein Grundriss unter wirtschaftlicher Nutzung der Fläche zu sinnvollen Raumzusammenhängen und -folgen führt und dabei gleichzeitig eine möglichst einfache, um genau zu sein: schlichte, Außenform wahrt. Schlichtheit auch im Konzept, also weniger ist mehr, sprich, lieber wenige, großzügig angelegte als viele, am Ende gar verwinkelte Zimmer. Soweit die Pflicht. Kür ist dann, wenn sich lange Sichtachsen ermöglichen lassen: wenn man bei geöffneten Zimmertüren am besten gleich durchs ganze Haus blicken kann.
4.2. Maßnahmen: Durchführung
Wenn die Überlegungen in diese Richtung gehen, stellt sich die Frage, ob man nicht besser alles auf einmal macht. Es verspricht, wirtschaftlicher zu sein, wenn man einmal dabei ist, die Sache gleich in einem Zug auszuführen: wenn schon denn schon, dann ist es ein Aufwasch.
4.3. Die Sanierung muss sitzen
Die Aufgabenstellung ist damit klar umrissen. Als mein Vater vor rund anderthalb Jahren gestorben ist, hatte ich rund 35 Jahre nicht mehr über das Haus nachgedacht. Als Schüler habe ich die kuriosesten Umbauten und Erweiterungen geplant, die alle dadurch gekennzeichnet waren, dass sie nicht zu Ende gedacht waren; im besten Sinne kindliche Luftschlösser. Eines dieser Luftschlösser oder eine wie auch immer geartete Kombination aus ihnen ist nicht mehr gefragt. Im Gegenteil: um etwa herumexperimentieren zu können, habe ich nicht genug Geld. Mehrere Anläufe sind nicht drin. Ganz abgesehen davon, dass sich darin auch gar kein Sinn erblicken ließe, gilt es nun, auf dem Boden der Realität zu landen.
5. Neustart
5.1. Paradigmenwechsel
Statt von irgendwelchen Vorstellungen bezüglich des Gebäudes auszugehen, etwa, wie groß eine Schiebetüranlage gestaltet werden könnte, müssen alle Gedanken auf einen völlig anderen Ausgangspunkt fußen: den Menschen, für die das Gebäude gedacht ist oder sein könnte. In den letzten Jahren konnte ich in meiner Familie beobachten, dass sich die Ansprüche ans Wohnen doch sehr verändert haben. Dies kann man auch an den geänderten Bauvorschriften ablesen, die in Hamburg seit 2005 gelten und als wesentliche Neuerung Barrierefreiheit regeln. Dies deckte sich mit meinen Erfahrungen, die ich vornehmlich mit meinen Eltern machen durfte, für welche sich die Bungalow-Mode der 60er Jahre nun äußerst segensreich auswirkte.
5.2. Bisherige, doch recht herkömmliche Nutzung
Andererseits hat der Grundriss auf einer Ebene die Kehrseite, dass alle Bereiche stark ineinanderfließen, was für eine Familie mit kleinen Kinder klasse ist -- unserer Mutter gelang die Beaufsichtigung von uns quasi ganz wie von selbst --, in anderen Phasen aber die Nachteile umso deutlicher hervortreten lässt. In der Pubertät wollten meine Schwester und ich auch gerne mal mit unseren Freunden oder allein schön in Ruhe gelassen werden, was sich mit einer dünnen Zimmertür nur unzureichend erzwingen lässt.
5.3. Neues Zimmer, neue Nutzung: Erweiterung als eine Art „Gästezimmer 2.0“
Was für eine Kernfamilie noch völlig ok ist, wird endgültig dann problematisch, wenn andere Nutzerkonstellationen vorliegen. Konstellationen, von denen man früher kaum Notiz nahm, zumeist, weil sie noch nicht verbreitet waren oder die Ansprüche noch nicht so hoch waren, sodass man sich auch mal mit einem Behelf zufriedengab und kein weiteres Aufhebens darum gemacht hat. Dieses zusätzliche Zimmer eröffnet einem jungen Paar, das typischerweise an einem Haus Interesse entwickelt, eine ganze Reihe zusätzlicher Nutzungsmöglichkeiten (in der Reihenfolge ihres Auftretens), ohne, dass Beeinträchtigungen der Wohnqualität dafür in Kauf zu nehmen wären:
- (übergangsweise) Aufnahme eines verwitweten Großelternteils, sei es für Zwecke der häuslichen Pflege oder weil die Rente ein willkommener Zuschuss zur Miete ist
- nach Geburt mehrerer Kinder Aufnahme eines Au-pair-Mädchens; Bedeutung nimmt zu, da zunehmend beide Eltern arbeiten. Spätestens hier wird eine dünne Zimmertür unbefriedigend, weil nun auch die außerhalb des Zimmers weilenden Personen ein vitales Interesse an Abgrenzung haben, was bei den Eltern bei herkömmlicher Nutzung, also gegenüber den eigenen Kindern, noch ganz anders war
- Aufnahme eines Austausch-Schülers; Bedeutung nimmt durch fortschreitende Globalisierung zu
- erste Schritte in die Selbstständigkeit des jeweils ältesten noch zuhause lebende Kindes in den letzten Jahren vor seinem Auszug
- (übergangsweise) Aufnahme eines verwitweten Elternteils; siehe Großeltern
- Beherbergung eines auswärts lebenden Kindes mit dessen Familie als Gäste; Bedeutung nimmt durch fortschreitende Auflösung fester sozialer Strukturen zu
- Unterbringung einer -- meist ausländischen -- Pflegerperson; Bedeutung nimmt zu, da wir immer älter werden; geht mit dem Erfordernis nach faktischer Barrierefreiheit (das heißt, nicht bis ins letzte nach den Buchstaben der Bauordnung) für die Hauptmieter einher
- neben diesen privaten Nutzungsmöglichkeiten soll noch die dienstliche als Büro nicht unerwähnt bleiben, falls sich einer der Partner als Freiberufler betätigen sollte; sie ist wohl die wahrscheinlichste Nutzung von allen. Da es sich um ein reines und nicht um ein allgemeines Wohngebiet handelt, ist eine Arztpraxis oder ähnliches wohl nicht zulässig (das prüfe ich jetzt nicht nach), aber ein Musiklehrer zum Beispiel könnte mit seiner Familie in dem Haus leben und ungestört seinen Unterricht geben; entsprechendes gilt, wenn sie die Freiberuflerin der beiden ist, logo.
5.4. Flexibilität als Antwort auf die erwünschte Nutzungsbandbreite
Diese fortgeschrittene Diversifizierung deckt sich mit der Erfahrung, die mein bester Freund beim Verkauf seines Hauses 2000 machen durfte. Er wollte mit seine Familie in die Nähe seiner Eltern und Schwiegereltern ziehen, um einander besser unterstützen zu können. Sein erst 1988 gebautes erstes Haus hatte nur drei Schlafzimmer und war allein aus diesem Grund kaum verkäuflich. Quintessenz: Familien mit bis zu zwei Kindern erwarten heute vier Individualräume, also ein frei verfügbares zusätzliches Zimmer. Er konnte das Haus gut an ein Ehepaar verkaufen, deren Kinder gerade ausgezogen waren, sein zweites Haus hat er aber wohlweislich mit einem Zimmer mehr gebaut. Inzwischen sind auch seine beiden Kinderlängst aus dem Haus und der Riesenschuppen ist seither zu groß, aber so ist das Leben halt. Das lhüfegßiehcS, zu wenig Platz zu haben ist viel intensiver als das schöne Gefühl, zu viel zu haben. Genau wie beim Geld.
5.5. Grenzen
Eine Aufteilung in zwei eigenständige Wohnungen ist aufgrund der eingeschossigen und als Fast-Quadrat dabei doch kompakten Bebauung in überzeugender Form nicht möglich. Ich halte sie auch nicht für wünschenswert, da der Charakter des Hauses der eines Einfamilienhauses ist, das aufgrund des Atriums, noch mehr aber aufgrund der schieren Größe des Grundstücks gegenüber der Außenwelt eine natürliche Abgeschiedenheit hat. Diese Abgeschiedenheit würde durch die enge Bebauung mit zwei Wohneinheiten vollständig verlorengehen und ist daher nicht erstrebenswert. Zulässig wäre sie, aber nicht alles, was geht, muss man deshalb auch machen. Alle in diese Richtung gehenden Pläne, die ich gesehen habe und alle meine diesbezüglichen Gedanken bestätigen das.
5.6. Die goldene Mitte
Die Beschränkung auf die Schaffung eines Individualbereichs, der eine gewisse Abgeschiedenheit wie Eigenständigkeit aufweist, zeichnet sich als Königs- oder, eine Nummer kleiner, Mittelweg ab. Aufgrund des gegenwärtigen Atriums kann eine Erweiterung mehr oder weniger vollständig innerhalb der vorhandenen Kubatur erfolgen, was deshalb segensreich ist, weil der Häuserblock als Ensemble sehr zu recht unter Bestandsschutz (Milieuschutz) steht.
5.7. Probleme eines Atriumhauses
Das herausragende Problem jedes Atriumhauses ist sein besonders ungünstiges Verhältnis von Oberfläche zu Wohnraum (umbaute Wohnfläche). Am günstigsten ist dies Verhältnis bei einer Kugel, was leicht als nicht realisierbare Utopie zu erkennen ist. Aber ein Würfel oder kompakter Quader ist leicht umsetzbar und nicht ohne Grund weit verbreitet. Je weiter man sich von diesen kompakten Formen entfernt, desto unmöglicher wird die Nutzung ohne Raubbau an Umwelt und Natur. Ein Atriumhaus treibt diese Unmöglichkeit praktisch auf die Spitze, von absurden Sonderkonstruktionen einmal abgesehen.
5.8. Chancen eines Atriumhauses
Diese Gedanken brachten mich auf die Idee, die sich am besten mit folgendem Bild beschreiben lässt: wenn man nun hingeht und in das Atrium ein Passivhaus stellt, dann gewinnt man Wohnfläche und spart zugleich die gesamte Außenfläche im Atrium, weil jene ja nun zur Innenfläche wird. Außerdem lässt einem die fehlende Einsehbarkeit des Flachdachs für eine optimale Dämmung viel Freiheit und dann sieht die Welt eines ehemaligen Atriumhauses schon ganz anders aus.
5.9. Probleme
Wie Du, Uwe, richtig sagst, sollte der Preis nicht darin bestehen, den Charakter eines Gebäudes einer Beliebigkeit zu opfern. Unter Konservatoren und Architekten spricht man von der Lesbarkeit eines Gebäudes, die mir in den letzen 35 Jahren zur zweitwichtigsten Eigenschaft eines Sanierungskonzeptes geworden ist (die wichtigste ist die Erhöhung oder Sicherstellung der Bewohnbarkeit). Die Dresdner Frauenkirche ist für mich ein Beispiel, bei deren Inneren überhaupt keine Lesbarkeit gegeben ist. Das ist zur Gänze ein Nachbau eines früheren Zustands, der aber nichts mit dem früheren Zustand zu tun hat, denn die Zerstörung ist Bestandteil der Vitae der Frauenkirche. Sie als Rohbau leerstehen zu lassen, würde mir noch immer angemessener erscheinen. Außen ist mit den unterschiedlichen Farben der Original- und neuen Steine die Lesbarkeit gegeben.
6. Zurück zum Thema
6.1. Der Charakter
Den Charakter des Bungalows zu erkennen, ist nicht so schwer.
- horizontaler Grundcharakter, vor allem durch die eingeschossige, ebenerdige Bauweise
- übergroßes Wohn- ebenso wie Esszimmer (wenn auch als Essdiele ungünstig geschnitten)
- zulasten eher stiefmütterlich bemessener übrige Zimmer
- übergroße Terrasse, gegen die Nachbarschaft geschützt
- großer Flächenverbrauch
- verbunden mit weiten Wegen
- münden in großer Offenheit des Grundrisses
- noch größere Oberfläche durch zerklüftete Form
- kontrastiert mit schlichter, fast strenger Ausführung im Detail
- Form und Ausführung ermöglichen eine ungewöhnlich großzügige Öffnung nach außen
- welche die Offenheit des Grundrisses auf ideale Weise widerspiegelt
- und mit der Abgeschiedenheit des Gesamtkubus nach außen auffallend kontrastiert
- da sie nur nach innen, nämlich Richtung Atrium gerichtet ist
Ein flacher Kubus, in dessen südwestwärts gerichtete Flanke zwecks Belichtung und Freisitz eine tiefe Nut geschlagen worden ist, lässt sich daraus als Wesenskern kondensieren. Dabei führt die Nut nur deshalb zu der großen Helligkeit, weil sich der Kubus drum herum flach wegduckt. Der Charakter wäre nicht auf mehrgeschossige Gebäude übertragbar.
6.2. Lastenheft
Ließe sich nun dieses Konzept auf eine die gestiegene Nutzungsbandbreite hinreichend abdeckende neue Art interpretieren, hätte ich gewonnen. Die Felder, die abzudecken sind, sind im einzelnen
- notwendig, nach fallender Bedeutung
- scharfer Akzent auf der spürbaren Absenkung des Energieverbrauchs; hier sprechen wir nicht über 50% bis 75%, sondern eher über 80 bis 90% (bezogen auf den Wohnraum)
- Ergänzung der Wohnfläche um ein weiteres Zimmer mindestens mittlerer Größe, eingebettet in einen Bereich, der die Bezeichnung eigenständig verdient (und daher ebenfalls neu zu schaffen ist)
- Schaffung faktischer Barrierefreiheit, das heißt Anhebung in die Nähe der baurechtlichen Anforderungen (7% Steigung bei 7 m Rampenlänge schaffe ich bei der Zuwegung; das finde ich bei erlaubten 6% und 6 m in Anbetracht der 1,5 m Höhenunterschied zur Straße schon ganz gut)
- Stützung des den gesamten Straßenblock (etwa 25 Häuser in Form von etwa einem Dutzend Doppelhäusern nebst zwei Einzelhäusern) umfassenden Bestandsschutzes (Milieuschutzes) durch Begrenzung aller Erweiterungen auf bloße Verdichtungen (Anlehnung an die vorhandene Silhouette) unter Wahrung oder ggf. Wiederherstellung des gestalterischen und Farbkonzeptes und strikte Einhaltung geltender Bauvorschriften und Bebauungspläne
- Straffung der gärtnerischen Gestaltung, insbesondere Verbesserung des Verhältnisses von versiegelter Fläche zum Wohnraum
- hinreichend, ebenfalls nach fallender Bedeutung
- möglichst umfassender Erhalt der Gebäudesubstanz
- Erhalt des Atrium-Charakters, also der Verbindung von Abgeschiedenheit nach außen mit großer Zugewandtheit zur Sonne nach innen; das Atrium selbst kann bei Schaffung eines angemessenen Ersatzes aufgegeben werden
- Erhalt einer echten Garage (sofern Erweiterung auf zwei Stellplätze nicht möglich) und des ebenerdigen Abstellraums mindestens für alle Fahrräder aller Bewohner und sämtliche Gartengeräte
- Beseitigung der mit dem extremen Längen-Breiten-Verhältnisses der Essdiele einhergehenden Enge um den Esstisch möglichst nicht durch eine Einzelmaßnahme (wie ein Erker zum Beispiel), sondern im Zusammenhang, also als eine Art Abfallprodukt, anderer Maßnahmen, wie einen
- angemessener Ersatz fürs Atrium, da jenes aufgegeben werden muss für den
- spektakulären, lichtdurchfluteten Innenraum als zeitgemäße Neuinterpretation des Atrium-Charakters
- der aufgrund seiner Größe und der eingesetzten Baumaterialien nicht ohne raumakustische Maßnahmen bleiben soll
- Erhaltung freier Sichtachsen im Inneren
- Erhaltung des freien, sich weitenden Blicks vom Schreibtisch aus dem Wohnzimmer über den Vordergarten auf die Straße
- Schaffung oder Verlängerung freier Sichtachsen im Inneren
- verworfen
- Vergrößerung von Küche und Kinderzimmern: der Aufwand einer neuen Außenwand ist beträchtlich und der Nutzen bliebe immer unbefriedigend; das Motto lautet Stärken stärken und nicht Schwächen schwächen; vor allem, weil es viel wirtschaftlicher zu sein verspricht
- Abriss, um beispielsweise ein Doppelhaus (oder mit dem Nachbarn zusammen ein Vierfachhaus) zu errichten
- Wechsel des Charakters, zum Beispiel durch Aufsetzen eines Schrägdaches
- diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen
6.3. Fazit
Keine triviale Aufgabe, aber die unter Chancen des Atriumhauses angerissene Idee des Passivhauses im Atrium könnte sich als überraschend tragfähig erweisen, denn die der Sonne zugewandte Seite von Passivhäusern ähneln als Sonnenlicht einfangende filigrane Gebilde dem, was mir als Umbau vorschwebt. So entwickelt die katalytische Wirkung dieser Idee eine nachgerade katapultartige Beschleunigung auf dem Weg zu jener Lösung, die nicht ohne Grund an noch keinem einzigen der von dem Bestandsschutz umfassten Nachbarhäuser umgesetzt worden ist: wer denkt schon so wie ich.
6.4. Butter bei die Fische
Wer bis hierher gelesen hat, mag Fragen haben. Es wäre mir eine Ehre, sie zu beantworten. Zum besseren Verständnis ein paar Pläne und Fotos nebst Erläuterungen.
Sommerliche Ansicht 2014 von der Straße
Grundriss Bestand 2012, also heute, etwas lieblos hingekliert, aber brauchbar von der baugleichen Nr. 12 (wir sind Nr. 16), welcher noch meinen Eltern mit Umbauplänen unseres Nachbarn (Nr. 14) zugeleitet wurde und den ich gerade im Zugriff habe und als Skizze verwende.
Das zwischen Wohnen und Arbeiten ist ein kniehoher, ewig langer Heizkörper.
Lageplan zum besseren Verständnis des Umfelds. Bei uns und unserem Nachbarn habe ich die Auffahrten eingezeichnet und die Eingänge markiert. Die Hauptstraße liegt rechts, also wo die Nr. 2 liegt.
Grün umkreist die große Eiche vom ganz linken Bildrand vorhin, die dort den prominenten Schatten auf die Auffahrt wirft. Rot umkreist der Zwickel, der unserem Grundstück zugeschlagen wurde, damit die Grenze dort senkrecht auf die Straße zuläuft; dies, damit das mit Nr. 14 gemeinsam benutzte Abfallbehälter-Häuschen für zwei Abfallbehälter von der Grundstücksgrenze fein säuberlich in der Mitte geteilt wird. Schließlich soll ja alles seine Ordnung haben.
Grundriss Agenda 2020, so mein Projekttitel, also Grundriss nach Umbau und Erweiterung…
… und wie sich Garage, Abstellraum und Atrium sinnvoll wieder herstellen lassen. Das gemeinsame Abfallbehälter-Häuschen ist längst aufgegeben worden und unser Nachbar hat einen Zaun (mit Knick) gezogen. So werde ich den Zwickel zur Abkürzung der Verkehrswege nutzen (roter Pfeil).
Ganz oben erkennt man die 7.000 x 4.375 mm (damit sie über 30 m² groß wird) große neue Terrasse, die direkt an den Zierkamin angrenzt. Auf die Doppelgarage würde ich eine Dachterrasse machen, weil ich es kann: niemand braucht sie, sie bietet sich aber an. Der Viertelkreis zur Terrasse ist die Treppe von der Terrasse auf diese Dachterrasse. Die 9 Kreise mit etwa 2 cm Durchmesser repräsentieren Rhododendren, Kirschlorbeeren oder vergleichbares.
Dabei bleibt der Blick aus dem Blumenfenster praktisch ungehindert erhalten.
Ich musste ganz nach oben in die Ecke steigen (roter Kreis Straßenansicht Sommer 2014 ganz oben), um die hintere Ecke der Garage, dargestellt von der blauen Tonne (blauer Kreis), überhaupt sichtbar zu machen (blauer Kreis auch auf Vorgartenskizze). Die gelbe Tonne zeigt die vordere Ecke der Garage (gelber Kreis auch auf Vorgartenskizze) und die Biotonne die Ecke der Auffahrt (grüner Kreis auf Vorgartenskizze), also den Ort, bis zu dem die Hecke (von rechts kommend) zu verlängern ist. Links davon ist dann die Doppelauffahrt.
Wir Menschen können uns von unklaren Verhältnissen, wie zum Beispiel nichtrechtwinkligen Anordnungen wie dieser hier, nie so recht eine brauchbare Vorstellung machen, jedenfalls kann ich das nicht. Daher bin ich mit Maßband auf dem Grundstück herumgestiefelt und habe die Tonnen in die Ecken gestellt. Beachtet: die Garage geht auf dem Foto nach
links, der Blick aus dem Fenster auf die Straße bleibt also fast völlig unbeeinträchtigt. Bei den beiden Garagen-Tonnen muss man allerdings die 25 cm Wandstärke noch hinzudenken, aber auch dann finde ich das immer noch höchst erfreulich. Nichts ist schlimmer als der Schreck nach erfolgtem Umbau darüber, dass man sich das ganz anders vorgestellt hatte.
Abschließend der Innenhof -- wieder bis zum Zierkamin, hier ganz rechts – den aufzugeben ich entschlossen bin. Es ist durchaus nicht gehetzt, zu behaupten, dass der Ersatz noch besser wird, sogar um einiges besser.
Bis zum Zierkamin werde ich ihn überdachen.
Alles industriell vorgefertigt, also erprobt und ohne Überraschungen. Die Montage darf man sich in etwa so vorstellen.
Von innen darf man sich das dann in etwa so vorstellen. Die Klinker würde ich sichtbar lassen, auch und gerade innen.
Danke für Euer Interesse
Peter