J.S. Bach - Goldberg-Variationen

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
alcedo
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2 neue Goldberg: Olafsson und Schnyder

Beitrag von alcedo »

Guten Abend,

endlich gibt es wieder eine gelungene Neuaufnahme der Goldberg Variationen. Eine? Eigentlich sind es ja zwei. Und beide sind – das vorweg – aufnahmetechnisch erste Sahne. Aber der Reihe nach …

Lange schon habe ich auf dieses Album von Vikingur Olafsson gewartet, der in den vergangenen Jahren immer wieder spannende Bach-Interpretation abseits des Mainstreams vorgelegt hat. Und als vom Plattenlabel als „isländischer Glenn Gould“ vermarkteter Pianist sind die Erwartungen naturgemäß recht hoch. Nun denn. Beim ersten Hören ungläubiges Staunen – Olafsson lässt wirklich keinen Stein auf dem anderen und spielt die Variationen herzerfrischend locker, unprätentiös, originell, virtuos und mit gewohnt feinem Anschlag.

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Olafsson spielt auf einem modernen Steinway-Flügel und greift deshalb zum Non-legato, vereinzelt also die Töne, um einem Cembaloklang nah zu kommen. Das wirkt ungemein glitzernd („wie Tautropfen im Sonnenlicht“ – schrieb ein Kommentator). Dank seiner perfekten Spielkultur wirkt dies bei ihm auch nie langatmig und einzelne Figuren werden immer wieder wunderbar hervorgehoben.

Einige Variationen (beispielweise Var. 5) sind für mein Gehör (oder besser: für mein gewohntes Klangbild) jedoch viel zu schnell, so dass auch nach mehrmaligem Hören zwar die Idee dahinter klar wird, aber mein Gehör keinen echten Gefallen daran finden mag.
Dennoch eine gelungene und empfehlenswerte Aufnahme – wenn sie wohl auch nicht meine Lieblingsaufnahme werden wird (was kein Qualitätskriterium sein sollte ;-))


Ganz anders dagegen das neue Album von Oliver Schnyder. Der Schweizer Pianist hatte diese Variationen gerade erst während Corona eingespielt, war aber mit dem Ergebnis nicht zufrieden und wiederholte daher die Aufnahme.

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Kommen wir zunächst zum „Negativen“. Die Aufnahme wird beworben als „Deluxe-Album mit Hardcover-Booklet“. Dass ist bei Streaminganbietern naturgemäß ein wenig schwierig, aber GAR KEIN BOOKLET anbieten - wie bei Qobuz - ist ärgerlich. Leider habe ich zu spät gesehen, dass es dieses Album auch bei highresaudio.com/de zum Download gibt – MIT (recht informativem) booklet!

Schnyder spielt auf einem wunderschön klingenden großen Bösendorfer (okay – ich bin Fan dieses Flügels). Was macht er anders? Er spielt mit unzähligen freien Verzierungen, von denen keine einzige überkandidelt, manieriert oder willkürlich deplatziert wirkt. Ich kenne jedenfalls keine Aufnahme, die so viel Spaß bereitet und mich jedes Mal neugierig macht, welche Verzierung er sich in der nächsten Variation ausgedacht hat. Auch seine Anschlagsvielfalt setzt Schnyder ebenso wie seine feine Pedaltechnik gekonnt für verschiedene Klangschattierungen ein. Faszinierend!

Viele Grüße
Jörg
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg,

die Freude über die (Bach)Interpretationen von Vikingur Olafsson hatten wir hier schon mehrmals geteilt. So ist es auch heute wieder. Der Pianist tourt(e?) zur Zeit mit den Goldbergvariationen durch Deutschland. Leider waren in Frankfurt keine guten Karten mehr verfügbar, aber unser Sohn war in Berlin dabei. Er fand sie elegant und innig musiziert. Er berichtete weiter, dass das Konzert mit 15 Minuten Verspätung begann, weil die Chorplätze noch durch 10 zusätzliche Bänke ergänzt wurden. Das hatte ich in der Philharmonie noch nie gesehen und spricht für die Popularität von Olafsson.

Wenn wir das Album zu Hause hören, können wir Dein Unbehagen über das teilweise sehr schnelle Tempo gut nachvollziehen. Ich werde aber nachdenklich, wenn ich an die Interpretation der frühen Beethovensonaten des mit Olafsson etwa gleichalten Igor Levit denke. Zwar ist das Thema bei Beethoven nicht neu (Stichwort: Beethovens Metronom), aber dort setzt sich wohl die Einstellung durch, dass dessen hohe Tempoangaben korrekt und im Sinne des Komponisten sind. Bei Bach ist mir das neu, aber vielleicht gibt es auch hier aus der Musikwissenschaft neue Erkenntnisse, die das unterstützen. Klar haben wir alte Säcke eine andere Hörgewohnheit und die Hand am Puls aktueller Entwicklungen in der Interpretation von Klaviersonaten habe ich gewiss nicht.

Viele Grüße
Horst-Dieter
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Horst-Dieter

ich habe inzwischen schon von einigen Freunden gehört, die Olafsson erst kürzlich live mit den Goldberg-Variationen erlebt haben (Hamburg & Berlin) und mir erzählten, dass er live ganz anders gespielt habe: von wild, ungestüm, mutig, extrem bis zu innig, langsam, feinsinnig. Es sei ein Ereignis gewesen. Die Aufnahme brächte dies nur in Ansätzen rüber ... Könnte dem Eindruck deines Sohns entsprechen.
Leider habe ich das Konzert in Köln verpasst (ich mache einfach zu oft Urlaub ;-))

Viele Grüße
Jörg
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Sebabe
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Live

Beitrag von Sebabe »

Hallo! Ich kann allen hier zustimmen. Ich mag VO schon lange gern. Aber die Goldberg Variationen fand ich auf der Aufnahme auch irgendwie oft etwas schnell usw. Irgendwie hat es mich nicht gepackt. …. Und dann habe ich ihn im Konzert gehört.
Ich muss sagen, dass mich schon lange kein Konzert mehr so berührt hat. Und oft dachte ich daran wie klein man selbst doch ist, wenn man zuhause vor der Anlage sitzt und an der Aria rummäkelt ;-)
Live bin ich in eine Klangwelt getaucht, die in sich stimmig war. Über alle Variationen lag ein großer Spannungsbogen mit Ausflügen in alle erdenkliche emotionalen Zustände. Die Zeit verging im Flug. Es war einfach eine außergewöhnliche Performance.
Viele Grüsse Sebastian



PS: hier wurde sie bisher glaube ich nicht erwähnt: Bei den Neuaufnahmen ist Fazil Say bei mir sehr hoch im Kurs.
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Hironimus_23
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Beitrag von Hironimus_23 »

Hallo Jörg,

danke für deinen beiden weiteren Tipps zu den Goldberg-Varationen. Ich finde es immer wieder spannend, wie unterschiedlich sie interpretiert werden, keine ist gleich der anderen und fast alle immer anderns schön.


Hier noch eine kleine Ergänzung zu meiner Empfehlung, ein paar Einträge zurück.

Das Album von Pavel Koslesnikow ist jetzt auch auf Qobuz zu finden:
https://open.qobuz.com/album/dpqg2hmrmjbha
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Viele Grüße
Hironimus
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Hironimus_23
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Beitrag von Hironimus_23 »

Hallo zusammen,

hier mal eine Bearbeitung der Goldberg-Variationen für Streicher. Davon gibt es zwar einige, diese hier ist aber schon besonders. Keine Geigen, sondern lediglich Bratsche, Cello und Kontrabass. Das gibt einen besonderen Sound, hat etwas ruhiges, alles etwas tiefer mit warmen Klang. Mir gefällt´s.

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https://open.qobuz.com/album/cb2lngjdym9ka

Viele Grüße
Hironimus
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