ich mache mal ein eigenes Thema darüber auf:
Zu Glenn Goulds Einspielung der Goldbergvariationen habe ich ein - zurückhaltend ausgedrückt - zwiespältiges Verhältnis. Die ersten Aufnahmen aus den 50ger Jahren, mit denen er ja berühmt wurde sind für mich eine Art "Micky-Mouse"-Bach: viel zu schnell, keine der von Bach vorgeschriebenen Wiederholungen werden ausgespielt. Für mich ein typischer Fall eines Virtuosen, der sich mit einem solchen Spiel bekannt machen will, nur auf Effekte angelegt. Er spielt nicht Bach, sondern benutzt das Werk, um sich selbst darzustelle. Das entspricht nicht meiner Auffassung über das Verhältnis zwischen Komposition und Interpretation. Ich finde, der Interpret sollte sich zurücknehmen und die Musik wirken lassen. Ich geben gerne zu, dass man dieses Verhältnis mit guten Gründen auch anders sehen kann. Wie gesagt, Gould hatte mit seinen Aufnahmen ja auch in zweierlei Hinsicht Erfolg: zum einen wurde er bekannt, zum anderen - und dafür gebührt ihm Dank - wurde Bach, die Barock-Musik und speziell diese Komposition einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Reaktionen waren ja teilweise enthusiastisch.Fortepianus hat geschrieben:Du nennest ziemlich zu Beginn die Goldbergvariationen von Bach - da sollte man vielleicht die legendären beiden Einspielungen von Glenn Gould erwähnen. Vor allem nach der zweiten (1980 glaube ich) hat sich ungefähr 20 Jahre keiner mehr so richtig da dran getraut. Für mich ist die von Dir genannte Einspielung von Perahia die erste, die neben Goulds Vermächtnis bestehen kann. Ja, Vermächtnis, diese Aufnahme ist für mich so etwas wie die Quintessenz von Goulds Schaffen. Es ist aber, finde ich zumindest, nicht gerade in die Rubrik "leichte Kost" einzuordnen, was die Nennung am Anfang Deiner sehr schönen Liste suggeriert. Aber dieses Opus kann, trotz seiner Komplexität, durchaus geeignet sein, den einen oder anderen an diese Art Musik heran zu führen. Das ist wunderbar an Bachs Musik: Sie eröffnet, egal, wie tief Du Dich damit beschäftigt hast, immer neue Perspektiven, verschließt sich aber auch nicht dem völligen Laien. Unabhängig vom musikalischen Inhalt: Ich habe die 2. Einspielung der Goldbergvariationen von Gould das erste Mal Anfang der 80er über einen Jecklin Float Kopfhörer gehört - und die damals noch völlig ungewohnte Dynamik der CD, die diese Aufnahme voll ausschöpft, hat mich umgehauen.
Was die spätere Aufnahme aus den 80gern, kurz vor seinem Tod angeht, da rückt er von seiner früheren Auffassung radikal ab. Nun spielt er - immer noch hochvirtuos - die Stücke eher verhalten. Auch scheint er nun einen Sinn in den vom Komponisten vorgeschriebenen Wiederholungen zu sehen. Aber insgesamt find ich das Ednergebnis - auch wenn es wieder von vielen Kritikern begeistert aufgenommen wurde - eher mäßig. Gould nutzt die Möglichkeiten des Klaviers nicht aus. Er spielt es fast so, wie man eine Orgel spielt, also ohne große Variationen im Anschlag. Das Ganze wirkt auf mich eher ermüdend und langweilig.
Meine Ansicht über Glenn Gould hat sich auch geändert: früher war ich von ihm sehr begeistert. Ich kannte die Goldbergvariationen nur in seiner Einspielung. Aber erst nachdem ich solche Aufnahmen wie die auf dem Cembalo von Gustav Leonhard, oder auf dem Klavier von Perahia gehört habe, ging mir auf: hey, die müssen ja gar nicht so langweilig klingen, sondern können richtig spannend sein. Oder hör die mal die Einspielung von Angela Hewitt an: da passiert richtig viel, jede Variation bekommt ihren eigenen, unverkennbaren Charakter, erzählt praktisch eine Geschichte. Dann kann der Schluss, die Wiederholung der Aria, einem auch schon mal einen Schauer über den Rücken jagen. Und das, obwohl man einen Respekt des Künstlers vor der Komposition spürt. Da will sich niemand produzieren oder mit besonders ausgefallen Ideen auffallen.
Mittlerweile gehören die Variationen zu den Werken, von denen ich am meisten Einspielungen besitze und die ich - fast täglich, zumindest ein paar Stücke - höre.
Viele Grüße,
Bernd