Zeitabgleich der Chassis bei aktiven Mehrwegesystemen
Verfasst: 26.01.2022, 20:33
Dass ich schon länger nichts hier im Forum geschrieben habe, bedeutet nicht notwendigerweise, dass ich nicht mitlese bzw. untätig bin. Ich beschäftige mich in letzter Zeit intensiv mit dem Thema des optimalen Zeitabgleichs zwischen den den einzelnen Lautsprecherchassis eines Mehrwegesystems und möchte dazu Gedanken und Ideen teilen, die zu einem besseren zeitlichen Verhalten des gesamten Lautsprechersystems führen.
Als erstes bedanke ich mich an dieser Stelle bei Holger alias „schoko-sylt“ für die eifrigen Diskussionen, die wir in letzter Zeit zu diesem Thema hatten. Besonders aber auch für seine Geduld und Motivation, das Ganze bei sich messtechnisch in vielen Versuchen und Simulationen umzusetzen, so dass letztlich aus einem zunächst sehr zeitaufwändigen und komplizierten Verfahren ein für jeden Acourate-Anwender mehr oder minder leicht anwendbares Procedere mit mäßigem Aufwand entstand.
Generell kann man zuerst einmal postulieren, dass eine 1:1 Wiedergabe eines natürlichen Schallereignisses über einen Lautsprecher erfordert, dass Amplituden unverändert wiedergegeben werden und sich auch keine Phasen drehen, die zu Zeitfehlern bei der Wiedergabe führen. Die Realität sieht aber leider anders aus. Es ist dennoch erstaunlich, was das Gehirn alles verzeiht. Ich werde dabei oft demütig, wie gut wir trotz aller Ungenauigkeiten und negativen Einflüsse Musik hören können und selten jemand schreiend davonläuft. Wobei, ausgenommen sind dann natürlich diejenigen, die mit nicht-ausgerichteten Silberkristallen in der DC-Leitung des Netzteils hören.
Ungeachtet dessen kann es lohnend sein, sich das Ganze einmal näher anzuschauen und insbesondere den Zeitabgleich zwischen den Lautsprecherchassis bei aktiven Mehrwegelautsprechern zu untersuchen. Bei passiven Lautsprechern ist das Thema für den interessierten Hörer schlecht lösbar, während bei aktiven Systemen mit einer digitalen Ansteuerung Eingriffsmöglichkeiten bestehen. Ich habe dazu vor langer Zeit schon mal Gedanken geäußert, siehe meine Whitepaper zu Frequenzweichen oder zum Zeitabgleich per Sinusfaltung. Da man bekanntermaßen nie auslernt, sind nun einige neue Erkenntnisse dazugekommen, die ich gern erörtern möchte.
Der Ausgangspunkt sei diesmal eine Messung des Zeitverhaltens eines Treibers als Reaktion auf einen Dirac-Puls und zwar gemessen am Hörplatz. Gemäß der Theorie bei LTI-Systemen (linear + time-invariant) antwortet ein Chassis darauf mit seiner Pulsantwort. Zwischen der Erregung des Systems und der Pulsantwort vergeht eine gewisse Zeit, wobei auch die Position des Treibers und die Laufzeit des Schalls zum Hörplatz naturgemäß eine Rolle spielen. Wer mag, kann diesbezüglich auch gern noch über Raumreflexionen, Bassreflexboxen und /oder Dipolsysteme reflektieren, der Komplexität sind keine Grenzen gesetzt.
Sind nun mehrere Chassis im Spiel, erfordert eine originalgetreue 1:1 Wiedergabe wiederum, dass alle Treiber insbesondere auch in der zeitlichen Ebene perfekt zusammenspielen. Ein Basschassis sollte also nach entsprechender Anregung durch einen Impuls zeitlich im Vergleich zu Mittel- und Hochtöner nicht zu spät kommen, sondern mit ihnen gemeinsam spielen.
Mit der Acourate-Version V2.0.2 habe ich u.a. die Loopback-Messung optimiert. Die Rückkopplung eines Kanals erlaubt eine präzise Zeitreferenz. Man kann nun schlichtweg jedes Chassis mit einem Dirac-Puls beaufschlagen und bekommt unmittelbar die Schalllaufzeit in Samples angezeigt. Durch eine geeignete digitale Verzögerung zu schneller Chassis lassen sich nun auf den ersten Blick alle eingesetzten Treiber scheinbar schnell und mühelos zueinander ausrichten. Scheinbar deswegen, weil es einige Fallstricke zu beachten gilt.
Zur Erläuterung nun ein Beispiel. Die Messung zeigt den Frequenzgang eines Yamaha-Kompressionstreibers zwischen 200 Hz und 5 kHz, zur Vermeidung von Raumeinflüssen im Nahfeld ohne Frequenzweiche gemessen:
Die zugehörige Pulsantwort ist:
Das dem Puls nachfolgende Unterschwingen ist charakteristisch für kausale Systeme. Das Chassis kann nicht für alle Frequenzen gleich schnell schwingen. Es tritt eine Phasenabweichung bzw. eine Verzögerung hin zu den niedrigeren Frequenzen des abgestrahlten Frequenzspektrums auf, eben charakterisiert durch das Unterschwingen in der Pulsantwort.
Das Unterschwingen tritt auch dann auf, wenn man eine linearphasige Weiche (hier mit Eckfrequenzen von 400 Hz und 2400 Hz) mit dem Chassis verwendet, die ihrerseits eine absolut symmetrische Pulsantwort hat. Das Ergebnis entspricht dann der braunen Kurve. Zum Vergleich ist das ideale Verhalten grün dargestellt:
Eine Sinusfaltung der Pulsantwort mit den Eckfrequenzen zeigt, dass sich bei der niedrigen Eckfrequenz aufgrund der Verzögerung eine Phasendrehung von nahezu 180° ergibt. Das hat zur Folge, dass bei einer „perfekten“ zeitlichen Ausrichtung z.B. per Loopback-Messung sich der Schall dieses Treibers und der Schall des im darunterliegenden Frequenzbereich spielenden Treibers leider gegenseitig auslöschen, da sie in diesem Übergangsbereich um 180° phasenverdreht agieren. Das ist dann gleichbedeutend mit einem Loch im Frequenzgang an dieser Eckfrequenz.
Eine erste Lösungsmöglichkeit des Problems wäre nun, das jeweils darunterliegende Chassis zeitlich so zu verzögern, dass es mit dem darüberliegenden Chassis wieder in Phase schwingt. Dann würde sich der Schall ordnungsgemäß addieren. Allerdings wäre dann das Chassis zeitlich gesehen langsamer, folglich wäre das Prinzip der zeitlich unverzögert miteinander spielenden Treiber verletzt. Zum besseren Verständnis stelle man sich ein Mehrwegesystem als ein Orchester vor, wo sich die Musiker am jeweiligen Vordermann und nicht am Dirigenten orientieren. Es baut sich daher eine zunehmende Zeitdifferenz zu den hinten spielenden Musikern auf. Am Ende, übertrieben dargestellt, spielt die Musik hinten immer noch, während das Stück vorn schon beendet ist. Musikalisch sicherlich kein Hochgenuss.
Eine zweite Lösung wäre es, die Polarität des darunterliegenden Chassis zu drehen. Dann passen Schalladdition und zeitliches Zusammenspiel wieder zueinander. Aber natürlich wird spätestens jetzt unser geschätzter Hans-Martin beginnen hinsichtlich der absoluten Polarität zu rotieren. Leider ist zu konstatieren, dass derartige Lösungen gern verwendet werden und bewusst verpolte Lautsprecherchassis keine Seltenheit sind.
Wie können wir das Problem der Zeitrichtigkeit nun korrekt lösen?
Schauen wir uns dazu einmal das Phasendiagramm des unten angeführten Beispiels an. Acourate schneidet Pulsantworten üblicherweise so aus, dass das positive Pulsmaximum bei der Sampleposition 6000, 12000 oder 24000 liegt (Pulslänge 65536, 131072 oder 262144 Samples). Der Grund ist darin zu suchen, dass man bei einer Position 0 nicht erkennt, was vor dem Maximum des Pulses passiert (z.B. Preringing mit unerwünschten Nebeneffekten). Rotieren wir die Pulsantwort um die korrekte Anzahl Samples nach 0 zurück, zeigt das Phasendiagramm den gegebenen Phasenverlauf des jeweiligen Treibers:
Im konkreten Fall ist die Phase nun im oberen Frequenzbereich bei 0°, bei 230 Hz aber um 180° gedreht. Zu niedrigeren Frequenzen hin wird ein Chassis also langsamer, es wird damit zeitlich gesehen verzögert.
Jetzt konstruieren wir einen Allpass 2. Ordnung nahe der Frequenz der Phasenabweichung von 180°. Dieser Allpass ist definiert durch die Grundfrequenz und die Güte. Beide Parameter werden so festgelegt, dass sich eine möglichst ähnlicher Phasenverlauf zur realen Phase ergibt (hier f=225 Hz und Q=1.1):
Digital lässt sich dieser Allpass einfach reversieren und als Zusatzfilter zur Frequenzweiche verwenden. Dazu werden der reversierte Allpass und die jeweilige Frequenzweiche miteinander gefaltet und das Ergebnis dann wieder auf die vorher vorhandene Länge gekürzt. Das Faltungsergebnis der Messung mit dem reversierten Allpass ist Folgendes:
Durch den reversierten Allpass beginnt also das Chassis zu den niedrigeren Frequenzen hin früher und damit zeitgerechter (im Verhältnis zu den nach oben angrenzenden Frequenzen des jeweiligen Chassis) zu spielen, so dass am Ende möglichst alle zu übertragenden Frequenzen des Treibers mit weniger Phasendrehungen und damit nahezu zeitgleich wiedergegeben werden. Ausführliche Versuche mit der Phasenkorrektur haben gezeigt, dass man insbesondere zu tieferen Frequenzen hin (Tiefton, Mitteltiefton) vorsichtig sein und keinen zu hohen Wert für die Güte wählen sollte, da es dadurch zu unerwünschten Effekten wie z.B. einem Preringing kommen kann. Im Ringen um die absolute Zeitrichtigkeit gilt es, das geeignete Maß zu wahren, da man schon allein aufgrund des „Phasenrauschens“ nicht auf eine perfekte Phase Null kommen kann.
Die Pulsantwort einer Messung von Chassis und Weiche gefaltet mit reversiertem Allpass belohnt die Mühe mit einer verbesserten Symmetrie:
Dabei kommt es auch hier nicht darauf an, dass es perfekt symmetrisch wird. Das reale System lässt sich nicht dazu zwingen. Zumindest nicht allein mit dem Hilfsmittel eines einfachen und gutmütigen Allpasses zweiter Ordnung.
Wie schaut das oben beschriebene Vorgehen denn nun für ein Mehrwegesystem aus?
Als Beispiel dient einmal Holgers aktives 6-Wege-System, gemessen am Hörplatz ohne Allpasskorrektur, aber mit Zeitabgleich der Treiber:
Und dasselbe nun inkl. Phasenkorrektur der jeweiligen Chassis mit individuellen Allpässen:
Der Phasenverlauf sieht definitiv wesentlich freundlicher aus und das bei einem vorab nicht linearisierten System mit aufwändigen 6 Wegen pro Stereokanal und dadurch bedingten mehrfachen Überschneidungen der Phasenverläufe bei Verwendung flach verlaufender Besselfilter.
Anzumerken ist, dass natürlich noch restliche Phasendrehungen verbleiben. Diese sehen umso ausgeprägter aus, je mehr Phasendrehungen verursachende Reflexionen im Raum vorhanden sind. Daher ist es sinnvoll, diese vorher soweit als möglich durch entsprechende Absorber/Diffusoren zu reduzieren.
Viele Grüsse und ein frohes Schaffen
Uli
Als erstes bedanke ich mich an dieser Stelle bei Holger alias „schoko-sylt“ für die eifrigen Diskussionen, die wir in letzter Zeit zu diesem Thema hatten. Besonders aber auch für seine Geduld und Motivation, das Ganze bei sich messtechnisch in vielen Versuchen und Simulationen umzusetzen, so dass letztlich aus einem zunächst sehr zeitaufwändigen und komplizierten Verfahren ein für jeden Acourate-Anwender mehr oder minder leicht anwendbares Procedere mit mäßigem Aufwand entstand.
Generell kann man zuerst einmal postulieren, dass eine 1:1 Wiedergabe eines natürlichen Schallereignisses über einen Lautsprecher erfordert, dass Amplituden unverändert wiedergegeben werden und sich auch keine Phasen drehen, die zu Zeitfehlern bei der Wiedergabe führen. Die Realität sieht aber leider anders aus. Es ist dennoch erstaunlich, was das Gehirn alles verzeiht. Ich werde dabei oft demütig, wie gut wir trotz aller Ungenauigkeiten und negativen Einflüsse Musik hören können und selten jemand schreiend davonläuft. Wobei, ausgenommen sind dann natürlich diejenigen, die mit nicht-ausgerichteten Silberkristallen in der DC-Leitung des Netzteils hören.
Ungeachtet dessen kann es lohnend sein, sich das Ganze einmal näher anzuschauen und insbesondere den Zeitabgleich zwischen den Lautsprecherchassis bei aktiven Mehrwegelautsprechern zu untersuchen. Bei passiven Lautsprechern ist das Thema für den interessierten Hörer schlecht lösbar, während bei aktiven Systemen mit einer digitalen Ansteuerung Eingriffsmöglichkeiten bestehen. Ich habe dazu vor langer Zeit schon mal Gedanken geäußert, siehe meine Whitepaper zu Frequenzweichen oder zum Zeitabgleich per Sinusfaltung. Da man bekanntermaßen nie auslernt, sind nun einige neue Erkenntnisse dazugekommen, die ich gern erörtern möchte.
Der Ausgangspunkt sei diesmal eine Messung des Zeitverhaltens eines Treibers als Reaktion auf einen Dirac-Puls und zwar gemessen am Hörplatz. Gemäß der Theorie bei LTI-Systemen (linear + time-invariant) antwortet ein Chassis darauf mit seiner Pulsantwort. Zwischen der Erregung des Systems und der Pulsantwort vergeht eine gewisse Zeit, wobei auch die Position des Treibers und die Laufzeit des Schalls zum Hörplatz naturgemäß eine Rolle spielen. Wer mag, kann diesbezüglich auch gern noch über Raumreflexionen, Bassreflexboxen und /oder Dipolsysteme reflektieren, der Komplexität sind keine Grenzen gesetzt.
Sind nun mehrere Chassis im Spiel, erfordert eine originalgetreue 1:1 Wiedergabe wiederum, dass alle Treiber insbesondere auch in der zeitlichen Ebene perfekt zusammenspielen. Ein Basschassis sollte also nach entsprechender Anregung durch einen Impuls zeitlich im Vergleich zu Mittel- und Hochtöner nicht zu spät kommen, sondern mit ihnen gemeinsam spielen.
Mit der Acourate-Version V2.0.2 habe ich u.a. die Loopback-Messung optimiert. Die Rückkopplung eines Kanals erlaubt eine präzise Zeitreferenz. Man kann nun schlichtweg jedes Chassis mit einem Dirac-Puls beaufschlagen und bekommt unmittelbar die Schalllaufzeit in Samples angezeigt. Durch eine geeignete digitale Verzögerung zu schneller Chassis lassen sich nun auf den ersten Blick alle eingesetzten Treiber scheinbar schnell und mühelos zueinander ausrichten. Scheinbar deswegen, weil es einige Fallstricke zu beachten gilt.
Zur Erläuterung nun ein Beispiel. Die Messung zeigt den Frequenzgang eines Yamaha-Kompressionstreibers zwischen 200 Hz und 5 kHz, zur Vermeidung von Raumeinflüssen im Nahfeld ohne Frequenzweiche gemessen:
Die zugehörige Pulsantwort ist:
Das dem Puls nachfolgende Unterschwingen ist charakteristisch für kausale Systeme. Das Chassis kann nicht für alle Frequenzen gleich schnell schwingen. Es tritt eine Phasenabweichung bzw. eine Verzögerung hin zu den niedrigeren Frequenzen des abgestrahlten Frequenzspektrums auf, eben charakterisiert durch das Unterschwingen in der Pulsantwort.
Das Unterschwingen tritt auch dann auf, wenn man eine linearphasige Weiche (hier mit Eckfrequenzen von 400 Hz und 2400 Hz) mit dem Chassis verwendet, die ihrerseits eine absolut symmetrische Pulsantwort hat. Das Ergebnis entspricht dann der braunen Kurve. Zum Vergleich ist das ideale Verhalten grün dargestellt:
Eine Sinusfaltung der Pulsantwort mit den Eckfrequenzen zeigt, dass sich bei der niedrigen Eckfrequenz aufgrund der Verzögerung eine Phasendrehung von nahezu 180° ergibt. Das hat zur Folge, dass bei einer „perfekten“ zeitlichen Ausrichtung z.B. per Loopback-Messung sich der Schall dieses Treibers und der Schall des im darunterliegenden Frequenzbereich spielenden Treibers leider gegenseitig auslöschen, da sie in diesem Übergangsbereich um 180° phasenverdreht agieren. Das ist dann gleichbedeutend mit einem Loch im Frequenzgang an dieser Eckfrequenz.
Eine erste Lösungsmöglichkeit des Problems wäre nun, das jeweils darunterliegende Chassis zeitlich so zu verzögern, dass es mit dem darüberliegenden Chassis wieder in Phase schwingt. Dann würde sich der Schall ordnungsgemäß addieren. Allerdings wäre dann das Chassis zeitlich gesehen langsamer, folglich wäre das Prinzip der zeitlich unverzögert miteinander spielenden Treiber verletzt. Zum besseren Verständnis stelle man sich ein Mehrwegesystem als ein Orchester vor, wo sich die Musiker am jeweiligen Vordermann und nicht am Dirigenten orientieren. Es baut sich daher eine zunehmende Zeitdifferenz zu den hinten spielenden Musikern auf. Am Ende, übertrieben dargestellt, spielt die Musik hinten immer noch, während das Stück vorn schon beendet ist. Musikalisch sicherlich kein Hochgenuss.
Eine zweite Lösung wäre es, die Polarität des darunterliegenden Chassis zu drehen. Dann passen Schalladdition und zeitliches Zusammenspiel wieder zueinander. Aber natürlich wird spätestens jetzt unser geschätzter Hans-Martin beginnen hinsichtlich der absoluten Polarität zu rotieren. Leider ist zu konstatieren, dass derartige Lösungen gern verwendet werden und bewusst verpolte Lautsprecherchassis keine Seltenheit sind.
Wie können wir das Problem der Zeitrichtigkeit nun korrekt lösen?
Schauen wir uns dazu einmal das Phasendiagramm des unten angeführten Beispiels an. Acourate schneidet Pulsantworten üblicherweise so aus, dass das positive Pulsmaximum bei der Sampleposition 6000, 12000 oder 24000 liegt (Pulslänge 65536, 131072 oder 262144 Samples). Der Grund ist darin zu suchen, dass man bei einer Position 0 nicht erkennt, was vor dem Maximum des Pulses passiert (z.B. Preringing mit unerwünschten Nebeneffekten). Rotieren wir die Pulsantwort um die korrekte Anzahl Samples nach 0 zurück, zeigt das Phasendiagramm den gegebenen Phasenverlauf des jeweiligen Treibers:
Im konkreten Fall ist die Phase nun im oberen Frequenzbereich bei 0°, bei 230 Hz aber um 180° gedreht. Zu niedrigeren Frequenzen hin wird ein Chassis also langsamer, es wird damit zeitlich gesehen verzögert.
Jetzt konstruieren wir einen Allpass 2. Ordnung nahe der Frequenz der Phasenabweichung von 180°. Dieser Allpass ist definiert durch die Grundfrequenz und die Güte. Beide Parameter werden so festgelegt, dass sich eine möglichst ähnlicher Phasenverlauf zur realen Phase ergibt (hier f=225 Hz und Q=1.1):
Digital lässt sich dieser Allpass einfach reversieren und als Zusatzfilter zur Frequenzweiche verwenden. Dazu werden der reversierte Allpass und die jeweilige Frequenzweiche miteinander gefaltet und das Ergebnis dann wieder auf die vorher vorhandene Länge gekürzt. Das Faltungsergebnis der Messung mit dem reversierten Allpass ist Folgendes:
Durch den reversierten Allpass beginnt also das Chassis zu den niedrigeren Frequenzen hin früher und damit zeitgerechter (im Verhältnis zu den nach oben angrenzenden Frequenzen des jeweiligen Chassis) zu spielen, so dass am Ende möglichst alle zu übertragenden Frequenzen des Treibers mit weniger Phasendrehungen und damit nahezu zeitgleich wiedergegeben werden. Ausführliche Versuche mit der Phasenkorrektur haben gezeigt, dass man insbesondere zu tieferen Frequenzen hin (Tiefton, Mitteltiefton) vorsichtig sein und keinen zu hohen Wert für die Güte wählen sollte, da es dadurch zu unerwünschten Effekten wie z.B. einem Preringing kommen kann. Im Ringen um die absolute Zeitrichtigkeit gilt es, das geeignete Maß zu wahren, da man schon allein aufgrund des „Phasenrauschens“ nicht auf eine perfekte Phase Null kommen kann.
Die Pulsantwort einer Messung von Chassis und Weiche gefaltet mit reversiertem Allpass belohnt die Mühe mit einer verbesserten Symmetrie:
Dabei kommt es auch hier nicht darauf an, dass es perfekt symmetrisch wird. Das reale System lässt sich nicht dazu zwingen. Zumindest nicht allein mit dem Hilfsmittel eines einfachen und gutmütigen Allpasses zweiter Ordnung.
Wie schaut das oben beschriebene Vorgehen denn nun für ein Mehrwegesystem aus?
Als Beispiel dient einmal Holgers aktives 6-Wege-System, gemessen am Hörplatz ohne Allpasskorrektur, aber mit Zeitabgleich der Treiber:
Und dasselbe nun inkl. Phasenkorrektur der jeweiligen Chassis mit individuellen Allpässen:
Der Phasenverlauf sieht definitiv wesentlich freundlicher aus und das bei einem vorab nicht linearisierten System mit aufwändigen 6 Wegen pro Stereokanal und dadurch bedingten mehrfachen Überschneidungen der Phasenverläufe bei Verwendung flach verlaufender Besselfilter.
Anzumerken ist, dass natürlich noch restliche Phasendrehungen verbleiben. Diese sehen umso ausgeprägter aus, je mehr Phasendrehungen verursachende Reflexionen im Raum vorhanden sind. Daher ist es sinnvoll, diese vorher soweit als möglich durch entsprechende Absorber/Diffusoren zu reduzieren.
Viele Grüsse und ein frohes Schaffen
Uli