Ja, es ist soweit. Ich bin durch - fast ein Jahr hat es gedauert.
Nachdem ich mit dem Schreiben der Einzelbesprechungen weit hinter meinen Höreindrücken zurückhing, habe ich es aufgegeben und mich entschlossen, nur noch ein Gesamtfazit zu schreiben. Ist vermutlich auch mehr als ausreichend - zumal sich die Kommunikation über die Interpretationen mehr über emails im Hintergrund als hier im Forum abspielte.
Danke an dieser Stelle für eure Tipps und Anregungen!
Meine Vorgehensweise beim Abhören hatte sich zudem nach etwa 1/3 der Sonaten geändert: auch wenn ich die Gesamtausgaben besitze, habe ich mich nicht mehr konsequent der Mühe unterzogen, sie auch alle komplett zu hören. Pianist(inn)en, deren Interpretationen für meine Ohren nicht kompatibel waren (und innerlich eher als langweilig von mir wahrgenomen wurden), habe ich nur noch stichprobenartig gehört.
Ich will hier auch keine einzelnen Sonaten mehr mit ihren herausragenden Einzelinterpretationen hervorheben, sondern mit einer Empfehlung für mehrere Gesamtausgaben abschließen.
Natürlich gehen dabei schöne exemplarische Einzelinterpretationen unter, zumal nicht jeder Pianist auch alle Sonaten eingespielt hat. Wunderbare Aufnahmen wie die von Sokolov, Richter, Lupu, Hewitt, Solomon, Feinberg, Rubinstein, Siiralla, Pizarro oder ABM bleiben dadurch (ungerechterweise) hier unerwähnt.
Gleich mehrere Gesamtausgaben also?
Ja. Denn diese Sonatenwelt ist so vielfältig, dass es mir auch jetzt nach wiederholtem Hören unmöglich erscheint, nur DIE eine Box für die einsame Insel zu empfehlen.
Interessant: wie bereits Brendel immer wieder betont hat, gibt es keine "schwache" Sonate in diesem Klavierkosmos. Alle haben ihre Berechtigung und wer sich nur die angeblichen Highlights wie 8,14,21 oder die letzten Sonaten anhört, verschenkt wahre Juwelen der Musikliteratur.
Man kann sich natürlich mühsam die spannendsten Einzelinterpretationen zulegen. Diese wird jeder Musikinteressierte am Ende ohnehin auch in seiner Sammlung stehen haben.
Auch werden die meisten von uns mit den Ausgaben von Schnabel, Barenboim, Brendel oder Gulda (wie bei mir - in der schrecklichen schwarzen AMADEO-Vinyl-Pappbox von Zweitausendeins) an diese Sonaten herangeführt worden sein oder die 30-32 mit Pollini als ihre ersten wunderbaren Erfahrungen auf diesen Klavierolymp bis heute schätzen und lieben.
Doch viele dieser Aufnahmen höre ich nur noch selten, obgleich sie immer noch ihre Meriten haben. Zu stark haben andere Interpreten ihre interessanten Ansichten und Erkenntnisse auf Band eingespielt und die Interpretationsgeschichte vorangetrieben.
Also denn - welche Gesamtausgaben möchte ich empfehlen?
Zur Warnung hier noch einmal der Hinweis:
dies ist meine sehr subjektive, unwissenschaftliche, rein an meinem Hörgeschmack ausgerichtete Degustationsliste der Klaviersonaten Beethovens.
Und ja, viele andere Aufnahmen hätten hier auch genannt werden können (aber dann wäre es keine Empfehlung mehr, sondern eher eine Auflistung der verfügbaren guten Aufnahmen geworden).
Idealer Einstieg:
+ Schnabel: natürlich der ultimative Ausgangspunkt aller anderen Interpretationen. Auch heute noch ein Meilenstein in der Interpretationsgeschichte der Sonaten und sehr schön anzuhören - trotz des hohen Alters der Aufnahme und des sich über die Grenzen seines Könnens wagenden Pianisten.
Einsteiger (oder rein audiophile Hörer) können diese Aufnahme aber auch überspringen
+ Schiff: "mein" Dauerbrenner
+ Brendel (sowohl 1970-77 als auch (s.Abb.)1996 live)
+ Goode
+ Arrau
+ Lewis
+ Badura-Skoda (1969/70)
Als schöne Ergänzung oder Abrundung dazu noch:
+ Korstick, den Kommilitonen bereits Ende der 1970er Jahren an der Juilliard School „Dr. Beethoven“ gerufen haben und der wie Schiff ein sehr akribischer Quellenstudierer ist
+ Scherbakov. Für mich die größte Überraschung!
Sehr individuelle Zugänge (leider unvollständig) ermöglichen dann die beiden hier weiter empfohlenen Aufnahmen als einen Schuss Edelgewürz in der bereits schmackhaften Sonatensuppe:
+ Gould: ja, zeitweise singt und brummt er richtig laut mit und sein Stuhl knarzt deutlich unter dem Pianisten.
Dennoch: viel Erkenntnisgewinn und völlig andere Sichtweise. Wer sich darauf einlassen kann, wird seinen Spaß daran finden.
+ Gilels: ebenfalls fernab jeder Tradition. Individueller Zugang, spannende Wendungen, nie langweilig, oft un-erhört. Für mich die große Entdeckung in den letzten Monaten der Beschäftigung mit diesen wunderbaren Werken.
Vielen wird aufgefallen sein, dass die Levit-Aufnahme hier fehlt - obgleich ich sie mag.
Aus meiner Sicht werden seine Interpretationen der späten Sonaten zu sehr in den Fokus gestellt, die früheren dagegen eher unterschätzt (von einigen Mitforisten weiß ich, dass sie es ganu umgekehrt empfinden
).
Wenn man nur seine Interpretationen gegen die gängigen vergleicht, kann man schnell zu diesem Schluß gelangen (z.B. "wie spielt der denn den 3. Satz der 6. Sonate?").
Hört man sich jedoch seine hervorragende Podcast-Serie dazu an, werden seine Gedanken und Herleitungen um vieles klarer und nachvollziehbarer (gefallen muss es deshalb natürlich dennoch nicht).
Ich habe viel aus seinen Gesprächen und dem direkt anfolgenden Hören der Sonaten gelernt und möchte diese Kombination daher jedem empfehlen, der einen begleiteten, kommentierten (und für jeglichen Laien verständlichen) Einstieg zu den Sonaten sucht.
Es wäre hilfreich und sinnvoll, wenn SONY diese Kombi auch gleich in einer CD-Box anbieten würde
Eine Anmerkung noch zur Qualität der Booklets (falls überhaupt welche dabei liegen):
Beim Streaming werden ohnehin immer noch viel zu selten die booklets beigefügt - was für mich völlig unverständlich und ein massives Ärgernis ist.
Gute Texte fand ich vorallem bei Brendel (1996er Ausgabe) und Schiff (ich besitze die Einzelausgaben).
Und damit nun genug.
Habe fertig.
Beste Grüße
Jörg