Mozart "Cosi fan tutte" - ein Vergleich
Verfasst: 09.02.2021, 13:44
Hallo, Mozart-Freunde
zum Abschluss der Da Ponte-Trilogie von Mozarts Opern möchte ich euch gerne meine Einschätzungen zu den in den letzten Wochen gehörten Einspielungen der „Cosi fan tutte“ mitteilen (obwohl ich den Eindruck habe, das interessiert nicht wirklich. „Kabelklang“ scheint da viel bedeutsamer zu sein )
Zum Vergleich habe ich folgende Aufnahmen gehört (also nur einen kleinen Teil aus dem vielfältigen Opern-Katalog):
Busch, 1935
Böhm, 1955
Karajan, 1955
Böhm, 1962
Suitner, 1969 (deutsch)
Klemperer, 1971
Solti, 1974
Östman, 1984
Haitink, 1986
Levine, 1989
Gardiner, 1993
Solti, 1994
Jacobs, 1999
Honeck, 2006 (Salzburg, DVD)
Mackerras, 2008 (englisch)
Nézét-Seguin, 2012
Currentzis, 2013
Wie bei den beiden anderen Opernbesprechungen auch, ging es mir hier wieder im Wesentlichen um die Ensembleleistung (und nicht um glänzende Einzelleistungen), also inwieweit es der Interpretation gelingt, mich in das Geschehen „hineinzuziehen“. Eben der bekannte Fußwipp- und Hosenbodenfaktor.
Ich muss gestehen, dass ich diese Oper erst für mich (wieder-)entdecken musste, da ich sie früher nicht bzw. falsch verstanden habe. Die wunderbaren Melodien als auch der geistreiche Witz haben mir wohl die Sicht auf den satirischen Gehalt dieses Stückes verschleiert. Ironisch-komische Texte werden hier mit einer Musik voller Parodie und herrlich leidenschaftlichen Gefühlsausdrücken untermalt – ein Geniestreich! Diese psychologische Vertiefung, diese Vermenschlichung der Figuren – das habe ich für mich hier neu entdecken können.
„So machen es alle?“ Von wegen! An guten Cosi-Aufnahmen herrscht wahrlich kein Mangel.
Dennoch - besonders hörenswert sind für mich die beiden absoluten Klassiker aus den 50´er Jahren unter Böhm und Karajan, wobei die Böhm-Aufnahme auch noch hervorragend klingt. Beiden ist eine spannende, mitreißende Interpretation gelungen, die Böhm später so nie wieder erreichte (auch wenn die Rezensionen die 1962´er mit Lobeshymnen nur so überhäuften). Und Karajan? Ich weiß gar nicht, ob er danach noch eine aufgenommen hat. Bei dieser hier erweist er sich jedenfalls als Mozart-Connaisseur mit kammermusikalischen Ambitionen.
30 Jahre später hat dann Östman die etablierten Mozart-Ansätze gehörig auf den Kopf gestellt. Und das hört man!
Er dirigiert ungeheuer schnell, aber nie gehetzt, voller Schwung. Auch optisch (die Inszenierung von Östman/Decker gibt es alle recht preiswert als DVD bei arthaus) sehr gelungen.
„Östman setzte auf noch junge, überwiegend einheimische, Gesangstalente, so auch in dieser von Willy Decker 1984 inszenierten Produktion von Mozarts Cosi fan tutte. In dem kleinen Rokoko-Theater am Rande Stockholms leitete der Dirigent Arnold Östman seinen legendär gewordenen Mozart-Zyklus. Östman ist ein Vorkämpfer der heute weit verbreiteten „Originalklang“-Bewegung, die sich historischer Instrumente bedient und versucht, den Musizierstil des 17. und 18. Jahrhunderts wieder zu beleben.“ (Covertext)
Bei Jacobs und Currentzis werden die Aufnahmen dann zu regelrechten Hörspiel-Dramen! Beide interpretieren diese Oper sehr eigensinnig (basierend auf intensivem Studium der Partitur) – und genau das fasziniert mich ungemein. Gelangen doch beide dadurch zu interessanten Aspekten, die zumindest bei mir auch zu neuen Ansichten führten. Insbesondere die Behandlung der (oft irgendwie langweilig wirkenden) Rezitative gelingt ihnen außerordentlich gut und sind durch ihren kommentierenden Charakter weit mehr als Überbrückungen zwischen den Arien. Schon in den Anfangstakten der Ouvertüre ahnt man, wie unbequem und angriffslustig beide loslegen.
Das inzwischen wohl berühmte Halbszenische à la Jacobs wirkt einmal mehr als äußerst prägnant und unterhaltsam. Das Sängerensemble ist jung und lebendig. Hervorragend u.a. Veronique Gens als Fiordiligi mit schönem Ton und Bernarda Fink als Dorabella. Alles wirkt wie echtes Leben oder echtes Theater – keine Spur von Aufnahmestudio am Set.
Currentzis kann mit durchweg jungen russischen Streichern voller Energie und idealistischem Engagement aufwarten. Der Klang der Instrumente wirkt sehr präsent, wie „mittendrin“ im Geschehen, impulsiv und gleichzeitig voller Zartheit. Currentzis will keine „großen“, er will wirkliche Stimmen, die in sauberster Intonation Auskunft geben auch über Wesen, Alter, Herkunft der Menschen, aus denen sie strömen (so im Beiheft zu lesen).
Man höre sich nur mal das Terzett „Soave sia il vento“: das schwebt geradezu im Raum, wie der Wind. Unglaublich berührend!
„Currentzis dirigiert das Stück denn auch radikal, hochmanieriert, mit Lust an Übertreibungen, Gefühlsüberschwang, voller Überraschungen in Phrasierung, Dynamik und Agogik, mit extremen Tempi, aber immer glasklar und präzise bis ins kleinste Detail. Bei Currentzis ist der Mozart der „Cosi fan tutte“ aufmüpfig, „abgedreht“, wild, ja rebellisch, aber auch unendlich zärtlich und innig. Fabelhaft wie das Ausnahmeensemble Musica Aeterna spielt. Auch das junge Sängerensemble überzeugt ausnahmslos mit leichten, beweglichen Stimmen. Last but not least: Currentzis Primadonna, La Stupenda nuova Simone Kermes, längst nicht mehr nur „Crazy Queen of Baroque“ besticht mit ihrer Fiordiligi einmal mehr als beseelte Stimmakrobatin von höheren Gnaden. Die Aufnahme aus der östlichsten Millionenstadt Europas kurz vor dem Ural, wo für Currentzis die utopischste Musiker-truppe Europas installiert wurde, dreht allen Anbetern altehrwürdiger Mozarttradition eine Nase. Mag sein, Currentzis geht zu weit. Unter die Haut geht sein Mozart allemal.“ (Beilage der Deutschen-Mozart-Gesellschaft in CRESCENDO).
Fazit: Currentzis überzeugt mich als Mozart-Dirigent immer mehr!
Interessante Nebenbemerkung: Mackerras hat diese Oper auch in englischer Sprache aufgenommen. Ähnlich wie es in Deutschland früher durchaus üblich war, diese in deutsch zu singen und (von einigen unglücklichen Übersetzungen abgesehen) die recht überzeugend klingen konnten – wie Aufnahmen von Suitner (einem m.E.n. heute unterschätzten Dirigenten), Schmidt-Isserstedt, Gönnewein usw. beweisen.
Viele Grüße
Jörg
zum Abschluss der Da Ponte-Trilogie von Mozarts Opern möchte ich euch gerne meine Einschätzungen zu den in den letzten Wochen gehörten Einspielungen der „Cosi fan tutte“ mitteilen (obwohl ich den Eindruck habe, das interessiert nicht wirklich. „Kabelklang“ scheint da viel bedeutsamer zu sein )
Zum Vergleich habe ich folgende Aufnahmen gehört (also nur einen kleinen Teil aus dem vielfältigen Opern-Katalog):
Busch, 1935
Böhm, 1955
Karajan, 1955
Böhm, 1962
Suitner, 1969 (deutsch)
Klemperer, 1971
Solti, 1974
Östman, 1984
Haitink, 1986
Levine, 1989
Gardiner, 1993
Solti, 1994
Jacobs, 1999
Honeck, 2006 (Salzburg, DVD)
Mackerras, 2008 (englisch)
Nézét-Seguin, 2012
Currentzis, 2013
Wie bei den beiden anderen Opernbesprechungen auch, ging es mir hier wieder im Wesentlichen um die Ensembleleistung (und nicht um glänzende Einzelleistungen), also inwieweit es der Interpretation gelingt, mich in das Geschehen „hineinzuziehen“. Eben der bekannte Fußwipp- und Hosenbodenfaktor.
Ich muss gestehen, dass ich diese Oper erst für mich (wieder-)entdecken musste, da ich sie früher nicht bzw. falsch verstanden habe. Die wunderbaren Melodien als auch der geistreiche Witz haben mir wohl die Sicht auf den satirischen Gehalt dieses Stückes verschleiert. Ironisch-komische Texte werden hier mit einer Musik voller Parodie und herrlich leidenschaftlichen Gefühlsausdrücken untermalt – ein Geniestreich! Diese psychologische Vertiefung, diese Vermenschlichung der Figuren – das habe ich für mich hier neu entdecken können.
„So machen es alle?“ Von wegen! An guten Cosi-Aufnahmen herrscht wahrlich kein Mangel.
Dennoch - besonders hörenswert sind für mich die beiden absoluten Klassiker aus den 50´er Jahren unter Böhm und Karajan, wobei die Böhm-Aufnahme auch noch hervorragend klingt. Beiden ist eine spannende, mitreißende Interpretation gelungen, die Böhm später so nie wieder erreichte (auch wenn die Rezensionen die 1962´er mit Lobeshymnen nur so überhäuften). Und Karajan? Ich weiß gar nicht, ob er danach noch eine aufgenommen hat. Bei dieser hier erweist er sich jedenfalls als Mozart-Connaisseur mit kammermusikalischen Ambitionen.
30 Jahre später hat dann Östman die etablierten Mozart-Ansätze gehörig auf den Kopf gestellt. Und das hört man!
Er dirigiert ungeheuer schnell, aber nie gehetzt, voller Schwung. Auch optisch (die Inszenierung von Östman/Decker gibt es alle recht preiswert als DVD bei arthaus) sehr gelungen.
„Östman setzte auf noch junge, überwiegend einheimische, Gesangstalente, so auch in dieser von Willy Decker 1984 inszenierten Produktion von Mozarts Cosi fan tutte. In dem kleinen Rokoko-Theater am Rande Stockholms leitete der Dirigent Arnold Östman seinen legendär gewordenen Mozart-Zyklus. Östman ist ein Vorkämpfer der heute weit verbreiteten „Originalklang“-Bewegung, die sich historischer Instrumente bedient und versucht, den Musizierstil des 17. und 18. Jahrhunderts wieder zu beleben.“ (Covertext)
Bei Jacobs und Currentzis werden die Aufnahmen dann zu regelrechten Hörspiel-Dramen! Beide interpretieren diese Oper sehr eigensinnig (basierend auf intensivem Studium der Partitur) – und genau das fasziniert mich ungemein. Gelangen doch beide dadurch zu interessanten Aspekten, die zumindest bei mir auch zu neuen Ansichten führten. Insbesondere die Behandlung der (oft irgendwie langweilig wirkenden) Rezitative gelingt ihnen außerordentlich gut und sind durch ihren kommentierenden Charakter weit mehr als Überbrückungen zwischen den Arien. Schon in den Anfangstakten der Ouvertüre ahnt man, wie unbequem und angriffslustig beide loslegen.
Das inzwischen wohl berühmte Halbszenische à la Jacobs wirkt einmal mehr als äußerst prägnant und unterhaltsam. Das Sängerensemble ist jung und lebendig. Hervorragend u.a. Veronique Gens als Fiordiligi mit schönem Ton und Bernarda Fink als Dorabella. Alles wirkt wie echtes Leben oder echtes Theater – keine Spur von Aufnahmestudio am Set.
Currentzis kann mit durchweg jungen russischen Streichern voller Energie und idealistischem Engagement aufwarten. Der Klang der Instrumente wirkt sehr präsent, wie „mittendrin“ im Geschehen, impulsiv und gleichzeitig voller Zartheit. Currentzis will keine „großen“, er will wirkliche Stimmen, die in sauberster Intonation Auskunft geben auch über Wesen, Alter, Herkunft der Menschen, aus denen sie strömen (so im Beiheft zu lesen).
Man höre sich nur mal das Terzett „Soave sia il vento“: das schwebt geradezu im Raum, wie der Wind. Unglaublich berührend!
„Currentzis dirigiert das Stück denn auch radikal, hochmanieriert, mit Lust an Übertreibungen, Gefühlsüberschwang, voller Überraschungen in Phrasierung, Dynamik und Agogik, mit extremen Tempi, aber immer glasklar und präzise bis ins kleinste Detail. Bei Currentzis ist der Mozart der „Cosi fan tutte“ aufmüpfig, „abgedreht“, wild, ja rebellisch, aber auch unendlich zärtlich und innig. Fabelhaft wie das Ausnahmeensemble Musica Aeterna spielt. Auch das junge Sängerensemble überzeugt ausnahmslos mit leichten, beweglichen Stimmen. Last but not least: Currentzis Primadonna, La Stupenda nuova Simone Kermes, längst nicht mehr nur „Crazy Queen of Baroque“ besticht mit ihrer Fiordiligi einmal mehr als beseelte Stimmakrobatin von höheren Gnaden. Die Aufnahme aus der östlichsten Millionenstadt Europas kurz vor dem Ural, wo für Currentzis die utopischste Musiker-truppe Europas installiert wurde, dreht allen Anbetern altehrwürdiger Mozarttradition eine Nase. Mag sein, Currentzis geht zu weit. Unter die Haut geht sein Mozart allemal.“ (Beilage der Deutschen-Mozart-Gesellschaft in CRESCENDO).
Fazit: Currentzis überzeugt mich als Mozart-Dirigent immer mehr!
Interessante Nebenbemerkung: Mackerras hat diese Oper auch in englischer Sprache aufgenommen. Ähnlich wie es in Deutschland früher durchaus üblich war, diese in deutsch zu singen und (von einigen unglücklichen Übersetzungen abgesehen) die recht überzeugend klingen konnten – wie Aufnahmen von Suitner (einem m.E.n. heute unterschätzten Dirigenten), Schmidt-Isserstedt, Gönnewein usw. beweisen.
Viele Grüße
Jörg