Mozarts "Don Giovanni" - (m)ein subjektiver Überblick
Verfasst: 23.01.2021, 13:38
Hallo Opernfreunde,
nachdem ich hier viewtopic.php?f=17&t=12218 bereits über meine aktuelle Hörerfahrung zu Mozarts „Figaro“ berichtet habe, möchte ich dies nun ergänzen um Mozarts „Don Giovanni“.
Dieses Vergleichshören macht mir unglaublich viel Spaß, zumal ich dadurch das Werk viel intensiver erleben kann, da jedes Ensemble andere Ideen, Hervorhebungen, Herangehensweisen, Instrumente bis hin zu eigenmächtigen Ergänzungen bietet.
Gehört habe ich folgende Gesamtaufnahmen:
Busch, 1936
Walter, 1942
Rosbaud, 1950
Furtwängler, 1953
Mitropoulos, 1956
Krips, 1955
Fricsay, 1959
Giulini, 1959
Karajan, 1959
Solti, 1959
Klemperer, 1965
Böhm, 1967
Solti, 1978
Maazel, 1979
Abbado, 1998
Norrington, 1993
Gardiner, 1995
Harding, 2005
Jacobs, 2007
Mackerras, 2009
Nézét-Seguin, 2012
Currentzis, 2016
Überraschend war für mich, wie viele diese doch recht schwierige „Oper aller Opern“ (wie groß sind doch die Unterschiede zwischen 1. und 2. Akt dieses dramma giocoso) meistern. Und wie viele sehr gute Aufnahmen gerade in den 50´er und 60´er Jahren entstanden sind.
Da ich mit den Mozart-Aufnahmen von Otto Klemperer groß geworden bin, habe ich mit dieser Aufnahme auch begonnen (zumal ich seine hervorragende „Zauberflöte“ und den „Figaro“ nach wie vor sehr gerne höre). Kein Don Giovanni beginnt so düster und dramatisch wie dieser. (Anmerkung: die Ouvertüre selbst wurde von Fritz Reiner für mein Empfinden genial aufgenommen – leider ohne anschließende Gesamtaufnahme der Oper). Dirigentisch ein Meisterstück (okay – ich bin da ein wenig voreingenommen ), an Dämonie und Dramatik kaum zu überbieten. Ghiaurov als finster-dämonischer Titelheld verkörperte für mich neben Cesare Siepi (u.a. bei Mitropoulos und Krips) den „idealen“ Don Giovanni.
Von der Spielfreude her und auch sängerisch ist sie jedoch insgesamt der Carlo Maria Giulini-Aufnahme von 1959 unterlegen. Diese berühmte Aufnahme (und für mich auch nach fast 60 Jahren immer noch die empfehlenswerteste!) kam unter kuriosen Umständen zustande: ursprünglich war tatsächlich Otto Klemperer als Dirigent vorgesehen, die Aufnahmearbeiten hatten schon begonnen als Klemperer schwer erkrankte und abbrechen musste. So sprang kurzfristig der junge Giulini ein, der diese Oper zuvor noch nie dirigiert hatte!
Auch hier ist die Ouvertüre bereits ein kleines Meisterwerk, ohne jedoch an die Bedrohlichkeit, Wucht und Präzision Fricsays oder Buschs heranzukommen. Das Sängerensemble ist durchweg ausgezeichnet, wenn auch die Titelrolle mit dem sehr guten Eberhard Wächter den gefährlichen Charakter in der Stimme vermissen lässt. Die Balance zwischen „dramma“ und „giocoso“ wird in dieser Aufnahme – für meinen Geschmack – am schönsten umgesetzt.
Kurz vorher entstand die Fricsay-Aufnahme mit einem ebenfalls sehr homogenen Ensemble. Von vielen wird sie sogar als Referenzeinspielung gewertet. Dem kann ich mich nicht ganz anschließen, obgleich ich immer mehr diesen Dirigenten für mich zu entdecken beginne.
Sehr eindrucksvoll ist neben dem Dirigat das durchgehend sehr gute Theaterspiel und die Ensembleleistung. Es will sich jedoch so recht keine Italiana einstellen. Das mag vielleicht auch an den deutschen Sänger(inn)en liegen, die teilweise mit überdeutlich rollendem “R” singen. Unabhängig davon singen diese auf Top-Niveau und sind mit einem jungen Fischer-Dieskau, Seefried, Stader, Jurinac, Haefliger sehr gut ausgestattet.
Interessant sind ergänzend noch die alte Glyndbourne-Produktion von 1936 (!) unter Fritz Busch, der berühmte MET-Mitschnitt von 1942 unter Bruno Walter (die allerdings nur eine schlechte Klangqualität bietet) und die – das war eine schöne Neuentdeckung für mich – von Hans Rosbaud mit zügigen Tempi, hoher Transparenz und dramatischer Stringenz. Er hat sie mindestens 3mal zwischen 1950 und 1957 mit (auch sängerisch) unterschiedlichen Sängern aufgenommen.
Diesen sehr an brennender Lebenslust, an Dämonie und sozialer Sprengkraft orientierten Aufnahmen stellte sich 1955 mit Josef Krips erstmals wieder eine (Studio-)Produktion entgegen. Sie gibt der Komödienstruktur und der dramatischen Zuspitzung den Vorzug. Die Wiener Philharmoniker stellen mit den exzellenten Solisten wie Cesare Siepi (genial als Don Giovanni) und Lisa della Casa als Elvira eine sehr homogene Gesamtleistung. Sinnlich-emotionale Präsenz mit hoher Sogkraft, mit Tiefgang und Dramatik. Diese Aufnahme zieht einen unaufhaltsam in den Bann.
Auch Jacobs sei hier noch gebührend erwähnt, der viele kleine Ergänzungen vorgenommen hat und eine insgesamt sehr überzeugende Produktion ablieferte. Hier wird Don Giovanni nicht mehr als „tragischer Held, sondern als tragikomischer Versager“ interpretiert – wie Jacobs selbst im Booklet erläutert. Diese Aufnahme wirkt – zusammen mit den oft ungewöhnlich gewählten Tempi - insgesamt viel leichter, tänzerischer. Eine spannende Alternative!
Eine Aufnahme fehlt noch in meiner (subjektiven) Auflistung: und wie schon beim „Figaro“ hat auch hier die fulminante Neuinterpretation durch Teodor Currentzis das Schlusswort. Was für eine Aufnahme!! Wer sich darauf einlässt und nicht an alten Zöpfen festhält, wird hier viel Neues für sich entdecken können. Für mich gleichrangig mit der Giulini-Aufnahme (wenngleich die Sänger hier nicht ganz das Niveau wie bei dieser erreichen).
Auch hier begnüge ich mich mit einem Zitat, diesmal von BR Klassik (https://www.br-klassik.de/aktuell/br-kl ... i-100.html):
„… Teodor Currentzis nimmt vom ersten Takt an wörtlich, was in dieser Musik steckt. Er treibt Tempo, dynamische Kontraste, Phrasierung auf die Spitze. Er lebt am Pult das Draufgängertum Don Giovannis aus: Mit vollem Risiko ins nächste Abenteuer. Lieber daran zugrunde gehen als in sittlich reiner Mittelmäßigkeit und Langeweile erstarren.
… Dennoch nimmt Teodor Currentzis diese beiläufige Gattungsbezeichnung Dramma giocoso überaus ernst und überrascht mit manchem witzigen Einfall in den Rezitativen. Überhaupt die Rezitative: Während sie oft nur als Übergänge zwischen den Highlights angesehen werden, die man halt hinter sich bringen muss, lässt ihnen Currentzis mit seinen Musikern viel Sorgfalt angedeihen. Sie sind so lebhaft und natürlich gestaltet, dass einem die Szenerie auch ohne Bühnengeschehen, allein beim Anhören, ganz anschaulich vor Augen steht.
So ist diese neue CD, mit der Teodor Currentzis seine Trilogie der da-Ponte-Opern vollendet, kompromisslos in jeder Hinsicht: Die komplette Oper war nämlich bereits eingespielt, als Currentzis beim Abhören fand, dass das Ergebnis nicht seinen Vorstellungen entsprach. Er bestand darauf, alles noch einmal aufzunehmen. Es hat sich gelohnt…“
Viel Vergnügen,
Jörg
nachdem ich hier viewtopic.php?f=17&t=12218 bereits über meine aktuelle Hörerfahrung zu Mozarts „Figaro“ berichtet habe, möchte ich dies nun ergänzen um Mozarts „Don Giovanni“.
Dieses Vergleichshören macht mir unglaublich viel Spaß, zumal ich dadurch das Werk viel intensiver erleben kann, da jedes Ensemble andere Ideen, Hervorhebungen, Herangehensweisen, Instrumente bis hin zu eigenmächtigen Ergänzungen bietet.
Gehört habe ich folgende Gesamtaufnahmen:
Busch, 1936
Walter, 1942
Rosbaud, 1950
Furtwängler, 1953
Mitropoulos, 1956
Krips, 1955
Fricsay, 1959
Giulini, 1959
Karajan, 1959
Solti, 1959
Klemperer, 1965
Böhm, 1967
Solti, 1978
Maazel, 1979
Abbado, 1998
Norrington, 1993
Gardiner, 1995
Harding, 2005
Jacobs, 2007
Mackerras, 2009
Nézét-Seguin, 2012
Currentzis, 2016
Überraschend war für mich, wie viele diese doch recht schwierige „Oper aller Opern“ (wie groß sind doch die Unterschiede zwischen 1. und 2. Akt dieses dramma giocoso) meistern. Und wie viele sehr gute Aufnahmen gerade in den 50´er und 60´er Jahren entstanden sind.
Da ich mit den Mozart-Aufnahmen von Otto Klemperer groß geworden bin, habe ich mit dieser Aufnahme auch begonnen (zumal ich seine hervorragende „Zauberflöte“ und den „Figaro“ nach wie vor sehr gerne höre). Kein Don Giovanni beginnt so düster und dramatisch wie dieser. (Anmerkung: die Ouvertüre selbst wurde von Fritz Reiner für mein Empfinden genial aufgenommen – leider ohne anschließende Gesamtaufnahme der Oper). Dirigentisch ein Meisterstück (okay – ich bin da ein wenig voreingenommen ), an Dämonie und Dramatik kaum zu überbieten. Ghiaurov als finster-dämonischer Titelheld verkörperte für mich neben Cesare Siepi (u.a. bei Mitropoulos und Krips) den „idealen“ Don Giovanni.
Von der Spielfreude her und auch sängerisch ist sie jedoch insgesamt der Carlo Maria Giulini-Aufnahme von 1959 unterlegen. Diese berühmte Aufnahme (und für mich auch nach fast 60 Jahren immer noch die empfehlenswerteste!) kam unter kuriosen Umständen zustande: ursprünglich war tatsächlich Otto Klemperer als Dirigent vorgesehen, die Aufnahmearbeiten hatten schon begonnen als Klemperer schwer erkrankte und abbrechen musste. So sprang kurzfristig der junge Giulini ein, der diese Oper zuvor noch nie dirigiert hatte!
Auch hier ist die Ouvertüre bereits ein kleines Meisterwerk, ohne jedoch an die Bedrohlichkeit, Wucht und Präzision Fricsays oder Buschs heranzukommen. Das Sängerensemble ist durchweg ausgezeichnet, wenn auch die Titelrolle mit dem sehr guten Eberhard Wächter den gefährlichen Charakter in der Stimme vermissen lässt. Die Balance zwischen „dramma“ und „giocoso“ wird in dieser Aufnahme – für meinen Geschmack – am schönsten umgesetzt.
Kurz vorher entstand die Fricsay-Aufnahme mit einem ebenfalls sehr homogenen Ensemble. Von vielen wird sie sogar als Referenzeinspielung gewertet. Dem kann ich mich nicht ganz anschließen, obgleich ich immer mehr diesen Dirigenten für mich zu entdecken beginne.
Sehr eindrucksvoll ist neben dem Dirigat das durchgehend sehr gute Theaterspiel und die Ensembleleistung. Es will sich jedoch so recht keine Italiana einstellen. Das mag vielleicht auch an den deutschen Sänger(inn)en liegen, die teilweise mit überdeutlich rollendem “R” singen. Unabhängig davon singen diese auf Top-Niveau und sind mit einem jungen Fischer-Dieskau, Seefried, Stader, Jurinac, Haefliger sehr gut ausgestattet.
Interessant sind ergänzend noch die alte Glyndbourne-Produktion von 1936 (!) unter Fritz Busch, der berühmte MET-Mitschnitt von 1942 unter Bruno Walter (die allerdings nur eine schlechte Klangqualität bietet) und die – das war eine schöne Neuentdeckung für mich – von Hans Rosbaud mit zügigen Tempi, hoher Transparenz und dramatischer Stringenz. Er hat sie mindestens 3mal zwischen 1950 und 1957 mit (auch sängerisch) unterschiedlichen Sängern aufgenommen.
Diesen sehr an brennender Lebenslust, an Dämonie und sozialer Sprengkraft orientierten Aufnahmen stellte sich 1955 mit Josef Krips erstmals wieder eine (Studio-)Produktion entgegen. Sie gibt der Komödienstruktur und der dramatischen Zuspitzung den Vorzug. Die Wiener Philharmoniker stellen mit den exzellenten Solisten wie Cesare Siepi (genial als Don Giovanni) und Lisa della Casa als Elvira eine sehr homogene Gesamtleistung. Sinnlich-emotionale Präsenz mit hoher Sogkraft, mit Tiefgang und Dramatik. Diese Aufnahme zieht einen unaufhaltsam in den Bann.
Auch Jacobs sei hier noch gebührend erwähnt, der viele kleine Ergänzungen vorgenommen hat und eine insgesamt sehr überzeugende Produktion ablieferte. Hier wird Don Giovanni nicht mehr als „tragischer Held, sondern als tragikomischer Versager“ interpretiert – wie Jacobs selbst im Booklet erläutert. Diese Aufnahme wirkt – zusammen mit den oft ungewöhnlich gewählten Tempi - insgesamt viel leichter, tänzerischer. Eine spannende Alternative!
Eine Aufnahme fehlt noch in meiner (subjektiven) Auflistung: und wie schon beim „Figaro“ hat auch hier die fulminante Neuinterpretation durch Teodor Currentzis das Schlusswort. Was für eine Aufnahme!! Wer sich darauf einlässt und nicht an alten Zöpfen festhält, wird hier viel Neues für sich entdecken können. Für mich gleichrangig mit der Giulini-Aufnahme (wenngleich die Sänger hier nicht ganz das Niveau wie bei dieser erreichen).
Auch hier begnüge ich mich mit einem Zitat, diesmal von BR Klassik (https://www.br-klassik.de/aktuell/br-kl ... i-100.html):
„… Teodor Currentzis nimmt vom ersten Takt an wörtlich, was in dieser Musik steckt. Er treibt Tempo, dynamische Kontraste, Phrasierung auf die Spitze. Er lebt am Pult das Draufgängertum Don Giovannis aus: Mit vollem Risiko ins nächste Abenteuer. Lieber daran zugrunde gehen als in sittlich reiner Mittelmäßigkeit und Langeweile erstarren.
… Dennoch nimmt Teodor Currentzis diese beiläufige Gattungsbezeichnung Dramma giocoso überaus ernst und überrascht mit manchem witzigen Einfall in den Rezitativen. Überhaupt die Rezitative: Während sie oft nur als Übergänge zwischen den Highlights angesehen werden, die man halt hinter sich bringen muss, lässt ihnen Currentzis mit seinen Musikern viel Sorgfalt angedeihen. Sie sind so lebhaft und natürlich gestaltet, dass einem die Szenerie auch ohne Bühnengeschehen, allein beim Anhören, ganz anschaulich vor Augen steht.
So ist diese neue CD, mit der Teodor Currentzis seine Trilogie der da-Ponte-Opern vollendet, kompromisslos in jeder Hinsicht: Die komplette Oper war nämlich bereits eingespielt, als Currentzis beim Abhören fand, dass das Ergebnis nicht seinen Vorstellungen entsprach. Er bestand darauf, alles noch einmal aufzunehmen. Es hat sich gelohnt…“
Viel Vergnügen,
Jörg