Sensorregelung: Verfahren, Messung und Hörbarkeit

uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Betreff Regelung:

ich selbst hab mich bisher nicht mit der Regelung eines Chassis befasst und bin derzeit noch etwas konfus. Weil ich im Schubladendenken meiner Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich der Lageregelung von Maschinen gefangen bin.

Also zuerst einmal: was beschreibt die wav-Datei eigentlich? Eine zeitliche Folge von Amplituden. Ich geh davon aus dass das Signal der Position der Membran entspricht. Ein Signal mit einem konstanten Sprung sollte dann zu einem konstanten Hub des Chassis führen. Oder?

Demzufolge wäre dann unser Musiksignal eine Lagesollwertgröße.

Für ein daraus folgendes Lageregelungssystem gilt für mich dasselbe wie bei allen anderen Lageregelungssystemen. Um es vernünftig zu machen wird das System mit mehreren unterlagerten Regelkreisen aufgebaut. D.h. unterhalb der Lageregelung gibt es eine Geschwindigkeitsregelung und darunter eine Beschleunigungsregelung. Letztere entspricht bei Motoren auch der Stromregelung.
Jeder Regelkreis besitzt dann einen Messwertgeber (bezüglich Zustandsgrössenbeobachter mit abgeleiteten bzw. geschätzten Messgrössen ist seltenst etwas in der Praxis zu finden, damit quält man die Studenten in der Vorlesung). Natürlich gibt es dann auch einen Regler, welcher auch bei modernsten Maschinen relativ simpel ist. Also Stromregelung mit PI-Regler, dasselbe bei Geschwindigkeitsregelung. Der I-Anteil sorgt einfach dafür dass keine bleibende Regelabweichung auftritt. Der Lageregler braucht aufgrund des integrierenden Charakters der Regelstrecke nur einen P-Anteil (proportional-Anteil bzw. eine simple Verstärkung der Regelabweichung).

Bei derart gestalteten Regelkreisen ergibt sich bei einer maximalen Verstärkung des Lagereglers (darüber hinaus wird das System schwingfähig) ein Schleppabstand s = v/g (s=Schleppabstand, V=Geschwindigkeit, g= Gain [meisten als kv Kreisverstärkung bezeichnet]). Was de facto schon einen gewissen Nachteil der Regelung aufzeigt: auch wenn man s so klein wie möglich zu machen versucht, es ergibt sich bei Änderungen der Führungsgrösse, hier Lagesollwert, immer eine Abweichung!

Jeder überlagerte Regelkreis ist immer langsamer als der untergeordnete. Um z.B. bei hochdynamischen Maschinen eine Verbesserung für den Schleppabstand hinzubekommen wird parallel zu den einzelnen Regelkreisen eine Vorsteuerung aufgeschaltet. D.h. dass nicht der Lageregler allein die Geschwindigkeit berechnet, sondern dass am Regler vorbei eine Geschwindigkeit als Führungsgrösse aufgeschaltet wird. Wir könnten hier ja z.B. das wav-Signal differenzieren mit dem Ergebnis den Geschwindigkeitsregler füttern (Geschwindigkeitsvorsteuerung). Und das klappt auch mit der Beschleunigung und der hieraus resultierenden Beschleunigungsvorsteuerung.

Zuletzt gibt es in der Aufbereitung des Lagesollwerts heute noch eine Look-Ahead-Logik, welche erkennt, dass die Regelstrecke nicht in der Lage ist, das geforderte Verhalten aufzubringen. Dann wird das Führungssignal (Lage, Geschwindigkeit,Beschleunigung) so beinflusst, dass eben langsamer gefahren wird und damit das Ziel erreicht wird. Dies ist bei Lautsprechern nicht machbar, die Einhaltung des Zeitablaufs ist ein Muss.

So, das war nun ein längerer Text über Lageregelung wie ich sie verstehe. Nun finde ich aber nicht wirklich eine Beschreibung über geregelte Chassis die dieser Standardstruktur entspricht. Meines Erachtens macht es aber z.B. nicht wirklich Sinn, die Position der Membran zu messen und zu regeln, wenn nicht die Struktur darunter angepasst ist. Also müsste man doch erst einmal den Strom regeln (vielleicht tut das ja schon ein gegengekoppelter Verstärker). Irgendwo muss der Strom dann ja auch gemessen werden. Ich meine dann aber auch den Strom im Chassis und nicht vor der Frequenzweiche. Und dasselbe wäre dann mit der Membrangeschwindigkeit durchzuführen. Und wenn eben diese Regelkreise passen, dann gibt es die Lageregelung obendrauf.

Tja, vielleicht seh ich das als Maschinenbauer zu schlicht, ich kann eben nicht locker ein Regelkonzept aus einem Schaltplan ablesen. Nichtsdestotrotz würde ich mal gerne wissen, wer so ein Konzept einer Lageregelung bei LS-Chassis mal durchgängig aufgebaut hat.

Gert, ich vermute, Du könntest hier weiter aufklären.

Grüsse, Uli
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Uli,
uli.brueggemann hat geschrieben:Was passiert eigentlich, wenn Du auf ASIO Control klickst?
nichts. Kein neues Fenster oder so. Gar nichts.

Gruß Gert
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Gert, dann findet das AcourateLSR den ASIO-Treiber erst gar nicht.

Da weiss ich aber auch nicht weiter, weil ansonsten müsste ich das erst mal mit Hardware und ASIO-Treiber debuggen. Ich vermute trotzdem, dass da was bei der Soundkarte nicht passt. Andere Soundkarten tun es einwandfrei.

Sorry.

Uli
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Uli,
uli.brueggemann hat geschrieben:Ich geh davon aus dass das Signal der Position der Membran entspricht. Ein Signal mit einem konstanten Sprung sollte dann zu einem konstanten Hub des Chassis führen. Oder?
das ist in der Tat hier etwas anders: Das Musiksignal entspricht dem gewünschten Schalldruck. Und der Schalldruck ist proportional zur Beschleunigung der Membran, zumindest, wenn es sich um einen idealen Kolbenstrahler handelt. Das ist aber mit hinreichend guter Näherung bei einem Konus- oder Kalottenlautsprecherchassis erfüllt.

Stell' Dir das bitte anschaulich vor: Wenn die Lage der Membran einen Schalldruck hervorrufen würde, würde dieser bestehen bleiben, wenn ich die Lautsprecherbox 10cm weiter nach vorne schiebe. Das widerspricht der Erfahrung.

Die Stellgröße ist also bereits die Beschleunigung. Hat man einen Sensor, der diese liefert, ist man schnell fertig mit dem Regelkreis.

Der Strom, den die Endstufe liefert, ist betrüblicherweise nicht gleich der Beschleunigung. Sonst könnte man sich die Membran-Regelung tatsächlich sparen, denn eine stromgegengekoppelte Endstufe könnte den Strom dann regeln. Der Strom ist zwar für die antreibende Kraft verantwortlich - Magnetfeld mal Länge des Leiters mal Strom gibt diese Kraft. Dem wirkt die träge Masse der Membran entgegen - F=m*a, Masse mal Beschleunigung. Das ist das, was Du mit Strom verantwortlich für Beschleunigung meintest. Soweit, so klar, denke ich. Der antreibenden Kraft wirken aber noch zwei weitere Kraft-Komponenten entgegen: Reibung (inkl. Luftwiderstand) mal Geschwindigkeit und Federsteife (Gehäuse plus Aufhängung) mal Weg. Die erste Komponente (Masse) ist also mit der Beschleunigung verknüpft, die zweite (Reibung) mit der Geschwindigkeit und die dritte (Federsteife) mit der Lage der Membran. Die Beschleunigung ist die Änderung (Ableitung) der Geschwindigkeit, die Geschwindigkeit die Änderung des Ortes über der Zeit. Eine klassische Differenzialgleichung zweiter Ordnung kommt da raus, gut bekannt als Schwingungsdifferenzialgleichung von allem, was irgendwie schwingen kann, Pendel, Masse mit Feder etc.

Man kann diese Schwingungdifferenzialgleichung übrigens sehr gut elektrisch nachbilden, was ich schon oft gemacht habe. Alle 20 aktiven Verstärker meines Heimkinos sind deshalb als Stromquellen ausgeführt, und davor findet sich jeweils eine Analogrechnerschaltung, die genau die Inverse dieser Differenzialgleichung bildet. Das funktioniert so weit recht ordentlich.

Eine Membranregelung kann aber noch mehr als eine solche Steuerung. Die Steuerung ist ja genau auf das jeweilige Chassis mit seinen Koeffizienten abgeglichen. Diese Koeffizienten ändern sich aber mit der Temperatur, dem Luftdruck, der Alterung von Sicken und Zentrierspinnen. Die Regelung bügelt das locker weg.

Bis hierher haben wir aber nur über lineare Effekte gesprochen, also alles, was vom Verhalten gleich bleibt, wenn ich die Aussteuerung verändere. Vielleicht hast Du als Maschinenbauer schon gestutzt, als ich oben den Term "Luftwiderstand mal Geschwindigkeit" angesetzt habe. Wo doch jeder Autobauer weiß, dass der Luftwiderstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit steigt. Für die kleinen Werte, die hier auftreten, ist die Proportionalität zwar eine gute Näherung, aber eben nur eine Näherung. Und nur dieser kleine Term mit dem Luftwiderstand ist nebenbei bemerkt für die Schallabstrahlung zuständig. Weshalb übrigens Hörner so knackig klingen, weil hier nur sehr kleine Membrangeschwindigkeiten für einen guten Wirkungsgrad nötig sind. Aber auch die Federsteife ist keinesfalls linear: es leuchtet ja sofort anschaulich ein, dass die Steife nahezu unendlich wird, wenn die Sicke ihre maximal mögliche Auslenkung erreicht hat. Und es gibt noch weitere Nichtlinearitäten, das Magnetfeld ändert sich mit der Auslenkung etc.

All diesen Nichtlinearitäten kann eine Membranregelung entgegen wirken. Kompliziert wird es natürlich, wenn der Sensor selbst von Nichtlinearitäten geplagt ist. Aber es ist zumindest möglich, einen Sensor so zu bauen, dass er im Arbeitsbereich eine erheblich höhere Linearität besitzt als das Chassis, das geregelt werden soll.
uli.brueggemann hat geschrieben:Gert, ich vermute, Du könntest hier weiter aufklären.
Hoffentlich habe ich nicht weitere Verwirrung gestiftet mit dem etwas tieferen Einstieg in die Lautsprecherphysik.

Zum Nebenschauplatz Soundtreiber und Acourate:
Andere Soundkarten tun es einwandfrei.
Na da hab' ich aber Glück gehabt mit der Wahl meiner Soundkarte :cheers:.

Viele Grüße
Gert
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Franz
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Beitrag von Franz »

Hallo Rainer,

zunächst mal: Du störst hier in keinster Weise. Wenn ich die Wirkung der Sensoregelung bei Silbersand in dem Fehlen eines Eigenklangs der Lautsprecher sehe und höre, dann beruht mein Höreindruck - was anderes kann ich leider nicht bieten - auf vergleichendes Hören verschiedenster Aktivlautsprecher. Ob das nun meinerseits reine Spekulation ist, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen, ich nehme es so wahr. Dieses Gefühl der "Echtheit der Klänge" stellt sich nun mal bei mir über eine Silbersand stärker ausgeprägt als bei anderen ein. Das mag ja bei anderen anders sein, bei mir ist es jedenfalls so. Für meinen Höreindruck möchte ich mich auch nicht entschuldigen wollen oder gar rechtfertigen, er stellt sich einfach ein.

Ich sage auch nicht, daß eine Sensorregelung ein unbedingtes "Muß" im Lautsprecherbau sei, es ist eben Müllers Ansatz, einen rein auf analoger Ebene spielenden Lautsprecher zu bauen, der vollaktiv und ohne digitale Helferlein auskommt. Ich gebe auch freimütig zu, daß ich baff erstaunt war, als digitale Helfer nachträglich davorgeschaltet wurden und was das dann im Zusammenspiel mit dem Raum angestellt hat. Was für mich unter'm Strich zählt, ist, was ich am Hörplatz zu hören bekomme und inwieweit das dann meinen Klangvorstellungen nahekommt.

Andere Lautsprecherbauer gehen andere Wege - und sie finden auch ihre Anhänger. Ich seh das ganz entspannt. :cheers:

Gruß
Franz
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Gert,

wenn das Musiksignal eben besagten Sprung aufweist, was eigentlich neben dem Übergang nichts anderes als einen DC-Anteil meint, dann bleibt das Chassis doch ausgelenkt? Dass der Schalldruck dabei nicht konstant bleibt ist schon klar. In diesem Fall wären doch dann aber Membranbewegung (mit DC) und Schalldruck (nur AC)voneinander entkoppelt und somit wäre der Schalldruck doch nicht die Regelgrösse?

Ok, nehmen wir trotzdem mal die Beschleunigung als Regelgröße. Mit den von Dir geschilderten Einflüssen aus Reibung, Federkraft ... liegen dann Störgrößen vor. Die geschilderte Vorbeschaltung verbessert natürlich das Verhalten, ist aber wie Du ja auch schilderst eine Vorsteuerung.

Also ist sinnvollerweise ein Beschleunigungssensor gefragt. Dann wären Messung der Geschwindigkeit als auch der Lage nicht erforderlich. Trotzdem scheint es diese Konzepte zu geben?. Wie erklärt sich das? An welcher Stelle greifen die Daten für Geschwindigkeit und Lage bzw. deren Ableitungen wiederum ein? Und gibt es ein Prinzipbild der Regelung?

Grüsse, Uli
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Kienberg
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Beitrag von Kienberg »

Franz hat geschrieben: "Na, ist doch echt irre, oder?" - worauf er nur erwiderte: "Nein, irre echt!" Im Gegensatz zu mir konnte er die Instrumente an ihrem typischen Eigenklang erkennen und meinte, sooo habe er diese Instrumente nur in echt auf der Bühne vernehmen können. Der Klang sei frappierend echt.
Hallo Franz,

Deine treffliche Schilderung erinnert mich an viele Erlebnisse, die ich immer wieder mit Besuchern hatte, die bei mir zum ersten mal einen sensorgeregelten Lautsprecher hörten, selbst ein Toningenieur mit eigenem Studio (Spezialist für Geistliche Musik) kam aus dem Staunen nicht heraus, und lobte die überaus realistische, detailgenaue Wiedergabe der Klangfarben meiner FM 401.
Und ich behaupte gar, daß genau das etwas ist, woran man sich erst gewöhnen muß. Das kennt man nämlich so in seiner Ausgeprägtheit kaum.
So kenne ich das auch, manche Hörer, die den Liveklang akustischer Instrumente nicht so im Ohr haben, sind erst mal ganz schön "irritiert".

Übrigens, gerade auch dieser Effekt hat ja H.J.Nisius, unter anderem, dazu bewogen, sein Buch zu schreiben.

Gruss Sigi
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Franz
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Beitrag von Franz »

Kienberg hat geschrieben:selbst ein Toningenieur mit eigenem Studio (Spezialist für Geistliche Musik) kam aus dem Staunen nicht heraus,
Ging Winfried Dunkel so auch bei mir. Er hat in Bonn ja auch ein sehr feines Tonstudio, hört mit dem neuen aktiven Manger-Monitor, penibelst eingemessen von Daniela Manger, was dort auch ganz hervorragend tönt, hab ja hier einen Hörbericht darüber eingestellt. Nun darf ich von Toningenieuren erwarten, daß sie ein geschultes Ohr haben, schon von Berufs wegen, und was soll ich sagen: Er saß bei mir im Keller und meinte nur: superb. Das ist dann doch noch ne andere Klangliga. Ich führe diese Beispiele auch nicht an, um mir irgendwie was um den Bart zu schmieren, wird ja oft so interpretiert, sondern weil das Urteil von Leuten kommt, die sehr wohl wissen, wie eine weitgehend authentische Wiedergabe tönen soll. Die hören ganz anders zu als der gemeine Zuhörer bzw. kennen das Original. Ich hatte auch mal einen Klavierspezialisten zu Gast. Der konnte mir auf Anhieb sagen, um welche Art von Klavier es sich handelte, also, ob da ein Yamaha spielte, ein Steinway, Bösendorfer, etc. Das war sagenhaft, wie sicher er das auf die Schnelle bezeichnen konnte. Auf meine Frage, wie er das kann, meinte er: "Der Eigenklang, die Dämpfung. Hier klingt's sehr echt." Darüber darf man sich dann freuen.

Gruß
Franz
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Uli,
uli.brueggemann hat geschrieben:wenn das Musiksignal eben besagten Sprung aufweist, was eigentlich neben dem Übergang nichts anderes als einen DC-Anteil meint, dann bleibt das Chassis doch ausgelenkt? Dass der Schalldruck dabei nicht konstant bleibt ist schon klar.
es bleibt bei einem ungeregelten System ausgelenkt und produziert dabei den Schalldruck Null. Würde man nun den Regelungsgedanken bis DC durchziehen, müsste man die Membran immer weiter beschleunigen, um diesen DC-Anteil des Signals als Schalldruck umzusetzen. Das ist natürlich Unsinn, denn ein DC-Anteil im Signal kommt ja nicht von einem DC-Schalldruck, sondern sind Artefakte der Signalbearbeitung. Deshalb muss es eine sinnvolle untere Grenzfrequenz geben, bei der man aufhört, dem Signal in Form von Membranbeschleunigung zu folgen.
uli.brueggemann hat geschrieben:Ok, nehmen wir trotzdem mal die Beschleunigung als Regelgröße. Mit den von Dir geschilderten Einflüssen aus Reibung, Federkraft ... liegen dann Störgrößen vor. Die geschilderte Vorbeschaltung verbessert natürlich das Verhalten, ist aber wie Du ja auch schilderst eine Vorsteuerung.

Also ist sinnvollerweise ein Beschleunigungssensor gefragt. Dann wären Messung der Geschwindigkeit als auch der Lage nicht erforderlich. Trotzdem scheint es diese Konzepte zu geben?. Wie erklärt sich das?
Ganz einfach durch die wenigen sinnvoll einsetzbaren Sensoren. Klar, ein Beschleunigungssensor wäre schön. Da gibt es:

1. Piezos
  • Ein dünnes Plättchen, das man zentral auf die Membran (oder Staubschutzkalotte) kleben kann. Bringt etwas Masse mit, was das Verfahren für Hochtöner sofort unbrauchbar macht. Für Tieftöner geht das, aber leider zeigt der piezoelektrische Effekt eine Hysteresekurve, die das Verfahren unbrauchbar macht. Macht auch gerne Resonanzprobleme.
2. Polarisierte Folien
  • Sie zeigen keine Hysterese, aber auf diese muss eine zusätzliche Masse aufgebracht werden, damit eine vernünftige Messgröße rauskommt. Diese Masse beschränkt den Einsatz wiederum auf tiefere Frequenzlagen. Sie darf auch nicht zu einem Eigenresonanzverhalten im Nutzfrequenzbereich führen.
3. Beschleunigungs-Sensorchips
  • Das war das mieseste aller Verfahren, mit denen ich bisher experimentiert habe. Ihre Masse ist zwar recht gering, aber die Dinger haben nicht die geforderte Dynamik. Das liest sich zwar so im Datenblatt, als ob das der Fall wäre, aber wenn man so ein Teil in die Regelschleife nimmt, kommt ein Geräusch aus dem Lautsprecher, das an einen Maschinenraum erinnert.
4. Messmikrofon
  • Misst eigentlich nicht die Beschleunigung, sondern tatsächlich den Schalldruck, der abgestrahlt wird. Was allerdings direkt an der Membran nicht unbedingt genau das Gleiche ist. Ein winziges Messmikro vorne auf die Membran geklebt ist recht gut geeignet. Ok, bringt etwas Masse mit. Und - ganz wichtig - muss mit der Empfängermembran senkrecht zur Bewegungsrichtung aufgebracht werden, damit sich nicht zum Schalldruck auch noch die bewegungsinduzierte Membranspannung überlagert. Hat eine größere Phasenverschiebung zum Ansteuersignal als direkte Beschleunigungsmesser und damit eine begrenzte obere Grenzfrequenz. Es ist aufgrund der einfachen Realisierbarkeit das beliebteste DIY-Verfahren.
Das war's schon, was mir an Beschleunigungs-Sensoren einfällt (hab' sicher noch was vergessen). Alle genannten Verfahren sind nur bedingt für Lautsprecher geeignet. Sehr genau messen lässt sich dagegen die Geschwindigkeit. Eine Sensorspule, deren Wicklung ein Magnetfeld mehr oder weniger schneidet, gibt ein solches Geschwindigkeitssignal. Ist im Grunde ein MC-Tonabnehmer und hat sich im Bass- und Mitteltonbereich durchgesetzt. Bei Silbersand werden solche Sensoren auch beim Hochtöner eingesetzt, siehe Sigis animierte Darstellung.
uli.brueggemann hat geschrieben:An welcher Stelle greifen die Daten für Geschwindigkeit und Lage bzw. deren Ableitungen wiederum ein?
Das wird anders gemacht, es wird gar nicht abgeleitet. Ableiten (Differenzieren) ist immer problematisch. Die gute alte Philips-Regelung hat das allerdings trotzdem gemacht und unter anderem deshalb nur in einem sehr kleinen Frequenzbereich bei mäßiger Gegenkopplungswirkung funktioniert. Weil sie, vermute ich, nicht auf folgende Idee kamen: Wenn man das Geschwindigkeitssignal schon mal hat, warum dann nicht auch direkt die Geschwindigkeit regeln. Dafür wird das Musiksignal integriert! Das ist erheblich schlauer, denn ein Integrierer ist analog oder auch digital eine ganz einfache Übung. Regelt man die Membran also auf die Geschwindigkeit und versorgt dieses System mit einem integrierten Musiksignal, kommt am Ende wieder ein Schalldruck raus, der zum ursprünglichen (nicht integrierten) Signal proportional ist. Genau was man will.

Der Vorteil gut gemachter Geschwindigkeitsaufnehmer ist, dass sie sehr leicht und damit auch für Hochtöner geeignet sein können (siehe Silbersand) und dabei ein ordentliches Signal liefern. Macht man die Spulen plus Magnetfelder entsprechend groß in ihrer räumlichen Ausdehnung, wird's zwar schwerer, aber damit auch für einen langhubigen Tieftöner geeignet.
uli.brueggemann hat geschrieben:Und gibt es ein Prinzipbild der Regelung?
Hab' ich grade keins in der Schublade, aber es ist denkbar einfach im gerade beschriebenen Fall:

Signal -> Integrierer -> Vergleich Soll-Ist -> linearer Regelverstärker -> Lautsprecher mit Sensor, der das Ist-Signal liefert

Viele Grüße
Gert
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Fortepianus hat geschrieben:Weil sie, vermute ich, nicht auf folgende Idee kamen: Wenn man das Geschwindigkeitssignal schon mal hat, warum dann nicht auch direkt die Geschwindigkeit regeln. Dafür wird das Musiksignal integriert! Das ist erheblich schlauer, denn ein Integrierer ist analog oder auch digital eine ganz einfache Übung. Regelt man die Membran also auf die Geschwindigkeit und versorgt dieses System mit einem integrierten Musiksignal, kommt am Ende wieder ein Schalldruck raus, der zum ursprünglichen (nicht integrierten) Signal proportional ist. Genau was man will.
Hallo Gert,

soweit klar. Fallstricke wären m.E. dabei noch:
- Das Musiksignal sollte dann aber unbedingt keinen Gleichspannungsanteil aufweisen von wegen des Integrierens.
- Der Geschwindigkeitsregelkreis ist als übergeordneter Regelkreis eben langsamer. Das System darunter ist dann doch wieder eine Steuerstrecke. Solange das aber schnell genug ist ... :cheers:

Grüsse, Uli
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Uli,
uli.brueggemann hat geschrieben:soweit klar. Fallstricke wären m.E. dabei noch:
- das Musiksignal sollte dann aber unbedingt keinen Gleichspannungsanteil aufweisen von wegen des Integrierens.
klar. Dem Integrierer gibt man eine untere Grenzfrequenz. Der Frequenzgang des Tiefton-Integrierers meiner BM20 sieht z. B. so aus:

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Im interessierenden Frequenzbereich (also ab 10Hz aufwärts) ist der FG eine fallende Gerade mit 6dB/okt. - ein Intergrierer also.

Viele Grüße
Gert
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AprilWine
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Beitrag von AprilWine »

uli.brueggemann hat geschrieben:- Der Geschwindigkeitsregelkreis ist als übergeordneter Regelkreis eben langsamer. Das System darunter ist dann doch wieder eine Steuerstrecke. Solange das aber schnell genug ist ...
Moin Uli,

das ist es auch, was ich mich die ganze Zeit frage. Oder passiert dieses Alles in Echtzeit?

Mir kommt es so vor, daß darum auch wieder andere Dinge gebraucht werden, damit die Kiste homogen klingt. Mein Eindruck ist, daß man ein, zwei Parameter optimiert, sich dadurch aber Nachteile auf anderer Seite einhandelt. Die muss man dann auch wieder von außerhalb korrigieren usw. Dieses treibt den Aufwand und somit auch die Kosten immens in die Höhe. Man wird bei einem LS immer irgendwelche Kompromisse eingehen müssen.

Man kann aber auch durch Selektion und Abstimmung der einzelnen Komponenten durchaus gute Ergebnisse abliefern, ohne Elektronikbaugräber zu veranstalten. Jedes Bauteil mehr ist auch eine Fehlerquelle mehr.

Trotzdem werde ich hier weiterhin aufmerksam und neugierig mitlesen.

Gruss Stefan
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Hi Gert,
Fortepianus hat geschrieben:Signal -> Integrierer -> Vergleich Soll-Ist -> linearer Regelverstärker -> Lautsprecher mit Sensor, der das Ist-Signal liefert
Aber ist das nicht genau die Variante, die wir bei der finnischen DIY-Variante haben, sowohl dem Schaltbild wie der Beschreibung nach? Meiner Meinung nach ja (in der Variante 2 auf Seite 16 auch mit Endstufe mit Stromausgang), und zwar 1:1, inkl. dem unten erwähnten Abfall unterhalb einer bestimmten Frequenz. Deshalb habe ich noch immer nicht deinen Einwurf verstanden, wie er das anders hätte machen können (von Detailoptimierungen abgesehen).
Fortepianus hat geschrieben:Dem Integrierer gibt man eine untere Grenzfrequenz. Der Frequenzgang des Tiefton-Integrierers meiner BM20 sieht z. B. so aus:

Bild

Im interessierenden Frequenzbereich (also ab 10Hz aufwärts) ist der FG eine fallende Gerade mit 6dB/okt. - ein Intergrierer also.
Wenn man das jetzt wieder zu der zum Schalldruck proportionalen Beschleunigung differenziert (macht ja der LS für uns), haben wir einen konstanten Amplitudenverlauf oberhalb der Knickstelle, und darunter dann 12dB/oct Abfall - das Verhalten äquivalent zu einer geschlossenen Box mit Qts=0.5, richtig?

Grüße, Klaus
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schauki
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Beitrag von schauki »

Hallo!

Hmm... also so ganz beantwortet der Thread noch nicht meine in den Raum geworfene Frage nicht.

Ab gesehen davon, wer Lautsprecher X besser findet als Lautsprecher Y, und das dann auf einen (willkürlich) gewählten Parameter schiebt weil das in sein Weltbild passt, dieser Parameter aber im Verhältnis zu "anerkannten" Parametern nur minimalst Wirkung hat, dann ist das für mich auch... :cheers:

Auto X: alter Trabbi, mit abgefahrenden Reifen und ausgeschlagenen Stoßdämpfern und Holzlenkrad
vs.
Auto Y: neue C Klasse mit frisch angefahrenen Gummis und Lederlenkrad

Ergebnis, Auto Y fährt besser weil es ein Lederlenkrad hat. Solche Beschreibungen lese ich leider oft in Zusammenhang mit LSP-Vergleichen und die Tendenz gibt's auch bei den Regelungsfreunden.

Und nach Lobenshymnen der Anwender zu gehen macht ja sowieso keinen Sinn.

Meine Grundfrage wäre: Man baue ein Chassis X, welches auf entsprechend gute Messwerte in seinem angedachten Übertragunsbereich gezüchtet wird - und lasse die Option für eine Regelung offen. Wie die Regelung ausssieht, sei mal dahingestellt, das beste System müsste man dann verwenden, fraglich ob das dann auch geht, wenn es nicht berührungslose Sensoren wären...

Und nun vergleiche man im angedachten Übertragungsbereich die relevanten Parameter:
- FG-Linearität Achse/unter Winkel
- Ein- Ausschwingverhalten
- Pegellinearität
- nichtlineare Verzrrungen
- ...

Ergebnis wäre dann: Parameter XYZ wird verbessert (um x%), bleibt im Rahmen der Messgenauigkeit gleich oder wird schlechter (schwingt, driftet,...).

So ein Test wird aber für einen Hobby-Anwender nicht sooo leicht zu bewerkstelligen sein.

mfg
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phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

Nur noch schnell eine Info, bevor jemande eine Gegenkopplung baut, die das Gegenteil von dem bewirkt was sie eigentlich soll: Der abgestrahlte Schalldruck ist nicht proportional zur Membranbeschleunigung, sondern zur Membranschnelle.

Gruss

Charles
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