Derainer hat geschrieben:Es ist die Rille, die ja wie eine Spirale nach innen führt. Sie schiebt den filigranen Nadelträger samt Tonarm mit seiner Masse nach innen. Das Ergebnis ist ein einseitig höherer Verschleiß der äußeren Rillenflanke.
Hallo Rainer,
für die maximal 90mm von der Einlaufrille zur Endrille hat der Tonabnehmer bei 20 min Spielzeit immerhin 1200 sec. Zeit, also weniger als 0,1mm/sec. Tonabnehmer-Ausgangsspannungen werden auf cm/sec bezogen, auf Messchallplatten gibt es über 30 cm/sec hinausgehende Schneidschnelle.
Es scheint mir sinnvoll zu sein, statische von dynamischen Kräften in der Betrachtung zu trennen, die Schwelle dürfte bei der System-Tonarmresonanz liegen, die praktisch meist irgendwo zwischen 5 und 10Hz liegt, darunter folgt der Tonarm der Plattenoberfläche bei Welligkeiten bzw. dem Vorschub der Rille einschließlich Exzentrizität (Mittelloch) und Elliptizität (Füllschriftverfahren). Eine elementare und
lesenswerte Lektüre zu diesem Thema hat Paul Ladegaard (B&K) zusammengestellt.
Dies trifft nur auf die passiven Tangential-Tonarme zu, dabei ist es egal, ob Luft- oder Rollengelagert.
Zur Masse, die geschoben werden muss kommt dann auch noch das Tonarmkabel hinzu. Und in einigen Fällen, wie beim Simon York Arm, auch noch der Luftschlauch.
Das probate Mittel wäre eine hinreichend schäge Plattform, die diese Kräfte auf den Tonarm weitgehend kompensiert.
Darüber hinaus wird der Nadelträger (zwar kaum sichtbar) zur Innenseite/zur Mitte der LP gebogen.
Bei dezentrierten Platten sogar wechselseitig, mal nach innen mal nach außen.
Je höher die Compliance des Systems, umso mehr verdreht sich der Nadelträger. Dabei entsteht schon
ein erster, deutlicher Spurfehlwinkel am Nadelträger selber. Aber, wie gesagt, kaum sichtbar, weil er so
kurz ist.
Beim üblichen Drehtonarm mit Kröpfung lässt sich eine unzureichend kompensierte Skatingkraft als seitliche Auslenkung der Nadel erkennen. Die (tangentielle) Zugkraft der Rille an der Nadel bewirkt, dass das Drehgelenk der Nadelaufhängung sich in die Achse zwischen Nadel und Drehzentrum des Tonarms bewegt, alle 3 Punkte werden (statisch) auf einer Geraden liegen. Bei den Tangentialarmen gibt es die mit Drehgelenk, denen Lagerpunkt elektronisch geregelt nachgeführt wird, und diejenigen, bei denen der Vorschub allein aus der Nadelauslenkung seine Kräfte bezieht. s.o.
Der einzige mir bekannte Wert für Lagerreibung stammt von meinem ersten SME3009SII Drehtonarm, den ich 1974 hatte. 0,020g (0,2mN) waren da genannt. Gemessen an 17,5mN, der heute meistgenannten Auflagekraft, die sich unter 45° auf beide Rillenflanken verteilt (Normalkraft errechnet sich zu etwa 12mN) erscheint die Überwindung des Horizontallagers durch Rillenkraft mit 0,3mN nur noch mit 2,5% gegenüber der Auflagekraftkomponente.
Auch wenn diese durch elektronische Regelung und Nachführung des Tonarmlagers entlastet wird, sollte die dynamische Komponente nicht vergessen werden. Wie oben beschrieben, ist die Exzentrizität und Elliptizität als eine Überlagerung zur reinen Spirale zu betrachten. Deren Größenordnungen liegen in derselben Größe wie der idealisierte Vorschub. Ein Großteil des angekündigten (statischen) Verschleiß ist also durch überlagerte Nebeneffekte der Fertigung der LP bedingt, nicht durch das Prinzip der Rillenspirale mit konstantem Vorschub.
Aber die eigentlichen Verschleißkomponenten werden verursacht von den großen Beschleunigungen, mit denen die Rillenmodulation der Musik die Nadel zur Bewegung zwingt. Die liegen in ganz anderen Größenordnungen, dagegen sind die statischen Kräfte mMn fast bedeutungslos, siehe auch
Die Kraft und die Herrlichkeit - Erkenntnisse über den wahren Auflagedruck. Die Ruhe, mit der das System und der Tonarm träge über der Plattenoberfläche verharrt, ist der Garant für die präzise und impulsschnelle Umsetzung der Rillenauslenkung in ein elektrisches Signal.
Grüße
Hans-Martin