Liebe Regelungsanhänger,
vielleicht haben wir in der allgemeinen Klirrmessungsorgie ein wenig den roten Faden verloren. Es zeigte sich, dass die Klirrwerte meiner Geregelten sehr gut sind und es kam die Frage auf, wieviel von diesem Klirr der Messkette zuzuschreiben ist. Dazu später noch eine Bemerkung. Aber zunächst mal: Warum ist es überhaupt relevant, welches Klirrverhalten der Lautsprecher hat? Unter einer gewissen Schwelle hört man das doch sowieso nicht mehr, höre ich die Stimmen murmeln.
Warum eigentlich haben wir uns so eingehend mit der Frage nach dem Klirr beschäftigt? Nur weil Richard (schauki) danach gefragt hat? Warum nicht mit den Kompressionseffekten? Oder den Intermodulationsverzerrungen?
Nun, ich möchte das Bewusstsein dafür wecken, dass alle nichtlinearen Effekte sich auch in einem Klirrwert ausdrücken. Und letztendlich alle drei genannten Fehler eines Lautsprechers (Klirr, Kompression und Intermodulation) zusammenhängen. Insofern ist es schon ein gewisses Qualitätsmerkmal, wenn ein Lautsprecher wenig Klirr zeigt. Ich will das erläutern.
Für die nicht tief in der Materie Befindlichen will ich zunächst erklären, was hier "nichtlinear" heißt. Stellen wir uns den Verlauf irgendeines Musiksignals über der Zeit vor, sagen wir am Vorverstärkerausgang. Am einfachsten vielleicht einen Sinuston mit 1kHz. Das ergibt einen sinusförmigen Signalverlauf, das kennt jeder. Mit einer bestimmten Amplitude, also Signalhöhe. Sagen wir mal 1V von der Nulllinie bis zur Spitze des Sinus. Dreht man nun die Lautstärke um 6dB hoch, wird die Amplitude doppelt so groß. Also 2V. Dreht man die Empfindlichkeit des Beobachtungsgerätes (z. B. eines Oszilloskops) auf die Hälfte runter, sollte der Sinus wieder genauso aussehen wie vorher. Deckungsgleich. Ist es nicht deckungsgleich, hat sich etwas in der Signalkette verändert, abhängig von der Aussteuerung. Das Signal wurde also nicht mehr linear mit der Aussteuerung hochskaliert - deshalb nennt man die Veränderung einen nichtlinearen Effekt.
Klaus (KSTR) hat ja
weiter vorn schon einen ganzen Blumenstrauß voller nichtlinearer Effekte genannt, die bei einem Lautsprecherchassis auftreten können. Der bekannteste und auffälligste bei einem dynamischen Lautsprecher ist der Kompressionseffekt. Eine der Ursachen ist, dass die Schwingspule den Bereich des homogenen Magnetfelds verlässt, wenn sie stärkere Auslenkungen erfährt. Der oben angenommene sinusförmige Verlauf der Spannung aus unserem VV wird deshalb nicht perfekt in eine ebensolche sinusförmige Auslenkung der Membran umgesetzt - je größer die Spannung, desto weniger kann die Auslenkung ihr folgen. Der Sinus wird zusammengedrückt, umso mehr, je größer die Auslenkung. Nun gilt aber in der Signaltheorie der Elektrotechnik ein eisernes Gesetz, das jeder E-Techniker und wahrscheinlich auch jeder andere Ingenieur völlig verinnerlicht hat, so auch ich: Jedes, und zwar wirklich jedes periodische Signal, und wenn es noch so exotisch oder gebirgig aussehen mag, lässt sich durch eine Adition von Sinuswellen darstellen - in Form einer sogenannten Fourierreihe. Im genannten Beispiel der zusammengestauchten (komprimierten) Sinuswelle ist die niedrigste Frequenz dieser Sinusüberlagerungsreihe die Grundfrequenz des Sinus, das war hier im Beispiel 1kHz. Und die Frequenzen der weiteren Sinuswellen, die man zum Gesamtsignal überlagern muss, sind alle ganzzahlige Vielfache dieser Grundwellen. Dies gilt auch im Extremfall, wenn man den Sinus so sehr zusammenstauchen würde, dass ein Rechteck daraus entstünde.
Ganzzahlige Vielfache der Grundwelle? Das ist doch nichts anderes als das Klirren, um das es die ganze Zeit ging! K2, die zweite Harmonische, hat die doppelte Frequenz wie die Grundwelle, K3 die dreifache und so weiter. Kompression ist also Klirr.
Der Umkehrschluss ist aber nicht zulässig - Klirr hat nicht zwangsläufig die Ursache in der Kompression. So äußert sich z. B. ein Mitscheppern irgendeines Bauteils durchaus in einem Klirrwert, ist aber kein Kompressionseffekt.
Die dritte Art der genannten Fehler, die Intermodulationsverzerrungen, will ich auch kurz erklären. Speist man einem Chassis gleichzeitig zwei Sinustöne ein, sagen wir 1KHz und 1,5kHz, sollten sich im Schalldruck auch nur 1kHz und 1,5kHz wiederfinden. Tauchen die Mischfrequenzen 1,5kHz-1kHz (=500Hz) und 1,5kHz+1kHz (=2,5kHz) ebenfalls auf, die Intermodulationsfrequenzen nämlich, war irgend etwas Nichtlineares im Spiel. Warum? Jeder, der schon mal einen Tuner nach dem üblichen Superhetprinzip selbst gebaut hat, kennt das natürlich: Will man das Antennensignal runtersetzen zur erheblich niedrigeren sogenannten Zwischenfrequenz, die sich erheblich besser und trennschärfer filtern lässt als die ursprüngliche Frequenz, muss man den durchstimmbaren Lokaloszillator des Tuners mit dem Eingangssignal mischen und erhält so die vorher genannten Mischprodukte f1+f2 und f1-f2. Mischen von Frequenzen klappt immer nur an nichtlinearen Elementen, z. B. Dioden. Bei einer Diode steigt der Strom nicht linear an bei Erhöhung der Spannung - wie die Auslenkung des Lautsprecherchassis nicht linear mit dem eingespeisten Strom zunimmt. Was beim Tuner gewollt ist, nämlich das Mischen der Frequenzen, ist beim Lautsprecher gar nicht erwünscht. Im genannten Beispiel wären die Mischprodukte 500Hz und 2,5kHz. Letzteres steht weder zu 1kHz noch zu 1,5Khz in einem ganzzahligen, sprich harmonischen Verhältnis - was ganz besonders giftig klingt.
Man sieht also - scheppert was, misst man Klirr. Komprimiert der Lautsprecher, misst man ebenfalls Klirr. Und diese Kompression wiederum ist die Quelle der Intermodulationsverzerrungen. Vielleicht wird jetzt klarer, warum man mit Klirrmessungen am Lautsprecher recht viel aussagen kann - zumindest, wenn man sehr wenig Klirr misst. Das heißt dann nämlich, da scheppert nichts, da wird nichts komprimiert und da intermoduliert deshalb auch nichts. Umgekehrt dagegen - wenn man viel Klirr misst - weiß man aber nicht, welche Ursache der Klirr genau hat.
Zurück zum Eingangspostulat "unter einer gewissen Schwelle hört man den Klirr sowieso nicht". Schon richtig. Aber Kompression hört man eben auch. Das klingt dann salopp gesagt lahm. Oder umgekehrt: Das, was Hörner so ungemein knackig klingen lässt, ist die fehlende Kompression. Wie wird denn die Hörschwelle für Klirr bestimmt? Man spielt dem Probanden über Kopfhörer einen immer gleich lauten Sinuston vor und fragt, wann das anfängt, sich irgendwie anders anzuhören, nachdem man sukzessive den Klirr erhöht hat. Die Kompression eines Musiksignals, die einen weit unter dieser Hörschwelle liegenden Klirr bewirkt, hätte der Proband dagegen längst bemerkt. Und die damit einhergehenden Intermodulationsverzerrungen erst recht.
Nun bin ich ja auf dem Weg zu vernünftigen Klirrmessungen am Lautsprecher an verschiedenen Stellen an die Grenzen meiner Messapparatur gestoßen. Nachdem nun die Software und die elektronische Hardware Stück für Stück verbessert wurde, fürchte ich, dass nun das Messmikro die Apparatur dominiert. Ich habe Versuche gemacht, den Mikrofonabstand bei gleichem Pegel am Lautsprecher zu variieren - und stelle eine damit einhergehende deutliche Variation des Klirrs fest. Würde der Lautsprecher den Klirr dominieren, wäre das nicht so. Pico hat mir geschrieben, K2 unter 0,05% hätte er noch nie gesehen. Ich persönlich glaube, dass das nicht an den Chassis liegt (naja obwohl, vielleicht hat er ja noch keine geregelten gemessen
![Mr. Green :mrgreen:](./images/smilies/icon_mrgreen.gif)
), sondern an den Messmikros.
Vergeblich war der ganze Aufwand dennoch nicht - immerhin halte ich nun ein Messsystem in Händen, mit dem ich Endstufen, Integrierer, Frequenzweichen oder was auch immer an elektronischen Schaltungen für Aktivlautsprecher bis immerhin runter zu -100dB (0,001%) messen kann. Bei akustischen Klirrmessungen ist zumindest mit dem Aufwand, den ich gewillt bin, noch mitzugehen, hier die Fahnenstange bei ca. -60dB (0,1%) erreicht.
Aber das ist nicht wirklich unbefriedigend - einen Lautsprecher zu haben, der Klirr lediglich in der Größenordnung eines Messmikros produziert - es gibt Schlimmeres.
Soviel für heute - im nächsten Beitrag möchte ich mich der Frage zuwenden, warum der Bass einer Silbersand so eine hohe Staubschutzkappe hat
![Razz :P](./images/smilies/icon_razz.gif)
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Viele Grüße
Gert