Hallo Gert,
Fortepianus hat geschrieben:speziell die blaue Kurve im letzten Diagramm, die in den ersten ms die braune praktisch völlig überdeckt, macht mir den Mund derart wässrig,
Ich würde etwas Bedenken anmelden, wenn eine Sprungantwort wegen ihrer zugegebenermaßen schönen Anstiegsflanke den Mund wässrig macht. Denn in der Praxis bringt eine "schöne" Sprungantwort nichts, weil hörbare Verzerrungsphänomene - nämlich die mit einem Sprungsignal am Hörplatz ohne Zeitfensterung gar nicht so einfach messbaren GLZ-Verzerrungen im Bass - sich im Diagramm munter verstecken können und man zugleich geneigt ist, tendenziell nicht hörbare Phänomene - wie ein versetzter Sprung zwischen Mittel- und Hochtöner im Bereich <0,1ms - zu optimieren, weil sie die ästhetische Qualität der Sprungantwort so stark beeinflussen
Die klassische Messung der Gruppenlaufzeit über Frequenz würde ich da eindeutig bevorzugen, da sieht man schneller, wo es Probleme gibt und wo nicht.
Ich habe außerdem die Vermutung, dass es bei der Laufzeitverzerrung darauf ankommt, ob die Laufzeit sich schlagartig ändert (wie in praktisch allen in der Literatur beschriebenen Untersuchungen) oder einen weichen Verlauf über der Frequenz hat.
Einen Einfluss hat das bestimmt, die Frage ist, wie relevant es in der Praxis ist. Die typischen Höreindrücke, die bei extremen Verzerrungen der Gruppenlaufzeit beschrieben werden, rühren jedoch meist von transienten Schallereignissen her, die sich über mehrere Oktaven erstrecken, etwa Grundton und die Obertöne eines Trommelschlags/ gezupften Basses, oder plötzliche Schallereignisse wie Klatschen, harte Konsonanten, Zischlaute, Bells, Triangel etc. - da liegt die Vermutung nahe, dass es auf das Zeitverhalten der Teilfrequenzen zueiander auch im Verhältnis von mehreren Oktaven ankommt. Und dass sich letztlich die Extreme "plötzlicher Sprung in der Gruppenlaufzeit" und Allpass nicht soo stark unterscheiden, dass man für beide quasi getrennte Gesetze einführen müsste.
zu Klaus:
phase_accurate hat geschrieben:Spannender wird es im Bereich unterhalb des Offenhörbaren... also z.B. mutmasslich eine schön langsam und sauber um 360 Grad drehende Phase. Dort erscheint mir plausibel dass man subtile Änderungen in Klangfarben usw hören kann
Also, einen Allpass 4. Ordnung über das gesamte hörbare Frequenzband habe ich schon einmal im AB-Test über Kopfhörer gehört. Ich konnte überhaupt keinen Unterschied hören. Das heißt natürlich nicht, dass es unter den von Dir beschriebenen Bedingungen - Lautsprecher, weitere nichtlineare Verzerrungen - nicht welche geben könnte, ich halte es allerdings für unwahrscheinlich.
Allerdings sind 4ms auch satte 1.3m Laufweg....
Im Bassbereich nichts Ungewöhnliches, bei herkömmlichen Bassreflexkonstruktionen reden wir eher von 10...30ms, von Kaskaden-Bandpass-Woofern will ich lieber nicht anfangen.
Die Frage ist, ob man über das gesamte Frequenzband eine absolute Linearphasigkeit herstellen muss, oder ob es genügt, im Mittelhochton perfekt zu entzerren (wo man mit maximal 0,5 oder 1ms zu kämpfen hat), und dem Bass höhere Verzögerugen zugestehen mag.
zu Uli:
uli.brueggemann hat geschrieben:Zweite Behauptung: wir hören deutlich GLZ sobald sie zwischen zwei LS unterschiedlich ist. Sonst täte es Stereo nicht. Die Zeitunterschiede können dabei minimalst sein.
Ja. Hier, sprich Laufzeitverzerrungen Interchannel, wiederum kann man Hörschwellen um 0,05 ms (!) oder weniger als realistisch betrachtet, das habe ich selbst schon im Kopfhörer-Versuch verifiziert. Die Hörbarkeit bei Lautsprecher-Stereophonie ist wohl etwas toleranter, vielleicht um Faktor 2.
Wenn also beide LS in einem Raum jeweils einen Schall erzeugen der mit identischen GLZ beim Hörer ankommt dann ist es egal ob innerhalb des Schalls unterschiedliche GLZ vorliegen.
Nein, auch hier dürfen gewisse Grenzen nicht überschritten werden, die natürlich um einige Stellen höher liegen, nehmen wir mal Faktor 20...100 an, je nach Frequenzbereich.
Sprich: nimm die Bäume und mach nen ordentlichen Wald draus
Der Wald besagt in diesem Fall allerdings, dass bei herkömmlichen Lautsprechern der Faktor Pegeldifferenz stärker wirkt als die Phasen/Laufzeitdifferenz.
Viele Grüße
Malte