Moin Forenten,
mir scheint, hier liegt ein Kommunikationsproblem vor. Die jeweils eine Seite versteht gar nicht, was die andere meint. Ich will mal einen Anfang wagen, eine Brücke zu bauen.
- Wir wollen Qualität, nicht Perfektion.
ist, so scheint mir, der Zentrale Punkt. Ich war früher Perfektionist. So lange ich es war, habe ich nie Musik gehört, sondern mich damit beschäftigt, wie es wohl noch besser gehen könnte, wie man wohl noch mehr tun könnte.
Es gipfelte in der Vorstellung -- im BM-100-Strang habe ich darüber aus anderer Sicht schon berichtet --, dass die Endstufentransistoren unbedingt auf Beryllium-Scheiben montiert werden müssten. Wegen der Kühlung. Als ich meinen ausgefallenen Verstärker meines damaligen Basslautsprechers B 2-100 von audio pro zur Vertragswerkstatt geschickt habe, hatte ich einen entsprechenden Auftrag beigefügt. Der Inhaber der Vertragswerkstatt hat mir persönlich geantwortet, dass ich mir da mal keine Sorgen zu machen bräuchte, die Lebensdauer der Transistoren würde sich dadurch nicht steigern lassen. Wenn sie zu heiß würden, würden sie halt verbrennen und darunter sei alles in Butter, mit oder ohne Beryllium-Scheiben und so wurden selbstverständlich keine eingebaut. Eine Scheibe kostete 13 oder 23 Mark, ich erinnere mich nicht genau. Den Brief habe ich heute noch. Er ist von einem gewissen Karl-Heinz Sonder.
Das war ungefähr die Zeit, in der die Zubehör-Diskussion, namentlich über Kabel, begann. In der Zeit empfahl mir ein HiFi-Zubehör-Händler in der Innenstadt Hamburgs, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich Aktivboxen -- die seligen MB Quart 560A -- besitzen würde, die ich kurz zuvor bei Wiesenhavern aus der Vorführung statt für 3.400 für 2.000 Mark erworben hatte, ich solle, nein, beinahe müsse (so Formulierungen wie "ja, da müssen Sie aber" oder "also, da sollten Sie unbedingt", zumindest aber "wenn Sie sich was gutes tun wollen" oder so sind gefallen) ein Kabel für 2 x 800 Mark kaufen. Stark verunsichert verließ ich das Geschäft.
25 Jahre her, ungefähr. Die dann losbrechende Kabeldiskussion habe ich interessiert, aber auch irritiert verfolgt, bis ich dann im Rahmen meiner beruflichen Fortentwicklung den Spruch
- Wir wollen Qualität, nicht Perfektion.
hörte. Das ist ungefähr 6 Jahre her. Den Spruch fand ich interessant. So interessant, dass ich länger darüber nachgedacht habe. Denn dass musste ich, um ihn zu verstehen.
Es ist ganz einfach. Otto Schily hat bei Biolek einmal gesagt: "An der Spitze ist immer Platz", was natürlich auch etwas wohlfeil war, aber lassen wir das mal beiseite. Es ging um Väter und Töchter, glaube ich, und seine Tochter ist wohl Schauspielerin und über sowas lässt sich dann ja prima eine Talkshow machen: was denkt ein Bundesinnenminister über seine Tochter, die plötzlich Schauspielerin werden will. Nun, mit obigem Spruch fand er seinen Frieden mit dieser Wahl: wenn seine Tochter es von Herzen machen würde, dann wäre es schon ok für ihn. An der Spitze sei halt immer Platz.
Damit fand ich den Einstieg zum Verständnis dieses Spruches: Perfektion, was ist das eigentlich? Das Steben nach dem letzten Quentchen Verbesserung? Ja, nur ist es eben so, dass es dieses letzte Quentchen nicht gibt: immer wieder werden sich neue Tore auftun, neue Möglichkeiten ergeben, es nochmals noch weiter zu treiben: "An der Spitze ist immer Platz" bedeutet eben auch, dass, wenn sich an der Spitze nur genügend sammeln, aus jener ein Plateau wird, welches als Basis für ein Fudament einer neuen Pyramide taugt, deren Spitze dann noch höher ist als es die alte war. Als mathematisch halbwegs begabtem weiß man: dieses Spiel lässt sich zwar nicht unendlich, wohl aber beliebig weiterspielen.
Das ist gerade in der HiFi-Szene sehr weit verbreitet. Einmal von dem Bazillus oder Virus befallen, gibt es eine Gruppe, die den Erfolg einer gerade getroffenen Maßnahme prinzipiell als Sprungbrett für Gedanken weiterer Maßnahmen begreifen: das Leben ist Veränderung als Prinzip. Diese Leute suchen Perfektion oder vielleicht genauer, nehmen das Prinzip Perfektion als Vehikel ihres Prinzips Veränderung. Es geht nicht um Veränderung an sich, sondern um die Vorstellung, dass jede Veränderung auch eine Verbesserung sei. Subjektiv, natürlich: eine Verbesserung des Wohlbefindens, das ist, was es letztlich ist. Ob es objektiv eine Verbesserung ist, ist nicht der Punkt (bitte jetzt keine erkenntnistheoretische Diskussion über Objektivität versus Subjektivität). Diese Fraktion nenne ich jetzt mal die Perfektionisten.
Die andere Gruppe geht weniger intuitiv, mehr analytisch an die Fragestellung heran, vor allem aber mit einer festeren Vorstellung über die Ziele, also mit einer sich bereits viel früher im Gesamtprozess der Ausrüstungsbeschaffung verfestigenden Vorstellung. Wenn diese Vorstellung dann erreicht ist, lassen diese Enthusiasten ab und die Anlage so bestehen. Diese Fraktion nenne ich jetzt mal die, hm, was erfinde ich da jetzt mal für ein Wort? Die Qualitätsbewussten. Es soll ja auch ein Wort sein, das es gibt.
- Wir wollen Qualität, nicht Perfektion.
klingt jetzt so, als würde ich für die Qualitätsbewussten Partei ergreifen. Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig, weil ich die richtig "harten" Perfektionisten, die also das nicht perfekte gar nicht zulassen und dann -- wie ich damals -- gar keine Musik hören, für bedauernswert halte: solche Menschen stehen sich nur selbst im Weg. Falsch, weil ich die Ausrüstungsbeschaffung als offenes Werden für die lebensnähere und vor allem lustvollere Handlungsweise halte. Dialektisch betrachtet könnte ich sagen, dass die Qualitätsbewussten auch eine perfektionistische Komponente haben, da in ihrer Vorstellung der Gedanke mitschwingt, ihre festgefügte Qualitätsvorstellung sei eine Art Nebenoptimum und damit im Grunde genommen perfekt. Aber ich will es nicht verkomplizieren.
Der Punkt ist, dass die beiden Fraktionen eine unterschiedliche Sprache sprechen und eine Diskussion überhaupt erst entsteht, wenn sie sich dessen bewusst werden -- oder es sich aktiv bewusst machen -- und damit überhaupt erst die Grundlage legen, der jeweils anderen Seite zuzuhören.
Ein Beispeil: dass einige Hersteller ihre Elektronik mit bis zu 9g testen, erscheint mir ein sehr angemessener Umgang mit dem Problem der tektonischen Verhältnisse in einer Aktivbox zu sein. Ein Perfektionist, der für sich das Feld der Schwingungsdämpfung entdeckt hat, macht das aber eher Sorgen, als dass es ihn beruhigt: für ihn ist das nur ein weiterer Beweis dafür, dass das grundsätzlich falsch ist, die Elektronik in die Box einzubauen: 9g für die Elektronik, das empfindet er schlicht als falsch. Alles, was in dieser Richtung unternommen wird, ist in seiner Welt nur Bestätigung seiner These, dass das alles falsch ist. Unauflöslicher Gegensatz.
ist der einzige Ausweg. Diese im angelsächsischen Raum wohl durchaus übliche Fähigkeit, einen Diskurs zu beenden, wenn die Meinungen ausgetauscht sind, ist im Deutschen Kulturraum nicht so verbreitet.
- Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen.
oder
Viele Menschen behalten lieber recht, als dass sie glücklich sind.
liegt uns wohl mehr. Das ist nicht gut. Anders herum wird ein Schuh daraus. Wie auch beim Sex ist erlaubt, was gefällt. Wenn die Perfektionisten unbehagen dabei empfinden, dass für empfindlich gehaltene Elektronik mitschwingen muss, ist das ok: ihnen gefällt das nicht. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Wenn die Qualitätsbewussten diese Lösung für angemessen halten, dann doch nur, weil sie ihnen gefällt. Damit ist auch von dieser Seite alles notwendige dazu gesagt. So einfach ist das.
Alle Versuche der einene Seite, die andere von der eingenen Überzeugung zu überzeugen, sind anstrengend, vor allem aber armselig: sie zeigen nur, dass diese Seite nicht verstanden hat, dass es unterschiedliche Herangehensweisen und unterschiedliche Empfindungswelten gibt und geben darf. Dass man das der anderen Seite für unangemessen hält, liegt in der Natur der Sache. Die Kulturleistung besteht nur darin, gegen diese Natur die Lösungen der anderen Seite für gleichberechtigt zu halten. Missionarischer Eifer ist Fehl am Platze.
Ich schrieb irgendwo: wenn wir alle die selbe Frau lieben würden, wäre das doch nicht richtig. Interessanterweise kommt niemand auf die Idee, den anderen von den Vorteilen der eigenen Frau zu überzeugen. Warum eigentlich nicht? Bei Autos und vor allem bei Stereoanlagen ist das doch ganz anders. Also bei vielen jedenfalls. Darüber lohnt es sich, einmal länger nachzudenken: so, wie wir dem anderen seine Frau nicht neiden, sollten wir beginnen, es auch mit den Stereoanlagen zu halten. Jedenfalls wäre das ein guter Anfang.
Herzliche Grüße
PETER