Hallo Uli,
zuerst einmal herzlichen Dank für Deinen Beitrag zur Sache! Zum letzten rundum Zustimmung, zum vorletzten folgende Anmerkungen:
Durchaus berechtigter Einwand. Lass uns aber zunächst einmal auf die Definition des Begriffs Linearität eingehen. Dir als Mathematiker ist das sicher klar, ich glaube aber, dass hier ein generelles Verständnisproblem liegen könnte. Definition aus Wikipedia:
wikipedia hat geschrieben:Linearität ist die Eigenschaft eines Systems auf die Veränderung eines Parameters stets mit einer dazu proportionalen Änderung eines anderen Parameters zu reagieren.
Diese allgemeine Definition trifft gleichermaßen für die Systemtheorie, Technik, Physik und Mathematik zu. Ist sie nicht erfüllt, so spricht man von Nichtlinearität.
Es geht also nur darum, ob sich Parameter proportional zueinander ändern oder nicht. Deshalb mögen Ingenieure keine nichtlinearen Systeme, weil man nichts berechnen und damit voraussagen kann.
uli.brueggemann hat geschrieben:
Fazit: wenn das Mikro einen abfallenden Frequenzgang hat und trotzdem 8µs-Pulse rüberbringt, dann widerspricht es dem Prinzip der linearen 1:1 Übertragung.
Weil wir aber über das Verhalten des nichtlinearen Systems so schlecht Vorhersagen treffen können, wissen wir auch nicht, ob das System der 1:1 Übertragung widerspricht. Meine These ist: Nichtlineares Übertragungssystem bedeutet nicht zwingend keine 1:1 Übertragung.
Was zeigt denn die Messung des Frequenzgangs des Mikrofons? Die Membran ist in der Lage, eine stationäre Schwingung bis ca. 20kHz zu reproduzieren. Gemessen wird vermutlich bei relativ hohem Pegel. Welche Anforderungen stellt nun aber das Nutzsignal in der Realität. Wie bereits oben gesagt, stationäre Schwingungen gibt es fast nicht. Dafür spielen nichtperiodische Änderungen über die Zeit eine große Rolle. Jetzt kommt das Frequenzspektrum eines realen Musiksignals ins Spiel.
Ein Beispiel: Es gibt auch die Möglichkeit, Messungen mit periodischen Rechtecksignalen statt Sinussen zu machen. Der Teiltonaufbau des Rechtsecks geht nämlich in Richtung des Spektrums eines realen Musiksignals. Die Amplituden der Obertöne eines Rechtecks fallen mit 1/n. Vor einigen Jahren habe ich mir nochmal ernsthaft überlegt, eine analoge Bandmaschine anzuschaffen und habe mir vom Studiohändler in der Nähe eine große Otari MTR10 oder 12 (weiß ich nicht mehr ganz genau) ins Studio geschafft. Höchst verwundert entdeckte ich dann einen eingebauten Testtongenerator mit einem 10kHz Rechteck. Der diente zum Einmessen einer „Phasenkompensationsschaltung“ die die Impulswiedergabe verbessern sollte. Tatsächlich konnte man bei der Justage der entsprechenden Trimmpotis dank Hinterbandkontrolle am Oszi sofort sehen, wie die Flankensteilheit des Rechtecks optimiert wurde. Die Gestalt des Rechtecks war allerdings so oder so schon sehr deutlich verändert. Ist auch klar: Die erste Oberwelle liegt bei 30kHz, die zweite bei 50kHz. Die erste wurde offensichtlich noch mit hohem Pegel übertragen, man sah die zu erwartende Gestalt und die Flankensteilheit im Nulldurchgang war folglich deutlich größer als die eines 10kHz Sinus. Das ganze diente wohl dazu, die Reproduktion der Einschwingvorgänge zu verbessern. Was bei CD oder DAT (was ja damals fast flächendeckend die Bandmaschine direkt ablöste) bei einem 10kHz Rechteck rauskommt, ist hoffentlich klar: Da wird aus dem Rechteck ein reiner Sinus, weil bereits die erste Oberwelle absolut gar nicht übertragen wird. Das fand ich dann schon beachtlich, dass Otari die Analogtechnik in einem Bereich optimiert hat, in dem die Nachfolgetechnik nicht arbeitet.
Dieser kleine Exkurs soll den Blick etwas auf die Beschaffenheit des Musiksignals lenken. Wir müssen für eine korrekte Musikübertragung nicht in der Lage sein, eine Schwingung von 1kHz und eine Schwingung von 50kHz bei gleich hohem Pegel übertragen zu können. Ähnlich wie bei einem Rechtecksignal, interessieren uns die hohen Frequenzen nur als Bestandteil in einer Teiltonreihe eines Klangs. Die höchsten Grundtöne liegen bei etwa 4kHz. Folglich beginnt die durchschnittliche Amplitude im Frequenzspektrum eines Musiksignals schon recht früh zu fallen, je nach Musikrichtung spielt sich oberhalb von 20kHz alles schon in Bereich unter -50dB ab. Dennoch heißt das noch lange nicht, dass diese Bestanteile für die exakte Reproduktion, gerade der so wichtigen Einschwingvorgänge, unwichtig sind. So wie auch bei einem Rechtecksignal noch die n-te Oberwelle mit 1/n-tem Pegel wichtig ist, um der wirklich senkrechten Flanke nahe zu kommen.
Wenn ein lineares System nun einen weiten Frequenzbereich ohne nennenswerten Pegelverlust abdeckt, egal auf welchem Pegelniveau gemessen, dann darf davon ausgegangen werden, dass es die Anforderungen des Signaltyps Musik sehr gut erfüllt. Andererseits kann die Nichtlinearität der Mikrofonkapsel des M150 genau darin bestehen, dass die Kapsel zwar nicht in der Lage ist, einer singulären 50kHz-Schwingung großer Amplitude zu folgen – das stellt an das dynamische Verhalten des schwingenden Systems ja durchaus hohe Anforderungen – aber dennoch im Rahmen einer einmaliger Anregung durch ein komplexes Frequenzgemisch, in dem hohe Frequenzen immer nur mit einem Unterbau an niedrigeren Frequenzen auftreten, sehr schnell reagieren kann.
Das ist zugegeben eine These, ein Ansatz, auf die mich zugegeben auch erst ein Gespräch mit einem Professor für Signaltheorie mit Spezialgebiet digitale Bildverarbeitung – und in Sachen Audio somit völlig unbelastet – im Zusammenhang mit einer Diskussion um die Schallplatte gebracht hat. Es ist eben durchaus denkbar, dass bei einer Vorerregung durch niederfrequente Schwingungen, das Übertragungssystem höherfrequente Schwingungen überträgt, die es alleine ohne Vorerregung nicht übertragen könnte.
Tatsache ist, dass das M150 natürlich einen ausgeprägten Eigenklang hat, so wie jedes Mikrofon. Tatsache ist aber auch, dass man diese außergewöhnliche Auflösung im Zeitbereich – wie sie die Messung der Impulsdarstellung zeigt – in den damit gemachten Aufnahmen wiedererkennen kann. Das zeigt sich zum Beispiel in einer sehr detailierten Abbildung kleinster Details „aus der dritte und vierten Reihe“ bei komplexer Orchesterliteratur, aber auch in einem ganz besonderen Streicherklang.
Und Tatsache ist, dass gerade im Zuge der SACD/DVD-Audio damals einige Mikrofonbauer Kapseln konstruiert haben, die tatsächlich bei der Frequenzgangmessung bis 50kHz gehen. Ein paar dieser Exemplare konnte ich ausprobieren bzw. hören. Das war ziemlich grauselig… Ich denke 20kHz ist eben schon ein guter Schwellwert für tonale Aspekte, weil wir in diesem Bereich eben das Frequenzspektrum direkt auswerten. Höhere Bereiche spielen womöglich wirklich nur für die Auswertung im Zeitbereich eine Rolle. Und vielleicht ist ein entsprechend ausgelegtes Übertragungssystem dann der Idealfall.
Übrigens ist die SACD wohl auch ein Beispiel für ein nichtlineares System. Gerade in der Zeit des Tests der o.g. Bandmaschine hatte ich den ersten erschwinglichen DSD-fähigen Recorder von TASCAM, der PCM bis 192kHz und 64fs DSD konnte. Das 10kHz Rechteck habe ich auch mal dort durchgeschickt und mich gewundert, dass DSD in etwa vergleichbar mit 96kHz war. Das habe ich damals nicht direkt verstanden, ist mir mittlerweile aber klar: Wir kennen alle diese tollen Bildchen von Impulsmessungen, mit denen die scheinbare Überlegenheit der SACD demonstriert werden soll (z.B. hier:
http://www.merging.com/products/show?product=1&page=11). Freundlicherweise ist hier auch der Pegel des 3µs-Pulses angegeben, -6dB. Das kann die SACD natürlich sehr gut, weil das Spektrum dieses Impulses quasi eine Linie bei -6dB ist und somit liegen selbst die höchsten Anteile über dem HF-Noise des DSD-Verfahrens; der Impuls ist scharf abgebildet. Beim – wie gesagt, der Beschaffenheit von Musik eher angepassten Obertonspektrum des Rechtecksignals – laufen die mit 1/n im Pegel abfallenden Obertöne recht schnell in das schon bei 20kHz beginnende HF-Noise. Also wohl die zweite Oberwelle von 50kHz verschwindet bereits nahezu komplett im Rauschen und ist somit nicht mehr verwertbar. 192kHz sah dann auch ganz eindeutig besser aus als DSD, weil die 70 und die 90kHz noch übertragen werden. Durch das Noiseshaping-Noise ist also auch das DSD-Verfahren ein Beispiel für ein nichtlineares System. Der Übertragungsbereich ist Abhängig vom Pegelniveau, je niederiger der Pegel je geringer die Bandbreite. Die Nichtlinearität läuft nur dummerweise hier auch gerade noch in entgegengesetzte Richtung als es das Nutzsignal erfordert. Trotzdem ist auch hier nicht deshalb gleich alles ganz furchtbar schlecht. Diese Nichtlinearität stört den größten Teil des Nutzsignals nicht.
@Thias: Der Ausgangspunkt war doch die Sache mit den beiden Sinusschwingungen, die man quasi beliebig fein zueinander phasenverschoben abbilden kann, als Beweis für unbegrenzte Genauigkeit im Zeitbereich. Das war nicht meine Position und genau damit wollte man ja den Zusammenhang zwischen Bandbreite und Zeitverhalten wegdiskutieren. Meine Position ist ja gerade, dass dieser Zusammenhang immer existiert. aber in der Frage sind wir inzwischen ja glaube ich weiter und somit sind wir ganz einer Meinung.
Aber habe ich behauptet, der Dualismus des Lichtes wäre auf unser Thema übertragbar? Das war als ganz allgemeines Beispiel für die Verwendung unterschiedlicher Modelle zur Beschreibung ein und derselben Sache gemeint. In unserem Fall ist es sicher weitaus leichter, beide Modelle zusammenzuführen, eben weil wir uns den Impuls auch aus Sinusschwingungen zusammensetzen können, klar. Dennoch hilft uns bei der Untersuchung des Systemverhaltens, einmal das eine, einmal das andere Modell besser. In einem nichtlinearen System ist es sogar notwendig. Das geht doch wie oben gezeigt auch bei der SACD schief. Ganz tolle Impulswiedergabe mit einem 3µs/-6dB Pulse und für Musik eigentlich fast keine größere nutzbare Bandbreite wie bei der CD. Wobei … bevor das Detail gleich gegen mich verwendet wird. Wenn sich das Verhalten des Noiseshapers genau vorhersagen ließe, wäre es streng nach Definition kein nichtlineares System; nur vielleicht etwas komplex in der Vorausberechnung. Bin ich zugegeben nicht tief genug in der Materie. Der Betrag an HF-Noise erhöht sich allerdings mit jedem Bearbeitungsschritt in DSD, wie beispielsweise eine simple Pegelkorrektur, heißt es. Uli kann vielleicht etwas darüber sagen, wie genau sich das System mathematisch beschreiben lässt.
@KSTR: Niemand spricht von FFT. Die Impulsbreite lässt sich nach Küpfmüller umrechnen (z.B.
http://de.wikipedia.org/wiki/Küpfmüller ... tsrelation). Laut NEUMANN zeigt sich wohl auch bei jedem anderen ihrer Mikrofone dieser Zusammenhang zwischen Frequenzganz und Impulsmessung. Nur eben beim M150 nicht. Was dann auch einen systematischen Fehler ausschließt und die Existenz dieser Eigenart absichert.
Viele Grüße
Ralf