In der Klassik verlaufen - wer bietet Orientierung?

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Hironimus_23
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In der Klassik verlaufen - wer bietet Orientierung?

Beitrag von Hironimus_23 »

Hallo zusammen,

ich wende mich mal in diesem Unterforum an Euch und hoffe, dass ich einige Tipps von Euch erhalten kann.

Ich oute mich mal als absoluter „Klassikeinsteiger“, der mit dem Umfang und der Orientierung in diesem Bereich noch überfordert ist. Einige CDs besitze ich, von denen ich bei einigen gar nicht genug bekommen kann, bei anderen feststelle, dass das nicht so meinem Geschmack entspricht.

Was ich suche ist, sofern es das denn gibt, eine Differenzierung des großen Überbegriffs „Klassik“, der es mit ermöglich in den Teilen, die mir besser gefallen, schneller neue Musik zu finden. Wenn ich zum Beispiel in einen großen Plattenladen in die Klassikabteilung gehe, weis ich nicht wo und wonach ich suchen soll. Auch kann ich nicht hunderte CDs anhören. Das gleiche Problem habe ich bei den Onlineshops, ich wüsste nicht welche Suchbegriffe ich eingeben soll, um eine sinnvolle Trefferliste zu erhalten. Auch ist die dort teils ermögliche Anhör-Funktion auf ca. 30-90 Sekunden begrenzt, was ich für den Klassikbereich für zu kurz halten, um sich ein Bild zu machen.

Ich führe mal beispielhaft ein paar CDs auf die mit gut und weniger gut gefallen haben. Ggf. könnt Ihr daraus einen Klassik-Unterbereich identifizieren, von Stil spricht man dabei wohl nicht. Was mir dabei selbst auffällt ist, dass der überwiegende Teil Vokalanteil mit eher kleinerer Instrumentenbesetzung ist.
Die CDs erheben natürlich den Anspruch künstlerisch besonders wertvoll oder audiophil zu sein, sind halt die ersten CDs die ich besitze und versuche einen Einstieg in die Klassik zu finden.

Wenn jemand zu den mir gefallenden CDs gute Alternativen bzw. Ergänzungen hat, bin dafür natürlich auch sehr dankbar, ermöglichen sie mir doch einen raschen und zielgerichteten Ausbau meiner CD-Sammlung (oder auch HiRes-Downloads).

Musik, die mir gefällt:
(Reihenfolge alphabetisch)
Angelika Kirschlager – Vergnügte Ruh
Anna Prohaska - Sirene ohne die Stücke von Honegger und Szymanowski
(Album Enchanted Forest nicht so gut)
Hera Lind / Marion Schoeller (bitte nicht lachen)
Jonas Kaufmann – Romantic Arias
Julia Lezhneva
Sonatori de la Gioiosa Marca – Vier Jahreszeiten

Musik, gefällt mir weniger gut (oder ich habe noch keinen Zugang gefunden :? )
Cecile Bartoli – Mozard Arias (ist eher die Stimme als die Musik)
Bruckner Symphonien 1-0 von Günter Wand

Vielen Dank für Tipps und Anregungen im Voraus,
Gruß Hironimus
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Fredoman
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Beitrag von Fredoman »

Hallo Hironimus,

gerne gebe ich Dir ein paar Tips, um Deine Klassiksammlung zu erweitern. Prinzipiell freue ich mich, dass Du überhaupt den Weg in diese Musikrichtung gefunden hast!
Habe aber bitte Verständnis, dass meine Tips natürlich auch wiederum von meinem Geschmack geprägt sind, also nicht unbedingt Deinen treffen müssen. Dahingehend ist es natürlich gar nicht so einfach jemandem etwas zu raten.
Weiters ist mein Ansinnen nicht, Dir die "Kleine Nachtmusik" von Mozart, den "Bolero" von Ravel oder "An der schönen blauen Donau" von Strauß ans Herz zu legen (obwohl diese Werke richtig interpretiert zum Besten gehören, was es gibt).

Diese Aufnahme der Vivaldi-4-Jahreszeiten hätte ich übrigens auch dringend empfohlen, denn sie gehört zu den besten Interpretationen.

Meine wahllosen, braingestormten Empfehlungen:

Orchestermusik:
Schumann Symphonien vom Orchestre Révolutionnaire et Romantique und John Eliot Gardiner
(nicht so "schwer" wie Bruckner),
Carmen Fantasie von Anne Sophie Mutter,
Schwanensee von Tschaikowsky (Gesamtaufnahme "Swan Lake", Boston Symphony Orchestra, Seji Ozawa),
Philip Glass - Tirol Concerto
Prokofiev: Symphonie Classique - Claudio Abbado, Chamber Orchestra of Europe

Gesang:
Maria Callas - Die schönsten Arien (Label: Line)
Peter Schreier, Theo Adam - Berühmte Opernduette

sog. Alte Musik:
Jordi Savall - La Folia

Kammermusik:
Franz Schubert: Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" vom Alban Berg-Quartett


Das sind mal auf die Schnelle Vorschläge, die mir in den Sinn kommen. Die Auswahl ist natürlich unendlich!

Viel Spass,
Fredoman
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Hironimus,

derzeit werfen ja die Majors ihren Altbestand im Dutzend billiger als CD-Boxen auf den Markt. Beispielhaft seien Decca, Mercury, Philips, RCA genannt. Ich würde mir einfach eine davon gönnen. Da bekommt man einen guten Querschnitt in zumeist guter bis sehr guter Qualität und kann sich davon ausgehend weiter vorarbeiten.

Gruß

Jochen
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Fredoman
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Beitrag von Fredoman »

So, und weil ich Dein eigentliches Anliegen vergessen habe - die Orientierung - hier nochmal ein Nachtrag:


Die CD Angelika Kirchschlager, Vergnügte Ruh, ist ja eine Bachplatte, zusammen mit den Vier Jahreszeiten von Vivaldi bilden sie die sog. Barock-Musikrichtung ab. Einige Vertreter: Bach, Vivaldi, Händel, Gluck, Telemann.
Geht man in der Zeitlinie weiter käme dann die Klassik (Beethoven, Mozart, Haydn, etc.).
Noch weiter kommt man zur Romantik (Jonas Kaufmann - Romantic Arias).
Die Platte von Anna Prohaska ist ein sog. Recital, wo ein Künstler verschiedene Werke, in diesem Fall auch aus verschiedenen "Klassik"-Epochen, vorträgt.
Weiter käme dann Spätromantik (Sibelius, Tschaikowsky, Brucjkner, ev. Mahler, etc.), danach ganz grob die "Moderne Musik".
Zur Zeit gibts die Richtung der "Neuen Musik".
In der Zeitlinie zurück: vor dem Barock kommt die Renaissance, in der Musik unterteilt man aber grob nochmal Frühbarock vor der Renaissance-Musik. Diese werden heutzutags grob unter dem Sammelbegriff "Alte Musik" zusammengefasst.

Wenn ich mir also Deine Beispiel-CDs ansehen, so hast du Dir Werke aus dem Barock (Bach , Vivaldi), Römantik (Jonas Kaufmann) und Recitals (Lezhneva, Hera Lind/Marion Schoeller, Anna Prohaska) geholt.

Meine Musikvorschläge waren nun:
Alte Musik: Jordi Savall - La Folia
Romantik: Schubert - Der Tod und das Mädchen, Schumann Symphonien, Schwanensee

Prokofiev bildet als russischer Komponist in meinen Augen eine eigene Spielart: nicht mehr spätromantisch, aber auch noch nicht modern, eine eigene Kategorie eben.

Philip Glass ist ein Vertreter der Neuen Musik: er schreibt sog. Minimal Music. Das hört man sofort. Er macht aus kleinsten musikalischen Motiven, die nur wenig aber dafür stetig verändert werden ganze Symphonien. Sehr beeindruckend!

Das war nur ein kleiner und natürlich unvollständiger Abriss.

Hoffe, es hilft Dir ein bisschen Dich zu orientieren, ansonsten kann man nur raten: hören, genießen.

Liebe Grüße,
Fredoman
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Fredoman
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Beitrag von Fredoman »

Sehr guter Vorschlag, Jochen!

Ich selbst habe die Box "RCA - Living Stereo".
60 CDs zum Schnäppchenpreis und interpretatorisch und künstlerisch meiner Meinung nach sehr wertvoll, auch wenn man einiges heutzutage anders interpretieren würde.
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Hironimus_23
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Beitrag von Hironimus_23 »

Hallo,
erstmal danke für die Tipps und einführenden Worte in die Klassik.
Den Tipp, mir zum Einstieg einer der umfangreichen CD-Boxen zu zulegen werde ich wohl umsetzen. Wird zwar ein Stück Arbeit, erst 60 CDs für die NAS rippen (CD-Player besitze ich nicht mehr), aber wohl der beste Weg, die mir am besten gefallende Musik zu entdecken und dann einzelnd alternative Aufnahen zu erwerben. Jetzt heißt es für mich die beste Box zu kaufen, bei der RCA 60er-Box (Living Stereo Collection) schreckt mich auf den ersten Blick das hohe Alter der Aufnahmen von 1953 bis 1963 ab, aber ggf reicht es zum „Kennenlernen“. Bei der dem Tipp der Philips Box bin ich auf die „Original Jackets Collection (55 CDs)“ gestoßen, bei der Mercury-Box auf die “ Living Presence 2 (55 CDs)“. Bei dem Decca-Tipp weis ich nicht welche Boc empfehlenswert ist. Jochen, würdest Du da noch konkreter werden ? Danke.

Gibt es eine korrekte Bezeichnung für den Klassikbereich, der meine bislang favorisierte Musik, die Vokalmusik mit kleiner instrumentaler Besetzung, entspricht ? Orchestermusik ist doch immer instrumental und mit sehr vielen und viel unterschiedlichen Instrumenten ausgestattet und Kammermusik ist instrumentale Musik mit kleiner Besetzung. Opernmusik würde ich meine Favoriten (z.B. die Bachmusik von Angelika Kirschlager oder das Recital Sirène von Anna Prohaska) auch nicht nennen, da Opern für mich gesungene Theaterstücke sind. Sorry für die vieleicht laienhafte Formulierung.

Viele Grüße,
Hiroimus
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Fredoman
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Beitrag von Fredoman »

Hallo Hironimus,

lass dich vom Alter der Aufnahme in der RCA-Box nicht abschrecken, sie sind ganz hervorragend. Letztlich kommt es ab einem gewissen Produktionsdatum auf die Sorgfalt an, mit der die Aufnahmen produziert wurden (Mikrofonierung, Aufnahme, Mastering, etc.). Klar: Aufnahmen vor etwa 1950 sind meiner Meinung nicht mehr empfehlenswert, da mangelte es einfach an den technischen Voraussetzungen. Ebenso klar ist jedoch, dass gewisse Interpretationen vor diesem Datum natürlich sehr interessant sein können, auch wenn dann das klangliche Ergebnis oft unbefriedigend ist (z.B: Toscanini).

Was nun die Vokalmusik mit kleiner instrumentaler Besetzung angeht, gibt es dafür keine übergeordnete Bezeichnung. Da kommen wieder die Epochen ins Spiel. Gerade die Frühbarock/Barock-Werke werden heute von den sog. "Alte-Musik-Spezialisten" in kleinem Rahmen, d.h. mit kleiner Instrumentalbesetzung, aufgeführt. Das kommt daher, dass die Barockkomponisten einfach nicht genug Musiker zur Verfügung hatten, also komponierten sie für ihre kleinen Ensembles. Ausnahmen gab es auch da natürlich immer, siehe G. F. Händel: der hatte teilweise natürlich von der Aristokratie Londons manchmal die Mittel um riesige Orchester aufzustellen.
Also zusammenfassend wirst du Vokalmusik mit kleiner instrumentaler Besetzung am ehesten im Barockbereich oder der sog. Alten Musik finden.

Später wurden dann die Orchester größer bis hin zu den Mahler-Liedern, Wagners Wesendonck Liedern, Strauss Liedern, etc. Da sind dann schon gewaltige Orchesterapparate am Werk.

Natürlich werden heutzutage auch schon z.B. Mozart-Konzertarien eher "schlank" aufgeführt. Es hat sich auch halt viel in der Aufführungspraxis seit den 60er Jahren geändert.
4-Jahreszeiten mit großem symphonischen Orchester gibts wahrscheinlich nur mehr sehr selten.

Liebe Grüße,
Fredoman
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Hironimus,

zum Thema Alter der Aufnahmen ist ja schon etwas gesagt worden. Die alten Aufnahmen haben eine andere Aufnahmeästhetik als heutige Klassikproduktionen (Stichwort Mikrophonaufstellung). Allein um die Unterschiede erahnen zu können, lohnt es sich, auch alte Aufnahmen im Bestand zu haben.
Technische Gründe sprechen jedenfalls nicht gegen die alten Aufnahmen in den Boxen.

Die Mercury sind allerdings etwas spezieller als die Konkurrenz: Zum einen haben die auch Monoaufnahmen aus der ersten Hälfte der 50er Jahre im Repertoire. Die erste Box beginnt, wenn ich mich recht erinnere, schon Ende der 40er. Das ist dann für denjenigen von Interesse, der den Fortschritt der Aufnahmequalität begutachten möchte. Das ist hier wohl weniger der Fall. Zum anderen finden sich auch eher - sagen wir mal abseitige, nichtsdestoweniger interessante - "Showeinlagen": Ich denke beispielsweise an die "Dokumentation" über die "Klänge" des amerikanischen Bürgerkriegs. Auch finden sich Beispiele für leichte Klassik, z.B. Andersons Stücke, die in jedem Hollywood-Revuefilm oder Zeichentrickfilmen vom Kaliber Rudolf Rotnase gut aufgehoben wären. ;)

Die Boxen von Decca, Philips, RCA sind vom Programm her konventioneller.
Empfehlenswert sind sie alle, soweit noch erhältlich ;)

Da du ja gar keinen CDP mehr hast, empfehle ich aber auch noch etwas anderes: Nämlich das Internet zu nutzen. Dieser Klassiksender: http://www.radioswissclassic.ch/de/ ist nicht schlecht, wenn man mal in das Genre reinschnuppern möchte. Natürlich keine Top-Klangqualität, aber auch darum geht es hier ja nicht.

Als Einstieg zur weiteren Orientierung über die Sortierung innerhalb der Klassik mag diese Seite hilfreich sein:
http://de.wikipedia.org/wiki/Klassische_Musik

Gruß

Jochen
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Thomas K.
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Beitrag von Thomas K. »

Hallo Hironimus,

die gemachten Vorschläge finde ich alle sehr gut.
Mir sind aber auch noch diese eingefallen

Romantik:
Hector Berlioz, Symphony Fantastique,
Mendelssohn, Violinkonzert

Spätromantik
Brahms, 1. Symphonie, Violinkonzert

Oper (Belcanto) wäre auch mal einen Versuch wert
Verdi, Don Carlos, La Traviata
Puccini, La Boheme

Moderne
Stravinsky, Sacre du Printemps
Shostakovitch, 7. und 11. Symphonie, Jazz Suiten

Filmmusik, (die kann man meiner Meinung durchaus dazuzählen)
Prokofief, hier Alexander Newsky
Nino Rota, alles

das meiste populäre Werke mit vielen Einspielungen.

Viele Grüße
Thomas K.
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Hironimus_23
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Beitrag von Hironimus_23 »

An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an Jochen für den nach meinem Geschmack sehr guten Internetradio-Tipp http://www.radioswissclassic.ch/de/ .

Bislang hatte ich fast nur Klassikradio gehört, aber der Schweizer bietet doch andere Musik,als die ewigen Soundtracks. Und das allerbeste: Keine Werbung, keine Nachrichten und saubere An- und Abmoderation der Stücke, wenn auch sehr nüchtern ohne jegliche Emotionen 8) :wink: .

Viele Grüße,
Hironimus
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