Franz Liszt hat 200ten Geburtstag

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
zatopek
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Beitrag von zatopek »

Hallo Holger,

vielen Dank vorab für deinen tollen Text ! Da bekommt man je gleich Lust, mit ihm die "Anneés" zu hören.

Zur Verdeutlichung deiner Einspielempfehlungen hier noch ein paar Cover und Links:

1.Lazar Berman: (Ges.-Aufn.) DGG, einzelne Stücke in der Box von Brilliant-Classics mit Dokumenten aus den russischen Archiven

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http://www.amazon.de/Annees-Pelerinage- ... 623&sr=1-1

2.George Cziffra (Ges. Aufn.): EMI

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http://www.amazon.de/Ungarische-Rhapsod ... 904&sr=1-2

3.Vladimir Horowitz: Einzelaufn. Vallée d´Oberman (CBS Carnegie Hall 1966) u. Au bord d´une source (CD Horowitz Rediscovered)

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http://www.amazon.de/Complete-Masterwor ... 064&sr=1-2

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http://www.amazon.de/Horowitz-Rediscove ... 981&sr=1-1

4.Claudio Arrau (Einzelstücke), Philips, u.a. Tellslegende u. Vallée d´Oberman

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http://www.amazon.de/SONATA-MINOR-etc-C ... 139&sr=1-3

6.Alfred Brendel (Ges. Aufn. Heft I u. II): Philips, auch DVD mit Erklärung. Es ist derzeit nur die 2., die Digitalaufnahme, erhältlich

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http://www.amazon.de/Duo-Annees-pelerin ... 406&sr=1-1

7.Jorge Bolet (Ges. Aufn. Heft I u. II): Decca

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http://www.amazon.de/Liszt-Klavierwerke ... 478&sr=1-1

8.Michael Korstick (Ges. Aufn. Heft I): jpc

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http://www.amazon.de/Annees-Pelerinage- ... 541&sr=1-3

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http://www.amazon.de/Liszt-Annees-Peler ... 541&sr=1-1

9. Arcadi Volodos plays Liszt : Vallée d´Oberman

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http://www.amazon.de/Volodos-Plays-Lisz ... 631&sr=1-1

Leider konnte ich die Live-Aufnahme von ABM nicht finden.

Ich selber habe nur die Aufnahme von Berman.

Viele Grüße, Bernd
Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Lieber Bernd,

erst einmal herzlichen Dank für die Bilder! Und es freut mich natürlich, daß Du Lust bekommst, die Annees... nochmals zu hören! Ich habe natürlich eine besondere Beziehung zu den Stücken und auch einen Teil selber gespielt, so daß ich jede Note kenne und entsprechend in dieser Musik quasi lebe! Was ich hier eingestellt habe, ist eine kurze Kurzfassung! Die ausführliche Langversion werde ich wohl im Laufe des Jahres publizieren, zum Liszt-Jubiläum bietet sich das an! Ich bin da allerdings noch nicht weiter als "Vallee d´Oberman" gekommen, weil ich den langen Senancour-Text übersetzen muß. Da ich Amateur bin weil kein Romanist, ist das etwas mühselig! Worauf ich mich ganz besonders freue: Am Freitag werde ich in Weimar im Liszt-Museum sein! :D Da werde ich berichten!

Eben habe ich von Liszt gehört die Symphonische Dichtung "Ce qu´on entend sur la montagne" nach einem Gedicht von Victor Hugo. Thema ist auch hier "das Erhabene" wie in "Orage": Der Mensch steht an einer Klippe und hat das tosende Meer untersich und den unendlichen Himmel über sich. Da prallen dann die Natur als Ideal und die böse menschliche Welt aufeinander - dieser romantische Gegensatz Natur-menschliche Welt hält sich ja durch bis hin zu Gustav Mahler (1. Symphonie!).

Über die einzelnen Aufnahmen müssen wir natürlich noch sprechen. Heute habe ich (noch) einmal gehört anläßlich meiner Studien:

Claudio Arrau

1. Die Tellslegende von ihm gefällt mir gar nicht! Der Ton paßt zwar, dieser typische, wuchtige und baßlastige Arrau-Klang. Ich habe das Stück selbst auch gespielt. Arrau zählt einfach zu Beginn nicht richtig. Das will er natürlich nicht, weil er glaubt, expressivo spielen zu müssen. Doch das finde ich hier völlig unpassend. Denn man muß sehr präzise sein, sonst wirkt das pommadig, die Phrasen und Blöcke müssen klar herauskommen. Das soll wie ein Tempel klingen, in Stein gehauen, da müssen auch die Waagerechte und Senkrechte stimmen, sonst fällt das Gebäude zusammen. Auch am Ende - ich kenne das Problem aus eigener leidvoller Erfahrung - wenn diese Glockenschläge kommen, ist er einfach nicht rhythmisch präzise, was da ziemlich schwer ist!

2. Vallee d´Oberman von Arrau ist dagegen ganz großartig! Die Aufnahme muß man einfach kennen. Er spielt einmal wirklich Lento wie vorgeschrieben (Lento assai), die meisten nehmen das sehr viel flüssiger. Dadurch hört man wirklich den grüblerischen, schwermütigen Geist. Die Schwermut hat Liszt ja allein schon dadurch ausgedrückt, daß die Melodie in den Baß gesetzt ist (die linke Hand) und die unwichtige Begleitung darüber (in der rechten) - genau umgekehrt wie es normal wäre. Arrau kann technisch alles, aber bei ihm gibt es nirgendwo Tastenzirkus a la Horowitz und Volodos. Das ist Ausdrucksmusik pur, da wird jede Note Ernst genommen!

Dann Lazar Berman, und zwar aus Box hier (Berman Edition):

http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?_ ... on&x=0&y=0

Wer sie noch nicht hat, sollte sie sich unbedingt zulegen, bevor sie völlig vergrifen ist. Bei 2001 wurde sie schon für ein paar Euro verramscht, das ist immer ein Alarmsignal! Da sind wahre Schätze drin!

Vom 1. Band der Annees gibt es die folgenden Aufnahmen von 1972 - also 5 Jahre vor der Studioaufnahme der DGG:

Nr. 1 Tellslegende, 2. Au lac de Wallenstadt, Vallee d´Oberman, Le mal du pays und Les cloches de geneve

Als ich das wieder gehört habe, war ich "hin und weg" wie man so schön sagt! Berman war einfach der größte Intepret der Annees..., den es je gegeben hat. Dieser Mitschnitt ist ganz anders als die spätere Studioaufnahme, viel "russischer", expressiver.

Schon die Tellslegende begeistert mich! Das ist um Klassen besser als Arrau! Wie er da diesen feierlichen, choralhaften Ton trifft (noch besser als in seiner eigenen Studioaufnahme), und dann diese unvergleichliche Mischung aus Genauigkeit, Feinsinnigkeit, Expressivität und dynamischem Spiel! Einfach ideal!

Vallee d´Oberman ist ebenso unvergleichlich. Flüssiger im Tempo als Arrau, da ist viel russisches Expressivo drin. Aber Berman ist einfach noch vielschichtiger als Arrau, er kann einfach alles: das trockene Recitativo, Belcanto, alle Facetten sind da. Auch bei ihm - das ist klaviertechnisch natürlich spektakulär - gibt es keinerlei Tastenzirkus! Stupend genau wird da der Notentext umgesetzt (sein Lehrer Goldenweiser hatte die Maxime, wie Berman berichtet: "Man muß jede Note die man spielt, begründen können!"), auch in der furiosen Schlußpartie. Wenn man das einmal gehört hat, dann kann man die Zirkusartisten kaum mehr ertragen!

Das "Heimweh" spielt sowieso niemand annähernd so gut wie er. Und die Glocken von Genf sind viel aufregend-leidenschaftlicher als in der Studioaufnahme! Von Berman muß man einfach alles sammeln, was es an Liszt-Mitschnitten gibt! Danach konnte ich einfach nichts mehr hören! Das war zu schön!

Den ABM müsste in einer von den Boxen des Labels „Aura“ enthalten sein – es ist die CD mit den Preludes Haft II von Debussy. :cheers:

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Ich habe doch heute morgen eine glückliche Entdeckung gemacht. Gerade erschienen - es tut sich doch etwas :D - ist endlich die Aufnahme des 2. Bandes (1. Heft Italien) der "Annees..." mit Wilhelm Kempff, auch noch preisgünstig dazu:

http://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/ ... um/3680453

Kempff vermag auf dem Klavier zu "singen", seine Musikalität ist immer wieder beglückend. Genau solche Fähigkeiten - Belcanto - braucht man für diesen Italien-Band!

Daß Korstick bereits eine zweite Platte gemacht hat (Italien), war mir doch glatt entgangen.

Von Kempff gibt es einige wenige Stücke aus "Suisse" auch in dieser Box:

http://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/ ... um/9609470

die ich leider nicht habe.

Glatt vergessen habe ich doch Svjatoslav Richter - zu haben für nur 8 Euro:

http://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/ ... um/4286802

Da ist u.a. "Vallee d´Oberman" dabei und die drei Petrarca-Sonnette aus dem 1. Band Italien. Die CD habe ich - werde da nochmals nachhören und demnächst berichten!

Unbedingt anschaffenswert ist die 2. Aufnahme von Heft 2 (Nr. 1 Italien) und 3 (Ausz.), die Lazar Berman 1995/96 in Italien machte. Wunderbar, deutlich anders als die DGG-Einspielung, noch feinsinniger (geradezu atemberaubend feinzeichnend, pianistische Kultur vom Feinsten!) und manchmal seinen frühen expressiven Aufnahmen sogar näher als in der späteren Studioproduktion von 1977!

http://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/ ... um/7861394

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Schade, schade: das Liszt-Museum ist leider geschlossen - erst ab 21. März wieder offen:

http://www.hfm-weimar.de/v1/hochschule/ ... ontakt.php

Mein Besuch muß also verschoben werden...
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Gerhard
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Beitrag von Gerhard »

Hallo Holger!

Auch von mir ein herzliches Dankeschön für Deine wunderbare Einführung zum ersten Heft der Annees, die für Dich sicherlich mit viel Arbeit und Zeit verbunden war. Es ist sehr großzügig von Dir, uns an Deinem reichen Wissen teilhaben zu lassen. Auch ich habe da sofort Lust bekommen, an Hand Deiner Besprechung diesen Band mir anzuhören (mit Berman/DGG) und hoffe, dass ich am Wochenende dazu Zeit und die erforderliche Ruhe finden werde. Ich freue mich schon darauf!

Vor zwei Tagen habe ich mir Vallee D'Oberman mit Arrau (auf der CD dessen Bild Bernd dankenswerter Weise oben eingestellt hat) angehört und ich muss gestehen, dass mich das Werk auch ohne Hintergrundwissen sehr angesprochen und es hat mir sehr gut gefallen, sodass ich es mir eigentlich ein zweites Mal anhören wollte, wenn ich nicht schon so müde gewesen wäre. Mit dem jetzigen Wissen - dank Deines Beitrages - sollte es ja noch einmal ansprechender sein. Ich habe mir auch mit Arrau die Konzeretuden Waldesrauschen und Gnomenreigen angehört - ebenfalls sehr gut. Eine naive Frage, die sich mir beim Hören des Gnomenreigen stellte (ich habe kein Hintergrundwissen dazu): Hatte eigentlich Liszt auch Humor, Witz im weitesten Sinn in seine Musik einfließen lassen ?

Die Kempff Originals Neuerscheinung, auf die Du aufmerksam gemacht hast, ist auch sehr interessant - kommt auf die Wunschliste.

Herzliche Grüsse!

Gerhard
Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Gerhard hat geschrieben:Eine naive Frage, die sich mir beim Hören des Gnomenreigen stellte (ich habe kein Hintergrundwissen dazu): Hatte eigentlich Liszt auch Humor, Witz im weitesten Sinn in seine Musik einfließen lassen ?
Hallo Gerhard,

naiv ist Deine Frage überhaupt nicht, im Gegenteil! :D Das ist das weite Feld Humor-romantische Ironie. Die Etüde "Gnomenreigen" ist finde ich ein bemerkenswertes Stück - das klingt fast schon wie Scriabin. Spontan würde ich sagen: Bei Liszt gibt es eher bittere Ironie als Humor, etwa in der "Mephisto-Polka", wo der Teufel vergeblich versucht, Polka zu tanzen, sich sehr linkisch anstellt. Das Ganze endet mit einem falschen Ton (!), der in die Tasten geknallt wird - die Wut des Diabolischen über das Mißlingen. Der eigentlich romantische Humor (Jean Paul) ist im Grunde milde und versöhnlich, den würde ich eher bei Gustav Mahler ansiedeln (seine IV. Symphonie besonders) als bei Liszt. Beim "Gnomenreigen" glaube ich, daß Liszt einen nächtlichen Spuk tanzender Fabelwesen darstellen wll, etwas Phantastisches. Drollige Trolle - das gibt es wohl eher bei Edvard Grieg (Peer Gynt). :cheers:

Schöne Grüße
Holger
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Kienberg
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Beitrag von Kienberg »

Hallo Holger,

besten Dank für Dein hochinterssantes "Franz Liszt-Kompendium" zum Gedenkjahr.

Als musikalischer "Romantiker" gehört Franz Liszt seit Jahrzehnten zu meinem bevorzugten Komponisten, höre die Klavierkonzerte und die h-Moll-Sonate mindestens einmal im Monat. Auch die Annees, in der Aufnahme mit Brendel, aber auch der mit Jorge Bolet, höre ich mir immer wieder gerne an.
Dr. Holger Kaletha hat geschrieben: Krystian Zimerman und S. Ozawa (DGG) (plus „Totentanz“): Beeindruckend dämonisch-virtuos und musikalisch treffsicher
Diese Aufnahme, man muss sie "invertiert" hören, gehört zu meinen "All Time" Favoriten, eine Aufnahme für die "Einsame Insel", einfach grossartig :D

Gruss
Sigi
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Gerhard
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Beitrag von Gerhard »

Hallo Holger!

Besten Dank für Deine Antwort. Offenbar ist der Gnomenreigen dann doch mehr etwas Phantastisches als etwas Humorvolles. Da habe ich Liszt wohl mißverstanden.

Herzliche Grüsse

Gerhard
Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Kienberg hat geschrieben: Als musikalischer "Romantiker" gehört Franz Liszt seit Jahrzehnten zu meinem bevorzugten Komponisten, höre die Klavierkonzerte und die h-Moll-Sonate mindestens einmal im Monat. Auch die Annees, in der Aufnahme mit Brendel, aber auch der mit Jorge Bolet, höre ich mir immer wieder gerne an.
Hallo Sigi,

mit Liszt habe ich so eine Art Wahlverwandtschaft, deswegen spiele ich ihn so gerne und ich kann mir auch nicht vorstellen, ohne seine Musik auszukommen! Die kollossale h-moll-Sonate habe ich früher ebenfalls sehr häufig gehört, heute weniger. Das liegt aber daran, daß dieses Stück heutzutage leider verbraucht wird auf vielen Klavierwettbewerben und gespielt wird von Youngstars, denen dafür einfach die nötige Reife fehlt.

Der Brendel ist wirklich hervorragend - besonders der Band "Suisse". Es gibt auch eine Aufnahme von ihm auf DVD mit sehr aufschlußreichen Erklärungen - Brendel ist ein großér Liszt-Verehrer - die mal im Fernsehen gesendet wurde. Das werde ich mir wohl auch noch anschaffen :D :

http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?_ ... &x=11&y=21

Die Bolet Liszt-Box (Decca), eingespielt auf einem Bechstein-Flügel übrigens, ist wunderbar und unverzichtbar. Die "Annees..." von ihm finde ich allerdings, daß sie nicht zu seinen stärkste Liszt-Aufnahmen gehört.

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Gerhard hat geschrieben:Besten Dank für Deine Antwort. Offenbar ist der Gnomenreigen dann doch mehr etwas Phantastisches als etwas Humorvolles. Da habe ich Liszt wohl mißverstanden.
Hallo Gerhard,

da bist Du nun aber zu bescheiden! :D Die Frage ist doch, ob es in der Musik überhaupt so etwas wie eindeutige Bezüge zwischen Empfindung und Ausdruck gibt. Vielleicht existiert hier gerade eine schillernde Mehrdeutigkeit, welche vom Komponisten so gewollt ist, als Aspekt des "Dämonischen". Da sind dann verschiedene Interpretationen möglich, der eine kann das mehr betonen, der andere hört dagegen etwas ganz Anderes heraus. Arrau spielt das sehr körperlich, da kann man durchaus Assoziationen zu etwas "Drolligem" haben. Man könnte auch ein komisches "Plappern" heraushören, so ähnlich wie in "Napoli" aus "Venezia et Napoli", wo man den Eindruck einer Menge hat, wo alle durcheinander reden. Letzteres erinnert mich übrigens immer an die schwatzenden Marktweiber aus Mussorgksys "Bildern einer Ausstellung" - ich bin mir fast sicher, daß Mussorgksy das Liszt-Stück gekannt hat. Auch das hat einen gewissen komischen Aspekt.

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Nur eine kurze Notiz - meine heutige Hörsitzung, u.a. mit dem oben aufgeführten Mitschnitt von Svjatoslav Richter:

Dass Svjatoslav Richter ein Riese ist, merkt man an seinem Vallée d´Oberman. Genial, wie er das Lento hinbekommt! Der Denker auf dem Klavier, nachsinnend, durch das Gemüt leise schleichende Gedanken. Das „Recitativo“ großartig, der reine Aufruhr, Ausdrucksmusik und sonst nichts, keinerlei Effekthascherei trotz des virtuosen Effekts. Weil er so ungemein präzise spielt, kann er sich das Bravourspiel in der Schlussapotheose leisten, das Oktavenfeuer entfachen. Es wird trotzdem kein eitler Tastenzirkus daraus. Das Ende: Wie er das Ritardando ausspielt, da wird die Musik wahrlich „gedehnt“ und die quälende Skepsis schlägt durch. Absolut vorbildlich! Warum hören das nur nicht alle so heraus? Au bord d´une source spektakulär virtuos, mit impressionistischen, hervorschießenden Fontainen. Die Zypressen der Villa d´Este ebenso großartig wie das 3. Petrarca-Sonnett! :D

Beste Grüße
Holger
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo,

über die jüngere Zeitgeschichte, Bayreuth und Richard Wagner, blieb es nicht aus, auch einen Blick auf den zeitweisen Freund und Schwiegervater zu werfen.

Man sollte als erstes wissen, daß in der Mitte des 19.Jahrhunderts viele uns bekannte Künstler sich persönlich kannten und gegenseitig inspirierten.Vieles aus dem Bereich "Klassische Musik in der heutigen Form" ist damals angelegt worden.

Liszt,Wagner,Paganini, Chopin, Berlioz,....Paris war dabei der Sammelpunkt.

Paganini verlieh in seinem Spiel der armen, schwachen Geige eine Vielstimmigkeit und einen solchen Farbenreichtum, daß Liszt um sein Klavier bangte, das für ihn an erster Stelle der Instrumente stand.

Das Klavier kann nicht singen wie die Geige oder das Holzblasinstrument, nicht schmettern und dröhnen wie das Blech, aber es kann das gegenseitige Verhältnis der Orchesterstimmen richtig wiedergeben.

Wenn zwei ausgebildete Musiker diesselben Noten auf dem gleichen Instrument spielen, ist es der Ausdruck und die damit verbundene Technik (z.B. Fingersatz), die den Unterschied machen.

Liszt spielte Dezimen wie Oktaven, seine Sprungtechnik machte fassungslos, die Rechte und Linke waren am Schluß vollkommen gleichmäßig ausgebildet.

Während seine große Liebe, Gräfin d'Agoult, seine Fähigkeiten als Komponist an erster Stelle sehen wollte, musste er aus monetären Gründen und auch der Eitelkeit und des Erfolges wegen sehr viel reisen und Konzerte geben.

Auch ist er als Schriftsteller, Dirigent und Theaterleiter tätig gewesen.

Gedenken wir diesem außerordentlichen Menschen und großem Freund der Frauen, indem wir die Gesamtleistung als Künstler und Kulturmensch und seine unbestreitbare Wirkung auf andere in unsere Betrachtungen zu seinem 200ten Geburtstag mit einbeziehen.

Gruß

Bernd Peter
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Bernd Peter hat geschrieben:Gedenken wir diesem außerordentlichen Menschen und großem Freund der Frauen, indem wir die Gesamtleistung als Künstler und Kulturmensch und seine unbestreitbare Wirkung auf andere in unsere Betrachtungen zu seinem 200ten Geburtstag mit einbeziehen.
Hallo Bernd Peter,

das ist genau die richtige Losung! :cheers: Welche Literatur hast Du denn oder kannst sie empfehlen? Manfred Wagner und Siegfried Schibli in meiner Bibliothek finde ich eher mittelprächtig. Dann habe ich noch etwas Halbliterarisches von Tamas Nador "Wenn Liszt ein Tagebuch geführt hätte...", das ist ganz originell. Liszt selbst als Schriftsteller und Musiktheoretiker ist selbstverständlich nicht zu vergessen! :D Von wegen Freund der Frauen - das ist die andere Seite: Wirklich übel war, daß Liszts holde Tochter Cosima, die Wagner geheiratet hatte, den Tod ihres Vaters in Bayreuth zunächst aus eigennütziger Berechnung verschwieg, nur damit der Festspielzirkus ungestört weiterlaufen konnte. Unfaßbar!

Beste Grüße
Holger
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Holger,

Franz Liszt war ein wirklich sehr gut aussehender Mann und begnadeter Klaviervirtuose. Den Rest kannst Du Dir denken, wenn ich von Freund der Frauen spreche.

Etwas völlig anderes galt im Hinblick auf seine Rolle als Vater.

Seine Kinder haben ihn - wie auch die Mutter - nur selten gesehen, trotzdem war er Patriarch, alles mußte von ihm brieflich genehmigt werden.

Ungeachtet dessen hat er viel Geld in die Ausbildung seiner Kinder fließen lassen.

Cosima besaß eine Bildung, die ihresgleichen suchte, und war auch künstlerisch bemerkenswert veranlagt.

Albert Schweitzer hat nie seinen Respekt vor dieser hohen Dame ablegen können, das heißt schon was.

Heute würden wir sagen, daß die Kinder ohne Eltern aufgewachsen sind, früher war das in den Kreisen normal, oder denk mal an Prince Charles...

Liszt hat bei seinem letzten Besuch in Bayreuth nicht in der Villa Wahnfried gewohnt, das sagt doch schon sehr viel, oder?

Lag diese Entfemdung bei Cosima oder Ihren Eltern?

Jeder bekommt das, was er verdient.

Gruß

Bernd Peter
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Bernd Peter hat geschrieben:Lag diese Entfemdung bei Cosima oder Ihren Eltern?

Jeder bekommt das, was er verdient.
Hallo Bernd Peter,

das Verhältnis von Liszt zu seiner Tochter war wohl seit ihrer Heirat mit Wagner nicht besonders gut. Die Gründe werden wohl komplex sein und er wird selbstverständlich einen nicht unerheblichen Anteil daran haben. Daß Cosima Wagner regelrecht angehimmelt hat, kann man u.a. auf manchen Fotos sehen, wo sie eine sehr devote Haltung einnimmt. Bayreuth ging ihr im Leben einfach über alles - auch über den eigenen Vater. Allerdings finde ich es schon ein starkes Stück, daß die Tochter ihren hochberühmten Vater klammheimlich auf dem Friedhof verscharren läßt, wegen des Festspiel-Business! Das hat er doch wohl nicht verdient gehabt - zeugt für mich nicht gerade von Pietät und Anstand. Im Falle des Todes zumindest sollte man doch eventuelle Kränkungen usw. vergessen können, wenn man wirklich souverän ist.

Beste Grüße
Holger
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