zatopek hat geschrieben:Ich habe ja immer noch gewisse Schwierigkeit mit Gustav Mahler. Früher, als ich noch bedeutend jünger war
![Wink :wink:](./images/smilies/icon_wink.gif)
, habe ich ihn geliebt. Vor allem die 2. Symphonie mit den Wienern unter Gilbert Kaplan hatte es mir damals sehr angetan. Das war so eine Art "Erweckungserlebnis".
Heute sehe ich das ein wenig kritischer und die Kaplan - Aufnahme gefällt mir gar nicht mehr so gut. Aber auch insgesamt finde ich Mahler doch recht eklektizistisch und manieristisch. Da sind mir zuviele Hörner, zuviel Pathos, zuviel Jugendstil. Ich höre ihn nicht mehr gerne. Aber das ist natürlich eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Solche Live-Erlebnisse ralativieren immer auch die Einstellung zu Aufnahmen auf der Konserve. Vielleicht hatte Celibidache mit seiner strikten Weigerung, Aufnahmen zu machen, doch recht. Musik ist ein unwiederholbares Erlebnis.
Hallo Bernd,
ja, meiner Frau ging es ähnlich wie Dir. Das sei nicht "ihre" Musik - zu viel Extrovertiertheit und Leidenschaft. Das ist natürlich letztlich eine Frage der Musizierhaltung und ein grundsätzliches ästhetisches Problem: Was soll oder will Musik ausdrücken? Mahler zeigt hier ganz offen die Zerrissenheit des Mernschen, das ist sehr modern, hat existenzialistische Züge und geht in Richtung Expressionismus. Wobei man sagen muß, daß Mahler selbst verschiedene Kunststile unterscheidet. In der 3. und 4. Symphonie, deren Grundhaltung nach Mahler der "Humor" ist, gibt es diese extremen Kontraste nicht: da ist alles "ununterschiedenes Himmelsblau". Das ist das Tolle bei Mahler, wie ich finde: Jede Symphonie ist unvergleichlich, eine Welt für sich.
Der Vorwurf des "Eklektizismus" ist Mahler in bezug auf seine "Themen" immer wieder gemacht worden, die bloße Zitate seien, "geklaut", unoriginell usw. Gerhard liest das Buch von Eggebrecht, der dieses Problem eigentlich sehr überzeugend behandelt: Mahler benutzt die Themen und Melodien wie ein Romanschriftsteller, als "Rohstoffe", die eine gewisse vorgeprägte Idiomatik haben und so mit einer bestimmten Bedeutung besetzt sind, die der Hörer gleich versteht. Mahler will ausdrücklich keine "absolute Musik" schreiben im Sinne des Formalismus von Hanslick, sondern die Symphonie hat einen Weltbezug. Dieser Weltbezug wird eben u.a. durch diese "Vokabeln" gestiftet. Eggebrecht nennt das "Vokabel", weil das bezeichnend keine wörtlichen Zitate sind, sondern oft auf gleich mehrere Quellen verweisen. Die
Verwendung dieser Vokabeln ist natürlich hochoriginell, Mahler ist ein unglaublich "strenger" Kompomist, hat selbst eine ganz neue Gattung der Symphonie geschaffen. Z.B. das Finale der 2., die "Symphonie-Kantate", ist eine musikgeschichtlich einmalige Neuschöpfung. Darüber gibt es einen lesenswerten Aufsatz von Carl Dahlhaus.
Der Vorwurf des "Manierismus" hängt mit dem Problem der musikalischen Rhetorik zusammen. Mahler ist sehr stark von Richard Wagners musikalischer Hermeneutik geprägt, also den "Neudeutschen", die Musik nicht als bloße Form, sondern Form als Ausdruck eines Inhalts verstehen. Das Schlüsselerlebnis für Liszt und Wagner war Berlioz, die "Fantastische Symphonie". Mendelssohn, der mit Berlioz eng befreundet war, schreibt in einem Brief, was für ein wunderbarer Mensch Berlioz sei, aber diese Symphonie sei einfach abscheulich! Mendellssohn ist von Goethe geprägt, dieser Ausdrucksrealismus mit seinen Exzessen und Übertreibungen war ihm einfach widerlich. Liszt verteidigt Berlioz in einer seiner Schriften. Bei Liszt und Wagner entwickelt sich daraus der Begriff der "charakteristischen Melodie", die muß immer einen ganz bestimmten, "sprechenden" Ausdruck haben. Nicht zuletzt deshalb ist Mahlers oberstes Gebot bei der Orchestrierung die "Deutlichkeit" - auch das kommt von Wagner. Das ist ein eindeutig antiromantischer Zug. Die "charakteristische Melodie" will Ausdruck und nicht Schönheit, deswegen "übertreibt" sie. Das
kann man freilich als manieristisch empfinden, die Frage ist, ob man dem Phänomen damit gerecht wird. (In der Diskussion um die musikalische Rhetorik findet man das immer wieder!) Mahler sagt selbst einmal zu seiner Orchestrierung, daß er die Bläser Töne blasen läßt, die sie nur mit Mühe und nicht bequem hervorbringen können, um ihnen diesen gepreßten Ausdruck abzutrotzen. Die gewisse Forciertheit und Übertreibung gehört also zur Ausdrucksgebärde, sonst - das ist die Wagner-Tradition - wird die Melodie als unverbindlich glatt, als eben "nur" oberflächlich schön und nicht bedeutungsvoll empfunden. Wirklich beeindruckend im Finale der 2. finde ich die Dramaturgie, wo Mahler Wagners Aufassung von Musik und Sprache in Musik gewissermaßen wörtlich umsetzt. Wagner spricht von der "Erlösung der Musik durch das Wort". Mahler läßt erst ein Lied ohne Worte erklingen, die Auferstehungsode sehr sprechend, aber wortlos. Und dann "realistiert" der Chor das, was das Orchester schon durch seine Sprechmelodie vorformuliert hat, "erlöst" damit die Sehnsüchte der Musik, indem die Wortmelodie nun nicht mehr nur
wie eine Sprache spricht, sondern selber Sprache ist.
Celibidaches Vorbehalt bezieht sich auf das "Tempo". Für ihn ist das Tempo "absolut" - d.h. nur in einer realen Aufführung kann man es wirklich verstehen, d.h. als "richtig" empfinden. Das ist natürlich ein spannendes Thema!
Beste Grüße
Holger