Mozart – Die Entführung aus dem Serail

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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alcedo
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Mozart – Die Entführung aus dem Serail

Beitrag von alcedo »

Hallo Opernfreunde

Nachdem ich hier bereits 3 Mozart-Opern intensiv mit verschiedenen Aufnahmen verglichen habe, hatte ich Lust, dies auch bei der „Kinder-Oper“ (wohl jeder durfte wohl während seiner Schulzeit in diese – alternativ auch gerne in „Die Zauberflöte“ – geschleppt worden sein) oder genauer gesagt: dem deutschen Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ auszuprobieren.

Verglichen habe ich folgende 18 Aufnahmen:

Fricsay, 1954 (mono)
Rosbaud, 1954
Beecham, 1956
Szell, 1956
Suitner, 1961
Jochum, 1965
Krips, 1966
Böhm, 1974
Wallberg, 1978
Colin Davis, 1979
Solti, 1984
Harnoncourt, 1985
Weil, 1992
Gardiner, 1993
Christie, 1999
Bolton, 2006 (DVD)
Nézet-Séguin, 2015
Jacobs, 2015

Schon als Kind faszinierte mich in diesem Stück natürlich die Rolle des Osmin, dem finsteren Palast-Aufseher des Paschas. Diese abgrundtiefen Basstöne, diese bildhaften Arien wie „Solche hergelaufenen Laffen“ (ein hartes Stück über Folter und Tod) oder „Ha- wie will ich triumphieren“ (dito), aber auch die lustige Weinszene „Vivat Bacchus!“ wurden schon früh in meinem Gedächtnis fest verankert.

Es gab meiner Meinung nach nur wenige Bässe, die Osmin zu ihrer Paraderolle machen konnten: Kurt Moll und vor allem Gottlob Frick. Letzterer schaffte zwar selten den Triller in der Laffen-Arie, verlieh jedoch dem Haremswächter mit seinem komödiantischen Talent ein bleibendes Portrait. Welche Aufnahme wäre daher mit Frick zu empfehlen? Es gibt im Wesentlichen 3: 1953 mit Schüchter (habe ich nicht gehört), die 1956er mit Beecham (sehr gut) und - mein Favorit (obwohl hier Frick bereits schwächer als unter Beecham singt) – die mit Josef Krips von 1966. Sie ist auch in der spielerischen Darstellung des Stücks und von der Ensembleleistung her – die beeindruckendste Aufnahme. Und wer da alles neben Frick noch mitsingt: Lucia Popp, Nicolai Gedda, Gerhard Unger, Leopold Rudolf und – Anneliese Rothenberger (und das ausgesprochen beeindruckend!).

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Welche Alternativen kann ich empfehlen?

Gehen wir wieder über Osmin - wer hat je so beeindruckend das tiefe D gesungen? Und wem gelang ebenfalls so der Spagat zwischen abgrundtiefer Boshaftigkeit und gutmütiger, dahinschmelzender Drolligkeit wie Gottlob Frick? Nun – einen Bass konnte ich in diesem Vergleich für mich neu entdecken: Arnold van Mills Stimme (in der Aufnahme mit Suitner) ist vom Timbre her überwältigend!
Allerdings ist er kein wirklicher Bösewicht, sondern eher ein verkappter Sympathieträger. Einige werfen ihm daher vor, kein „passender“ Osmin zu sein. Rein musikalisch singt er tadellos – kraftvoll und beeindruckend. Ja, er leistet sich manche Unsauberkeit, verschluckt oder verschleift ab und zu Silben. Und dennoch gelingt ihm eine neue Sichtweise auf den Bösewicht. Mich jedenfalls begeistert seine Darbietung. Leider sind seine Kolleginnen nicht ganz auf gleicher Höhe. Dafür dirigiert Otmar Suitner (ein Star zu DDR-Zeiten) wunderbar sauber, prägnant und mit sehr guten Tempowechseln. Immer bleibt die Spannung erhalten – eine sehr plastische, textverständliche Gesamtaufnahme mit hoher Spielfreude.

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Zwischen Krips und Suitner würde ich die Aufnahme mit René Jacobs aus 2015 platzieren. Wie immer mit intelligenten Übergängen, tollem Klangbild, viel Theateratmosphäre und hohem Spaßfaktor. Gelungen!

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Und wie schneiden die immer wieder genannten Referenzaufnahmen ab? Solti und Jochum halten sich noch ganz wacker, Davis und Böhm fallen dagegen schon ordentlich ins Hintertreffen. Und auf dem genannten guten Niveau spielen auch Beecham und Weil, in Teilen (Osmin und Dirigent) auch Nézet-Séguin.

Eine Nachbemerkung: ich habe wieder mal feststellen können, wie wertvoll inzwischen Streamingdienste wie Qobuz für mich sind. Obwohl ich einige Gesamtaufnahmen der Entführung besitze, gehört leider (noch) keine der obigen 3 Empfehlungen dazu 🤢


Noch eine kleine Anmerkung: ich habe diesen Artikel noch veröffentlicht, da ich ihn bereits zum großen Teil fertig geschrieben hatte. Ich verspüre gerade keine Lust mehr, mir diese Arbeit zukünftig noch zu machen, wenn diesem Forum zum Jahresende tatsächlich das „Aus“ bevorstünde. Für den Orkus zu schreiben macht einfach keinen Spaß.


Viele Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

alcedo hat geschrieben: 17.03.2021, 20:57 Für den Orkus zu schreiben macht einfach keinen Spaß.
Hallo Jörg,

das kannst du ruhig groß schreiben. Es macht so viel Spaß, deine Beiträge zu lesen. Und so viel dabei mitzunehmen.

Viele Grüße, wir werden uns hoffentlich weiterhin lesen. ;)

Jochen
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg, hallo Jochen,

obwohl sehr off-topic.

die reinen Klassikforen sind für mich auch keine Alternative. Entweder sind da nicht nur, aber zu viele, Schnarchnasen am Werk oder, nicht nur, aber zu viele, hochnäsige, aber bestenfalls drittklassige Musiker (sorry). Manchmal runzele ich auch die Stirn wegen des Umgangstons. Ich schaue da mittlerweile nur hinein, wenn ich viel Zeit habe. Kennt Ihr diese Foren auch und, wenn ja, wie gefallen Euch die?

Da bliebe dann nur ein Messenger. Ich hoffe sehr, es geht hier weiter.

Viele Grüße
Horst-Dieter
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Horse Tea hat geschrieben: 17.03.2021, 21:24 Kennt Ihr diese Foren auch und, wenn ja, wie gefallen Euch die?
Hallo Horst-Dieter,

da war doch noch was. Nämlich deine Frage. ;)

Nein, ich kenne solche Foren nicht wirklich, ab und zu bin ich als "Gast" durch die Suchmaschine drauf gestoßen worden. Hatte dann beim Querlesen sehr schnell den Eindruck, den du auch gewonnen hast. :cheers:

Viele Grüße

Jochen
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Amati
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Beitrag von Amati »

Moin,

wer ein wenig masoschistisch veranlangt ist, kann ja mal versuchen bei "Tamino-Klassikforum" was zu werden.
Hier gibt es auch einen Crash-Kurs für Aspiranten, die sich fit machen wollen, die Aufnahmeprocedur unverletzt zu überstehen.
Wenn ich mich recht erinnere, muss man mit Alfred Schmidt ein Telefonat führen, in welchem man dann examiniert wird.

https://www.tamino-klassikforum.at/inde ... -aspirant/

Ich habe dann davon abgesehen, da ich zwar einige veritabele Bildungsnachweise erbringen kann, aber eben keine Staatsexamina in Musikwissenschaften.

By the way, der beste Tamino aller Zeiten, war für mich unangefochten Fritz Wunderlich. Das wird wohl auch nie jemand toppen können.

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Diese Jahrhundertaufnahme gibt es inzwischen auch als HiRes Variante.

Fritz Wunderlich wäre eigentlich mal einen eigenen Thread wert, aber ich als musikalischer Amateur, werde mich da nicht aus der Deckung wagen. :mrgreen:

Gruß

Peter
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Peter,

Amateure sind wir doch alle :cheers:

Aber was soll ein eigener Thread über Wunderlich bringen? Seine schlechten Aufnahmen? Wäre ein kurzer thread ... :lol:
Selbst seine Schlagerplatten sind verdammt gut.

Bei der "Entführung" gibt es ja auch gute Aufnahmen mit Wunderlich. Für meinen Geschmack sind in dieser Oper allerdings die Rolle des Osmin und die Frauenstimmen entscheidend.

Beste Grüße
Jörg
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Tinitus
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Beitrag von Tinitus »

Hallo,

ich krame das mal wieder aus. Eher weniger wegen der Zauberflöte (die bei mir gerade in der von Amati vorgeschlagenen Version spielt) sondern aus anderen Gründen. Erstens, weil ich nach Operneinspielungen mit Fritz Wunderlich suche, bei Qobuz aber bei der Suche insofern scheitere als ich nur Alben finden auf denen nur Wunderlich zu hören ist, meist mit einer Mischung aus verschiedenen Werken. Das ist auch nett, aber ich bin halt Albumhörer. Da ich mit Klassikforen auch die weiter oben geschilderten Erfahrungen gemacht habe, hoffe ich, dass mir jemand ein paar Tipps geben kann, bei welchen Aufnahmen von Gesamtwerken Fritz Wunderlich mitgewirkt hat. Ich vertraue Jörg, wenn er sagt, das es von Wunderlich nichts wirklich schlechtes gibt, ich müsste nur noch wissen, was es da (alles) gibt.

Gruß

Uwe
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Uwe,

hast du schon bei discogs geschaut?

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

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Tinitus
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Beitrag von Tinitus »

Hallo Ihr Beiden,

Danke für die Tipps. Da kann ich mir übers WE das ein oder andere anhören.

Gruß

Uwe
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo,
eine schöne Zusammenfassung von Fritz Wunderlichs Schaffen findet sich hier:
https://www.lowbeats.de/fritz-wunderlic ... -todestag/
Lowbeats besondere Verbindung zu Fritz Wunderlich lässt sich hier nachvollziehen:
https://www.lowbeats.de/nachruf-auf-barbara-wunderlich/
Grüße
Hans-Martin
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

Hallo Hans-Martin,

danke, sehr interessant und informativ.

Viele Grüße
Horst-Dieter
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo,

auch von meiner Seite vielen Dank für die links! :cheers:

Zu folgendem Satz aus dem ersten (Artikel):

"Analogfans kommen wie SACD-Highend-Jünger auf ihre Kosten. Wobei der Autor die Erfahrung machte, dass es vor allem gut erhaltene LPs sind, welche die Wunderlich-Welt am überzeugendsten aufschließen."

Dabei fällt mir doch ein Anektdötchen aus meines Vaters Studentenzeit ein: Professor "... - Dazu kann man sich eine Menge denken!" Tat das und fuhr nach fünf Minuten mit der Vorlesung fort. ;)

Viele Grüße

Jochen
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