Revox Plattenspieler - Renovation/Revision

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Daihedz
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Revox Plattenspieler - Renovation/Revision

Beitrag von Daihedz »

Hallo in die Runde der Schwarzscheibendreher

Ich möchte über die Renovation/Revision eines Revox B791 berichten und dabei auch meine Erfahrungen mit dem Umgang mit gealtertem Nextel schildern.

Ausgangslage:
Das Gerät ist ein Gerät aus einem Raucherhaushalt und wurde wohl ca. 1985 gebaut. Das Nextel war klebrig und stellenweise gelb-bräunlich verfärbt. Der Rücklauf der Tonzelle im Tonarm war unvollständig, der Servomotor drehte dabei endlos.

Zum Nextel:
1. Sämtliches Nextel wurde zunächst mehreren Waschgängen mit warmem Wasser und NikWax Techwash unterzogen, unter Verwendung eines Schwammes, eines Microfasertuchs, eines Pinsels und eines Brausekopfs. Beim ersten Waschgang ging eine eindrücklich braune Brühe weg. Nach erfolgter Trocknung klebte das Nextel nirgends mehr.

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2. Danach wurde das Nextel flächen- und stellenweise mit einem Pinsel grossflächig und ausgiebig mit Brennsprit (=denaturierter Äthylalkohol) benetzt. Nach kurzer Einwirkzeit (ca. 1 Min.) wurde der Sprit mit Haushaltpapier, Microfasertuch und Schwamm wieder abgetupft. Die Prozedur wurde einmal wiederholt. Auch hier wies der erste, weggetupfte Alkohol wieder einen deutlichen, gelben Farbton auf. Bei gleicher Gelegenheit wurde an jenen Stellen, an welchen das Nextel im Lauf der Zeit glattflächig geworden war, das durch den Brennsprit aufgeweichte Nextel mit einem Pinsel wieder etwas rauh getupft. Vorsicht: Nicht mit Alkohol scheuern - sonst geht die Farbe weg. Nach dieser Alkohol-Behandlung war das Nextel bei Berührung stellenweise wieder ganz leicht haftend, aber längst nicht mehr klebrig. Deshalb hätte Waschgang gemäss Pt. 1 möglicherweise versuchsweise nochmals wiederholt werden können. Da das Nextel jedoch ohnehin irreversible Gebrauchsspuren hatte, wurde darauf verzichtet.
3. Nach der Trocknung wurde überall auf das Nextel Glycerin aufgetragen. Nach einer ca. 2-stündigen Netz- und Einwirkzeit wurden die Gehäuseteile einfach nochmals warm abgebraust und abschliessend getrocknet. Glycerin ist gleichzeitig leicht (rück-)fettend und wasserlöslich.
Das Nextel weist nun nach dieser Prozedur nach wie vor deutliche Gebrauchsspuren auf, ist aber sauber und klebt nicht mehr.

Es sei nach den gemachten Nextel-Erfahrungen nochmals die eindringliche Warnung
1. vor dem Umgang mit organischen Lösungsmitteln wiederholt. Im Netz schwirren Empfehlungen in Bezug auf Lösungmittel herum, welche ganz einfach irreführend sind.
2. vor unbedachtem Bürsten und Scheuern nachgeschoben. Ich habe zunächst in naiver Position allzu unkritisch scheuernd dem Nextel einige zusätzliche Kratzer zugefügt.
Es sei deshalb empfohlen, alle Nextel-Vorhaben zuerst an optisch nicht relevanten Stellen auszuprobieren.

Zum Innenleben:
Die Elektronik ist übersichtlich und servicefreundlich angeordnet.

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Beim Ausbau des Trafos entdeckte ich die Möglichkeit, unterschiedliche Eingangsspannungen zu verschalten. 1985 waren sicherlich noch 220V am Netz, aktuell habe ich 235V gemessen. Deshalb wurde der Trafo entsprechend umgelötet.

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Zum defekten Tonzellen-Transport:
Wie eingangs erwähnt, war der Rücklauf der Tonzelle im Tonarm unvollständig. Der Servomotor drehte dabei endlos, da die Friktion zwischen Antriebsrad und Saite nicht gross genug war, die Kraft zu überwinden, um das Abschaltrelais auszulösen.
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In der Service-Anleidung wird in diesem Fall eine Reinigung der Antriebssaite und beider Umlenkspulen mittels Aceton empfohlen. Dies erbrachte jedoch bloss einen Teilerfolg. Erst eine Verkürzung der Saite um einige Millimeter führte zum Erfolg. Original scheint der Clip aus Bronce zu bestehen, was beim Versuch, diesen zu verformen, zum Bruch führt. Statt eines neuen Clips verdrillte ich die Saite leicht und sicherte mit einem Mantel aus Nähfaden und Sekundenkleber.

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Bestückt ist der Tonarm übrigens mit einer Shure Tracer, d.h. offenbar einer für Revox modifizierten M97-Tonzelle. Auch die Nadel der Tonzelle war reichtlich vertaubt und konnte unter dem Stereomikroskop gereinigt werden.

Referenzen:
https://www.vinylengine.com/library/revox.shtml (Serviceanleitung zum Download)
https://www.youtube.com/watch?v=xWq-nRPlrmQ (Video einer Reparatur)

Sodeli! Das Ganze spielt nun wirklich sehr, sehr schön, und riecht erst noch nach frisch gewaschener Sportwäsche. Ich freue mich bereits auf einen frisch ersteigerten Phonovorverstärker von Cambridge Audio (Modell CP2), dessen Schaltung mich schon lange, d.h. seit dem Lesen des Buchs von D.Self, Small Signal Audio, faszinierte.

Audiofelice Grüsse
Simon
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Simon,

respektvolle Gratulation zur Restaurierung des guten alten Revox! Ich würde mich da nicht so drantrauen...

Sag doch vielleicht noch etwas Näheres zum Grund der Faszination für den Cambridge CP2 und seiner Schaltung. Was ist das Besondere?

Grüße,
Winfried

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Siriuslux
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Beitrag von Siriuslux »

Hallo Simon,

das hört sich sehr interessant an. Bei einem Freund in München habe ich noch einen B-795 stehen, der natürlich auch das Problem mit dem Nextel hat. Eigentlich hatte ich den nur wegen des Elac ESG 796 Hps Jubiläum gekauft, das ich dann auf meinen TD321 mit dem SME3009/III Arm montiert habe. Das hat auch den Weg zu mir gefunden, der Dreher wartete noch auf Abholung per Auto.
Womöglich wage ich mich auch an die Waschaktion ran, die scheint ja doch nicht so schwierig zu sein.

Vielen Dank für Deine Beschreibung, die mich doch motiviert den Dreher mal in München abzuholen.

Gruss, Jörg
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

[off-topic="on"]
Jörg,
Siriuslux hat geschrieben:...Vielen Dank für Deine Beschreibung, die mich doch motiviert den Dreher mal in München abzuholen...
vielleicht ergäbe sich, bei Interesse Deinerseits, daraus ein Grund für ein kleines AH Treffen? Wir können das ggf. als Aktiver Stammtisch München organisieren.

Grüße,
Winfried
[off-topic="off"]

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hkampen
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Beitrag von hkampen »

Hallo Simon.

ein Freund von mir hat so einen Plattenspieler - ich denke es ist ein etwas älteres Modell. Nach langer Zeit konnte er sich dazu durchringen, den Verstärker reparieren zu lassen, nun geht der Plattenspieler nicht mehr. Soweit ich weiß, wurde der kaum bewegt seitdem er das letzte Mal gelaufen ist, also vermute ich Korrusion oder Verschmutzung an den Schaltkontakten. Hast du da vielleich Tipps für mich, wie wir die Kontakte am besten reinigen können und wo wir beim Auseinander- und Zusammenbau besonders achten müssen?

Viele Grüße
Harald
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Daihedz
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Beitrag von Daihedz »

Hallo Windfried und Harald
wgh52 hat geschrieben:... Näheres zum Grund der Faszination für den Cambridge CP2 und seiner Schaltung. Was ist das Besondere?
Es gibt somit die Reihe der (praktisch) identischen 640p -> 651p -> CP2. Siehe Bilder des Innenlebens und entdecke die 10 Unterschiede ...

Die Service-Anleitung des 640p, resp. des CP2 ist hier downloadbar:
https://www.manualslib.com/download/842 ... -640p.html
Der Print ist u.a. hier einsehbar:
http://bilder.hifi-forum.de/medium/8606 ... 658501.jpg

Und nun das Besondere dieser Geräte? Schau Dir mal zuerst den Schaltplan auf Seite 10 des Service Manuals an: Für MM- und MC-Tonabnehmer sind separate, aber prinzipiell gleich aufgebaute Vorstufen verbaut, mit unterschiedlichen angepassten Eingangswiderständen und mit Verstärkungsfaktoren von 23 (MM), resp. 147 (MC). Der Clou ist aber folgender: Das Eingangssignal wird über eine von einer Stromquelle gespiesenen bipolaren Transistor-Differenzstufe an den OpAmp weitergereicht. Damit ist es möglich, den OpAmp sehr niederohmig zu beschalten, was der Rauscharmut (Johnson-Noise) zugute kommt. Und in derselben Sorge um die Rauscharmut wurden für die bipolare Transistor-Differenzstufe rauscharme Typen gleich dreifach parallelisiert. Diese auf Rauscharmut getrimmten Eingangsstufen sind nach meinem Ermessen das eigentliche Sahnestück dieses Phono-Preamps.

Danach folgt, für beide Eingangsvarianten (MM/MC) gemeinsam, die semipassive RIAA-Entzerrung. Sie wird bewerkstelligt zunächst durch einen passiven Tiefpass vor dem zweiten OpAmp, um welchen dann der Rest der RIAA-Entzerrung beschaltet ist. Abschwächung nach Verstärkung jedoch ist tendenziell Unsinn, da dieses Schaltungsprinzip den Dynamikumfang obligat einschränkt (dasselbe gilt auch für "passive Lautstärkeregler", welche hinter einer vorverstärkenden OpAmp-Stufe verschaltet werden).

Eine dritte, zuschaltbare Stufe schliesslich ermöglicht das Einschleifen eines Subsonic-Filters im Fall von starkem vertikalem Plattenschlag.
hkampen hat geschrieben: ... nun geht der Plattenspieler nicht mehr. Soweit ich weiß, wurde der kaum bewegt seitdem er das letzte Mal gelaufen ist, also vermute ich Korrusion oder Verschmutzung an den Schaltkontakten. Hast du da vielleich Tipps für mich, wie wir die Kontakte am besten reinigen können und wo wir beim Auseinander- und Zusammenbau besonders achten müssen?
Was genau denn funktioniert nicht mehr, und bei welchem Modell? Die Revox B790, B795, B791 und B291 haben alle eine +- ausgeklügelte Logik eingebaut. Vielleicht reicht es, den Tonarm in die Abspielposition zu schwenken, und schon ist alles Paletti am Funktionieren ...

Ansonsten ist der Aus- und Einbau einfach. Ich habe bei, resp. vor jedem Schritt ein Foto vom Zustand gemacht, um mir das Zusammensetzen zu erleichtern. Etwas tricky, resp. verwirrend ist der Umstand, dass bei meinem B791 teilweise N+1-polige Steckerleisten in N-polige Buchsenleisten kamen ... Da ist ein Foto vom Zustand "vorher" endgültig hilfreich, dies, obschon beide Steckpartner codiert sind.
Siriuslux hat geschrieben: ... in München habe ich noch einen B-795 stehen ... wage ich mich auch an die Waschaktion ran ... mal in München ...
wgh52 hat geschrieben: ... daraus ein Grund für ein kleines ... Treffen?
Prima! Ein gemeinsamer Waschtag mit interessiertem Gequassel! Schade, kann ich nicht mitwaschen. In diesem Sinne ...

... Seifenfröhliche Waschmännergrüsse
Simon
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Daihedz
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Beitrag von Daihedz »

Hallo in die Runde der nextelphilen Coiffeure und Dentalhygieniker

Wasserstoffperoxyd (H2O2) gehört auch auf die rote Liste, wenns um die Nextel-Reinigung geht.

Wasserstoffperoxyd wird u.a. als Bleichmittel für Haare und Zähne verwendet. Wasserstoffperoxyd 35% während ca. 30' auf dem Nextel aufgebracht jedoch bewirkte farblich gar nichts in Bezug auf einen kleinen Rest von leichtem gelblichem Farbstich. Es weichte das Nextel stattdessen lediglich leicht auf, sodass es erneut ein bisschen klebrig wurde und nicht mehr scheuerfest ist. Und auch nach dem gänzlichen Trocknen der Behandlungsstelle klebrig geblieben ist.

Verschlimmbesserte Grüsse
Simon
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