ich mache dieses Thema mal auf, um die mittlerweile doch etwas "fortgeschrittenere Diskussion aus Jürgens Thema "Jürgen (Horns Universum 3, u.v.a.m.)" zu lösen.
hier der letzte Beitrag zu diesem Thema aus Jürgens Thema:
Quelle: viewtopic.php?p=159316#p159316Hans-Martin hat geschrieben:Hallo,Zwodoppelvier hat geschrieben:Ich habe Joachim so verstanden:
"Es gibt keine erste Wellenfront" -> was wir zum Zeitpunkt t hören, ist eine Mischung des Direktschalls (abgestrahlt zum Zeitpunkt t - d/340 mit d=Abstand LS-Ohr) mit allen möglichen Reflektionen von Signalanteilen, welche in einem breiten Zeitintervall noch deutlich früher vom LS abgestrahlt wurden.
Wir hören also zu jedem Zeitpunkt ein komplexes Gemisch von "Gegenwart" und "Vergangenheit" (reflektiert, abklingend, Raumantwort) des Signalverlaufs.
als erstes empfehle ich https://de.wikipedia.org/wiki/Anfangszeitl%C3%BCcke zu lesen, da versteht man den Mechanismus, wie Entfernungsortung geschieht, welche Rolle die Trennung von erster Wellenfront und Nachhall durch die Anfangszeitlücke (ITDG) spielt. Private Hypothesen, die flankiert werden von einer gewissen Ignoranz derjenigen Zusammenhänge, deren Verständnis sich einem noch nicht erschlossen hat, mögen befriedigend erscheinen, aber eventuell sind sie nicht ausreichend, alle Phänomene zu erklären.
Ein Beispiel für Lernfähigkeit lieferte S. Linkwitz mit der verspäteten Vervollständigung seines Dipols um den rückwärtigen Hochtöner, womit seine vorherige Meinung sich als überholt erwies. Nebenbei bemerkt: Auf mehrere qualifizierte Fragen bekam ich von S.L. eine Antwortmail, die von ausweichenden Äußerungen und Textbausteinen geprägt war. Ich war etwas enttäuscht von der Koryphäe ob seiner Oberflächlichkeit, aber nun, wo er aus seinem Prostatakarzinom keinen Hehl macht sehe ich das auch aus einem anderen Winkel.
Es steht jedem frei, seine Vorstellungen darzustellen, und sei es, um Diskussion und Dialektik zu provozieren. Andererseits kann man durch Vergleich der eigenen Vorstellungen mit denen der anderen sich bereichern, Lücken im eigenen Weltbild schließen, bis ein widerspruchsfreies Gerüst entsteht.
Was wir hören, ist praktisch immer Vergangenheit, da der Schall sich mit begrenzter Geschwindigkeit ausbreitet, wenn man sich also bei Tisch gegenübersitzt, erlebt man also kein Lipsync, welches Heimkinofans akribisch optimieren, im direkten Gespräch nehmen wir es wohl nicht bewusst wahr.
Ganz eindeutig hat der Schall auf dem kürzesten (direkten) Weg zum Ohr die geringste Verzögerung, gefolgt von den Reflexionen im Raum. Außerdem ist bei Sprache wie auch bei Musik eine zeitliche Abfolge, kurze Konsonanten, lange Vokale, die Silben bilden, Frequenzanteile bis unter 1 Hz, in dieser Struktur bekommt der reine Text (aber auch die Musik) Betonung, Ausdruck, vermittelt Emotionen.
Wenn wir ausschließlich eine Mischung von Direktschall und reflektiertem Schall bekämen, stünde es schlecht um die Ortbarkeit im Stereo. Der Wandabstand dürfte demnach keine Rolle spielen, da der Brei per se eine Einheit bildet. Aber jeder weiß, wie bedeutend der Mindestwandabstand für die Abbildungsschärfe ist (Linkwitz rät zu mindestens 6ms Verzögerung durch Seitenwandabstand). In kleinen Räumen gibt das eine Schwierigkeit, denn jede Kopfbewegung erzeugt zwischen beiden Kanälen gegenläufige (widersprüchliche) Kammfiltereffekte aus Box und Wandreflexion und die gewünschte Stereoabbildungspräzision verschwimmt, unscharf in der Breite, Tiefe geht verloren.
Wenn wir ausschließlich den Brei ohne die Besonderheiten der Anstiegsflanke im Direktschall bekämen, könnten wir nicht das Schlagzeug der Aufnahme ordentlich orten, aber wie wir wissen, sind perkussive Ereignisse besonders gut zu orten, gerade wegen der Impulshaftigkeit der Laute. Die tieffrequenten Anteile, die das Gehör per Laufzeit/Phasenunterschiede orten möchte, sind bei den gepannten Aufnahmen um diesen wichtigen Part beraubt, sie kommen zeitgleich aus den Boxen (Intensitätsstereofonie). Das Ohr ortet Obertöne anhand der Intensitätsunterschiede gut.
Da ist strikte Symmetrie (auch eine S.L.-Forderung) angesagt, aber auch zitierter Abstand zur Wand. Davon hat Juergen viel zur Verfügung, um beim Thread zu bleiben, und rückblickend waren hier Dipole bestenfalls kurze Episoden. An Bipole kann ich mich nicht erinnern, und der Trend zu wirkungsgradstärkeren LS ist nicht zu übersehen, aus meiner Sicht ein Zugeständnis an das reifere Ohr, dessen Dynamikverhalten sich im letzten Drittel der Lebensphase spürbar verändert.
Wenn Juergen hier den besonderen Status als Aktiver Vorführer hat, muss oder zumindest darf er doch auch eine gewisse Vielfalt zur Schau stellen, die die Vielfalt von 4 Hörertypen mit kontroversen Anforderungen nicht gleichzeitig befriedigen können will, sondern polarisiert. Mich interessieren insbesondere die Zusammenhänge, warum in diesem vorgegeben Raum das eine Produkt gut, das andere schlechter bewertet wird (unter Angabe des Hörertyps und seinen Präferenzen).
Grüße
Hans-Martin