@Simon:
Hi Simon, ich habe Deinen Post erst nach "Absenden" gesehen. Beide Posts sollten aber auch "unabgesprochen" eine gute Ergänzung sein ...
Hier noch ein Link zu John Kreskovsky's Seite über "bedämpfte U-Frame Woofer", dort wird m.E. ebenfalls auf eine sehr "innige" Weise das "gute alte Prinzip der Resistance Box" behandelt:
http://www.musicanddesign.com/u_frame.html
Hallo zusammen,
die meines Wissens nach früheste Referenz zur Nutzung eines Fließwiderstands bei der Erzeugung
einer Nierencharakteristik (Cardioid) bei Lautsprechern ist diese hier:
H. Kalusche: "Eine Lautsprecheranordnung mit einseitiger Richtwirkung",
Zeitschrift für angewandte Physik 1950, Bd. 2, Heft 10, S.111-114
Vom - äußerlich betrachteten - Funktionsprinzip unterscheiden sich Cardioide mit "akustisch aktiv" und "akustisch passiv" betriebenen rückwärtigen Schallquellen nicht.
Ein Kardioid Lautsprecher baut grundsätzlich eine Dipolkomponente in seiner Abstrahlung auf, welche der ebenfalls vorhandenen Monopolkomponente (ungerichetete "kugelförmige" Abstrahlung wie gewöhnliche geschlossene Box) überlagert ist.
Dazu besteht zwischen der vorderen Schallquelle und der rückseitigen eine sog. "Dipol-Pfadlänge", welche der "effektiv wirksame Wegunterschied des Schalls" vom Zentrum der vorderen stets "vom Signal angetriebenen" Schallquelle zum Zentrum der rückwärtigen Schallquelle ist. Die rückwärtige Schallquelle kann auch ein mittelbar durch die vordere Schallquelle angetriebener Fließwiderstand (mit "Port" nach außen) sein, muss also nicht zwingend durch ein eigenes Lautsprecherchassis realisiert sein.
Die o.g. effektive Dipol Pfadlänge entspricht meist in etwa dem mittleren einfachen Weg vom Zentrum einer der Schallquellen bis zum Rand der Schallwand (rechteckige Box angenommen) plus der Tiefe der Box und ist damit in der Regel etwas kürzer, als wenn man mit einem Maßband "von Zentrum zu Zentrum" der Schallquellen messen würde.
Damit es hinter dem Lautsprecher zu einer möglichst vollständigen Schall-Auslöschung kommt, muss die rückwärtige Schallquelle gegenüber der vorderen
- gegenphasig sein
- zusätzlich genau um die Schall-Laufzeit der wirksamen Dipol-Pfadlänge gegenüber der vorderen Quelle verzögert sein
- genau so eingepegelt sein, daß es zu einer Auslöschung nach hinten (Nierencharateristik) kommt.
Ist die Auslöschung "zu schwach", dann ensteht eine sog. "breite Niere" (Subkardioid, d.h. die Monopolkomponente dominiert). Ist die Auslöschung hingegen "zu stark", dann entsteht ein "Superkardioid" oder "Hyperkardioid", der sich stärker an einen Dipol annähert und nach hinten eine kleinere Abstrahlkeule mit Gegenphase zeigt. Es gibt also zwischen Monopolstrahlern und Dipolen prinzipiell einen stufenlosen Übergang.
Der Cardioid hat das gleiche Bündelungsmaß von ca. 4.8dB wie ein Dipol, jedoch sieht das Polardiagramm anders aus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Richtcharakteristik
Damit ein Cardioid LS "richtig" funktioniert, muss die rückwärtige Schallquelle tiefpassgefiltert werden, denn die vordere Schallquelle hat zusammen mit der Schallwand der Box eine inhärente Bündelung, die mit der Frequenz zunimmt:
Für eine exakte Auslöschung des Schalls nach hinten (hohe "Rückwärtsdämpfung") muss also mit zunehmender Frequenz hinter der Box immer weniger (gegenphasiger und verzögerter) Schall erzeugt werden.
Die rückwärtige Schallquelle benötigt damit gegenüber der vorderen eine Tiefpasscharakteristik, wobei im Idealfall vom Durchlassbereich bis weit in den Sperrbereich eine relativ konstante Gruppenlaufzeit eingestellt wird.
Die passende Tiefpassfilterung kann prinzipiell "elektronisch aktiv", "elektronisch passiv" (jeweils mit eigenem rückwärtigem Teiber), oder auch "mechanisch passiv" erfolgen.
Im letzteren Fall wird das Tiefpassfilter
durch das Gehäusevolumen als Nachgiebigkeit und einem rückseitigen Fließwiderstand aufgebaut, dessen Mündung nach außen gleichzeitig die rückseitige Schallquelle darstellt.
Eine "gefaltete Leitung" für den Fließwiderstand ist bei Kardioid-LS in der Regel nicht zu finden. Die "Kunst" im Aufbau von "mechanisch passiven" Kardioid Lautsprechern ist vorrangig dreierlei:
- Gesamtdimensionierung für eine effiziente Funktion im vorgesehenen Frequenzbereich (*)
- Einstellung einer passenden Tiefpasscharakterstik der rückwärtigen Schallquelle inklusive Gruppenlaufzeit
- Bereitstellung einer rückwärtigen Schallquelle mit der Fähigkeit zu einem verzerrungsarmen und hinreichend hohen Volumenstrom (**) vor allem dann, wenn Tiefbasstauglichkeit ein Ziel ist.
Damit das gelingt, ist eine Menge "Know How" im Detail notwendig, obwohl das Wirkprinzip an sich relativ einfach ist. Eine gute mechanische Realisierung steht einer aktiven in nichts nach (***), ist jedoch in der Entwicklung - ja nach konkreten Anforderungen - oftmals viel aufwändiger.
Grüße aus Reinheim
Oliver
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(*) Denn die Bereitstellung der Dipol-Komponente wird bei tiefen Frequenzen sehr "hubintensiv" und benötigt ein großes Verschiebevolumen
(**) D.h. die hintere Schallquelle muss über einen großen Dynamikbereich gleichförmig funktionieren
(***) Auch ein "mechanisch passiver" Kardioid kann natürlich seinerseits als Aktiv LS betrieben und bei Bedarf im Frequenzgang entzerrt werden.