Vor- und Nachteile unterschiedl. Hochtonkonzepte

Nova Auralis
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Vor- und Nachteile unterschiedl. Hochtonkonzepte

Beitrag von Nova Auralis »

Seid gegrüßt,

das Thema eröffnen möchte ich mit einem kurzen prägnanten Auszug aus der Magisterarbeit "Wahrnehmbarkeit klanglicher Unterschiede von Hochtonlautsprechern unterschiedlicher Wirkprinzipien" von Andreas Rotter (https://www2.ak.tu-berlin.de/~akgroup/a ... s_MagA.pdf):
Abschließend kann festgehalten werden, dass im Fall von ausgeschlossener Interaktion mit Raum und Schallwand, bei axial in Amplitude und Phase linearisierten Treibern im linearen Betrieb keinerlei Differenz mehr zwischen Lautsprechern mit unterschiedlichen Wandlerprinzip, unterschiedlichen Membranmaterial oder -ausdehnung besteht.
Das heißt in anderen Worten, von uns wahrgenommene Klangunterschiede verschiedener Hochtöner beruhen hauptsächlich - sofern die Treiber innerhalb ihrer Spezifikation betrieben werden und damit die Klirrwerte niedrig bleiben - auf Unterschieden im Amplituden- und Phasengang sowie der jeweiligen Abstrahlungcharakteristik bei Interaktion mit dem Hörraum und zum Teil natürlich auch der Schallwand.

Bedenkenswert sind ferner die Klirrmessungen im Anhang: Sieger ist hier eine Gewebekalotte, kein Magnetostat, Bändchen oder AMT. Dies entspricht auch den Ergebnissen von Zaph. Dazu außerdem noch ein paar Messwerte aus der Hobby-HiFi Ausgabe 05/2007:
ESS AMT (565 €): k3 0,1-0,3 %, deutlich verzögertes Ausschwingen bei 1 kHz
Eton ER4 (342 €): etwa gleiche Klirrwerte wie ESS AMT, Nachschwingen bei 500 Hz

Scan Speak 66000 (240 €): k3 0,02-0,1 %, sehr sauberes und bestens kontrolliertes Ein-/Ausschwingen
Scan Speak 70000 (350 €): k3 0,00-0,1 %, extrem schnelles Einschwingen und perfektes Ausschwingen
Visaton KE 25 (125 €): k3 0,02-0,3%, vorbildliche Sprungantwort und perfektes Großsignalverhalten
Jeder Lautsprecher bündelt entsprechend seiner Abmessungen in der jeweiligen Dimension. Eine runde Bauart wie bei einer Kalotte bündelt dementsprechend horizontal/vertikal identisch, wohingegen bei einem rechteckigen AMT (hochkant) die Abstrahlung in den unterschiedlichen Dimensionen verzerrt ist, sprich eine stärkere Bündelung vertikal auftritt, als horizontal. Letztere Abstrahlcharakteristik dürfte theoretisch weniger im Einklang mit normalen Konuslautsprechern spielen, im Raum somit eventuell eine unharmonische Diffusschallantwort erzeugen. Zu einer (unechten) D'Appolito-Konstruktion dürfte sie hingegen ganz gut passen.

Der dem AMT-Prinzip häufig nachgesagte weiche angenehme Klang hat somit vermutlich seinen Ursprung in der Lautsprecher-Raum-Interaktion üblicher Hörräume, das heißt oft schlecht bedämpfte und/oder diskrete Fußboden- bzw. vor allem Deckenreflektionen, welche aufgrund der stärkeren vertikalen Bündelung weniger stark Einfluss nehmen können. Dem Raum wird unter Winkel schließlich weniger Hochtonenergie zugeführt.

Allgemein lässt sich festhalten, dass in einem normalen Hörraum stets die Summe aus Direkt- und Diffusschall gehört wird, sprich dort Hochtöner anderer Abstrahlcharakteristik zwangsläufig anders klingen müssen, es in diesem Zusammenhang aber wohl keine allgemeingültigen Aussagen zur klanglichen Überlegenheit einzelner Konzepte geben kann.

Definitive Überlegenheit sehe ich bei einem AMT ansonsten nur, wenn besonders hohe Pegel bei gleichzeitig niedriger unterer Grenzfrequenz gefordert werden.

Ich möchte ferner einen weiteren Aspekt ansprechen, nämlich den Zusammenhang zwischen bewegter Masse und Impulsverhalten. Angepriesen wird bei dem AMT-Prinzip häufig die größere effektive Membranfläche bei gleichzeitig geringer bewegter Masse (wobei aufgrund der extrem viel größeren Fläche übrigens auch die Masse bedeutend höher ist als bei Kalotten). Dies soll die Impulspräzision verbessern. Ist dies wirklich so?

Zu der Wirkung einer veränderten Membranmasse bei gleichbleibender Membranfläche habe ich folgendes gefunden (Zitat aus HiFi-Forum):
Höhere Membranmasse bewirkt:
- Verringerung des Wirkungsgrades
- Absenken der Resonanzfrequenz
- Anstieg der Güte

Eine niedrigere obere Grenzfrequenz, und damit ein irgendwie langsameres Einschwingen, ist nicht daran gekoppelt (zumindest nicht direkt).
Bei Nubert gibt es eine etwas ausführlichere Erklärung hierzu (aus "Flächenstrahler und Membranmasse"; http://www.nubert.net/g-nubert/Flaechen ... rMasse.pdf):
Leichte Membranen und Impulspräzision

Aus vielen Kundengesprächen hören wir immer wieder das "Grundgefühl" heraus, für schnelle und exakte Impulsverarbeitung wäre eine leichte oder 'fast massefreie' Lautsprechermembrane vorteilhaft. - Obwohl das 'gefühlsmäßig einleuchtend' erscheint und von einigen Herstellern auch immer wieder als Werbeargument verwendet wird, ist es dennoch unrichtig!

Durch höhere Membranmasse verringert sich bei gleichen Antriebskräften zwar die Beschleunigung der Membran; - aber genau im gleichen Maß wie der Schalldruckpegel im eingeschwungenen Zustand - Nach Pegelausgleich (z.B. durch höhere Verstärkerleistung oder stärkeres Magnetfeld) hat man aber wieder genau die gleiche Impulspräzision wie vor der Masseveränderung.

Somit hat die Masse der Membrane nichts mit deren "Impulsschnelligkeit" sondern mit dem Wirkungsgrad zu tun. Kalottenhochtöner haben gegenüber Bändchen und Elektrostaten zwar oft schwerere Membranen, aber im Normalfall einen wesentlich stärkeren Antrieb als die Bändchen. Gute Kalotten haben trotz höherer bewegter Masse gegenüber Folienlautsprechern meistens Vorteile im Impulsverhalten, im Wirkungsgrad sowie im Klirrverhalten und sind wesentlich robuster.
Ich würde dieses ganze Thema nun gerne zur Diskussion stellen! Mich treibt in letzter Zeit vor allem die Frage umher, ob das aktuell groß angesagte AMT-Prinzip tatsächlich theoretisch wie auch praktisch das überlegenere ist, oder aber sich mit Kalotten mindestens ebenso gute Ergebnisse erzielen lassen?

Meine persönliche Hörerfahrung mit AMT-Hochtönern ist relativ durchwachsen, lässt somit bisher keine sicheren Schlüsse zu. Beim JET-Hochtöner von ELAC, besonders gut zur Geltung kommend in der aktuellen AIR-X Serie, gab es für mich keine auffallend negativen Punkte, in den Aktivlautsprechern angenehm räumlich und wohlklingend, in den Passivlautsprechern eventuell etwas flach und spitz, aber durchaus genießbar. Das Adam Äquivalent hingegen hatte für mich irgendetwas nerviges harsches, war aber ansonsten ebenfalls ganz in Ordnung. Der Mundorf AMT in den Abacus Lautsprechern ist dagegen wieder unauffällig und lässt keinen Grund zur Klage, am besten hier natürlich in der Concerto Grosso. Am meisten konnte mich jedoch der größere Mundorf in der Merovinger canTare in seinen Bann ziehen.

Mit Ausnahme des letzteren konnten mich die AMT-Hochtöner insgesamt nicht wirklich übermäßig beeindrucken, zumindest sich nicht deutlich von der Kalotten-Konkurrenz abheben. Phantastisch ist z.B. die Visaton KE 25 Kalotte in der Schanks Audio Prisma 2, oder natürlich die ganzen geregelten Kalotten der Silbersand-Modelle.

Hoffentlich wird es interessanten Input geben, ich selbst kann leider mangels Wissen wenig Fundiertes beisteuern. Ich bin jedenfalls überaus gespannt auf eure Beiträge! :cheers:

Beste Grüße,
Jannis
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Jannis,

danke für deine umfangreichen Recherchen zum Thema.

Hinsichtlich der technischen Gegebenheiten:

Unsere Lautsprecherentwickler könnten sich ruhig mal aufschalten und das Thema fachmännisch tiefer beleuchten. :wink:

Was meine Hörerfahrungen betrifft:

Kalotte und Konus haben sich gern.

Das "Problem" bei den anderen Hochtonkonzepten ist der Übergang zwischen den unterschiedlichen Treibern, wenn im Tief-/Mitteltonbereich ein Konus arbeitet.

Das hört idR selbst ein Laie, ob das zusammenpaßt oder irgendwie was unnatürlich oder sogar holprig klingt.

Mit Blick in die Zukunft:

Die konstruktionsbedingten Gegebenheiten der unterschiedlichen Hochtonsysteme werden mMn durch neue Werkstoffe und digitale Steuerungssysteme wohl immer mehr aufgeweicht werden.


Gruß

Bernd Peter
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

Hallo zusammen,

die Grundaussagen von Nubert (s.o.) zur "Impulspräzision" sind im Großen und Ganzen korrekt. Ich persönlich würde nur die Wertung zw. Kalotten und AMTs, Bändchen o.dergl. im Zitat zunächst weglassen, dann könnte ich es so stehen lassen.

Ein höhere Membranmasse hat für sich genommen bei einer Kolbenmembran (Konus, Kalotte) keine geringere obere Grenzfrequenz zur Folge. Zwei Kalottenhochtöner, die auf gleiche Eigenresonanz fs und gleiche Resonanzgüte (bei gleichen Membranabmessungen) eingestellt sind, haben prinzipiell das gleiche Impulsverhalten, zumindest solange Partialschwingungen der Membran keine Rolle spielen ...

Theoretisch könnte man also eine HT-Kalottenmembran (Kolbenmembran-Prinzip) sogar aus Bleifolie(*) oder Goldfolie(*) machen: Wenn man die Resonanzfrequenz fs sowie die Resonanzgüten Qms und Qes praxisgerecht einstellt (und ebenso den Wirkungsgrad bzw. die thermische Belastbarkeit), dann gibt es keinen Grund, warum dieser Hochtöner eine schlechtere "Detailauflösung" haben sollte als z.B. eine Kalotte aus imprägnierter Seide. Es wird nur der Wirkungsgrad insgesamt schlechter ...

Eventuell bräuchte die fiktive "Bleikalotte" (oder "Goldkalotte") eine dicke Feldspule als Magneten (je nach Membranmasse und gewüschter Spannungsempfindlichkeit) und man würde es ein klein wenig an der Stromrechnung merken.

Jedoch sind grundsätzlich alle dynamischen LS mit Kolbenmemran "massegehemmt", d.h. der Membranhub nimmt mit 12dB pro Oktave ab (reduziert sich auf 1/4 je Oktave), die es weiter im Frequenzbereich herauf geht. Dies gleicht der dynamische Lautsprecher durch einen entsprechenden Zuwachs des Strahlungswiderstands zu hohen Frequenzen aus.

Dies gilt zumindest in dem Frequenzbereich, wo die Membran noch klein gegen die Wellenlänge ist und somit die Abstrahlung bündelungsfrei. Knifflig wird es meist im Frequenzbereich darüber, wo u.a. die Bündelung der Abstrahlung, potentiell auch Partialschwingungen der Membran und der Einfluss der Schwingspuleninduktivität eine Rolle für den Frequenzgang des "unbeschalteten" Hochtöners spielen.


Die Massehemmung ist also konzeptioneller Bestandteil des Wirkprinzips "dynamischer Lautsprecher mit Kolbenmembran" und bewirkt erst, daß derartige Schallwandler einen ausgewogenen Frequenzgang (Schalldruck "auf Achse" und Gesamtenergie) innerhalb einer bestimmten Bandbreite haben
(Bedingungen in Kurzfassung: Membran klein genug gegen Wellenlänge, keine Bündelung, Membran partialschwingungsfrei, Einfluß Schwingspuleninduktivität moderat ...).

Wer also von der Notwendigkeit geringer Membranmasse spricht, um eine "Impulssauberkeit" oder "Schnelligkeit" herzustellen, der hat das Prinzip des dynamischen Lautsprechers mit Kolbenmembran (immer massegehemmt, ganz gleich ob Tieftöner oder Hochtöner ...) nicht verstanden.

Diese falsche Vorstellung wird jedoch so gern weiterhin verbreitet, weil die Realität hier ein wenig "kontraintuitiv" ist. Manche Fehlinformation ist daher so viel "griffiger" als der reale physikalische Zusammenhang, das selbiger dauerhaft in der Verbreitung chancenlos bleiben wird.

Man kann - wenn man gerade mal Lust hat, und sich Gelegenheit bietet - nur alle paar Jahre mal freundlich auf die Massehemmung als Bestandteil des Funktionsprinzips des dynamischen LS mit Kolbenmembran hinweisen, so wie Nubert es ja auch getan hat.

Erst in (Hochton-) Hörnern u.U. auch für best. Druckkammer-Auslegungen, muss man über die Membranmasse etwas anders nachdenken, weil hier u.a. die Kompensaton zw. Massehemmung und mit der Frequenz steigendem Strahlungswidersand nicht mehr so zutrifft, wie beim Direktstrahler. Das wäre aber ein anderes Thema. Grundsätzlich wäre aber hier z.B. eine aktive Kompensation eines Hochtonabfalls (etwa bei CD-Waveguides) kein Problem, falls gewünscht.


Grüße Oliver

_____________
(*) Die Relation aus Materialdichte und (Biege-)Steifigkeit wäre bei diesen Materialien sicher problematisch, dafür wäre jedoch die Eigendämpfung sehr hoch. Die Steifigkeit müsste eventuell durch ein anderes Material (in Kompositbauweise) oder durch ein "Skelett" hergestellt werden. Ist aber ohnehin hier nur ein Gedankenexperiment(!) zu "hohe Membranmasse".

Die Firma Celestion hatte in den 80ern bereits eine HT-Kalotten Membran aus Kupferfolie hergestellt, die auch nicht gerade ein "leichtgewichtiges" Material darstellt. Dieser Hochtöner hat durchaus gut "funktioniert".
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

Nova Auralis hat geschrieben: Das heißt in anderen Worten, von uns wahrgenommene Klangunterschiede verschiedener Hochtöner beruhen hauptsächlich - sofern die Treiber innerhalb ihrer Spezifikation betrieben werden und damit die Klirrwerte niedrig bleiben - auf Unterschieden im Amplituden- und Phasengang sowie der jeweiligen Abstrahlungcharakteristik bei Interaktion mit dem Hörraum und zum Teil natürlich auch der Schallwand.
Hallo Jannis,

mir ist die Arbeit von Herrn Rotter (vgl. Eingangspost) auch seit längerem bekannt.

Ich habe selbst lange Zeit u.a. mit Bändchenhochtönern auch aus eigener Konstruktion experimentiert und war lange Zeit ein Fan davon. Mir hat ein grundsätzlich "feinauflösender", gleichzeitig aber "unaufdringlicher" und räumlicher Eindruck gegenüber manch anderem Prinzip gefallen.

(Ich weiß, daß u.a. AMTs keine "Bändchen" sind, aber es gibt Verwandtschaften s.u. ...)

Jetzt wird man mit dem Gedanken konfrontiert, daß Eigenschaften - die man vielleicht als positiv empfindet - nicht unbedingt "so direkt" mit dem Wirkprinzip an sich zu tun haben sollen, sondern u.U. mehr mit dem Rundstrahlverhalten, sofern andere Parameter (Klirr, ausgewogener Frequenzgang auf Achse, Zerfallsspektrum, ... ) auf vergleichbarem Niveau sind.

Grundsätzlich hat man ja den Konflikt, daß der "auf Achse" (Freifeld-) Frequenzgang eines LS (nur Direktschall) in etwa flach verlaufen soll, während der "Raumfrequenzgang" am Hörplatz (Direktschall und Raumanteil) eher "im richtigen Maß" fallen sollte (vgl. u.a. "Raumkurven" von Harman, Bruel&Kjaer, ...).

Das bedeutet letztendlich, daß für ein ausgewogenes Hör-Empfinden u.a. im Mittel-Hochtonbereich das Bündelungsmaß eines Lautsprechers "genau im richtigen Maß" mit steigender Frequenz (leicht ...) zunehmen müsste, um z.B. in einem gegebenen Raum mit annähernd frequenzunabhängiger Absorption (die Absorption ist in jedem Raum in etwas anderer Weise frequenzabhängig und auch richtungsabhängig für die frühen Reflexionen ...) "zu passen" (*).

Eine eher schmale und hohe Hochtonquelle engt den Abstrahlwinkel mit zunehmender Frequenz eher in der Vertikalen ein und sorgt dafür, das Reflexionen von der Seite tendenziell weiterhin einen Hochtonanteil haben. Ein seitlicher Schalleinfall von Reflexionen (z.B. aus der Umgebung ca. 60 Grad seitlich der Medianebene) ist am Hörplatz für räumliches Empfinden "günstiger" als Boden- bzw. Deckenreflexionen u.a. aufgrund geringerer interauraler (Kreuz-) Korrelation (IACC) im reflektierten Schall bei seitlichem Einfall. Eine weitgehende Symmetrie der Stereokanäle wird natürlich trotzdem bevorzugt, auch für die frühen Reflexionen.

http://www.diracdelta.co.uk/science/sou ... ZKNbFJffgw


Eine Hochtonkalotte kann ihren Abstrahlwinkel, sofern sie keinen speziellen Waveguide hat und nicht in einem speziellen Array betrieben wird, nur axialsymmetrisch also gleichermaßen horizontal wie vertikal mit zunehmender Frequenz "einengen".

Bleibt die Abstrahlung in Relation jedoch horizontal "breiter" als vertikal, wie bei einigen Bändchen und AMTs (**), so hat das u.U. den Vorteil von weniger "dumpfen" seitlichen Reflexionen bis hin zu einem ähnlicheren Frequenzgang des gesamten LS unter horizontalen Winkeln - Menschen bewegen sich meist in der Ebene - also einem breiteren "Abhörfenster" (***).

Die "weniger hilfeichen" Deckenreflexionen werden hingegen eher ausgeblendet und somit zusätzlich der Umstand genutzt, daß die Möblierung von Räumen meist in der Horizontalebene eines Raums (an den Wänden) diffusere Reflexionen erzeugt als die oft glatte Zimmerdecke. Auch die Absorption ist in dieser Ebene meist größer durch Tapeten, Bilder, Bücher, Vorhänge, etc.

Somit kann der Raum tendenziell in der Breite eher "ausgeleuchtet" werden und die Hochtonenergie kann insgesamt trotzdem mit zunehmender Frequenz (so ähnlich ...) fallen, wie es die meisten Raumkurven "vorschlagen".

Das Problem: Wer ein gegebenes LS-/Raum System auf eine bestimmte "Raumkurve" hinbiegt, und dabei dann einen (zu) unausgewogenen Frequenzgang im Direktschall in Kauf nähme, der handelt schnell mit Zitronen.

Die im konkreten Raum evt. auftretende Diskrepanz zw. einem (gewünschten) flachen Direktschall-Frequenzgang einerseits und einer gewünschten Raumkurve andererseits ließe sich eigentlich nur durch ein (frequenzabhängig) einstellbares Rundstrahlverhalten direkt am Lautsprechersystem abmildern ... das hat man jedoch (üblicherweise ...) nicht.


So bleiben als Korrektur nur angepasste raumakustische Maßnahmen oder das (zarte) (Mit-)Verbiegen des Frequenzgangs im Direktschall (z.B. durch Hochtonanhebung oder -absenkung), was aber einem anspruchsvollen Hörer nur in homöopathischen Dosen dauerhaft zuzumuten ist. Trotzdem hat natürlich sogar jeder bessere Studiomonitor eine derartige "Anpassungsmöglichkeit" im Hochton ... (soviel zum Thema "Monitor" und "neutral").



Doch zurück zu den Hochtönern ...

Tendenziell schmalere und höhere Hochtonquellen (immer in Relation zur Schall-Wellenlänge) können hier Vorteile haben.

Eine "einsame" Hochtonkalotte (kein Array, kein Waveguide ...) ist hier m.E. etwas ungünstiger aufgestellt, was die "Wahrscheinlichkeit einer passenden LS-Raum Interaktion über mehrere Modellfälle hinweg" betrifft.

Größere (und recht breite) AMTs sind hingegen im Hochton eher Wandler mit höherem Bündelungsmaß, die meisten strahlen vertikal trotzdem merklich enger als horizontal.

Auf jeden LS muss also bezüglich des Hochton in der raumakustischen Ausstattung und der Aufstellung (u.U. auch Einwinkelung) etwas anders eingegangen werden. Auch die Integration der jeweiligen Hochton-Systeme in bestehende Mehrwege-Konzepte gestaltet sich etwas anders, wenn man erreichen möchte, daß sie möglichst unter einer Vielzahl üblicher (Wohn-) Raumbedingungen "passen" sollen.



Jedoch gäbe es - bis hierhin - für mich keinen Grund, bestimmte Hochtonsysteme "grundsätzlich" zu bevorzugen oder ebenso "grundsätzlich" abzulehnen: Solange man "Gutes mit Gutem" vergleicht und das jeweilige Gesamtkonzept (Zielsetzung, Einsatzbereich, ...) sieht, ist m.E. "alles fein" ...



Viele Grüße Oliver

_______________

(*) Zum Nachdenken: Mit "Constant Directivity" LS im echten Wortsinn kann das also gar nicht gehen, es sei denn, die Absorption steigt im Raum zum Hochton hin genau im richtigen Maß ...

(**) Wenn AMT schmal genug.

(***) Hier sind wir (wieder) bei Dr. Floyd Toole und dem Thema Hörerpräferenz. Die Hörerpräferenz lässt sich für einen LS recht gut aus Frequenzgängen im "primären Abhörfenster" und dem Rundstrahlverhalten vorhersagen.
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

Als Ergänzung:

http://www.soundstagehifi.com/index.php ... udspeakers

U.a. so kann eine alternative Abstrahlcharakteristik ("breiter" in der Horizontalen und "enger" in der Vertikalen, im Übernahmebereich gut an die Tief- Mitteltonanordnung angepasst ...) mittels Kalotten und Waveguide realisiert werden.

Ein paar Messungen:
http://www.soundstagenetwork.com/index. ... Itemid=153

Der LS ist aber "nur passiv" und "nur ungeregelt", ist daher sicher nicht interessant, um hier besprochen zu werden. Es ging mir nur um die kuriosen Hochtöner, die sich Leute anderswo ausdenken :wink: .


Grüße Oliver
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

Zur Orientierung u.a. bezüglich "Ähnlichkeit der Frequenzgänge unter horizontalen Winkeln":

http://shop0954.hstatic.dk/upload_dir/s ... 310-02.jpg
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Frederik
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Beitrag von Frederik »

O.Mertineit hat geschrieben:Der LS ist aber "nur passiv" und "nur ungeregelt", ist daher sicher nicht interessant, um hier besprochen zu werden. Es ging mir nur um die kuriosen Hochtöner, die sich Leute anderswo ausdenken :wink: .
Hi Oliver,

Was soll das denn heißen?

Ich kann mir vorstellen das es ein gangbarer Weg ist auf Masse statt auf Klasse zu setzen.

Die 3 ungeregelten Hochtöner müssen sich sicher weniger anstrengen als ein einziger allein und werden deshalb wohl auch weniger klirren. (Vielleicht so wenig wie ein einzelnes geregeltes Chassis.)

Ansonsten, spannendes Thema. :cheers:

Grüße,
Frederik
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

Frederik hat geschrieben: Vielleicht so wenig wie ein einzelnes geregeltes Chassis.
...

Hallo Frederik,

der maximale Schalldruck steigt um ca. 9,5 dB durch die "Verdreifachung" der Treiberzahl.

Die erreichbare Schallleistung steigt um den Faktor 9 gegenüber einem (nackten) Einzeltreiber, dabei ist der Effekt des Waveguides noch nicht berücksichtigt ...

Diese Anordnung fühlt sich sogar dann noch "recht wohl" wenn eine einzelne - hypothetisch gern auch geregelte - Kalotte gleicher Bauart schon längst ihre Schwingspule "ausgespuckt" hätte.

Und beim Erreichen der gewünschten Abstrahlcharakteristik würde die Regelung auch nicht helfen ...

:wink:


Grüße Oliver
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NNEU
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Beitrag von NNEU »

Frederik,

Du hast eine (zu) hohe Meinung von geregelten Chassis !

Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, haben die alten B&M Sigmas Visaton Hoch/Mitteltöner.
Zu der Zeit hat Visaton irgend einen Schrott aus China importiert und noch nicht selber hergestellt.

Diese Chassis wurden erst durch die B&M Regelung brauchbar gemacht.

Heute gibt es Chassis die auch ohne Regelung die gleichen verzerrungswerte aufweisen wie geregelte Chassis. Insbesondere bei Hochtönern.


Ich bin ausserdem der Meinung dass ein Fehler (Klirr/Verzerrung) der nie entsteht, besser ist als ein Fehler der erst nach der Entstehung von der Regelung behoben wird (..auch wenn behauptet wird dass die Elektronik schneller korrigiert als sich der Schall ausbreitet..) .



Grüsse,

Noel
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Daihedz
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Beitrag von Daihedz »

O.Mertineit hat geschrieben:
http://www.soundstagehifi.com/index.php ... udspeakers

U.a. so kann eine alternative Abstrahlcharakteristik ("breiter" in der Horizontalen und "enger" in der Vertikalen, im Übernahmebereich gut an die Tief- Mitteltonanordnung angepasst ...) mittels Kalotten und Waveguide realisiert werden.
Very interesting! Die unterschiedliche Abstrahlung wird allerdings zum Preis eines zu erwartenden Lobing erkauft.

Wennschon, dennschon, dann reizen wir das Konzept gedanklich doch mal etwas aus. Es müsste prinzipiell möglich sein, mit einem solchen Hochton-Array die vertikale Charakteristik noch weiter, resp. feiner zu beeinflussen. Denn es wäre denkbar, in einem solchen HT-Array die einzelnen Kalotten unterschiedlich und selektiv zu bedienen.

Z.B.:
Die unterste Kalotte "fullrange" bis > 20kHz
Die mittlere Kalotte ca. bis 10kHz (oder auch tiefer/höher)
Die obere Kalotte bloss noch bis ca. 6kHz (oder auch tiefer/höher)

Damit würde die effektive akustische Dimension des Arrays zu höheren Frequenzen hin kleiner. Daraus folgt eine (begrenzte) frequenzabhängige Einstellbarkeit des vertikalen Abstrahlwinkels.

Weiterer Bonus: Dem Wandern des subjektiven Hörgeschehens nach oben hin bei höheren Frequenzen könnte etwas entgegengewirkt werden. Denn bloss die unterste Kalotte wird fullrange betrieben, während den weiteren, oberen Kalotten der Frequenzgang nach hohen Frequenzen hin beschnitten würden. Damit bleibt das subjektive Abbild etwas konstanter in der Abbildungshöhe:
O.Mertineit, anderswo im Forum hat geschrieben: Die mittleren zugeordneten Erhebungswinkel für Tonimpulse sehen nach Roffler & Butler 1968 relativ unabhängig vom realen Erhebungswinkel der Schallquelle in der Medianebene so aus:

7.20 Khz ca. +20 Grad
4.80 Khz ca. +11 Grad
3.20 Khz ca. +4 Grad
1.40 Khz ca. 0 Grad
0.60 Khz ca. -4 Grad
0.25 Khz ca. -5 Grad

Ich habe die Werte zum Roffler & Butler Experiment aus Jens Blauert "Räumliches Hören" Hirzel 1974, Bild 63 abgelesen, daher sind Ungenauigkeiten möglich.
Inline-Grüsse
Simon
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lessingapo
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Beitrag von lessingapo »

Hallo!
Hat nicht Geithain bei einigen seiner Modelle ein Kalotten-Array?
Geben sie (wahrscheinlich nicht..) irgend etwas dazu an?
Grüsse
Wolfgang
PS gerade nachgeschaut: 800er-Serie
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

Simon.Ramnbert hat geschrieben: Z.B.:
Die unterste Kalotte "fullrange" bis > 20kHz
Die mittlere Kalotte ca. bis 10kHz (oder auch tiefer/höher)
Die obere Kalotte bloss noch bis ca. 6kHz (oder auch tiefer/höher)

Damit würde die effektive akustische Dimension des Arrays zu höheren Frequenzen hin kleiner. Daraus folgt eine (begrenzte) frequenzabhängige Einstellbarkeit des vertikalen Abstrahlwinkels.

Hi Simon,

Du kannst Dir denken, ich wäre da zu allen "Schandtaten" bereit und habe auch schon in die Richtung gedacht ...

Jedoch

- vielleicht machen sie's ja schon so, oder so ähnlich ...

- evt. ist die Performance auch ohne diesen Trick schon recht gut

Ein subjektives vertikales "Wandern" sehe ich nicht als Problem ... eher, daß man keine zu starke Richtwirkung in der Vertikalen im obersten Hochton wollte.

Man müsste es selbst mal in der Hand haben und in der Vertikalen messen u.U. reicht es auch schon, die äußeren Wandler etwas zurückzunehmen bei hohen Frequenzen, wenn man das will.


Bei meinem alten "Dipol 08" Line Array ist die obere 3er Treibergruppe mit der unteren 3er Treibergruppe in Reihe geschaltet. Ab einer bestimmten Frequenz wird die untere allmählich "überbrückt", um das Array zu verkürzen: Da die Impedanz sinkt "zieht" das verkürzte Array aber jetzt mehr Strom, so daß der Schalldruckfrequenzgang (übrigens auch der Energiefrequenzgang) ausgewogen bleibt.

So eine "Verkürzung" eines Array mit der Frequenz lässt sich also auch rein passiv sehr komfortabel realisieren, wenn die Impedanzen der Schwingspulen - und ein paar weitere Parameter - gut passen: Man könnte die MHT-Treiber dann trotzdem als Einheit sehen und sie z.B. in ein 2-Wege Aktivsystem integrieren.

Ich kann mir aber gut vorstellen, daß der Waveguide bei "Aurelia" am besten funktioniert, wenn alle 3 Hochtöner "als Einheit durchlaufen" und dann sogar weniger Beugungserscheinungen produziert. Ich glaube nichtmal an ein ernstes "Lobing" in der Vertikalen.


Grüße Oliver
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

lessingapo hat geschrieben:Hallo!
Hat nicht Geithain bei einigen seiner Modelle ein Kalotten-Array?
Geben sie (wahrscheinlich nicht..) irgend etwas dazu an?
Grüsse
Wolfgang
PS gerade nachgeschaut: 800er-Serie
Hallo Wolfgang,

da ist es:

http://img3.audio.de/image-f630x378-fff ... 562063.jpg


Grüße Oliver
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lessingapo
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Beitrag von lessingapo »

Hallo Oliver,
danke,habe den Test der 806 gerade überflogen,genannt werden geringe bis
gar keine Verzerrungen im Hochton,was Deine und Frederik's Argumentation bestätigt;
ausserdem wird betont,dass der Sweetspot sehr gross ist.
Grüsse
Wolfgang
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O.Mertineit
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Beitrag von O.Mertineit »

O.Mertineit hat geschrieben: Ich kann mir aber gut vorstellen, daß der Waveguide bei "Aurelia" am besten funktioniert, wenn alle 3 Hochtöner "als Einheit durchlaufen" und dann sogar weniger Beugungserscheinungen produziert. Ich glaube nichtmal an ein ernstes "Lobing" in der Vertikalen.
Die Designer dort sind keine "Anfänger" ... (wollte ich noch ergänzen)
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