oder: Trinaural - der überflüssige Lösungsversuch eines nicht vorhandenen Stereowiedergabe-Problems?
- Teil 1 -
Im Verlauf dieses zunächst "nur" zweigeteilten Beitrags (kann sich noch ändern, man muss bekanntermaßen immer mit dem Schlimmsten rechnen) kommt es (leider) noch nicht zur eigentlichen Klärung der zum Teil kontrovers geführten Debatte über das trinaurale Hören gegenüber der stereophonen Wiedergabe im Sinne der Frage: Was klingt besser? Dafür ist der Zeitraum der Anwendung des trinauralen Setups zu kurz, auch wenn die anfängliche Begeisterung bei Uli, Torsten, Hauke und mir groß war.
Teil 1 beschreibt die computertechnische Umsetzung des trinauralen Hörens anhand des AcourateConvolver für all diejenigen, die das vielleicht auch einmal probieren möchten, sich aber allein nicht trauen. Sie erscheint kompliziert, weil sie sich an meinem 12-kanaligen System orientiert, dem noch zwei weitere Kanäle in Form der Center-Kanäle hinzugefügt werden, ist aber natürlich auch für "normale" Stereo-Lautsprecher anwendbar und dann erheblich weniger diffizil, wie in diesem Beitrag weiter unten noch ausgeführt. Außerdem wird ein wenig auf die theoretischen Vor- und Nachteile des stereophonen vs. trinauralen Hörens eingegangen.
Zugleich bitte ich darum, die vielleicht für manch einen Foristen "unnötig" lang erscheinenden Texte einfach zu überlesen, bekanntermaßen ist der Kenntnistand im Forum sehr unterschiedlich. Auch ich komme ja aus einer anderen Ecke und habe manchmal Probleme, hochherrschaftlichen Diskussionen im Forum zu folgen, weil sie oberhalb meines Wissenstandes liegen. Daher die Bitte um etwas Nachsicht und ggf. Korrektur/Diskussion des Postulierten.
In Teil 2 möchte ich probieren, die Begleitumstände dieses "epischen Abends" etwas zu erläutern und sie in einen Kontext mit dem Gehörten zu bringen. Außerdem erfolgen Überlegungen zu der unterschiedlichen Wahrnehmung und Einschätzung der trinauralen Wiedergabe verschiedener Hörer und zu differenten räumlichen Abhörsituationen.
Trinaurales Hören vs. Stereo-Wiedergabe - Bestandsaufnahme und Realisierung
Die Umsetzung des trinauralen Hörens erscheint primär sehr einfach: Man nimmt einen dritten Lautsprecher und stellt diesen (natürlich heimlich und auf Rückfrage sich selbst überrascht zeigend "Wie kommt der denn dahin?", weil es sonst nicht genehmigt wird) in die Mitte zwischen den Stereo-Lautsprechern. Dieser sogenannte Center überträgt dann einen Teil des linken und rechten Lautsprechers und sorgt durch seine physikalische Anwesenheit und Abstrahlung aus der Mitte für eine "echte" Stereomitte, wohingegen die vom linken und rechten Lautsprecher gebildete Mitte eine sogenannte Phantommitte ist. Sie beruht u.a. auf psycho-akustischen Phänomen, denn in der Mitte spielt ja eigentlich gar keine Musik. Der Nachteil der Phantommitte gegenüber der "echten" Mitte besteht darin, dass wir fortwährend damit beschäftigt sind, die Mitte aus der vom linken und rechten Lautsprecher abgestrahlten Musik zu "berechnen". Nun geschieht dieses scheinbar unmerklich, sorgt aber für eine fortwährende Beschäftigung unseres Gehörs und der weiteren Verarbeitung des Inputs mittig der Ohren, also im Gehirn, um aus den beiden Signalquellen die Raumillusion einschließlich der Phantommitte zu bilden.
Als Nebeneffekt treten bei der Stereowiedergabe zusätzlich leider noch sogenannte und unerwünschte Kammfiltereffekte mehr oder minder großen Ausmaßes auf: Strahlt z.B. der linke Lautsprecher ein Signal ab, wird dieses zuerst vom linken Ohr und Millisekunden später aufgrund des längeren Weges auch vom rechten Ohr erfasst. Rechts verhält es sich entsprechend umgekehrt. Diese Laufzeitunterschiede der Wahrnehmung und akustischen Verarbeitung sorgen für eben diese Kammfiltereffekte mit (partiellen) Auslöschungen einzelner Frequenzbereiche. Es kommt also zu einer Verfärbung des Signals, die zusätzlich u.a. von weiteren raumakustischen Gegebenheiten wie z.B. frühen und späten Reflexionen abhängig und natürlich unerwünscht ist. Es erscheint logisch, dass eine "echte" Mitte durch einen Center-Lautsprecher Vorteile gegenüber einer Phantommitte bei der Darstellung der Mitte hat (auch wenn Phantommitte erstmal spannender klingt: Das "Phantom der Oper" klingt für die meisten unter uns auch spannender als das "Reich der Mitte"), weil er eben dort steht und die von ihm abgestrahlten Signale beide Ohren gleichzeitig erreichen und Verfärbungen im Idealfall vermieden werden. Außerdem kann man sich vorstellen, dass auf Grund des oben Gesagten die Plastizität der Darstellung zunehmen könnte.
Theorie und grausame Wirklichkeit für Hobbyschrauber
Grau ist alle Theorie, wie ist es in der Realität? Ein Stereosignal muss für das trinaurale Hören mittels entsprechender mathematischer Rechenschritte, die primär auf den hierzu veröffentlichten Arbeiten von Gerzon und Pekonen beruhen und von Uli Brüggemann in modifizierter Form in seinen AcourateConvolver implementiert wurden, entsprechend aufbereitet werden. Zum einen müssen die Center-Kanäle und der Transformationswinkel nach Gerzon festgelegt werden. Zusätzlich lässt sich noch die Basisbreite um +/- 6 dB, also zum Center (negative Werte) oder zu den äußeren Lautsprechern hin (positive Werte) regeln.
Die sogenannten Transformationswinkel stellen ein Maß dar für die Verteilung des Musiksignals auf die einzelnen Wege: Ein Transformationswinkel von 0° geht einher mit einer Abstrahlung des Signals maximal aus der Mitte, ein Transformationswinkel von 90° entspricht einer reinen Stereo-Wiedergabe ohne Inanspruchnahme des Center-Lautsprechers. Bewährt haben sich für meine Konstellation Winkelgrade von 58° - 68°, wie ich schon weiter oben in meinem Thread erklärt habe. An dieser Einstellung hat sich bis heute nichts geändert, sie ist sozusagen gesetzt.
Leider gibt es noch etliche andere Schrauben, an denen bei der trinauralen Wiedergabe gedreht werden kann und die (noch) nicht gesetzt sind, und wir wissen aus einer bekannten Redewendung, je mehr Schrauben locker und nicht fest sind ("Der hat wohl eine Schraube locker"), desto mehr Probleme gibt es. Und so ist es auch. Und nun müssen diese unterschiedlichen Schrauben auch noch mit dem jeweils richtigen, setup-spezifischen und damit natürlich wiederum unterschiedlichen Drehmoment angezogen werden, damit sie nicht überdreht werden oder zu locker sind. Damit kann man schon mal ein Paar Wochen beschäftigt sein und so ein Sommerloch auffüllen, in dem man sonst nichts zu tun hat! Class-A im Sommer hat auch was!
Weil der Sommer nun wohl endgültig vorbei ist und auch nicht alle soviel Zeit haben, während ich ja bekanntermaßen über alle Zeit der Welt verfüge und deswegen aus Langeweile derartige Artikel schreibe (Yin und Yang: Einige haben gerechterweise ganz viel und andere dafür gar keine Zeit), habe ich meine Vorgehensweise der Einrichtung des trinauralen Hörens mit Hilfe des AcourateConvolver einmal "kurz" zusammengefasst.
Nun ist dieses natürlich ein Setup gewissermaßen in "Maximalausstattung" und daher leider auch mit maximalem Erklärungsbedarf verknüpft. Bei einem herkömmlichen Stereolautsprecher mit zwei Kanälen für links und rechts ist die erläuterte Konfiguration deutlich leichter: Wir haben dann zwei Zeilen für linken und rechten Kanal im AcourateConvolver und fügen vier Zeilen für den Center-Lautsprecher hinzu. Macht insgesamt sechs statt 20 Zeilen. Aber auch die Profis unter den Foristen sollen zufriedengestellt werden, daher der Versuch der Erklärung anhand der Maximalausstattung.

Fortbestehende Unklarheiten erläutere ich gern auf Anfrage.
Setup Matrix AcourateConvolver für Stereo-Wiedergabe und trinaurales Hören
Die Konfiguration der Matrix bei der klassischen Stereowiedergabe sieht bei mir folgendermaßen aus: Ich gebe sechs Kanäle pro Seite, also insgesamt 12 Kanäle aus, die für den Tiefton den Ausgängen RedNet PCIe Tx 1 und 2, für den Mitteltiefton den Ausgängen RedNet PCIe Tx 3 und 4, für den Mittelhochton den Ausgängen RedNet PCIe Tx 5 und 6, für den Hochton den Ausgängen RedNet PCIe Tx 7 und 8, für den Superhochton den Ausgängen RedNet PCIe Tx 9 und 10 und für den rückwärtig abgestrahlten Hochton den Ausgängen RedNet PCIe Tx 11 und 12 entsprechen. Die Eingänge Virtual 1 und 2 sind dabei dem linken resp. rechten Kanal zugeordnet. Die Filter "Cor1L88.cpv" und Cor1R88.cpv" versorgen die Tieftöner links und rechts (L und R geben dabei die jeweilige Seite an, 88 [kHz] die Samplingfrequenz, mit der ausgegeben wird), "Cor2L88.cpv" und Cor2R88.cpv" die Midbass-Hörner, "Cor3L88.cpv" und Cor3R88.cpv" die Mittelhochton-Hörner, "Cor4L88.cpv" und Cor4R88.cpv" die Hochton-Hörner, "Cor5L88.cpv" und Cor2588.cpv" die Superhochton-Hörner vorn und "Cor6L88.cpv" und Cor6R88.cpv" die Hochton-Hörner hinten. - Ganz schön kompliziert so ein AcourateConvolver, aber dafür ist das zugrundeliegende Programm "Acourate PRO64 V2" für die Filtererstellung an sich zum Glück ja umso leichter.
"Einfache" Stereokonfiguration des AcourateConvolver für aktive 12-Kanal-Wiedergabe:
Die Konfiguration der Matrix bei der trinauralen Wiedergabe entspricht dem unter diesem Text abgebildeten Screenshot. Da ich nur den Mittelhochton von 500 Hz - 2300 Hz und den Hochton von 2300 Hz - 8000 Hz mit dem Center wiedergebe, müssen auch nur diese insgesamt vier Kanäle (2x links und 2x rechts) auf die Matrix entsprechend den implementierten Rechenoperationen aufgeteilt werden. Sie entsprechen prinzipiell den Kanälen der Stereomatrix und sind dort den Ausgängen RedNet PCIe Tx 5 - RedNet PCIe Tx 8 für den MHT und HT der Stereo-Lautsprecher und zusätzlich den Ausgängen RedNet PCIe Tx 13 - RedNet PCIe Tx 14 (MHT und HT Center) zugeordnet. Es ist ersichtlich, dass z.B. der linke Mittelhochtöner des entsprechenden li. Stereo-Lautsprechers um -0,416739 dB abgesenkt wird und zugleich einen invertierten Anteil des Signals des rechten Mittelhochtöners mit einem Pegel von - 26,586530 dB zugeführt bekommt. Beim rechten Mittelhochtöner des rechten Stereo-Lautsprechers ist es dementsprechend umgekehrt. Ebenso verhält es sich für die beiden Hochtöner. Zugleich wird in der Matrix deutlich, dass der Center-Lautsprecher mit dem MHT und HT, die den Ausgängen RedNet PCIe Tx 13 und 14 unter den Nr. 17 - 20 entsprechen, zu gleichen Teilen ein um -10,491355 dB abgeschwächtes Signal sowohl des entsprechenden linken als auch rechten Lautsprechers erhalten.
Trinaurale Konfiguration des AcourateConvolver für aktive 14-Kanal-Wiedergabe:
Für die trinaurale Wiedergabe werden nun die entsprechenden Zeilen in die Matrix des AcourateConvolvers zugefügt. Danach erfolgt die Eingabe der Pegel der einzelnen Lautsprecher/Chassis/Kanäle. Müssen jetzt alle Pegel je nach Transformationswinkel mühsam von Hand berechnet und in die Matrix des Convolvers eingetragen werden? Natürlich handelt es sich hier nur um eine rein rhetorische Frage, denn wer Uli kennt, weiß, dass er das elegant gelöst und damit die Frage auf seine Weise beantwortet hat.
Unter den "Einstellungen" des AcourateConvolvers gibt es einen Button mit der Bezeichnung "Trinaural". Nach Klicken des Buttos öffnet sich ein Fenster, dass nahezu plug and play-mäßig alle notwendigen Eingabefelder für die Berechnung der Signalpegel beherbergt. Voraussetzung ist lediglich die Festlegung der entsprechenden Kanäle und das Update auf die letzte AcourateConvolver-Version.
Die dort erforderlichen Eingaben sind leider nicht ganz selbsterklärend und sollen deshalb näher beleuchtet werden. Selbst dann ist es noch immer schwierig, aber einmal konfiguriert kann alles bis in alle Ewigkeiten so bleiben. Es müssen zukünftig lediglich die Transformationswinkel nach Gerzon eingegeben und abschließend mit dem Button "In Matrix kopieren" bestätigt werden: Alle im Hintergrund berechneten Pegel für den/die eingetragenen Winkel und ggf. die Stereobreite werden dann automatisch in die Matrix des Convolvers übernommen. Die Bestätigung der richtigen Konfiguration und Übernahme in die Matrix erfolgt übrigens durch das zweifach dargestellte grüne "ok". - Grün ist ja auch die Farbe der Hoffnung.
Am unten gezeigten Beispiel sehen wir unter "Trinaural" folgende Eintragungsmöglichkeiten:
- "Notiz" zur Benennung der Kanäle des Center-Lautsprechers: Hier MHT für Mittelhochtöner und darunter HT für Hochtöner per Tastatureintrag
- "Winkel" zur Eingabe des gewünschten Transformationswinkels nach Gerzon: Hier beispielhaft 65 für 65°, für das °-Zeichen war leider kein Platz mehr
- "Breite" zur zusätzlichen Eingabe der Stereobreite von +/- 6 dB, falls gewünscht
- "LEFT", "CENTER" und "RIGHT" mit nochmaliger Unterteilungsmöglichkeit in die Inputs Lin und Rin für jeweils Links und Rechts
Einstellungen "Trinaural" des AcourateConvolver:
Konkret steht hier unter LEFT Lin die Zahl 5 für den linken MHT und unter RIGHT Lin die Zahl 7 für den rechten MHT. Diese Zahlen korrespondieren mit der erstgenannten Spalte für "Nr." im AcourateConvolver und haben folgende Bedeutung: Das Signal des linken MHT setzt sich zusammen aus dem um -0,416739 dB abgeschwächten Signal des linken MHT (Virtual 1 = linker Kanal) und dem invertierten und um -26,586530 dB abgeschwächten Signal des rechten MHT (Virtual 2 = rechter Kanal). Die Signalausgabe erfolgt hier unter der Bezeichnung des Dante-Routings RedNet PCIe Tx 5 (siehe oben).
Wir sehen, dass es sich beim Signal des rechten MHT genau anders herum verhält: Das Signal des rechten MHT setzt sich zusammen aus dem um -0,416739 dB abgeschwächten Signal des rechten MHT (Virtual 2 = rechter Kanal) und dem invertierten und um -26,586530 dB abgeschwächten Signal des linken MHT (Virtual 1 = linker Kanal). Die Signalausgabe erfolgt hier unter dem Dante-Routing RedNet PCIe Tx 6 (siehe oben).
Analoges gilt für den Hochtonbereich von 2300 Hz - 8000 Hz, der mit den Nr. 9 und 10 für den Hochtöner des linken Stereo-Lautsprechers und mit den Nr. 11 und 12 für den Hochtöner des rechten Stereo-Lautsprechers versehen ist.
Der Center-Lautsprecher ist für den Mittelhochtöner mit den Nr. 17 und 18 und für den Hochtöner mit den Nr. 19 und 20 gekennzeichnet. Der MHT als auch der HT des Centers übertragen mit einem um - 10,491335 dB abgeschwächten Pegel sowohl das Signal des linken als auch des rechten Kanals (Virtual 1 und Virtual 2). Die Signalausgabe erfolgt hier unter dem Dante-Routing RedNet PCIe Tx 13 und RedNet PCIe Tx 14.
So, das war`s schon. Aber ich dachte, es ist ein langes Wochenende.

Viel Spaß beim Experimentieren!
Viele Grüße
Holger