Was streamen wir da eigentlich? (digitale Integrität)

Redaktionelle Beiträge und Aufsätze
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3134
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo,

was ist eigentlich "künstlerisches" Ziel bei der Kompression (Dynamik und geschrumpfte "Bühne")? Soll das kompatibel meinetwegen für Smartphones und Mono-USB-Boxen gemacht werden? Oder ist es nur, dass "die Kunden" das so haben wollen?

Viele Grüße

Jochen
Bild
Hans-Martin
Aktiver Hörer
Beiträge: 9145
Registriert: 14.06.2009, 15:45

Beitrag von Hans-Martin »

Melomane hat geschrieben: 05.11.2022, 19:59Oder ist es nur, dass "die Kunden" das so haben wollen?
Hallo Jochen,
wer sind "die Kunden"?
Inzwischen dürfte sich herumgesprochen haben, dass es die Musiker sind, die nicht weniger laut rüberkommen wollen als andere. Als Nebeneffekt schafft es die Tontechnik, dass sie sich vorn an der Bühnenkante aufreihen so wie die Hühner auf der Stange (frei nach Eberhard Sengpiel zu gepannten Aufnahmen, Knüppelstereofonie).
Und mit einem DR=6 fühlt man sich heute bestens bedient :( .

Im nördlichsten Bundesland frozzeln Biertrinker: Holsten knallt am dollsten. :cheers:
Dieser Spruch meines Bruders fiel mir dazu gerade wieder ein....
Grüße
Hans-Martin
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3134
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo Hans-Martin,

da frage ich mich: Wer hätte es von wem übernommen? Die Hörer von den Musikern/Produzenten oder die Musiker von den Produzenten/vorgeblichen Kundenwünschen?

Da fällt mir eine E-Mail-Korrespondenz mit einem Musikerduo ein, das ganz erstaunt reagierte, als ich fragte, warum man beide sich überlagernd in der Mitte präsentieren wollte (quasi mono), und meinte, es sei doch eine überlegenswerte Anregung, mehr in Richtung Stereo abzumischen.

Viele Grüße

Jochen
Bild
atmos
Aktiver Hörer
Beiträge: 813
Registriert: 17.08.2020, 16:54

Musiker-Kundenwunsch

Beitrag von atmos »

Melomane hat geschrieben: 05.11.2022, 19:59 Hallo,

........
Oder ist es nur, dass "die Kunden" das so haben wollen?

Viele Grüße

Jochen
Hi, eine der HiFi-Gazetten brachte eine Serie über Tonstudios.
Ein Tonmeister berichtete, dass die Band bei Abnahme auf Loudness War bestand.
Der Kunde bekommt, was er bezahlt. So ist es.
Da sind die Bemühungen um eine gute Produktion des Tonmeisters ausgehebelt.

Gruß
Günther
Bild
hkampen
Aktiver Hörer
Beiträge: 687
Registriert: 11.02.2018, 23:40
Wohnort: Köln

Beitrag von hkampen »

Hallo Hans-Martin und Jochen,

ich denke, inzwischen ist es Gewohnheit, die durch kurzfristige Erfolge gepusht wird. Laut gemachte Musik soll ja den Effekt haben, erstmal besser anzukommen. Wir schalten zwar schon per Reflex auf Stop bei -6LUFS, das gilt aber nicht für die Allgemeinheit. Laute Musik hat aber nur eine geringe Halbwertzeit, das vergessen die Meisten. Es geht um das schnelle Geld. Und da sind manche Künstler nicht besser als ihre Produzenten.

Vermutlich haben auch die vielen Billigplayer einen Anteil daran. Da hört man sowieso nur die Hälfte und ohne viel Loudness noch weniger.

Viele Grüße
Harald
Bild
Hans-Martin
Aktiver Hörer
Beiträge: 9145
Registriert: 14.06.2009, 15:45

Beitrag von Hans-Martin »

Hallo Jochen,
Hier mal meine Biertisch-These:
Mitte der 1980er Jahre haben Zeitschriften wie HiFi-Visionen oder Audio/Stereoplay CDs produziert, bei denen altbewährte Aufnahmen (vermutlich günstig zu verwerten) aufpoliert waren, rauschreduziert durch Kompression und Pegelanhebung oberhalb des alten Rauschlevels.
Die nötigen Gerätschaften gab es da schon, sie warteten nur auf Verfeinerung und Extremisierung der Effekte.
Richtig los ging es mit dem Erscheinen von mp3-Playern, deren wenige Bedienknöpfe dazu einluden, einen leiseren (unkomprimierten) Musiktrack einfach zu skippen.
Da wurde allen bewusst, welche Bedeutung die Lautstärke für den Erfolg hatte. Nun gab es kein Halten mehr, Kompression bis über die Übelkeitsschwelle hinaus.
Das beliebte "audiophile" Stockfisch Label komprimiert auch stark, DR=9 ist häufig zu finden.
Grüße
Hans-Martin
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3134
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo Hans-Martin,

nicht nur Stockfisch, die hochgerühmten Bauerstudios sind meiner Meinung nach mittlerweile - ja nach Tonmeister mehr oder weniger - auch dabei. Das alles macht dann keinen Spaß/Hörvergnügen. Mir jedenfalls nicht. Glücklicherweise habe ich - und ich denke, du auch - genügend Altbestand, um bis ans Ende unseres irdischen Dasein schöne Musikkonserven genießen zu können.

Viele Grüße

Jochen
Bild
Hybrid-OLI
Aktiver Hörer
Beiträge: 349
Registriert: 15.02.2017, 19:23

Beitrag von Hybrid-OLI »

Vielleicht sollte man zur Klarstellung noch mal zwischen Einzeltrack-/Stem- & Summenkompression unterscheiden. Meist wird nur letztere betrachtet, deren DR-Wert meßbar ist. Mit absoluter Sicherheit sind auch fast alle Aufnahmen die Ihr klasse findet komprimiert. Über die Einzeltracks oder über die Summe, nur nicht wirklich hörbar. Zumindest nicht in einem Maße, daß man sich davon gestört fühlt.

In danceorientierten Genres beispielsweise ist Kompression unerläßlich um Druck zu erzeugen. Genauso wie bei Metal und Hard Rock. Bei Hip-Hop sowieso. Musikarten die hier offenbar kaum, bzw. gar nicht gehört werden. Auch die Tonalität wird durch Kompression beeinflußt, speziell bei Multibankompression. Hier kann der Kompressor als musikalisches Gestaltungsmittel ähnlich einem EQ verwendet werden. Bei Hip-Hop ist dies schon seit 30 Jahren der Fall um den "authentischen Ghetto-Style" zu erzielen. Kompressorpumpen und sich scheinbar überschlagend Bässe sind da besonders beliebt. Auch Clipping wird übrigens gezielt eingesetzt. Da spielt dann auch die TruePeak Übersteuerung, die in der HiFi-Welt noch nicht mal zur Kenntnis genommen wurde (sic !), keine Rolle mehr. Ich habe schon bis zu +4dBfsTP gemessen !

Wie bei Allem macht es ganz einfach die Dosis. Und die ist leider sehr oft maßlos übertrieben. Wie eine Suppe, in die der Salzpott gefallen ist.


beste Grüße
OLI
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3134
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hybrid-OLI hat geschrieben: 05.11.2022, 23:00 Mit absoluter Sicherheit sind auch fast alle Aufnahmen die Ihr klasse findet komprimiert. Über die Einzeltracks oder über die Summe, nur nicht wirklich hörbar. Zumindest nicht in einem Maße, daß man sich davon gestört fühlt.
Oli,

das ist doch der entscheidende Punkt. Wir fühlen uns gestört. Andere halt nicht bzw. wollen die übermäßige Kompression gar. Und gewiss hast du recht, wenn du sagst, dass unsere Lieblingseinspielungen auch komprimiert sind. Müssen sie ja auch - wie schon festgestellt. Aber das stört eben nicht. ;)

Viele Grüße

Jochen
Bild
Dipolaktiv
Aktiver Hörer
Beiträge: 574
Registriert: 24.11.2019, 11:48
Wohnort: Zürich

Beitrag von Dipolaktiv »

Hallo

es gibt da auch löbliche Ausnahmen. Ich habe mehrere Tacet CD, DVD Aufanhmen (Kammermusik , Symphonieen) und die sind durchwegs DR 13-16. Sind hovchwertig augenomemn und auch toll gehörmässig.
Ich versthe die Musiekr nicht die starke Kompression verlange. Die Musik wird langweilig und matschig. Das äusserts sich vor allem bei Schlagzeug, das dann sowas von schlpp ist. Wer mal live Schlagzeug gehört hat weiss wie das fetzt! Klar ist moderate Kompression allenfalls nötig aber das ist es den auch schon. Dr12-16 darf es den schon sein.

Gruss

Peter
Bild
Hybrid-OLI
Aktiver Hörer
Beiträge: 349
Registriert: 15.02.2017, 19:23

Beitrag von Hybrid-OLI »

Es kommt immer darauf an, wie es gemacht ist.
Man kann durchaus so komprimieren, daß eine Dynamikeinengung nicht wirklich hörbar ist, stattdessen aber eine höhere Energiedichte im Track. Und selbige verleiht oftmals erst so richtigen Punch.

Das ist natürlich immer abhängig vom Zusammenspiel aus Quelldatei, Können des Tonmannes und den verfügbaren Tools, bzw. deren konkreter Parametrisierung.


beste Grüße
OLI
Bild
Hans-Martin
Aktiver Hörer
Beiträge: 9145
Registriert: 14.06.2009, 15:45

Beitrag von Hans-Martin »

Dipolaktiv hat geschrieben: 05.11.2022, 23:49Wer mal live Schlagzeug gehört hat weiss wie das fetzt! Klar ist moderate Kompression allenfalls nötig aber das ist es den auch schon. Dr12-16 darf es den schon sein.
Hallo Peter,
wenn ich mich nicht irre, habe ich eine Datei mit Percussionist Grubinger mit DR=24.
Anschlagen, ausklingen lassen, das schafft hohen DR-Wert.
Pausenloses Draufdreschen kann den ermittelten Wert ggf. reduzieren.
Die Reduktion auf einen einzelnen Zahlenwert ist verführerisch, kann zugleich aber auch irreführend sein.
Alles über DR=13 nehme ich gern, wie es ist, aber Tendenzen darunter gegen 10 machen mich skeptisch.
Grüße
Hans-Martin
Bild
hkampen
Aktiver Hörer
Beiträge: 687
Registriert: 11.02.2018, 23:40
Wohnort: Köln

Beitrag von hkampen »

Moin,

die DR-Werte sollte man nicht absolut sehen. Rock kann durchaus mal DR 10 sein, und wenn ein Stück mit einem Bassteppich unterlegt ist, reduziert das auch den DR-Wert.

Allerdings fremdel ich sehr mit dem Begriff "mehr Druck" von Oli. Das klingt mir sehr nach zukleistern.

Grüße
Harald
Bild
Hybrid-OLI
Aktiver Hörer
Beiträge: 349
Registriert: 15.02.2017, 19:23

Beitrag von Hybrid-OLI »

Hallo Harald

Ein "Zukleistern" sollte man natürlich verhindern.
Aber gerade bei neueren Abmischungen in Pop & Rock ist dies leider tatsächlich oftmals der Fall.
Sehr schade, wenn die an sich gute Technik für "Kleistersound" genutzt wird.
Das moderne Klangideal ist offenbar immer mehr ein Sound wie ein Brett.
Das heißt aber nicht, daß Programmverdichtung per se falsch ist.
Es macht einen deutlichen Unterschied ob ich alte Aufnahmen von DR18 auf DR12, oder aber auf DR7 bringe.


beste Grüße
OLI
Bild
hkampen
Aktiver Hörer
Beiträge: 687
Registriert: 11.02.2018, 23:40
Wohnort: Köln

Beitrag von hkampen »

Oli,

eine alte Aufnahme von DR 17 auf DR 12 zu bringen, ist genau das, was mich seit Jahren aufregt. Nicht nur weil mein Dynamikempfinden und meine Klangerinnerung dadurch empfindlich gestört wird, sondern weil es meistens nicht funktioniert. Es kommt mir oft so vor, dass es bei der Klangänderung gar nicht um eine Anpassung an den modernen Sound geht oder um eine andere Verbesserung, sondern nur darum, Remastered dran schreiben zu können, damit es die Leute noch mal kaufen.

Wenn heute Pop- oder Hip-Hop-Musiker laute Musik produzieren, ist mir das relativ egal. Die sollen aber John Coltrane nicht behandeln, als wäre er bekannt geworden durch Ilja Richter's Disco.

Grüße
Harald
Bild
Antworten