Was streamen wir da eigentlich? (digitale Integrität)

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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hybrid-OLI hat geschrieben: 23.10.2022, 20:12 Ich werde mir die verfügbaren Versionen von "Crescent" mal näher besehen und belauschen. :cheers:

Vielleicht läßt sich da auch was machen. ;-)
Da wäre ich doch gespannt. :cheers:

Viele Grüße

Jochen
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Hybrid-OLI
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Beitrag von Hybrid-OLI »

Es kommt aber bei all den Dynamik-Betrachtungen und DR-Zähler - Vergleichen auch darauf an, WIE es beim Remastering gemacht wurde.
Man kann auch beim Dynamic Squeezing sauber arbeiten, also die Transienten erhalten, Kompressorpumpen vermeiden und Übersteuerungen schon mal überhaupt. Ich verwende beispielsweise immer tranparente TP-Mastering-Limiter.

Ich habe den bösen Verdacht, daß oftmals im Übersteuerungsbereich gearbeitet wird und man dann einfach auf -0.10dBfs normalisiert.
Einige klanglich ungute Effekte lassen sich auf genau dieses Vorgehen zurückführen.

remasterliche Grüße
OLI
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hkampen
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Beitrag von hkampen »

Oli,

es gibt sicher sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für Dynamikkompression und auch wie man es richtig oder falsch macht. Ich halte jedoch Dynamikkompression bei Musik, bevor das Mode wurde, für unangebracht. Ich erkenne keine Gründe und kenne keine Musik, wo es sich - für meine Ohren - positiv ausgewirkt hat, nicht bei John Coltrane, Fleetwood Mac, Talking Heads, The Stranglers, Joan Armatrading, Deep Purple, The Police, Al Jarreau und vielen anderen. Und wie gesagt, da geht es meisten nur um 2 DR-Stellen im zweistelligen Bereich. Ich frage, warum das immer sein muss.

Viele Grüße
Harald
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

hkampen hat geschrieben: 23.10.2022, 22:16 Ich frage, warum das immer sein muss.
Hallo Harald,
ich sehe eine mögliche Antwort in einem Bereich, der Künstler betrifft. Sie wollen etwas eigenes schaffen, nicht Vorhandenes wiederholen.
Wenn TonIngs an modernen Gerätschaften und ihren Möglichkeiten ausgebildet wurden, warum diese nicht einsetzen?
Und neueste Geräte schaffen bisher nicht dagewesene Ausdrucksmöglichkeiten von eigenständigen Produktionsmethoden.
Anders als Ärzte den Hippokratischen Eid geschworen haben, sind Tonmeister in einem kommerziellen Bereich vorrangig diesem verpflichtet. Und die Musiker möchten Gehör finden, die Dynamikkompression und überhöhte Aussteuerung sind wie der Holzhammer auf die Stirn des nebenbeihörenden Users. Some like it hot.
Audiophile bekommen nicht unbedingt, was sie bevorzugen.
Grüße
Hans-Martin
(noch 'n alter Al Jarreau Fan)
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Hybrid-OLI
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Beitrag von Hybrid-OLI »

Hallo Harald

Kompression findet bei 99,9% aller Abmischungen und Masterings statt. Egal um welche Musik es sich auch handeln mag. Von Jean-Michel Jarre bis zu Krajan. Die reale Dynamik von Musik ist so groß, daß eine gänzlich unkomprimierte Reproduktion technisch, wie sozialverträglich, kaum möglich ist. Man geht unter normalen Abhörbedingungen zuhause von einem Ruhegeräuschpegel von 20-40dB(A) aus. Würde man die Gesamtdynamik von 120dB die unser Ohr verkraftet so zur Geltung bringen, daß jede dynamische Abstufung hörbar wird, hätte man Spitzenpegel die die Schmerzgrenze erreichen oder übertreffen ! Kompression ist daher absolut unerlässlich in der Musikproduktion. Dies auch schon zu Zeiten Coltranes. Auch in den 60ern wurde schon komprimiert. Rudy van Gelder hat sicherlich mit einem Fairchild 660/670 gearbeitet der seine Ursprünge in den 50er Jahren hat und der legendäres Ansehen genießt. Auch muß die Dynamik einzelner Instrumente angepasst werden. Eine Schießbude unkomprimiert abzumischen ist wohl eher Wunschdenken, selbst bei Charly Antolini - Aufnahmen. Kompression kann auch den Klang in seiner Gesamtheit formen. Alle legendären Aufnahmen seit den 60ern wurden komprimiert. Mal mehr, mal weniger. Speziell rhythmische Musik von Rock über Funk bis Hip-Hop gewinnt nur durch Kompression. Leider aber hat der Loudness War mit seiner Hyperkompression und den daraus folgenden Begleiterscheinungen bei Vielen die Ansicht gefördert, Kompression sei per se verwerflich. Dies ist aber nicht der Fall. Verschiedenste Musik benötigt um zu "funktionieren" eine musikalische Programmverdichtung die nur über Kompression möglich ist. Der Gesamtbereich Kompression ist allerdings derartig komplex, sowohl in seiner Anwendung als auch in seinen Auswirkungen, daß man darüber schon ganze Bücher geschrieben hat.

Also, "ohne" geht quasi nix, nur sollte man es nicht übertreiben. Das wird dir jeder Tonmensch bestätigen können.

Leider aber sind die Millennials mit Hyperkompression und ihren Artefakten schon aufgewachsen und empfinden diesen Sound als vollkommen normal. Nur wir "ollen Säcke" haben noch einen anderen Maßstab.


beste Grüße
OLI
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Hybrid-OLI
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Beitrag von Hybrid-OLI »

Hans-Martin hat geschrieben: 23.10.2022, 22:41
Hans-Martin
(noch 'n alter Al Jarreau Fan)

Meister Yoda spricht : Dies löblich ist gar sehr. :mrgreen:
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Hybrid-OLI
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Beitrag von Hybrid-OLI »

Servus

Ich habe mal eine Analyse von "John Coltrane Quartet - Crescent (1964)" in der bereits erwähnten Version von 2016 in 24bit, 192kHz durchgeführt.

Hier die schon rein optisch aussagefähigen und fragwürdigen Resultate :


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Immerhin, keine TruePeak Overs, was mich doch sehr wundert. Zu sehen aber eindeutig die starke Kompression und ein kurioses Spektrum.
Auch der Lateralmix ist schön zu sehen.

In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Technik wünsche ich mir da eigentlich aber schon was Anderes.



analytische Grüße
OLI
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Sebabe
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Beitrag von Sebabe »

Hallo, seltsame Linie bei 30kHz (und auch ganz oben zw. 70 und 80 kHz) im Spektogram. Woher könnte das kommen?
VG
Sebastian
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hkampen
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Beitrag von hkampen »

Hallo Oli,
Hybrid-OLI hat geschrieben: 23.10.2022, 22:45Die reale Dynamik von Musik ist so groß, daß eine gänzlich unkomprimierte Reproduktion technisch, wie sozialverträglich, kaum möglich ist
Echt? Bei einem Symphonieorchester vielleicht. Wenn ich mit gewissem Abstand unverstärkte Livemusik höre, auch in einer relativ lauten Umgebung, vermisse ich normalerweise nichts, und auch nicht bei alten Aufnahmen aus den 30ern (abgesehen von den Einschränkungen bei der Aufzeichnung). Ich will mich hier auch gar nicht gegen die Technik auflehnen, sondern eher gegen die Hörgewohnheiten und zu hohe Priorisierung von Umgebungen (z.B. Auto-Innenraum). Und Umgebungsklang von 30db heißt ja nicht, dass Klänge in dem Bereich nicht hörbar sind.

Natürlich wird die Stärke der Kompression in erster Linie von den Künstlern und Produzenten festgelegt, und es ist auch definitiv ein künstlerisches Ausdrucksmittel. Deshalb muss ich deutlich hörbare Kompression nicht gut finden.

Viele Grüße
Harald
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Hybrid-OLI
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Beitrag von Hybrid-OLI »

Servus Harald

Du meinst mit "deutlich hörbarer Kompression" wahrscheinlich die Kompression des Summenmixes oder und beziehst du dabei auch Kompressionsartefakte wie Pumpen oder gekappte Transienten mit ein ?

Vergessen darf man auch nicht, daß Kompression schon bei Einzelspuren, also den Instrumente, unerlässlich ist.
Viele Aufnahmen - auch die richtig guten ! - klingen wie sie klingen, weil auch die einzelnen Instrumente/Tracks komprimiert wurden.

Es ist wie mit Allem, die Dosis bestimmt das Endergebnis.

Wenn du sehen würdest, was bei Mix & Mastering, speziell beim Mischen, TATSÄCHLICH alles gemacht wird, wie Aufnahmen im Studio also entstehen, würdest du möglicherweise die Hände über'm Kopf zusammenschlagen.
Für viele Musik- & HiFi-Freunde ist es absolut ernüchternd wie ihre heißgeliebten Aufnahmen wirklich zustande kommen.
Oftmals wird jeder Recording Artist separat aufgenommen und die einzelnen Musiker sind nie gemeinsam im Studio.
Klassisches Beispiel dafür waren Pink Floyd.
Der "Mann am Pult" bestimmt oftmals, was wir dann zu hören bekommen. Bestes Beispiel dafür, wie legendäre Top-Aufnahmen überhaupt erst entstehen konnten ist Alan Parsons.


beste Grüße
OLI
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hkampen
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Beitrag von hkampen »

Moin Oli,

wenn's wie von Alan Parsons Aufnahmen aus den 70ern klingt, ist alles gut. Da können die von mir aus die Musik mit Automated Composing Systems zusammenfrickeln :D Das Problem sehe ich an der Veränderung von älteren Aufnahmen auch nur um ein bis zwei Punkte weniger DR, die aus meiner Sicht meist nicht gelingen. Bei aktueller Musik funktioniert das scheinbar besser.

Grüße
Harald
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Harald,

ich pflichte Dir bei: Kompression guter alter Aufnahmen a la "loudness-war", was dann als "Digitally high resolution Remastered" oder so ähnlich verkauft wird, empfinde ich als "Sakrileg" und sinnlosen Einsatz von Kompressionstechnologie! Wenn's wenigstens Dekomprimierung (a la HiCom Kompander aus der Tonbandzeit) mit genormten Parametern gäbe, so daß die Komprimierung rückgängig zu machen wäre... :wink: 8)

Grüße,
Winfried5368
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Hybrid-OLI
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Beitrag von Hybrid-OLI »

Servus

In dem Moment, in dem es möglich wird, Hyperkompression artefaktfrei rückgängig zu machen, dürften so manche Rechner rauchen. :wink:

Man sollte aber Kompression niemals mit Hyperkompression gleichsetzen, das sind zwei verschiedene Dinge.


beste Grüße
OLI
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hkampen
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Beitrag von hkampen »

Moin Oli,
Hybrid-OLI hat geschrieben: 31.10.2022, 16:40Man sollte aber Kompression niemals mit Hyperkompression gleichsetzen, das sind zwei verschiedene Dinge.
da stimme ich mit dir überein. Zum Glück ist die Hyperkompression größtenteils Geschichte, seitdem sich die Streamindienste auf Standards geeinigt haben. Trotzdem ist leider immer noch viel extrem komprimiertes Material draußen, und auch heute noch kommen relativ stark komprimierte Alben raus, z.B. Marcus King - Young Blood vom August.

Aber was unterscheidet der heutige Umgang mit Kompression gegenüber den 70ern und 80ern, wo eher eine hohe Dynamik ein allgemeines Qualitätsmerkmal waren?

Aus meiner Sicht sind das verschiedene Faktoren. Damals war die große Zeit der Diskotheken. Auch nur annähernd stark komprimierte Musik ist in dem Umfeld störend. Kompression gab es damals natürlich schon, aber sie wurde vermutlich nicht so flächendeckend eingesetzt, wodurch die Hörgewohnheiten anders waren. Dann war die Wahl der Quellen anders. Entweder Schallplatte und Tonband (CD langsam auch) oder Radio und Kassette. Durch Dynamik konnte sich die eher laut gespielte Musik vom Plattenteller deutlich vom Radio abheben. Streaming ist da anders, es muss vom billigen Radio bis zur Highend-Anlage alle bedienen. Das Wachstum beim Streaming ist heute auch so groß, dass sie sich nicht die Mühe geben müssen, Nischenhörer wie unsereins zu befriedigen.

Vielleicht kommt ja mal jemand auf die glorreiche Idee, ähnlich wie bei dem Highres-Bildchen "High Dynamic" zu bewerben. Das könnte ein Umdenken unterstützen.

Mir es es ziemlich egal, ob was Highres ist. Ich denke, der Drops ist auch so langsam gelutscht. Die Leute begreifen langsam, dass CD-Qualität in vielen Fällen mehr als ausreichend ist, wenn sie zeitgemäß umgesetzt wird. Die Fake-Highres-Welle tut ein übriges, um das Thema zu den Akten zu legen. Ich glaube, eine hohe Dynamik zu bewerben, hat inzwischen gute Chancen auf Erfolg.

Viele Grüße
Harald
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Hybrid-OLI
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Beitrag von Hybrid-OLI »

Servus Harald

Ich würde mir in der Tat wünschen, daß es von Aufnahmen (alt UND neu) mindestens 2 Versionen gibt. Eine mit Dynamik (für die ollen Säcke wie uns) und die andere meinetwegen gequetscht, für den "modernen Hörer" (U-30).

Technisch wäre das ganz einfach zu machen. Ich bringe jedes Album hier innerhalb von 5m auf jede gewünschte Lautheit. Da gibt es kaum Aufwand, hat man die Tools zur Verfügung. Komplexe Kompressoren mit ihren Einstellungen sind da überhaupt nicht nötig. Aufwandstechnisch wäre das überhaupt kein Problem. Aber Hörer wie wir sind tatsächlich in so kleiner Zahl vorhanden, daß die Industrie dazu offenbar NULL Notwendigkeit sieht. Stattdessen arbeitet man bei den meisten kommerziellen Produktionen eher auf kleinstem gemeinsamem Nenner. Der Dumme ist immer der, der hohe Qualität wünscht. Da sowieso die Mehrheit offenbar mit Smartphone oder Boombox hört sehe ich bei einem Großteil der Musik in Zukunft eher schwarz. Es gibt offenbar eine Menge Leute, die Billie Eilish für klanglich gut halten. Nun ja ...

Daß in den letzten 20 Jahren dermassen stark komprimiert wurde liegt auch an der Digitaltechnik. Früher war es kaum möglich dermaßen krass die Loudness zu erhöhen. Auch mußte man auf den Plattenschnitt Rücksicht nehmen. In der Digitaltechnik kann ich alles machen. Phasensauereien bis hin zur Gegenphasigkeit, Monsterbässe die auf Vinyl kaum pressbar sind, Loudnesswerte von -6LUFS, alles kein Problem. Früher undenkbar. Mit Multibandkompression kann man Pegelwerte erzeugen die die Natur überhaupt nicht kennt !
Schade, daß man die großartige Technik die es inzwischen gibt oftmal nutzt, um klanglichen Schmu zu fabrizieren.


beste Grüße
OLI
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