Kunstkopfstereophonie / binaurale Aufnahme

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Melomane
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Kunstkopfstereophonie / binaurale Aufnahme

Beitrag von Melomane »

Hallo,

habe ich etwas in Sachen binaurale Aufnahmen missverstanden? Ich lese von verbesserter Räumlichkeit bei Kopfhörerwiedergabe. Unter Räumlichkeit verstehe ich die Illusion eines dreidimensionalen Raumes, die sich beim Hören einstellen soll. Eines Raumes, in dem die Musikdarbietenden gemeinsam zu agieren scheinen oder es tatsächlich bei der Aufnahme im Studio getan haben. Ist diese Auffassung von Räumlichkeit mein Denkfehler?

Ich habe vorhin die Heft-CD der Stereoplay 01/2019 gehört. Die enthält 11 binaurale Titel von Chesky. Und ja, die Instrumente und Stimmen waren prägnant zu erkennen, nicht irgendwie diffus präsentiert. Aber gerade das machte das Hören auch anstregend, eine Raumillusion wie oben beschrieben wollte sich nicht einstellen, alle beteiligten Instrumente und Sänger agierten hübsch isoliert voneinander bei einer unangenehm verstärkt wirkenden Im-Kopf-Lokalisation.

Sollte ich meinem Gehirn spezielle Anweisungen erteilen zur Rezeption dieser Aufnahmen? Oder habe ich nur die falschen Ohren? ;)

Viele Grüße

Jochen
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Mister Cool
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Beitrag von Mister Cool »

Hi,

wo man bei Dir den Schalter umlegt, um Dein Gehirn in den 3D-Empfangsmodus zu versetzen, das kann ich Dir nicht sagen. Aber ich kann Dir eine binaurale CD empfehlen, die bei mir wunderbar funktioniert (sowohl per Kopfhörer als auch per Lautsprecher) und seit langem zu meinen Referenz-CDs gehört

Chesky's Explorations In Space And Time

http://www.chesky.com/album/exploration ... time-cd352

Den gewonnen räumlichen Eindruck kannst Du mit dem Aufnahmeort vergleichen

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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Nachtrag zum ersten Beitrag:

Ich habe auf meinem NAS noch einen Chesky-Sampler (seinerzeit über HDTracks kostenlos abgegeben) mit dem schönen Titel: "Der Klang der Zukunft in Binaural+".

Die Titel darauf klingen weniger anstrengend als auf der oben angesprochenen CD, weil im Klang nicht so "hart" wirkend - möglicherweise ein Vorteil von HiRes (24/96). Die Räumlichkeit ist aber bezogen auf den Gesamteindruck immer noch zweidimensional. Weit links und rechts über den Kopf hinausgezogen, gewissermaßen eine liegende Acht. Im Kopf dann je nach Titel relativ wenig. ;) Zwar wirken die einzelnen Instrumente/Sänger für sich genommen durchaus dreidimensional, als Ensemble aber fehlt "der Blick" nach vorn.

Muss ich wohl noch andere KH versuchen. Bislang habe ich nur den Stax genommen, der es im Prinzip zwar schwerer macht, im Kopf eine Raumillusion zu erzeugen, aber im allgemeinen gelingt mir das mit dem auch schon recht gut, auch wenn moderner designte Kopfhörer die Illusion leichter machen.
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Danke für den Tipp, ich werde mal schauen...
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Mister Cool
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Beitrag von Mister Cool »

BTW. Interessanterweise auch beim Abhören per Lautsprecher mag ich lieber die Binaurale als die SoundField Variante (beide sind drauf)

Grüsse,
Alwin
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Alwin,

danke noch einmal für deine Empfehlung. Ich habe mir den Download bei HDTracks besorgt. Der klingt für mich deutlichst (!) anders und besser als die von mir angesprochenen Sampler. :cheers: Als ich die Wiedergabe startete, habe ich erst einmal verdutzt nachgeschaut, ob ich nicht die Endstufe eingeschaltet hatte und die Lautsprecher aktiv sind.

Edit: Bei genauerem Hinhören ist aber zu merken, dass die Technik nicht wesentlich anders angewandt wurde. Nur wirkt das Ergebnis (im Moment?) bei mir völlig anders.

Viele Grüße

Jochen.
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo Jochen,
ich habe Meikos Album Playing Favourites in 96/24, da sind die Zischlaute feiner aufgelöst als bei dem Track auf der Stereoplay CD.
Ich habe die Aufnahme nachträglich invertiert, das bringt der Stimme etwas mehr Körper, rückt sie aber noch etwas intimer heran.
Ich habe die Aufnahme bei einem Bekannten über Lautsprecher gehört und fand sie ganz nett. Die sehr überschaubare Instrumentierung und Meikos relativ entspannter, unaufdringlicher Gesang ließen erstmal keinen Verdacht auf die Invertierung (der Chesky Aufnahme, wie ich später feststellte) aufkommen.
Über Lautsprecher wiedergegeben ist die inverskompensierte Wiedergabe greifbarer, die Stimme kommt etwas mehr nach vorn, ist auch etwas volumiger.
Bei Kopfhörer empfinde ich das nicht als Vorteil, weil sie noch etwas näher rückt.

Meine Schlussfolgerungen aus der Situation: Die Studioaufnahme der um den Kunstkopf platzierten Instrumente und der recht nahen Gesangsstimme ist so gemacht, dass sie auch über Lautsprecher gut wiedergegeben werden kann.
Die bei Chesky gewohnte Invertierung ist auch hier vorhanden, was bei Kopfhörerwiedergabe mit dem etwas höheren Diffusanteil zu etwas mehr Entfernung von der Schädelmitte führt als eine korrekte Polarität, leider werden die Zischlaute bei der inversen Wiedergabe noch etwas mehr verwischt und unsauber.
Man sollte beim Hören nicht vergessen, dass die meisten Aufnahmen, wo die Stimme mit den Lippen am Mikrofon klebt, um sie aus der Ebene der LS nach vorn abzuheben, dieselbe Stimme meist im Hinterkopf (!) spielen lässt, wenn man mit Kopfhörer hört.
Der Trick, den Ultrasone vor 28 Jahren (Dr. Florian König) einbrachte, nämlich das Zentrum der KH-Membranen weiter nach vorn Richtung Wangen zu verlagern, um die Vorneortung zu verstärken, hat sich bewährt und wurde von mir beim Abhören auch angewandt. Damit sind die Ohrmuschel/Pinna-Einflüsse noch etwas stärker dabei als man für die reine Lehre der Kunstkopfaufnahmen praktizieren sollte.

Ich denke, dass das Aufnahmestudio recht stark bedämpft ist, was Hallanteile unterdrückt und die Größe des Aufnahmeraums und die Position der Musiker darin nicht erfahrbar macht.
Bei der üblichen Frontalaufnahme und Nachbearbeitung mit künstlichem Hall, woran wir uns alle gewöhnt haben, zieht sich die Bühne von der Breite auch in die Tiefe.
Hier aber ist Links, Rechts und Stimme in der Mitte, sehr nah, vielleicht noch unerwünscht nah, wenn man die Kunstkopfaufnahme mit Kopfhörer abhört.
Um sie noch weiter aus dem Kopf nach vorn zu bringen, wäre mehr Diffusität erforderlich, was einen Konflikt mit der (Massenmarkt-)Wiedergabe durch LS heraufbeschwört, wo sie in die Ebene hinter den Begleitinstrumenten rutschen könnte, das wäre gänzlich unerwünscht.
Es zeigt sich einmal mehr, dass Kopfhörer- und Lautsprecher-Wiedergabe sehr konträre Anforderungen an die Aufnahme stellen, man kann es nicht beiden Parteien zugleich Recht machen.
Grüße
Hans-Martin
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atmos
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Kunstkopfstereophonie

Beitrag von atmos »

Hi,
die angesprochene Heft-CD habe ich auch:
Sie ist binaural aufgenommen für die Wiedergabe über Lautsprecher.
Die CD passt nicht für Kopfhörer.

Gerade Kunstkopfaufnahmen für KH haben nie eine IKL.
Allerdings klingen für KH produzierte Kunstkopfaufnahmen über LS grausam.

Gruß
Günther
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nihil.sine.causa
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Beitrag von nihil.sine.causa »

Hallo Jochen,
Melomane hat geschrieben: 01.02.2019, 11:22 Sollte ich meinem Gehirn spezielle Anweisungen erteilen zur Rezeption dieser Aufnahmen? Oder habe ich nur die falschen Ohren? ;)
nach meiner Einschätzung liegt das Problem in der Struktur der "Ohrsignale". Gerade solche Signale sollen ja bei der Kunstkopfstereophonie erzeugt werden. Leider ist das für viele Menschen nur eine grobe Annäherung: Deine Schultern, dein Gesicht, deine Ohrmuscheln werden - unterstelle ich mal - durch den Kunstkopf nicht adäquat simuliert. Technisch gesagt, stimmt deine Head-related-transfer-function nicht mit derjenigen des Kunstkopfs überein, welche in das Stereosignal kodiert ist.

Daher erfordert es für das Gehirn einige Mühe, die "3D-Illusion" zu realisieren. Zwar kenne ich die von dir zitierten Aufnahmen nicht, aber mir geht es ähnlich bei Kunstkopfstereophonie. Vergleichsweise gut funktioniert das Verfahren bei mir bei Hörspielen, bei denen ich in eine komplexe Handlung im Aufnahmeraum quasi hineingezogen werde. Bei Musik funktioniert das Kunstkopfverfahren bei mir weniger gut.

Viele Grüße
Harald
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo,
ich hatte mal von der Seite www.IRCAM.fr 54 verschiedene Simulationen von Kunstkopfumgängen mit Rauschquelle. Ich habe daraus geschlossen, dass es ebensoviele menschliche Varianten geben müsste, sonst hätte diese Menge keinen Sinn gemacht. Ich habe mir mit einem Stax-Kopfhörer 3 Versionen angehört und dann aufgegeben...

Der Kunstkopfumgang von Günter Theile am IRT (Institut für RundfunkTechnik) war früher im WWW zu finden, er beeindruckte mit 3-dimensionaler Reproduktion - ohne jegliche IKL (Im-Kopf-Lokalisation).
Leider kann ich schon länger keinen Link mehr beitragen, das liegt aber nicht daran, dass das Institut seit 2020 nicht mehr exisitiert.
Grüße
Hans-Martin
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atmos
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Kunstkopfstereo ist kein 3-D

Beitrag von atmos »

nihil.sine.causa hat geschrieben: 06.04.2022, 21:50 ......

Daher erfordert es für das Gehirn einige Mühe, die "3D-Illusion" zu realisieren. Zwar kenne ich die von dir zitierten Aufnahmen nicht, aber mir geht es ähnlich bei Kunstkopfstereophonie. Vergleichsweise gut funktioniert das Verfahren bei mir bei Hörspielen, bei denen ich in eine komplexe Handlung im Aufnahmeraum quasi hineingezogen werde. Bei Musik funktioniert das Kunstkopfverfahren bei mir weniger gut.

Viele Grüße
Harald
Hallo, Harald,
ich habe einige Kunstkopf-CDs von Stax.

Allen Produktionen ist gemein, dass die Musik nicht im Kopf zwischen den Ohren abgespielt wird, also tatsächlich keine Im-Kopf-Lokalisation statt findet, sondern die Musik vorn außerhalb des Kopfes im Halbrund statt findet, bei einer CD sogar mit etwas Tiefe in den vorderen Bereich hinein.

Die Blu-ray von Kraftwerk - Der Katalog - hat eine von Tom Ammermann erstellte KH-Tonspur mit einer echten 3-D-Illusion, immersives Audio halt.
Allerdings muss mit einem Blu-ray-Player im Bitstreamverfahren abgespielt werden. Der KH ist egal.

......
Wenn eine Kunstkopfstereo CD, die für KH erstellt wurde, über LS wiedergegeben wird, bricht das Klangbild zusammen, es gibt keine Phantomschallebene, der Klang des rechten Lautsprechers fällt dem linken LS quais vor die Füsse.

Wenn aber die LS so eingedreht werden wie die Treiber des Kopfhörers, und die Ohren/Kopf zwischen die LS platziert werden, dann stellt sich der Kunstkopfstereoklang ein.

Gruß
Günther
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