Vinyl versus CD

Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

schoko-sylt hat geschrieben: 26.10.2021, 00:33Letztendlich hört man analog-digital-analog Schallplatte.
Und wie klingt das Ganze? Auf jeden Fall anders als rein digital. Unanhörbar wegen der vielfachen Wandlungen und sonstigen Eingriffe in die analoge Welt, wie man es doch vermuten müsste? Wie Swen schon eingangs andeutete, oftmals gefällt nicht nur ihm das "Analoge" besser, obwohl es das natürlich nach der reinen HIFI-Lehre nicht dürfte, manchmal aber eben auch nicht. Warum klingt analog abgespielte Musik digitalisiert besser als primär digital gespeicherte und abgespielte Musik? Erklärungen hierzu erbitte in diesem Forum ggf. in einem anderen Thread.
Hallo Holger,
1986 schrieb STEREO noch, dass man wegen der Wiederkehrgenauigkeit durch Digitaltechnik auf Klangbeschreibungen bei CD-Playern verzichten würde. Spater besann man sich eines Besseren...
Im Sinne deiner Fragestellung stelle ich mal die Frage, was der Masteringingenieur über das voraussichtliche Ausgangssignal beim Konsumenten ahnen kann, wenn man Vinyl- gegen Digital-Wiedergabe analysiert?
Angenommen, die Pressungen von einer Matritze aus demselben nationalen Presswerk fallen ohne Streuungen aus, wird jedes TA-System seinen Fingerabdruck hinterlassen, dasselbe gilt für den Tonarmeinfluss, Laufwerksruhe (besonders laterale Bewegungen am Tonarmsockel), Rückkopplung aus Korperschall- und Luftschall-Übertragung auf Schallplatte und Tonarm, auch auf das Laufwerk, auch unter Berücksichtigung der Aufstellung in den Raummoden/noden.
Darüber hinaus gibt es Herstellungstoleranzen und Alterungserscheinungen, die auch mit Abnutzung der Nadel und dem oft dementierten Weichmacherverlust der Gummiaufhängung des Nadelträgers einhergehen. Dazu überlagert sich die System-Tonarmresonanz, angefacht von Plattenwelligkeiten, was eine Frequenzmodulation der Musik bewirkt, hinzu kommt die Exzentrizität (Wow=Vibrato) schlecht zentrierter Mittellöcher plus jene Nebeneffekte des Füllschriftverfahren der LP (Rillenelliptizität).
Seitenschrift: Der linke Kanal Left drückt für ein positives Signal die Nadel, während der rechte seine Rillenfllanke zurückzieht. Nichtlinearitäten schaffen eine Art von Dekorrelation der beiden Kanäle.
Der Stereo-Frequenzgang des Systems wird vom Übersprechen (crosstalk) aus dem anderen Kanal beeinflusst, nicht ist das frequenzabhängig sondern überwiegend invertiert (!).
Jede vertikale Nadelbewegung erzeugt gegenphasige Signale und schafft gemeinsam mit dem gegenphasigen Übersprechen eine neue Räumlichkeit und Diffusität.
Die Betriebstemperatur (Umgebungs- und Spiel-bedingt) beeinflusst die Trackingfähigkeit zusätzlich zur Änderung der Nadelaufhängung während der Einspielphase.
Abhängig von der Auflagekraft variiert die Abtastfähigkeit mit Verzerrungen und Intermodulation, beim üblichen, gekröpften Tonarm wird die Zugkraft an der Nadel (Auflagekraft und stetig wandelnde Rillenmodulation =Reibkomponente) per Kräftezerlegung in eine Unbalance der Abtastfähigkeit in beiden Kanälen führen.
Dieser gängige I-, L- oder S-förmige Arm hat nicht nur 2 Nulldurchgänge im horizontalen Abtastwinkel, davor und dahinter wechselt das Vorauseilen der Phase zwischen den Kanälen mit den Nacheilen, mehrfach. Und man findet selbst heute noch Tonarme, die den Azimuthwinkel verdrehen, sobald eine Höhenänderung der Abtastnadel geschieht, wie bei Höhenschlägen oder unterschiedlich dicken Platten oder Matten oder dem Versuch des Users, einen anderen VTA SRA einzustellen, indem der Sockel angehoben /abgesenkt wird.

Wenn in der Digitaltechnik an der Integrität der Daten nichts geändert wird, ist in der gängigen Betrachtung nur das Timing (der resultierende Jitter) noch entscheidend. Diesbezüglich hat sich in den letzten 30 Jahren viel getan, in der Bewusstheit wie in der praktischen Ausführung mittels hilfreicher Geräte.

Deshalb resümiere ich, dass der Tonmeister bei Digital eher weiß, welches Signal an den Verstärker geliefert wird als bei Vinyl, wo die vielen Einflussgrößen ab Pressung eher eine Freestyle-Interpretation des Signal liefern, die wohl aber auch eine Richtung einschlägt, die dem individuellen Geschmack des Users und seinen vielen Kaufentscheidungen entspricht, entgegenkommt.
Wenn bei soviel Sachlichkeit und Nähe zum Signal in der Digitaltechnik nicht soviel Emotionalität rüber kommt wie bei ausgesuchtem Vinyl-Zweig, könnte man die Frage stellen, warum man sich überhaupt bemüht, k2, k3, IM usw. zu minimieren, wie es Digital kann.
Vinyl und Röhren strotzen von Nichtlinearitäten...
Grüße
Hans-Martin
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luebeck
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Beitrag von luebeck »

schoko-sylt hat geschrieben: 26.10.2021, 00:33Warum klingt analog abgespielte Musik digitalisiert besser als primär digital gespeicherte und abgespielte Musik? Erklärungen hierzu erbitte in diesem Forum ggf. in einem anderen Thread.
Hallo Holger,

diese Frage treibt mich auch schon länger um und ich hoffe, daß mein Kommentar hier paßt.
Mit Hans-Martin's Beitrag hier stimme ich weitestgehend überein.
Meine persönliche, aus vielen Beobachtungen abgeleitete Erkläung für deine Frage ist:
der Moiré-Effekt. https://de.wikipedia.org/wiki/Moir%C3%A9-Effekt
Bei visuellen Übertragungen macht dieser Effekt offensichtlich Ärger, z.B. beim Scannen (= A/D-Wandeln) von nicht rein analogen Vorlagen.
Auch im Fernsehen, wenn gleichmäßig gestreifte oder karierte Kleidungsstücke getragen werden.
Warum soll es ähnliche Effekte nicht auch im Audio-Bereich geben?
Leider konnte ich im Netz hierüber bisher nichts finden, aber vielleicht kommen wir ja hier zu einer Klärung.

Schöne Grüße
Günter
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Schorsch
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Beitrag von Schorsch »

Hallo Günter,
luebeck hat geschrieben: 27.10.2021, 07:48 Bei visuellen Übertragungen macht dieser Effekt offensichtlich Ärger, z.B. beim Scannen (= A/D-Wandeln) von nicht rein analogen Vorlagen.
Auch im Fernsehen, wenn gleichmäßig gestreifte oder karierte Kleidungsstücke getragen werden.
Warum soll es ähnliche Effekte nicht auch im Audio-Bereich geben?
Wie Du richtig schreibst wird beim Scannen ein Signal abgetastet. Moire entsteht durch Verletzung des Abtasttheorems. (Im abzutastenden Signal sollte maximal die halbe Abtastfrequenz enthalten sein) Moire ist also im Vidoebereich eine Variante des Aliasings. Und Aliasing Effekte betrachten wir ja im Audiobereich sehr sorgfältig, z.B. dadurch, auf welche Art ein Audiosignal vor und nach der Digitalisierung jeweils mit einem Tiefpass gefiltert wird.
Überraschenderweise verletzen wir im Videobereich das Abtasttheorem ständig. Wir können vor dem Scannen oder vor dem Fotografieren keine vernünftige Tiefpassfilterung der aufzunehmenden Szene durchführen. Wenn der Detailgrad der Szene die Auflösung des Bildsensors (Scansensors) überschreitet, dann entstehen solche Aliasing Effekte, zu denen Moire gehört.
Das Auge ist zum Glück wesentlich unempfindlicher als das Ohr und eine gewisse Tiefpassfilterung ensteht dadurch, dass wir den Betrachtungsabstand erhöhen und dass die einzelnen Sensorpixel nicht unendlich klein sind.

Viele Grüße
Georg
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chriss0212

Beitrag von chriss0212 »

Hallo Günter

Ich bin selber ein Fan solcher Analogien. Aber in diesem Fall kann das meiner Meinung keine Erklärung sein, denn in diesem Fall wird ja auch das Analoge Signal digitalisiert.

Also Vinyl - AD - Convolving - DA

Grüße

Christian
chriss0212

Beitrag von chriss0212 »

Hallo Schorsch

Es gibt ja auch optische Tiefpassfilter… die werden Teils in Videokameras in XR Umgebungen (also Abfilmen von LED Wänden) genutzt.

https://photographylife.com/what-is-low-pass-filter

Natürlich leidet dadurch die Auflösung… aber besser als Moire :cheers:

Grüße

Christian
luebeck
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Beitrag von luebeck »

Hallo Georg und Christian,
danke für die Rückmeldung. Will mich in dieser Analogie auch nicht verrennen.
Aber kann es vielleicht sein, daß in Analog-Aufnahmen, z.B. von Schallplatte, die irgendwann digital verarbeitet wurden, Spuren dieser Verarbeitung verbleiben? Insbesondere periodische Anteile die dann bei einer späteren A/D-Wandlung stören?
Mir fiel auf, daß rein analog hergestellte Schallplatten in meiner digitalisierten Version (meist mit 24/88 mit Korg MR1 aufgenommen) einfach schöner klingen als bei der Herstellung digital verarbeitete Platten. Z.B. diese sehr gesuchte LP verliert in ihrer Digitalversion sehr viel von ihrerem Reiz: https://www.discogs.com/de/release/4552 ... -Con-Amore
Hätte ich mit einer stärker bandbegrenzten Aufnahme in 24/44 vielleicht bessere Ergebnisse bekommen?
Schöne Grüße
Günter
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schoko-sylt
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Beitrag von schoko-sylt »

Hans-Martin hat geschrieben: 26.10.2021, 22:48
schoko-sylt hat geschrieben: 26.10.2021, 00:33Letztendlich hört man analog-digital-analog Schallplatte.
Und wie klingt das Ganze? Auf jeden Fall anders als rein digital. Unanhörbar wegen der vielfachen Wandlungen und sonstigen Eingriffe in die analoge Welt, wie man es doch vermuten müsste? Wie Swen schon eingangs andeutete, oftmals gefällt nicht nur ihm das "Analoge" besser, obwohl es das natürlich nach der reinen HIFI-Lehre nicht dürfte, manchmal aber eben auch nicht. Warum klingt analog abgespielte Musik digitalisiert besser als primär digital gespeicherte und abgespielte Musik? Erklärungen hierzu erbitte in diesem Forum ggf. in einem anderen Thread.
Deshalb resümiere ich, dass der Tonmeister bei Digital eher weiß, welches Signal an den Verstärker geliefert wird als bei Vinyl, wo die vielen Einflussgrößen ab Pressung eher eine Freestyle-Interpretation des Signal liefern, die wohl aber auch eine Richtung einschlägt, die dem individuellen Geschmack des Users und seinen vielen Kaufentscheidungen entspricht, entgegenkommt.
Wenn bei soviel Sachlichkeit und Nähe zum Signal in der Digitaltechnik nicht soviel Emotionalität rüber kommt wie bei ausgesuchtem Vinyl-Zweig, könnte man die Frage stellen, warum man sich überhaupt bemüht, k2, k3, IM usw. zu minimieren, wie es Digital kann.
Vinyl und Röhren strotzen von Nichtlinearitäten...
Grüße
Hans-Martin
Hallo Hans-Martin, hallo Günter,

natürlich sind mir die von dir, Hans-Martin, genannten Einflußfaktoren auf die Vinylwiedergabe bekannt, weil ich sie entweder schon einmal gehört oder gelesen oder mich zum Teil damit auch zwangsläufig zum Beispiel bei der Montage eines (neuen) Tonabnehmers in einen Tonarm auseinandergesetzt habe. Ich hätte sie aber nicht so schön aufzählen und in Erinnerung bringen können, wie du es meisterlich beherrschst. Mein Aufsatz zu diesem Thema wäre also viel kürzer gewesen und hätte vom Inhalt her vielleicht, in Schulnoten gesprochen, einer 3 und nicht einer 1 entsprochen. :oops:

Nun wieder sachlich zum Thema. Ich habe mit David Haigner, der ja bekennender Analoghörer in Reinkultur ist, vor gut zwei Jahren intensiv über dieses Thema nachgedacht, weil David bei der Installation des neuen Midbass-Hornes in meiner Anlage überrascht war, wie gut die Wiedergabe des digitalisierten Schallplattenspielers klang und "analog" vorher nach eigenen Worten noch nie so gut digital aufbereitet gehört hatte. Er setzte sich dann mit diesem Thema in einem Blog weiter auseinander und stellte die ketzerische Frage, ob wir alle "distortion-junkies" wären und eine Musikreproduktion mit speziellen kleinen Fehlern einer "reinen", digitalen Wiedergabe mit Augenmerk auf die Perfektion vorziehen würden.

Nur, was macht diese kleinen Fehler aus, wie werden sie erzeugt, was schmeichelt dem Ohr daran dermaßen, dass wir trotz unseres unglaublich gut ausgebildeten Hörapparates eine fehlerbehaftete Wiedergabe einer (nahezu) perfekten Wiedergabe vorziehen? Für dieses Phänomen lassen sich nur schwierig Beispiele aus anderen Lebensbereichen und Wissenschaften (z.B. der Optik) finden. Und wenn es dann fehlerbehaftet besser klingt, wie können wir diese Fehler erkennen und isolieren, damit sie ggf. übertragbar sind und z.B. den digitalen Signalen "zugemischt" werden, wenn das menschliche Ohr diese Art des Hörens präferiert? Unzählige Versuche der Fehlerisolierung oder -nachbildung sind bisher im HIFI-Bereich meines Wissens nach alle gescheitert. Dieses schöne, betörende, dem Ohr wohltuende, schmeichelnde "analoge Feeling" konnte bisher nicht reproduziert werden.

Das die analoge Wiedergabe nicht immer die bessere ist, ist uns allen klar. Jeder, der sich damit schon einmal ausführlich beschäftigt hat, kennt das Phänomen, das mal die eine und dann wiederum die andere Wiedergabeform von ein und demselben Hörer präferiert wird (ungeachtet der von Hans-Martin oben beschriebenen möglichen Fehler für diese Unterschiede). Wenn aber nach über 40 Jahren digitaler Musikwiedergabe und stetiger vermeintlicher (Weiter-)Entwicklung der digitalen Sektion die analoge noch oftmals mit der digitalen Musikreproduktion mithalten kann, sei zumindest die Frage erlaubt, warum das so ist und warum es bisher nicht gelungen ist, die zumindest theoretisch eindeutig weniger fehlerbehaftete digitale Musikdarstellung ohne Ausnahme immer besser klingen zu lassen.

Ich gehöre weder zu der rein analogen noch der rein digitalen Fraktion und möchte auch keine Diskussionen darüber führen, warum analog oder digital von einigen Menschenkindern immer und ohne Ausnahme als besser empfunden wird und die andere deswegen missionieren möchten. Ich schätze die Vorteile der digitalen Wiedergabe bei im Laufe der Jahrzehnte über einigen Tausend persönlich erstandenen, eigenhändig und größtenteils mit einem Plextorlaufwerk gerippten und teils mühsam getagten CD's sehr, liebe aber auch die aus meiner musikalischen Sozialisation stammenden vielen LP's mit erstmaligem Kauf einer Vinylscheibe 1968, die seinerzeit mit einem Elac Miracord Plattenspieler wiedergegen wurde. Ich muss gestehen, dass die digitale Musikwiedergabe auch bei mir im Vordergrund steht, dieses aber einzig auf Bequemlichkeit und nicht auf besser oder schlechter beruht. Musik in mannigfaltigen Formen war und ist seit Mitte der 60er-Jahre elementarer Bestandteil meiner Lebensqualität, sozusagen Lebenselixier. Das "Basteln" mit Hörnern nach vorheriger intensiver und elementarer Auseinandersetzung mit der Raumakustik kam zum Glück erst im höheren Lebensalter. Vorher hätte ich auch keine Zeit dafür gehabt, weil ich mich intensivst mit der Software meines Freundes Uli Brüggemann auseinandersetzen musste und einige Jahre auf der (von mir zum Teil falsch verstandenen) Jagd nach dem besten IACC und der optimalen Targetcurve sowie der anderen durch Acourate zu beeinflussenden Parameter war. 8) Jetzt übrigens schon wieder, liebe Acourate-Gemeinde, aber das Auseinandersetzen mit den Allpassfiltern und dem Ausmerzen von phasenbedingten Auslöschungen lohnt sich und zwar nicht nur ein bisschen, sondern ganz erheblich, wie ich leiblich am eigenen Körper mit flatternden Hosenbeinen erfahren durfte! Es ist aber nicht die schiere Bassgewalt, die einen erschlägt, sondern eine viel harmonischere, ausgeglicherne Tieftonwiedergabe mit weniger Auslöschungen. Also, unbedingt ausprobieren, es geht nicht anders!

Nebenbei, lieber Hans-Martin, weniger Klirr klingt meiner Ansicht nach definitiv besser, wie ich leidlich bei der Erweiterung meines Hornsystems durch 4 Subs von Neumann erfahren musste und bei denen der Klirr gegenüber den anderen Treibern dermaßen anstieg, dass ich dieses mühsame Experiment ungeachtet der Meriten einer vermeintlich besseren Räumlichkeit wieder abgebrochen habe. Leider muss ich zusätzlichen Klirr zumindest bei Lautsprecherchassis ausschließen, wenn es um analoges Feeling geht! :wink:

Digitale Grüße über das Netz an alle CD-Jünger und analogen Spaß mit dem Musikhören an alle Vinyljunkies!

Holger
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Hallo Holger,

vielen Dank für deinen interessanten Beitrag, bei dem du dein Licht bescheiden unter den Scheffel stellst. :cheers:

Jetzt zu meinem Einwand:
schoko-sylt hat geschrieben: 27.10.2021, 11:22 was schmeichelt dem Ohr daran dermaßen, dass wir trotz unseres unglaublich gut ausgebildeten Hörapparates eine fehlerbehaftete Wiedergabe einer (nahezu) perfekten Wiedergabe vorziehen?
Eventuell ist unser Hörapparat gar nicht so gut und außerdem bei unterschiedlichen Menschen nicht konsistent ausgebildet? Ganz einfach deshalb, weil es gar keinen Selektionsdruck gibt, "richtig" zu hören?

Ich möchte hierzu ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich des menschlichen Empfindens bringen, der unser mangelndes Gespür für Nicht-Linearität in einer an sich sehr rationalen Domäne, dem Schätzen von Zahlen, aufzeigt:
Gegeben sei eine leckere Honigmelone, von der wir wissen, das sie 1000 g wiegt und über einen Wasseranteil von 90 % verfügt. Leider haben wir versäumt, sie rechtzeitig zu essen und sie stattdessen 2 Wochen unbemerkt in einer Ecke liegen lassen. Nun kommt ein Freund zu Besuch und teilt uns mit, dass die Melone nur noch 80 % Wasser enthalte. Wieviel wiegt die Melone jetzt noch? Bitte spontan aus dem Bauch heraus schätzen, und dann erst nach der Lösung suchen (sie steht auch am Ende des Beitrags).
Wenn es euch wie mir geht, liegt ihr mit eurer Schätzung ziemlich daneben. (Buchtipp: Unserem mangelnden Gespür für Nicht-Linearitäten geht der Autor Nassim Taleb in seinem Buch "Der schwarze Schwan" nach.) Warum nun fehlt den meisten von uns dieses Gespür? Ganz einfach, weil wir es zum Überleben nicht benötigen. Die Melone schmeckt uns immer noch, auch wenn sie nun viel weniger wiegt als wir dachten.

Kann es mit dem Hören nicht ähnlich sein? Ich will an dieser Stelle keine Lanze für Goldohren brechen, aber ich halte es für naheliegend, dass einige von uns "richtiger" hören als der Durchschnitt. Ist aber nicht weiter schlimm, denn wir anderen haben genauso großen Spaß am Musikhören! :D

Viele Grüße
Rudolf

Lösung: Die Melone wiegt 500 g (Zwischenraum mit dem Cursor markieren)
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h0e
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Beitrag von h0e »

Hallo Rudolf,

ich Teile Deine Einschätzung bzgl. Gold- und Holzohren so nicht. Bei einem Workshop bei Fujak hatten wir mal mit unterschiedlichen Samplings- und Dithering Einstellungen gespielt. Wir haben alle das gleiche gehört und konnten die Beschreibungen der anderen nachvollziehen. Vermutlich hat nicht jeder die Unterschiede gleich stark wahrgenommen. Die Interpreatation, was einem besser gefällt ist zum einen Geschmacksache und zum anderen stark von der Kette abhängig.
Die Digitalisierung der LP ist immerhin so gut, dass alle Effekte wie von Hans-Martin beschrieben im wesentlichen erhalten bleiben und je nach Umsetzung der AD - DA Strecke kommen mehr oder weniger viele Effekte der Digitaltechnik hinzu.
Jetzt schließt sich der Kreis zum ersten Abschnitt. Gefiel es mir bei Fujak damals mit Dithering trotz etwas verringerten Auflösung besser, wollte mir das in meinem Setup für nicht gefallen. Aber je nach Hörpräferenz hätte die Wertung auch anders sein können.
So haben analoge und digitale Systeme systembedingte Schwachpunkte und potentielle Fehlerquellen, die den Klang mit beeinflussen. Richtig ist beides nicht, die Frage ist nur, was gefällt mir in meiner Kette besser.

Grüsse Jürgen
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schoko-sylt
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Beitrag von schoko-sylt »

Hallo Jürgen,

aber das digital dem analogen Signal übergestülpte Korsett lässt den analogen Charakter noch immer deutlich hervortreten, kann ergo nicht so verfälschend sein. Es scheint auch von den Aufnahmen (Aufnahme einschließlich des vorhandenen Setups einschließlich Raumakustik zum einen dort bei der Aufnahme und zum anderen letztlich zuhause beim Abhörenden [Gleichheit oder Ähnlichkeit der Abhörbedingungen einschließlich Nachhall- und Reflexionsverhalten, Diffusität etc.], etwaiger partieller Taubheit des altgedienten Toningenieurs, dessen Hörgewohnheiten und dem anschließenden Mastering etc.) abzuhängen, was präferiert wird, so dass meines Erachtens nach an anderer, uns noch unbekannter Stelle nach den Unterschieden gesucht werden muss. - Wäre ja auch toll, wenn wir das mal so eben durch ein paar Gedankenspiele und Formulierungen herausbekämen.
h0e hat geschrieben: 27.10.2021, 14:58 So haben analoge und digitale Systeme systembedingte Schwachpunkte und potentielle Fehlerquellen, die den Klang mit beeinflussen. Richtig ist beides nicht, die Frage ist nur, was gefällt mir in meiner Kette besser.
Es ist vielleicht in meinen Ausführungen nicht richtig deutlich geworden, aber die einzelnen "Probanden" in dem gleichbleibenden Setup meines Hörraum präferieren ja nicht personenbezogen entweder analog oder digital, sondern es wechselt in der gleichen Hörsession. Mal "gewinnt" bei dem gleichen Hörer CD, mal die Platte. Es gefällt den Hörern in der selben Kette zum selben Zeitpunkt mal die digitale, dann wiederum die analoge Version! Und es waren auch Goldohren dabei!

Grüße

Holger
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schoko-sylt
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Beitrag von schoko-sylt »

Rudolf hat geschrieben: 27.10.2021, 12:17 Hallo Holger,

vielen Dank für deinen interessanten Beitrag, bei dem du dein Licht bescheiden unter den Scheffel stellst. :cheers:

Jetzt zu meinem Einwand:
schoko-sylt hat geschrieben: 27.10.2021, 11:22 was schmeichelt dem Ohr daran dermaßen, dass wir trotz unseres unglaublich gut ausgebildeten Hörapparates eine fehlerbehaftete Wiedergabe einer (nahezu) perfekten Wiedergabe vorziehen?
Eventuell ist unser Hörapparat gar nicht so gut und außerdem bei unterschiedlichen Menschen nicht konsistent ausgebildet? Ganz einfach deshalb, weil es gar keinen Selektionsdruck gibt, "richtig" zu hören?

....... Kann es mit dem Hören nicht ähnlich sein? Ich will an dieser Stelle keine Lanze für Goldohren brechen, aber ich halte es für naheliegend, dass einige von uns "richtiger" hören als der Durchschnitt. Ist aber nicht weiter schlimm, denn wir anderen haben genauso großen Spaß am Musikhören! :D

Viele Grüße
Rudolf

Hallo Rudolf,

das Wichtigste vorweg. Swen (jackelsson) und ich sind heute morgen anläßlich eines gemütlichen Beisammenseins mit Hörsession bei ihm zuhause gegen 02.30 Uhr (ATC hören mitten in der Woche! - Klingen aber auch in der Woche in den frühen Morgenstunden nicht schlecht, lieber Swen. :wink: ) auf die Idee gekommen, die von dir erworbenen Yamaha Lautsprecher mit den schicken Berylliummembranen mal wieder zu reaktivieren. Wir werden berichten!

Nach meinem Dafürhalten ist ein geschulter Hörapparat entgegen deiner Ansicht viel besser, als man es vermutet. Wie ich schon Jürgen geantwortet habe:
"Es ist vielleicht in meinen Ausführungen nicht richtig deutlich geworden, aber die einzelnen "Probanden" in dem gleichbleibenden Setup meines Hörraum präferieren ja nicht personenbezogen entweder analog oder digital, sondern es wechselt in der gleichen Hörsession. Mal "gewinnt" bei dem gleichen Hörer CD, mal die Platte. Es gefällt den Hörern in der selben Kette zum selben Zeitpunkt mal die digitale, dann wiederum die analoge Version! Und es waren auch Goldohren dabei!"

Natürlich stimme ich dir zu, dass es einige gibt, die "richtiger oder besser" hören. Das kann u.a. zum einen rein anatomisch oder durch gezieltes Hörtraining und enstsprechende Erfahrungen bedingt sein, wie entsprechende Studien zeigen. Aber die Tatsache, dass es auch gut trainierte, erfahrene Hörer betraf (Andere lasse ich in meinen Hörraum auch gar nicht herein. :mrgreen: Wo bleibst du eigentlich?), zeigt doch, dass es von der Goldohrqualität allein nicht abhängt, ob CD oder Vinyl bevorzugt wird.

Mit schlitzohrigen Grüßen

Holger
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h0e
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Beitrag von h0e »

Hallo Holger,

danke für die Ergänzung der wechselnden Präferenz für digital oder analog innerhalb einer Hörsession.
Ändert sich die Präferenz mit der Aufnahme? Könnte es also sein, dass nur das zugrunde liegende Mastering dann ausschlaggebend ist. Immerhin ist das wohl in den seltensten Fällen identisch. Oder liegt es daran, dass die Präferenz von Stück abhängt, oder von der Mikrophonierung, oder der Aufnahmetechnik selbst (analog, digital,…)?
Immerhin scheint es Dir gelungen zu sein, analog und digital auf gleich guten Niveau hinbekommen zu haben.
Dass dabei der Weg des analogen Signals durch das digitale Convolving hinreichend transparent ist, um das analoge als solches erkennbar zu lassen hielt ich für problemlos machbar. Wenn es allerdings annähernd transparent gelungen wäre kann man Dich nur beglückwünschen, dazu ist deutlich Aufwand nötig, wie Harald (sine.nihil.causa) bei seinen Recording Exzessen deutlich gemacht hat.

Grüsse Jürgen
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schoko-sylt
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Beitrag von schoko-sylt »

h0e hat geschrieben: 27.10.2021, 19:15 Hallo Holger,

danke für die Ergänzung der wechselnden Präferenz für digital oder analog innerhalb einer Hörsession.
Ändert sich die Präferenz mit der Aufnahme? Könnte es also sein, dass nur das zugrunde liegende Mastering dann ausschlaggebend ist. Immerhin ist das wohl in den seltensten Fällen identisch. Oder liegt es daran, dass die Präferenz von Stück abhängt, oder von der Mikrophonierung, oder der Aufnahmetechnik selbst (analog, digital,…)?
Immerhin scheint es Dir gelungen zu sein, analog und digital auf gleich guten Niveau hinbekommen zu haben.
Dass dabei der Weg des analogen Signals durch das digitale Convolving hinreichend transparent ist, um das analoge als solches erkennbar zu lassen hielt ich für problemlos machbar. Wenn es allerdings annähernd transparent gelungen wäre kann man Dich nur beglückwünschen, dazu ist deutlich Aufwand nötig, wie Harald (sine.nihil.causa) bei seinen Recording Exzessen deutlich gemacht hat.

Grüsse Jürgen

Hallo Jürgen,

Exzesse liegen ja auch mir leider nicht fern. Der Weg dorthin war, ich sag es mal so, ziemlich lang und erforderte viele nicht vorhersehbare und daher ungewünschte Umwege (nicht immer ist der Weg das Ziel), die enorm viel Zeit in Anspruch genommen haben. Aber letzendlich bin ich gefühlt ziemlich genau zumindest in der Nähe des Ortes, wo ich, vielleicht unbewusst, immer hin wollte und kann jetzt die nähere Umgebung erkunden und unsicher machen. Vielleicht muß ich auch noch meinen Platz korrigieren, und der gefühlte Ort entspricht nicht dem gemessenen in Analogie zur Außentemperatur, wer weiß es genau?

Ob nun das Mastering (wer weiß genau, welches Mastering für die analoge oder digitale Version verwendet wurde, etliche Versionen liegen auch mehrfach vor) oder wie du vermutest, die Mikrophonierung oder die Aufnahmetechnik selbst für diese Präferenzen ausschlaggebend ist, habe ich bisher nicht eruiert, da ich als Acourate-Hardcorefan mehr an dieser Front über die Jahre gearbeitet habe. War die Zeit schon vorher knapp, ist sie jetzt als nur noch temporär Berufstätigem noch viel knapper. Auch dafür habe ich keine Erklärung, oder ist es vielleicht doch das viele Fahrradfahren mit einer Strecke von 14.000 km im letzten Jahr und dem Aufbau der Räder? :wink:

Mein derzeitiges, leider ebenfalls sehr zeitintensives Hauptaugenmerk im HIFI-Bereich bezieht sich bis zur zufriedenstellenden, fast hätte ich gesagt, für mich perfekten Abarbeitung (die es natürlich nicht gibt) auf die Frage der richtig dosierten Menge an Diffusität als Ergänzung meines Hornsystems. Dort führe ich für mich spannende Versuche mit nach hinten abstrahlenden (Super-)-Hochtönern durch, mit denen die optimale Prise an Diffusität und "Eingehülltsein" in die Musik neben einer deutlich zunehmenden Räumlichkeit wunschgemäß dosierbar neben der hornimmanent ohnehin gegebenen und hervorragenden Direktschallwiedergabe beeinflußt werden kann. Leider gibt es mehrere Parameter wie Latenz, Pegel, abzustrahlender Frequenzbereich, Anwendung eines oder mehrerer nach hinten abstrahlender Hochtöner und ggf. dadurch bedingte Auslöschungen, dem zu bestreichenden Öffnungswinkel von ggf. zwei Chassis etc., die das Erarbeiten dieses Themas schwierig gestalten. Faszinierend ist dabei, dass zum einen um 30 - 35 dB abgesenkte Pegel der nach hinten abstrahlenden Chassis (bei noch weiterer Pegelabschwächung aufgrund des Umweges mit einem verlängerten Weg um bis zu 3 m) gegenüber den nach vorn abstrahlenden, ansonsten absolut gleichen Hochtönern deutlich wahrgenommen werden können. Wenn dann mit befreundeten Hörern unter Zuhilfenahme des Acourate Convolvers, auf den viele vorkonfigurierte Filter mit z.B. unterschiedlichen Latenzen der nach hinten abstrahlenden Hochtöner, aber sonst völlig unverändertem Setup, nach dem Umschalten und Abhören mehrerer Musikstücke Konsens herrscht zwischen der gemeinschaftlich als "optimal" betrachteten Konfiguration im Millisekundenbereich, ist das schlichtweg sehr faszinierend. Und wenn dann Akustiker zum Hören kommen, die seit 30 Jahren im Geschäft sind und das ebenfalls so wahrnehmen, obwohl das eigentlich nach der gängigen Vorstellung nicht möglich ist, haut einen das noch mehr um und belohnt den erheblichen Zeitaufwand.

Deswegen die von mir eingangs ketzerisch gestellte Frage nach der Erklärung für diese präferierte Wahrnehmung von entweder analog oder digital. Die Klärung ist mit einem enormen Fleißaufwand verbunden, vielleicht hat den schon jemand betrieben und möchte ihn kundtun?

Diffuse Grüße

Holger
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Hallo Schlitzohr Holger,
schoko-sylt hat geschrieben: 27.10.2021, 16:42 Swen (jackelsson) und ich sind heute morgen anläßlich eines gemütlichen Beisammenseins mit Hörsession bei ihm zuhause gegen 02.30 Uhr (...) auf die Idee gekommen, die von dir erworbenen Yamaha Lautsprecher mit den schicken Berylliummembranen mal wieder zu reaktivieren. Wir werden berichten!
Ich freue mich nach wie vor sehr darüber, dass ich die NS-1000 meines Vaters in deine Hände geben durfte. Da weiß ich sie entsprechend gewürdigt. Ich bin schon gespannt auf euren Bericht! :D
Es gefällt den Hörern in der selben Kette zum selben Zeitpunkt mal die digitale, dann wiederum die analoge Version! Und es waren auch Goldohren dabei!"
Diese Wechselhaftigkeit selbst geschulter Ohren legt in der Tat die Hypothese nahe, dass "besser" und "schlechter" eher eine Frage des persönlichen Geschmacks denn des Wiedergabemediums ist.
Aber die Tatsache, dass es auch gut trainierte, erfahrene Hörer betraf (Andere lasse ich in meinen Hörraum auch gar nicht herein. :mrgreen: Wo bleibst du eigentlich?), zeigt doch, dass es von der Goldohrqualität allein nicht abhängt, ob CD oder Vinyl bevorzugt wird.
Uff, dann erhalte ich hoffentlich doch noch eine Chance. 8) Sobald mich unsere norddeutschen Kunden wieder vermehrt sehen wollen, komme ich gerne vorbei!

Viele Grüße
Rudolf
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Holger,

ich denke, dass es für deine Frage keine abschließende Antwort gibt. Denn die Erklärung liegt meiner Meinung nach im jeweiligen Individuum. Und da kann man schlecht reinschauen oder Messinstrumente ansetzen. Allenfalls Gehirnströme messen in Abhängigkeit vom "Hörsystem" und dem Tuningmittel namens Alkohol. Und was haben wir davon zu ermitteln, wenn sich ergeben haben sollte, dass Gehirnsegment a für eine Präferenz analoger Hörpräferenzen zuständig ist und Segment b für die digitale. Man mag das neugierig beobachten, aber was bringt es mir, der ich mal das eine, mal das andere, mal analog, mal digital präferiere? Nun ja, die Neugier bleibt. ;)

Viele Grüße

Jochen
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