Anwendung von Vorfiltern mit Acourate

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uli.brueggemann
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Anwendung von Vorfiltern mit Acourate

Beitrag von uli.brueggemann »

Ich möchte hier einmal ein paar Gedanken zum Thema Vorfilterung zusammenfassen und hoffe, dass sich hieraus ein besseres Verständnis ergibt:

1. Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel. Es wird mit einem Mikrofon gemessen, dessen Frequenzgang eine Überhöhung von 6 dB bei 1 kHz hat. Dann zeigt die Messung ebenfalls diesen Buckel. Der Buckel gehört klar zum Mikro und ist nicht eine Eigenschaft des gemessenen Systems. Das bedeutet, dass wir eine Mikrokalibrierung verwenden, welche ebenfalls ein Filter anzusehen ist. Diese Filter ist nur einmal anzuwenden, nämlich auf die Messung. Anschliessend liegt das Ergebnis für das System korrekt vor, der Buckel ist rausgerechnet.

2. Nun nehmen wir eine Soundkarte. Diese erzeuge eine Delle von -6 dB bei 2 kHz. Auch hier beeinflussen wir durch das Messequipment das Messergebnis. Auch hier können wir durch eine Kalibrierung ein korrektes Messergebnis erhalten. Alles gut soweit, oder?
Leider nein. Bei der Soundkarte sind nun zwei Komponenten beteiligt. Der AD- und der DA-Wandler. Wenn die AD-Wandlung den Fehler beinhaltet, dann reicht die einmalige Kompensation. Wir nehmen ja dann nur einmal auf, bei der Wiedergabe eines Streams per Softwareplayer ist der AD-Wandler nicht mehr dabei.
Anders liegt der Fall, wenn wir über denselben Eingang ein externes Musiksignal einspeisen oder wenn der DA-Wandler den Fehler erzeugen würde. Es hilft dann nicht, wenn wir anhand der korrigierten Messung das Gesamtsystem optimieren. Wir müssen jedesmal, also bei jeder Wiedergabe auch den Fehler der Karte mitkorrigieren.

3. Es ergeben sich somit zwei Fälle. Im einen Fall a) wird nur das Messergebnis beeinflusst, es reicht eine einmalige Korrektur. Im anderen Fall b) wird die Musikwiedergabe konstant beeinflusst, wir müssen also immer korrigieren.
Beispiel für a) ist die Mikrokalibrierung, das Mikro ist nur während der Messung beteiligt
b) hierzu zählen Eigenschaften der Soundkartenkomponenten, die während der Wiedergabe beteiligt sind. Oder Eigenschaften der Frequenzweiche. Oder Raumeigenschaften. Praktisch bedeutet dies, dass die Korrekturfilter mit den Vorfiltern (hier nun zu betrachten als Nachfilter) zu falten sind.

4. Angenommen, das Mikrofon hat nun wiederum den Peak +6 dB bei 1 kHz. Das bedeutet, dass ein mit 0 dB aufgenommenes Signal in einem Frequenzbereich um 1 KHz herum clippen würde. Wir wissen, dass mit einem Vorfilter das Messergebnis korrigiert werden kann. Nur, wo wendet man das Vorfilter am besten an? Die Antwort ergibt sich aus der Betrachtung der bestmöglichen Auflösung. Wir können den Wiedergabepegel des Systems auf -6 dB setzen, entsprechend 1 bit Verlust an Auflösung. Bei 1 kHz haben wir den Buckel im Frequenzgang, welcher durch ein Vorfilter, angewandt auf die Messung , glattgebügelt wird. Wir können aber auch das Anregungssignal, den Sweep, vorfiltern. So dass das Sweepsignal in den Bereichen ausserhalb 1 kHz mit 0 dB aufgezeichnet wird. Im Bereich um 1 kHz kompensieren sich der geringere Wiedergabepegel und die Anhebung des Mikrofons, das Messignal hat ebenfalls 0 dB.

5. Fazit aus 4: Vorfilter können an unterschiedlichen Stellen verwendet werden. Bei einer linearen Filterung gilt wie bei Multiplikation das Vertauschungsgesetz. Aber es macht Sinn, über den jeweiligen Ort der Filterung nachzudenken, wenn nichtlineare Operationen mit ins Spiel kommen wie die Reduktion der Auflösung durch numerische Begrenzung (Bittiefe). Eine Klangregelung mit nachfolgendem Kompressor klingt anders als ein Kompressor mit nachfolgender klangregelung.

6. Bei der Berechnung von Filtern mit Acourate werden verschiedene Stufen durchlaufen. Es ergibt sich auch hier die Frage, an welchen Stellen die Filter jeweils einzusetzen sind. Da die Berechnungen auch nichtlineare Bestandteile mit einschliessen (Beispiel Psychoakustik), ergeben sich somit unterschiedliche Ergebnisse abhängig von der Position des Vorfilters. Im übrigen erschliesst sich hieraus gerade der Sinn der Vorfilterung. Ohne diese Unterschiedlichkeit bräuchte man ja gar kein Vorfilter mehr.

7. Geeignete Orte für eine Vorfilterung sind derzeit:
- Logsweeprecorder Mikrokalibrierung. Die Kalibrierung wird nach der Messung angewandt (im Gegensatz zu 4 oben, um eine zusätzliche Anregung im Bassbereich aufgrund der Mikrokalibrierung zu vermeiden)
- Logsweeprecorder Multiway-Filter. Der Sweep wird vorgefiltert, meistens zur Vermeidung einer Systemanregung (Extrembeispiel: die XO-Weiche für den Hochtöner filtert die Bassanregung aus dem Logsweep raus)
- Faltung der ermittelten Pulsantwort mit dem Vorfilter. Eine Vorfilterung hier simuliert eine neue Systemantwort vor der nachfolgenden Auswertung, die Auswertung weiss praktisch gesehen nichts davon.

8. Kombination von Vorfiltern
Sofern Vorfilter (und auch die Nachfilter, siehe 2 und 3b) linear sind, können sie durch eine Faltung mit einander kombiniert und zu einem Vorfilter verknüpft werden. Also z.B. XO-Weiche, DA-Wandler Korrektur, Raummodenfilter 1, Raummodenfilter 2 ...

9. Vorfilter machen dann Sinn, wenn sie stabil sind, also klare festgelegte Eigenschaften aufweisen bzw. klare festgelegte und sich nicht ändernde Merkmale des Systems beeinflussen. Ansonsten wären sie sogar kontraproduktiv. In diesem Sinn können dann Korrekturergebnisse insgesamt verbessert werden, weil damit auch anschliessende Berechnungen (z.B. Exzessphasenkorrektur) stabiler verlaufen.

10. Es gibt kein allgemeingültiges Kochrezept = Ein-Knopf-Fertig-Lösung . Je nach Wiedergabesystem kann sich die eine oder andere Massnahme als sinnvoll herausstellen oder auch nicht. Acourate erlaubt hier aber auch, das eine oder andere zu testen. Erlaubt ist alles, was letztendlich glücklich macht. Die Auflistung oben mag nicht vollständig sein, ich hoffe sie hilft zu etwas mehr Verständnis.

Grüsse
Uli
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Fujak
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Beitrag von Fujak »

Hallo Uli,

danke für Deine Ausführungen. Das hilft mir in Bezug auf den Gegenbass-Impuls besser zu verstehen, welche Bedeutung der Ort hat, an dem der Vorfilter eingebunden werden muss/sollte/kann und welche Auswirkuungen man beachten muss.

Grüße
Fujak
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Jahresprogramm
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Beitrag von Jahresprogramm »

Hallo,

das Verwenden der Vorfilter ist z.Z. in den Room-Macros von Acourate bis auf die XO-Weichen nicht automatisiert. So muss man die z.B. LS-Sezifischen- oder die VBA-Vorfilter nach der Raumkorrektur mühselig mit den Raumkorrekturfiltern falten. Die Angelegenheit wird auch noch schnell kompliziert, wenn man Filter unterschiedlicher Samplingraten will.

Beim gedanklichen Spielen mit der Realisierung eines DBAs mittels Acourate ist mir ein Workaround für ein "eleganteres " Einbinden der Vorfilter in die Raumkorrektur eingefallen.

Die Idee ist sehr simpel:
Da das einbinden der XOver-Weichen in die Raumkorrektur automatisiert ist, tarnen wir die Vorfilter einfach als ein XOver. Dazu generiert man sich im aktuellen Workspace ein beliebiges 2-Wege-XOver und ersetzt die Filter des Ersten-Weges durch beliebige Vorfilter. Anschließend ein Multiway *.WAV Filter mit dem unter XOver "getarnten" Vorfiltern erstellen und unter Zuhilfenahme dieses Filters messen. Jetzt braucht man nur noch wie gewohnt die Room-Macros durchlaufen lassen. Als Ergebnis liegen auf der Platte Filter Cor1**.dbl beliebiger Samplingrate mit integrierten Vorfiltern, welche aus dem XOver stammen.

Wieso bin ich nach über einem halben Jahr Plagerei mit nachträglichen reinfalten der Vorfilter nicht gleich auf dieses Workaround gekommen. :? Jedenfalls könnte dieses Workaround die Wartezeit auf die Implementierung der Vorfilter in die Room-Macros verkürzen. :cheers:

Grüße
Alex
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freezebox
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Beitrag von freezebox »

Hallo liebe Falterfreunde,
Jahresprogramm hat geschrieben: Acourate bis auf die XO-Weichen nicht automatisiert. So muss man die z.B. LS-Sezifischen- oder die VBA-Vorfilter nach der Raumkorrektur mühselig mit den Raumkorrekturfiltern falten.
Entfällt der Aufwand, wenn ich den Vorfilter in Macro 0 ( V1.8.8 ) definiere? Oder wird dann nur die Pulsantwort mit dem Vorfilter gefaltet? Hintergrund ist ein virtueller Gegenbass Vorfilter, den ich im Logsweep eingebunden habe.

Grüße,
Jörn
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

freezebox hat geschrieben:Entfällt der Aufwand, wenn ich den Vorfilter in Macro 0 ( V1.8.8 ) definiere?
Vorfilter, welche in Macro0 definiert sind, werden sowohl mit der Pulsantwort als auch mit dem sich ergebenden Korrekturfilter verrechnet.

Grüsse
Uli
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freezebox
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Beitrag von freezebox »

Hallo Uli,

D.h. wenn ich einen Vorfilter für die Aufnahme im LSR setze, und diesen auch in Macro 0 definiere, wird er dann doppelt verrechnet? Und wie wird dann ein prefilter im LSR überhaupt verrechnet - nur vor der Messung in das Messignal oder nur nach der Messung in die Pulsantwort? Bzgl. Pegelabsenkung wäre ersteres ja von Vorteil. Im zweiten Fall wäre dann ein VBA Filter besser in Macro 0 untergebracht als im LSR, richtig?

Grüße,
Jörn
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

freezebox hat geschrieben: D.h. wenn ich einen Vorfilter für die Aufnahme im LSR setze, und diesen auch in Macro 0 definiere, wird er dann doppelt verrechnet? Und wie wird dann ein prefilter im LSR überhaupt verrechnet - nur vor der Messung in das Messignal oder nur nach der Messung in die Pulsantwort? Bzgl. Pegelabsenkung wäre ersteres ja von Vorteil. Im zweiten Fall wäre dann ein VBA Filter besser in Macro 0 untergebracht als im LSR, richtig?
Hallo Jörn,

ein Vorfilter im LSR wird in den späteren Macros nicht mehr verwendet, ist also nicht mehr für Acourate sichtbar. Der Vorfilter im LSR "verbiegt" das Sweepsignal. Gedacht ist das Vorfilter z.B. für Frequenzweichen oder einfach zum Überprüfen einer Korrektur durch Messen inkl. der Korrektur.

Ein Vorfilter im Macro4 wird auf die ermittelte Pulsantwort angewandt. Damit sieht Acourate eine neue Pulsantwort, die dann die weiteren Macros benutzen. Demzufolge käme dann ja ein falsches Korrekturfilter raus. Insofern wird dann das Vorfilter anschliessend in die Korrektur mit eingerechnet.
Das VBA-Filter wäre z.B. ein geeigneter Anwendungsfall.

Grüsse
Uli
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thorsten
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Beitrag von thorsten »

Hallo Uli,

könnte ich mit einem passenden Vorfilter auch eine Tiefbassanhebung beim Subwoofer simulieren?

Ich habe nämlich das Problem, daß mein Subwoofer für ein Mivoc AM120-Subwooferverstärker-Modul ausgelegt ist. Dieses Modul hat eine Tiefbassanhebung von ca. +6dB bei 30 Hz.
Da Acourate aber nur abziehen kann, fehlt hier was bei der reinen Messung.

Momentan habe ich den Sub "rein" gemessen und korrigiert und dann in JRiver einen Equalizer mit eben +6dB@30Hz eingefügt. Damit klingt es recht gut, aber es ist ja etwas falsch.

Wenn ich jetzt einen Vorfilter mit dieser 30Hz-Delle und gleicher Güte erstelle und zum Messen in Macro0 hernehme, die aufgenommene Kurve falte (ich habe starke Überhöhungen bei 60 und 85 Hz) und dann mit einem spiegelbildlichen EQ im JRiver wieder raus biege: könnte das gehen? (Oder habe ich jetzt einen Knoten im Kopf? :roll: )

Schönen Gruß

Thorsten
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