Acourate und das unsymmetrische Stereo-Setup

uli.brueggemann
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Acourate und das unsymmetrische Stereo-Setup

Beitrag von uli.brueggemann »

Ich möchte die Gelegenheit nutzen das Sommerloch mit einer weiteren kleinen Anleitung zu Acourate zu füllen.
Diesmal könnte man das Sommerloch mit einem Bassloch vergleichen, welches sich bei unsymmetrischen Verhältnissen einer gegebenen Stereo-Anordung ergeben kann. Beispiele wären u.a. ein L-förmiger Raum, eine unsymmetrische Aufstellung (ein LS in der Ecke, der andere LS in der Wandmitte) oder auch unsymmetrische Möblierungen.

Ausgangspunkt sei ein gegebenes System in einem L-Raum. Die Testfaltung zeigt das ungeglättete Ergebnis der Korrektur
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Soweit so gut, soweit ok.

Addiert man aber nun die Pulsantworten ergibt sich ein Summenfrequenzgang
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welcher im markierten Bereich einen deutlichen Einbruch zeigt. Dabei meine ich nicht nur das schmalbandige Loch, sondern auch die Absenkung im Bereich 35 Hz bis 70 Hz. Gerade da wo man den Bass für die Wärme braucht fehlt er. Obwohl ja beide Kanäle für sich betrachtet ok sind.

Was kann man nun tun? Ein Ansatz, vielleicht oft auch unbewusst verwendet ist das Ändern der Zielkurve mit einer Bassanhebung, z.B. per Bassbuckel bei 60 Hz. Das bedeutet jedoch, dass man mehr Energie in die LS steckt, die Membranen müssen mehr arbeiten.

Ein anderer Ansatz sei nun hier vorgestellt:
Das Minimum im markierten Bereich liegt bei 49.796 Hz, angezeigt rechts vom Frequenzgang-Chart.
Es wird nun mit Generate - Tone Generator ein Sinus mit dieser Frequenz erzeugt und die beiden Pulsantworten jeweils mit dem Sinus gefaltet.
Im Zeitdiagramm zeigt sich dann
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Reingezoomt in den stationären Bereich in der Mitte (=eingeschwungener Zustand) sieht man schön, dass die Schwingungen gegenphasig laufen. Die Schallanteile löschen sich aus.
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Passieren tut das Ganze bereits beim Einschwingen, man sieht dass der rechte Kanal irgendwie verzögert wird. Obwohl beide Kanäle gleichzeitig starten.
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Die Ursache ist in dem L-förmigen Raum zu suchen, der Bass breitet sich eben nicht-symmetrisch aus. Und es ergeben sich damit auch andere Reflexionszustände.

Nun kann man per Generate - IIR-Filter einen Allpass mit den 49.796 Hz erzeugen, als weiterer Parameter ist die Güte anzugeben. Hier muss man dann ein wenig spielen. In unserem Fall ist Q=4 gewählt. Unabhängig von der Güte (die prinzipiell die Gruppenlaufzeit beeinflusst) ergibt sich ein Phasenverlauf der bei 0° beginnt, dann bei der gewählten Frequenz mit -180° bzw. -Pi die Phase schiebt und dann im oberen Frequenzbereich wieder phasenrichtig verläuft. Die Güte definiert lediglich die Steilheit der Kurve.
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Nun ist der jeweils andere Kanal mit dem Allpass zu falten, hier also der linke Kanal. Der rechte Kanal weist ja bereits die Verzögewrung auf.
Das Ergebnis ist dann noch per CutNWindow auf die ursprüngliche Länge ab Position zurückzuschneiden.
Das Ergebnis ergibt dann einen neuen Summenfrequenzgang (braun), dargestellt im Vergleich zur vorherigen Summe (blau).
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Wie man sieht bewirkt allein die zeitliche Verschiebung des Frequenzbereichs um 50 Hz eine klare Verbesserung. Und das ohne zusätzlichen Ernergieaufwand!

Zuletzt verbleibt dann noch die Aufgabe die entsprechenden Korrekturfilter mit dem Allpass zu falten (erzeugt je Abtastrate) und auf die richtige Länge zurückzuschneiden.

Das Ergebnis lohnt sich, am Hörplatz ist nun der Bass so vorhanden wie es sein soll. Die zusätzliche Verzögerung ist nicht wirklich wahrnehmbar (wie zu sehen tut ja die Räumlichkeit ja auch ihren Anteil dazu).

Happy tuning und viele Grüsse
Uli

PS noch einige Anmerkungen:
- da jede Konfiguration anders ist, muss man tatsächlich probieren, also ein wenig Spielfreude mitbringen. Es gibt auch schmalbandige Löcher wo es sich nicht lohnt. In unserem Beispiel ist der Versuch, das Loch bei 64.6 Hz zu füllen, kontraproduktiv.
- theoretisch könnte man den Allpass reversieren und dann den rechten Kanal damit falten. Der Summenfrequenzgang ist dann auch ok. Allerdings erzeugt das ein klares Preringing und das ist nicht wirklich gewollt
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Hornguru
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Beitrag von Hornguru »

Hallo Uli !

Eine erfrischende Inspiration, vielen Dank :cheers:
Die Summen-Kurve sieht ja super aus.

Was denkst du über:
Durch hochschrauben des Makro 4 Tiefton Exzessfensters, in Verbindung mit einem neuen Feature: neben dem PRC ein Häkchen "Stereo Mirror" oder sowas... welcher den L+R und R+L Vector auf den jeweils gegenüberliegenden Kanal überträgt??

Gruß
Josh
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Nebusaradan
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Beitrag von Nebusaradan »

Hallo Uli, vielen Dank für den interessanten Einblick! Auch wenn ich das Ganze wohl noch 5 bis 10x lesen und (wenn es hier etwas ruhiger ist) auch ausprobieren muß, um die einzelnen Schritte komplett zu verstehen... Spontan kam mir der Gedanke, dass das in zwei meiner ebenfalls unsymmetrischen Aufstellungssituationen vielleicht das Phänomen erklären könnte, dass sich jeweils der linke oder der rechte Korrekturfilter auf beide Kanäle angewendet besser anhört als die jeweils korrekten Filter. Ich höre an zwei Setups schon seit langer Zeit sehr zufrieden mit diesem Kompromiss, wohl wissend, dass da eigentlich etwas nicht stimmen kann....
Naja, ich werde mir auf jeden Fall im ersten Schritt mal den Summenfrequenzgang beider Pulsantworten anschauen. Allein auf diese Idee wäre ich ohne Deinen Post nie gekommen. Also nochmal vielen Dank und viele Grüße, Didi
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Hornguru hat geschrieben: 13.07.2021, 16:16 Was denkst du über:
Durch hochschrauben des Makro 4 Tiefton Exzessfensters, in Verbindung mit einem neuen Feature: neben dem PRC ein Häkchen "Stereo Mirror" oder sowas... welcher den L+R und R+L Vector auf den jeweils gegenüberliegenden Kanal überträgt??
Josh,

ich hab da schon vor einigen Jahren mal mit zumindest Ähnlichem gespielt. Grundlegende Idee: Anwendung der linken Pulsantwort auf den rechten Kanal als Filter und ebenfalls Anwendung der rechten Pulsantwort auf den linken Kanal. Was ja quasi eine gemeinsame Pulsantwort links und rechts ergibt. Damit dann evtl. neu messen und über die Pulsantworten Korrekturfilter rechnen.
Allerdings war ich mit dem Ergebnis nie zufrieden.
Natürlich könnte man das auch mit gefensterten Messungen tun etc.pp.

Alles erst mal gezielt verschlechtern um es dann nur teilweise wiedergutzumachen ist m.b.M.n. nicht der richtige Ansatz.

ABER: ich habe Acourate per Intention immer als einen Werkzeugkasten definiert mit dem man eben auch mehr tun kann als mit einem Standard-1-Button-Korrekturprogramm. Insofern darfst Du Dich gern austoben und auch berichten, wenn Du die Super-Duper-Lösung findest :wink:

Grüsse
Uli
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schoko-sylt
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Beitrag von schoko-sylt »

Hornguru hat geschrieben: 13.07.2021, 16:16 Eine erfrischende Inspiration, vielen Dank :cheers:
Die Summen-Kurve sieht ja super aus.
Hallo Josh,

und das Schöne ist, dass die theoretische Summenkurve nicht nur super aussieht, sondern in der Praxis auch noch super klingt. - Über den Tiefbass des gesamten Ensembles hat sich ja schon vor dem jetzigen kleinen Eingriff von Uli, sozusagen in Lokalanaesthesie, niemand beschwert. 8) Es ist übrigens ein Subsonicfilter bei 12 Hz gesetzt.

Gruß
Holger
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Hallo Uli,

vielen Dank für diese praxisgerechte Korrekturmöglichkeit. Sofern irgend möglich, solltest du diese Maßnahme als weitere Option in deine Makros integrieren, denn oftmals sind die Lautsprecher - als Konzession an die Wohnlichkeit - unsymmetrisch aufgestellt.

Viele Grüße
Rudolf
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Hallo Rudolf,

das mache ich ein bisschen abhängig von der Rückkopplung. Wenn es sich also lohnt. Letztlich kann ich mir vorstellen, den Einbau des Allpasses in die Korrekturfilter per Macro4 zu "automatisieren". Die Vorarbeit, also Auswertung und Simulation des Allpasses ist m.E. nicht automatisch integrierbar.

Was mich zu einer weiteren Anmerkung bringt: es macht keinen Sinn den Allpass per Prefilter anzuwenden. Er muss ins Korrekturfilter eingefaltet werden.

Grüsse
Uli
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Lauscher
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Beitrag von Lauscher »

Hallo Uli,

danke für diesen Ansatz :D

ich muss das am praktischem Beispiel einmal durchklicken / nachmachen.

Solche Beispiele ermutigen mich zum spielen und erweitern die Kenntnisse - ich finde es klasse.

Könntest Du mit solchen tollen Beiträgen auch Dein Acourate Wiki befüllen ? Das würde das Wiederfinden erheblich vereinfachen ;-)

Viele Grüße an Dich
Jens
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Es gibt nun eine Acourate Version V1.10.5.
Diese erlaubt es, die Frequenz und die Güte vorzugeben plus die Auswahl für welchen Kanal der Allpass verwendet werden soll.
Dann rechnet das Macro den Allpass in alle zu erstellenden Korrekturfilter mit rein, es muss also nicht mehr händisch gemacht werden.
Die Ermittlung der Parameter erfolgt aber nicht automatisch sondern entsprechend dem ersten Themenbeitrag viewtopic.php?p=206961#p206961. Ich wüsste keinen Ansatz dies ebenfalls zu automatisieren. Also im ersten Schritt Filter mit Macro4+5 erstellen und dann die Pulsantworten der Testfaltung addieren und prüfen. Liegen dann die Parameter fest nochmal Macro4 mit eingegebenen Daten laufen lassen

Grüsse
Uli
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Hallo Uli,

super! :cheers:

Viele Grüße
Rudolf (der momentan symmetrisch hört, aber man weiß ja nie)
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Matty
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Beitrag von Matty »

Hallo Uli,

das ist ein superspannendes Thema wie ich finde.
Umso mehr, weil ich in meinem Raum leider keine Chance habe, ein einigermaßen symmetrisches Setup zu erreichen.

Denkst Du, es gibt so etwas wie eine obere Frequenz, in der der Ansatz sinnvoll anwendbar ist?

Im Tiefbassbereich habe ich mir über eine Subwooferanordnung geholfen, die bei mir ganz gut funktioniert.
Im Bereich zw. 80 und 120 bzw. ggf. 200 Hz könnte mir dieser Ansatz sehr weiterhelfen.


Viele Grüße
Matthias
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Tinitus
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Beitrag von Tinitus »

Hallo Uli,

ich weiß ja, dass das Dummerchen meist vor dem Computer sitzt, aber ich finde auf der Audiovero Homepage keinen Download für die neueste Version, noch finde ich in acourate einen Menüpunkt über den man nach Updates suchen und diese installieren kann oder muss ich die neue Version bezahlen?

Gruß

Uwe
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Earl Grey
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Beitrag von Earl Grey »

Hallo Uwe,
für "Acourate" Updates muß du Uli eine Mail senden und er schickt dir dann die aktuelle Version.

Gruß
Mike
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Matty hat geschrieben: 15.07.2021, 17:45 Denkst Du, es gibt so etwas wie eine obere Frequenz, in der der Ansatz sinnvoll anwendbar ist?

Im Tiefbassbereich habe ich mir über eine Subwooferanordnung geholfen, die bei mir ganz gut funktioniert.
Im Bereich zw. 80 und 120 bzw. ggf. 200 Hz könnte mir dieser Ansatz sehr weiterhelfen.
Matthias,

ich denke dass der Allpass-Ansatz eigentlich nur für den niederfrequenten Bereich sinnvoll ist. Insofern hatte ich auch zuerst eine Grenze von 100 Hz gesetzt. Ich hab sie nun in der V1.10.5 auf 200 Hz erweitert. Grundsätzlich kann man ja "zu Fuß" auch 12368 Hz verwenden, wenn man denn meint dass es hilft. :mrgreen:

Viele Grüsse
Uli
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo,
ich denke, man sollte es nicht übertreiben, vielleicht sollte man Franssen glauben, wenn es auch um Ortung geht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Franssen-Effekt hat geschrieben:Hintergrund für dieses Verhalten ist, dass außerhalb des Hallradius die Lautstärke des von den Raumwänden reflektierten Schalls wesentlich größer ist als der Direktschall des Lautsprechern. Somit wirkt im eingeschwungenen Zustand des Raums Schall aus allen möglichen Raumrichtungen gleichzeitig auf den Zuhörer ein, eine Richtung kann hieraus nicht bestimmt werden.

Lediglich zu Beginn des Versuchs, wenn der rechte Lautsprecher eingeschaltet wird, gibt es einen kurzen Zeitraum, in dem die Richtung bestimmt werden kann, nämlich dann, wenn bereits der Direktschall beim Zuhörer eingetroffen ist, der Schall aus den Wandreflexionen aber noch nicht. Diesen Zeitpunkt scheint das Gehör zu nutzen, die Einfallsrichtung des Schalls zu bestimmen. Und diese Richtung scheint das Gehör so lange beizubehalten, bis wieder eine Richtungsinformation auswertbar ist.
Wenn ein frequenzbegrenzter Allpass einen festgelegten Zeitversatz hinzufügt, bleibt das nicht ohne Folgen. Wenn eine Reflexion einen Phasenversatz in der Summierung bewirkt, vermute ich, dass ein Kammfiltereffekt mit einer fundamentalen Frequenz vorliegt, begleitet von ungeradzahligen Vielfachen dieser Frequenz.
angenommen, es wären 16,6Hz (vom LS nicht unterstützt), dann folgen oben aufgezeigte 49,6 Hz, auch 83Hz, 116 Hz....
Darf man sich dann nur einer Frequenz annehmen oder gelingt es, die aufgezeigten mit einzubeziehen? Oder bin ich auf dem falschen Dampfer?
Grüße
Hans-Martin
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