Zusammenhang Group Delay - Phase - Einschwingen

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Hornguru
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Zusammenhang Group Delay - Phase - Einschwingen

Beitrag von Hornguru »

Hallo in die Runde

Ich bitte um Hilfe, habe eine Verständnisfrage :(

Ich dachte bisher das Groupdelay ist nichts anderes als der Gebirgspfad des Wavelets.
In welchem das Maxima nach Einschwingvorgang steckt, und ab dem der "Steady State" (eingeschwungener Zustand) erreicht ist.

Is aber total falsch :mrgreen: Ich habs nicht gerafft.

Wie hängt das Zusammen?
Betrachten wir einen Tiefpass:

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Dessen Group Delay:

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Dessen Sprungantwort:

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Kommen wir zum Punkt: Rot Sprungantwort, Grün 100Hz Sinus (Nahe Filterecke), Braun (dick) die Faltung:

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So erklär mir mal den Zusammenhang.
Das Group Delay sagt 18ms bei 100Hz.
Das sind ca 1 3/4 Perioden also Pi*Daumen = 630°
Der Peak ist weder bei 18ms, das ist auch nach Peak nicht eingeschwungen, da is auch nix 18ms nach Peak, da ist nur Chinesisch :|

Gruß
Josh
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Martin
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Beitrag von Martin »

Hallo Josh,
der erste braune Peak kommt exakt 18 ms nach dem ersten grünen Peak, d.h. er ist um 18 ms verzögert, oder meinst du etwas anderes?

Viele Grüße
Martin
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Hornguru
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Beitrag von Hornguru »

Moin Martin!

Isses das? Oder isses das was das GroupDelay darstellen möchte?

Weil 100% passt das auch nicht, ca 10 Samples daneben:

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Das wär aber auch lustig, dann wärs ja doch der Peak. Aber weder die reine Verzögerung noch das Einschwingen noch die Phase.

Weil, hier mal den grünen Sinus um 18ms nach hinten geschoben (so hat man doch früher analoge Weichen ausgerichtet) passt ja garnix zusammen, bzgl Steady State:

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Gruß
Josh
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Martin
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Beitrag von Martin »

Hallo Josh,
da hast du schon recht, irgendwie lässt sich das nicht plausibel erklären. Vielleicht kann Uli etwas Licht ins Dunkel bringen...

Viele Grüße
Martin
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Sigi M.
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Beitrag von Sigi M. »

Hallo Josh
ich kann leider mit Deinem Ansatz nichts anfangen. Aber das mag an meinem eingeschränkten Wissen liegen.
Bevor wir mit der Visualisierung von Groupdelay anfangen, vielleicht können wir uns zunächst auf eine verbale Begriffsdefinition einigen?

Groupdelay ist eine Verzögerungszeit, die auftritt, wenn ein Signal (Musik) durch ein Filter (bspw. analoge Butterworthweiche) geschickt wird. Verzögerungszeit gemessen zwischen dem Eingangssignal und dem Ausgangssignal. Dieses Verzögerung ist frequenzabhängig.

Sie entsteht dadurch, dass der Strom durch einen Kondensator oder eine Spule nicht direkt spannungsabhängig ist, sondern nach- bzw. voreilend entsteht. Bei einem ohmschen Widerstand ist der Strom synchron zur Spannung, bei einer Spule eilt er nach, das heisst, der Strom (aus dem Ausgang des Filters) fliesst später als die Spannung am Eingang des Filters anliegt. Das verursacht die Zeitverschiebung (das Groupdelay) zwischen Eingang und Ausgang.

Zur Visualisierung: Ein Graph mit Y- Zeit (groupdelay) und x-Frequenz.
Natürlich wirkt sich das auch impulsformend aus.

Mich interessiert dieses Thema auch, weil ich noch nicht den Unterschied zwischen Phase und Exzessphase verstanden habe.

Für mich ist das Groupdelay der in Zeit umgerechnete Phasenwinkel. (zwischen Ein- und Ausgang eines Filters bspw.)
Also wenn ich bei 100 Hz, das ist eine Wellenlänge von 10 Millisekunden, einen Phasenversatz von Pi (180 Grad) habe, ist das ein Groupdelay von 5 Millisekunden, eben eine halbe Wellenlänge.

Am Hörplatz kann Groupdelay auch durch eine Phasenverschiebung entstehen, die durch Moden bedingt ist.

Ich hoffe das hat Dir jetzt weitergeholfen. :cheers:

VG
Sigi
(Ich hoffe mal das das so korrekt ist, und ich mich jetzt nicht blamiert habe)
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Hornguru
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Beitrag von Hornguru »

Hallo Sigi

Ich kürze mal deinen Beitrag :wink:
Sigi M. hat geschrieben:... Groupdelay ... in Zeit umgerechnete Phasenwinkel
Ahhhhhh ok. Das könnte auch sein. Danke!
Bevor ich jetzt wieder "Juchuuu.... ah ne schade doch nicht" schreie (wie vorher mit Martin) sollten wir das jedoch mal auf Wahrheit untersuchen.

Ich frage mich nur wie man dann in der Realität den Nutzen daraus erkennen kann.
Mit einem Rechteck welches (zB durch digitales Delay) verzögert wurde, ist das einfach. Null bis Dirac = Zeit. Phase ist Freq<>Zeit relativ. Ende.

Bei solchen Sinuswellen die durch den Tiefpass deformiert anschwingen kann man aber kaum erkennen wo ist es jetzt Anfang, Ende, Phasenwinkel, Milisekunden. Von wo bis wo zählt man, wie schließt man auf die Geschwindigkeit des Einschwingens, wann ist der Steady State erreicht und in welchem Winkel zum ursprünglichen Sinus steht dieser? Das geht anscheinend alles nicht aus Phase / GD hervor :shock:

Mir geht es auch darum von all den Graphen, ohne den Aufwand einer Sinus-Convolution zu betreiben, ableiten zu können wie gut/schnell der Einschwingvorgang ist.
Dieser "Steady State" quantisiert sich ja durch viele Faktoren wie Delay, Phasendrehung, Überschwingen, Einschwingdauer, Zeitpunkt X ab dem es eingeschwungen ist, etc etc.

Gruß
Josh
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Hornguru hat geschrieben:Das Group Delay sagt 18ms bei 100Hz.
Das sind ca 1 3/4 Perioden also Pi*Daumen = 630°
Der Peak ist weder bei 18ms, das ist auch nach Peak nicht eingeschwungen, da is auch nix 18ms nach Peak
Der Denkfehler ist der, dass man aus dem *Momentanwert* des GD bei Frequenz X nicht auf die Phase bzw Perioden umrechnen kann... sondern, mann muss das GD von 0Hz bis zu diesem Punkt integrieren.
Der Phasenversatz -- und damit der zeitliche Verlauf der Wellenform -- nimmt also keinen Wert an, der allein vom GD bei dieser Frequenz bestimmt würde.

Praktisch kann man sich ein (Group-)Delay so veranschaulichen:
- Nehmen wir zunächst ein frequenz-konstantes Delay von 1ms.
- Da schicken wir Wavelets rein (Sinusburst mit Raised-Cosine Fensterung über 3 oder 4 Perioden, das ist schmalbandig genug und hat gleichzeitig noch markantes Zeitverhalten. Die Startphase varieren wir feingranuliert über die ganzen 360°.
- wir überlagern zeichnerisch all diese Kurven und erhalten die Hüllkurve des Bursts. Das gleiche machen wir mit den Input-Daten, als Referenz-Hüllkurve.
- so nun, kommts: das Maximum der Hüllkurve liegt für jede Frequenz eben diese eine Millisekunde später als der Hüllkurven-Peak des zugehörigen eingehenden Signals.

Haben wir nun ein frequenzvariables Groupdelay (mit oder ohne statische Offset-Komponente obiger Art), liegen die Peaks der Hüllkurven der verschiedenen "Burst-Rudel" dann auf den Zeitwerten welche im GD-Graph angezeigt werden.
Das heißt, der "Energie-Schwerpunkt" eines kurzen schmalbandigen Wavelets wird um den Betrag des GD bei dieser Frequenz verschoben, das ist das was man dem GD-Wert für einem isolierten Frequenz-Punkt entnehmen kann, nicht aber die Phase. Das kann sogar ein negativer Zeitpunkt sein (aus Sicht des Hüllkurvenpeaks des Originals).
Denn die Phase an dem Hüllkurvenpeak ist eben nicht 0° sondern ist von allen Werten bei tieferen Frequenzen ebenso beeinflusst, und damit hat die ausgegeben Wellenform ihren offensichtlichen Amplituden-Peak pratkisch nie auf dem Zeitpunkt wo die Hüllkurve peakt (wobei der Amplitudenpeak nicht zwingend offensichtlich muss, es gibt gar den Sonderfall zweier bis auf den Betrag gleichen Scheitelwerte, wenn die Wellenform nämlich genau beim Hüllkurven-Peak einen Nulldurchgang hat).
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Schorsch
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Beitrag von Schorsch »

Hallo Josh,

die Gruppenlaufzeit ist die Ableitung der Phase nach der Frequenz. Wenn die Phase linear ist, wie bei einem FIR Filter, dann ist die GL also konstant, alle Frequenzanteile werden um die gleiche Zeit verzögert.

Eine konstante Gruppenlaufzeit bedeutet, dass Dein am Eingang eingespeistes "Wavelet" um die Gruppenlaufzeit verzögert am Ausgang herauskommt.

Das "Wavelet" behält bei konstanter Laufzeit seine Form, wenn keine Frequenzanteile durch das System herausgefiltert werden.

Viele Grüße

Georg
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Hornguru
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Beitrag von Hornguru »

Hallo und merci allerseits!

Danke auch Klaus (auch wenn ich das 10 mal lesen musste).
Den Burst muss ich mal bauen und falten...

Gruß
Josh
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Sigi M.
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Beitrag von Sigi M. »

Schorsch hat geschrieben: ….
die Gruppenlaufzeit ist die Ableitung der Phase nach der Frequenz.
….
Hallo Schorsch,
damit kann ich was anfangen, mit Klaus seinen Ausführungen bin ich noch nicht so ganz grün :mrgreen:
Aber das wird noch kommen, bin ich sicher.
Kannst Du was zur Exzessphase sagen, wie die mit der "normalen" Phase zusammenhängt?
Das wäre toll!
VG
Sigi
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Für die Betrachtung hier ist es egal, ob der Phasengang ein "natürlicher" ist (Minimalphase), also genau zu dem Amplitudengang passt (das eine folgt zwingend aus dem anderen, und umgekehrt. Mittels der sog. Hilbert-Transformation), oder nicht.

Ein Phasengang ist immer die Summe aus Minimalphase + Exzessphase, die Minimalphase ist das was zum Amplitudengang gehört und die Exzessphase der Rest der ergänzt werden musste um die Summenphase zu erhalten.

Beispiel 1 : Allpass.
Ein Allpass hat einen Amplitudengang = 1, damit kein Minimalphase (d.h. ==0), alles was er an Phase schiebt ist allein Exzessphase.

Beispiel 2 : Linearphasiger Tiefpass.
Ein Lin-Phase Tiefpass hat Phasengang == 0, obwohl das nicht zum Amplitudengang passt, weil das wäre ja der Phasengang eines normalen, minimalphasigen Tiefpasses. Daraus folgt, dass hier die Excessphase == -Minimalphase des äquivalenten MinPhase-Tiefpasses ist.

Beispiel 3: konstantes Delay (Laufzeit) auf einer beliebigen (minimalphasig oder nicht) Filterfunktion.
Hier ist die Excessphase (anteilig, bzw vollständig wenn die Funktion selber minimalphasig war) eben der Phasengang des Delays, das ist per Definition eine frequenzproportional abfallende Phase (konstante negative Steigung im Phasenplot -- mit linearer(!) Frequenzachse betrachtet).
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Schorsch
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Beitrag von Schorsch »

Hallo Sigi,

Da Du mich direkt fragst, ergänze ich die Ausführungen von Klaus. (Sorry für vereinzelte Redundanz)

1) Minimalphasensystem + Allpass
Bestimmte Filter*** kann man aufteilen in einen sogenannten Minimalphasenanteil (MP) und einen sogenannten Allpass (AP). Diese beiden Filter sind in Reihe (also hintereinander) geschaltet.
Bei der Reihenschaltung addieren sich die beiden Phasengänge. (Die Amplitudengänge werden multipliziert.)

2) Amplitudengang
Der Amplitudengang des Filters wird allein durch den Amplitudengang des Minimalphasenanteils bestimmt, da der Amplitudengang eines Allpasses immer "Eins" ist. Der Allpass trägt also nichts zum Amplitudengang des Filters bei!

3) Phasengang
Für einen gegebenen Amplitudengang**** kann man über die Hilbert Transformation eindeutig genau einen Phasengang ableiten: Das ist die zu diesem Amplitudengang gehörende Minimalphase.

Die Phase des Allpasses bezeichnet man als Exzessphase.

Die Gesamtphase (Summenphase) des Systems ergibt sich aus der Summe der Minimalphase und der Exzessphase.

4) Jetzt zu Deiner Frage:
Sigi M. hat geschrieben: Kannst Du was zur Exzessphase sagen, wie die mit der "normalen" Phase zusammenhängt?

Das hat Klaus bereits prima erklärt:
KSTR hat geschrieben: Ein Phasengang ist immer die Summe aus Minimalphase + Exzessphase, die Minimalphase ist das was zum Amplitudengang gehört und die Exzessphase der Rest der ergänzt werden musste um die Summenphase zu erhalten.
Nimm an, Du hast ein Filter erzeugt. Dieses Filter hat einen Amplitudengang und einen Phasengang. Berechnest Du jetzt aus diesem Amplitudengang die zugehörige Minimalphase und subtrahierst diese von der Summenphase, dann bleibt die Exzessphase übrig. :cheers:

Über den Minimalphasenanteil stellst Du also Deinen Wunsch-Amplitudengang ein. Aus diesem Amplitudengang resultiert dann die zugehörige Minimalphase. Da diese Minimalphase im Allgemeinen nicht alle Phasen- bzw. Laufzeitfehler korrigiert, fügst Du einen Allpass hinzu. Der ändert nichts am Amplitudengang, sondern korrigiert nur die Phase bzw. die Gruppenlaufzeit. Also wie Klaus schreibt, wird die Minimalphase um die Exzessphase ergänzt um die vielzitierte "Zeitrichtigkeit" zu erreichen.

Mit dem Minimalphasensystem korrigierst Du den Amplitudengang. Die Exzessphase ergänzt die resultierende Minimalphase, um Zeitrichtigkeit zu erzielen.

Wenn ich es recht sehe, verwendet Gert z.B. nur Allpässe.
fortepianus hat geschrieben: Es wäre vielleicht einen Versuch wert, was eine reine Zeitkorrektur für den Sweetspot, wie ich das bei mir mache, bringt. Man erstellt dazu ganz normal mit acourate Filter für den Hörplatz, zieht dann aber nur den Exzessphasenanteil raus und wirft den Minphasenanteil weg.
Oder Du kannst einfach das Phasenverhalten deines Filters einstellen. Auch das hat Klaus angeführt: Durch Addition einer Exzessphase kann man z.B. aus einem minimalphasigen Tiefpass einen linearphasigen Tiefpass erzeugen und vice versa.

Oder Du kannst mit einem Allpass das gesamte Signal ohne Verzerrungen verzögern, um es z.B. an ein Videosignal anzupassen oder um eine Laufzeit zwischen Sub und LS auszugleichen. (Beispiel 3 von Klaus)

Viele Grüße
Georg

*** Dies sind Systeme, die durch lineare Differenzengleichungen mit konstanten Koeffizienten beschrieben werden können und die Uli natürlich in Acourate verwendet.

**** gilt wieder nur für die unter *** genannten Systeme
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Sigi M.
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Beitrag von Sigi M. »

Hallo Schorsch,
ganz herzlichen Dank für Deine Ausführungen. :cheers:

Das was mir nicht klar war (eine Banalität :oops: ) war Folgendes:
Die Gesamtphase (Summenphase) des Systems ergibt sich aus der Summe der Minimalphase und der Exzessphase.
Wenn man's gesagt bekommt, fragt man sich: Das ist doch eine Binsenweisheit. Trotzdem hat's gerade hier bei mir gehakt. Ganz lieben Dank :-)

Den Rest hatte ich schon auf dem Schirm, aber schön, mal so komplett im Zusammenhang zu lesen. Sehr komprimiert und verständlich auf den Punkt gebracht. Wird sicher Vielen Klarheit bringen!
Viele Grüße
Sigi
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