Verstärker mit Stromgegenkopplung

bebo65
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Überlegungen zur Umsetzung

Beitrag von bebo65 »

In meinem Fall soll die Umsetzung dazu dienen die schon vorhanden und derzeit mit UGK Verstärkern betriebenen Lautsprecher zu verbessern.
(Vorstellung der Lautsprecher wenn gewünscht gerne in einem separaten Thema)

Da jedes Chassis einen eigenen Verstärker erhalten soll möchte ich das Ganze möglichst Kompakt halten, deshalb kommt für den Leistungsteil
nur ein integrierter Baustein in Frage. Die Auswahl ist dabei recht überschaubar:

- TDA7293/4/5/6 (DMOS Technik)
- UTC TDA2050 (Bipolare Technik)
- LM1875/LM675 (Bipolare Technik)
- LM3886 (Bipolare Technik)

Da ich pro Verstärker nur einen Leistungschip einsetzen möchte und ich 60 Watt Leistung anstrebe fallen die kleineren Typen (UTC TDA2050 und LM1875/LM675) schon aus der Auswahl heraus. Bedingt durch ihre kleine Kühlfahne sind mit ihnen nur je ca. 30W sinnvoll zu erzielen. Der LM3886 erscheint wegen der kürzeren Anstiegszeit und dem höheren möglichen Spitzenstrom zunächst die bessere Wahl. Für die maximale angestrebte Leistung reicht die Anstiegszeit der TDA-Typen aber immer noch locker aus. Vergleicht man nun die Stromlieferfähigkeit der TDA-Typen mit dem LM3886, so ist festzustellen dass die Typen TDA7293/4 hier beinahe gleichauf sind. Betrachtet man abschließend den Preis und die Verfügbarkeit so kann die Wahl nur auf den TDA7294 fallen. Die DMOS Technik hat dabei noch den Charme etwas gutmütiger auf Überlastung zu reagieren.

Wie in den Simulationen schon zu erkennen soll der Verstärker als zusammengesetzter Verstärker (composite Amp) arbeiten. Erste Erfahrungen damit habe ich schon dokumentiert (https://bebo65.webador.de) und der nun simulierte soll eine verbesserte Variante davon werden. Wenn ich das Prinzip des zusammengesetzten Verstärkers etwas näher beleuchten soll - macht euch bemerkbar!

Preis und Lieferbarkeit für den Eingangsverstärker schränken die Auswahl auch hier gehörig ein auf alte Bekannte wie NE5532/4, TL072 und einen etwas neueren Bekannten, den LM4562. Da ich platzsparend bauen will (Leiterplattenfläche kostet) kommen bevorzugt die dualen Verstärker in Frage. Der LM4562 ist für mich wegen der geringsten Verzerrungen der drei die erste Wahl, aber auch die beiden anderen werde ich testen. Dabei ist der TL072 mit Vorsicht einzusetzen, denn wird er sehr weit in den negativen Bereich ausgesteuert kippt seine Ausgangsspannung schlagartig ins maximal positive.

Da ich von den kleinen ICs drei Verstärkereinheiten verwenden will hätte ich bei der Verwendung von dualen OPs eine Verstärkerstufe übrig. Da kam mir die Idee den Strommesswiderstand an den Verstärkerausgang des Leistungsteils zu verlegen und mit übrigen Verstärker zu Puffern. Das hätte den Charme die Lautsprecherrückleitung direkt auf Masse legen zu können. Nach einer kurzen Simulation habe ich diese Idee schnell wieder verworfen. Will man das tatsächlich machen gehört an diese Stelle ein deutlich schnellerer Verstärker, sonst wird die Geschichte instabil.

Damit genug für heute.

Gruß
Bernd
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bebo65
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TDA7294, das unbekannte Wesen

Beitrag von bebo65 »

Der Titel deutet es schon an - das Datenblatt ist verbesserungswürdig. Findet man alte Datenblätter, so weicht die eine oder andere Angabe schon einmal ein wenig ab. Für einen guten Überblick schaut man sich am besten die Datenblätter der ganzen Familie an, denn sieht man von den Besonderheiten der Typen TDA7294S und TDA7293 ab ist die ganze Familie Pin- und Funktionskompatibel. Die Haupt- Unterschiede bestehen bei der maximal möglichen Betriebsspannung und dem maximal möglichen Strom, bevor die Strombegrenzung greift. So macht es Sinn die Besonderheiten der genannten Typen außen vor zu lassen und dadurch das entstehende Board für die ganze Familie verwenden zu können.

Betrachtet man sich die Angaben zum Strom des TDA7294 über die Jahre, so liest man 10A Spitzenstrom und 6,5A als Angabe für den Strom, bei dem die Strombegrenzung greift. Letzteres in älteren Datenblättern als Mindestwert, in neueren als typischen Wert. Im aktuellsten Datenblatt steht nur noch der Spitzenwert mit 10A.

Der thermische Widerstand des Gehäuses wurde in älteren Datenblättern mit 1°C/W als typischer Wert angegeben - im aktuellen Datenblatt steht hier 1,5°C/W.

In den älteren Datenblättern findet man noch die zulässigen Spannungen für alle Pins - im aktuellen lediglich die für die Betriebsspannung(en). Diese können für den Signalteil (Vs) und den Leistungsteil (Vp) separat zugeführt werden. Was zu beachten ist, wenn man dies tatsächlich tut? Hier schweigt das Datenblatt - lediglich ein Beispiel zu einer High-Efficiency Schaltung wird gegeben.

Der TDA7294 wird als 100Watt-Verstärker beworben, die Verzerrungen liegen dann schon bei 10%. Ich sehe die "Schmerzgrenze" für die unter HiFi anzugebende Leistung eher bei 0,1% - dann bleiben noch ungefähr 60Watt übrig.

Jetzt aber genug gelästert. Was die Daten mit der Schaltung zu tun haben? Aufklärung folgt...

Gruß
Bernd
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Bernd,
werte Mitlesende,

eine kleine Ergänzung zu technischen Spezifikationen sei hier angebracht (nicht zuletzt ggf. zur Ehrenrettung der Chiphersteller):

Halbleiter- & Gehäusedesigns und deren Produktionsprozesse werden ständig fortentwickelt. Das bedingt, daß sich auch elektrische, thermische und betriebsbezogene Parameter ändern (können). Datenblattänderungen haben also gute Gründe und sind dann ab einem bestimmten Produktionsdatum für neue Bestellungen/Lieferungen gültig. Datenblätter wenden sich also an die Käufer der Chips, nicht an "uns" :wink:

Um ein Datenblatt korrekt zu interpretieren ist es darum (z.B. für uns, die wir oft im Nachhinein rechechieren) also nötig das Hersteller und Produktionsdatum der Chips mit dem Herausgeber und Ausgabedatum des Datenblattes abzugleichen. Das heißt: Das neueste oder gerade vorliegende Datenblatt gilt, gilt nicht oder nur eingeschränkt für vorliegende oder eingebaute, neue oder alte Chips.

Grüße,
Winfried5390
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bebo65
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Beitrag von bebo65 »

Hallo Winfried,

natürlich hast Du recht, Halbleiter werden ständig weiterentwickelt. Das Gilt sicher auch für den TDA7294. Hier werden aber nur kleinere Optimierungen vorgenommen, denn es kann nicht im Sinne der Halbleiterhersteller sein, dass Designs, die für diesen Chip entwickelt wurden mit jeder neuen Auflage nachgebessert werden müssen. Grundlegende Veränderungen müssen sich in einer neuen Typenbezeichnung und dann am besten auch in einer neuen Pinbelegung wiederfinden. Gut beraten sind die Chip-Hersteller auch im Datenblatt den Verlauf der Änderungen zu dokumentieren - gängige Praxis ist das zum Beispiel bei Mikrocontrollern. Mittlerweile muss man ja schon froh sein überhaupt ein Datenblatt zu haben.... speziell wenn es sich um Chips aus fernöstlicher Herkunft handelt wie sie zu Hauf in Fernsehern und Monitoren eingebaut sind...

Gruß
Bernd
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bebo65
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Der TDA7294 und die Spannungsversorgung

Beitrag von bebo65 »

Für die Spannungsversorgung des TDA7294 gibt es für den Eingangsteil und den Leistungsteil separate Versorgungspins (Vs und Vp). Die naheliegende Idee eine zusätzliche RC- oder LC- Filterung einzubauen ist dabei Kontraproduktiv, denn die Spannungen für Vs dürfen größer sein als die Spannungen für Vp, aber zu keinem Zeitpunkt kleiner!!! Wird dieser Punkt nicht beachtet führt das in aller Regel zum Ausfall des Chips, denn dann fließt Strom im Chip wo er gar nicht soll - im Grunde hat man den Chip dann verpolt angeschlossen. Will man die Spannungsversorgung dennoch separat bereit stellen, so muss zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein dass der genannte Fall nicht eintritt. Das Ganze zusammengefasst:
- die Spannungen Vs müssen immer mindestens so groß sein wie die Spannungen Vp
- bei separater Zuführung müssen die Spannungen Vs zuerst am Chip anstehen und zuletzt verschwinden.

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Betrachtet man das Prinzipschaltbild im Datenblatt fällt eine Bootstrap-Schaltung auf. Diese ist genau genommen auch ein Teil der Versorgungsspannung, denn sie hebt signalabhängig die Versorgungsspannung für den Ausgangstreiber an, damit die im Chip verwendete MOS-Technik auch bis nahe an die Versorgungsspannung ausgesteuert werden kann. Will man sich den Bootstrapkondensator sparen, kann statt dessen die positive Seite der Spannungsversorgung der Eingangsschaltung (+Vs) mit einer etwa 10V höheren Spannung versorgt werden. Interessant am Blockdiagramm ist das Vs und Vp nicht separat dargestellt werden...(...ich habe ja weiter oben schon gelästert...)

Die genannten Optionen bedeuten mehr Aufwand bei der Netzteil-Gestaltung und finden deshalb bei diesem Projekt keine Anwendung. Ob durch die nicht genutzten Optionen Qualität verschenkt wird bleibt also offen.

Gruß
Bernd
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bebo65
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Der TDA7294 und die Kühlung

Beitrag von bebo65 »

Der TDA7294 arbeitet im Klasse B Modus mit einem geringen Ruhestrom im Leerlauf. Arbeitete er ohne Signal und nur im Leerlauf könnte auf einen Kühlkörper verzichtet werden. Da er aber eine niederohmige Last antreibt wird er prinzipbedingt auch selbst heiß. Die Leistung die er maximal selbst verkraften muss ist die Leistung die für die Dimensionierung interessant ist, dazu hier das Diagramm aus dem Datenblatt:

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Bei einer gewählten Spannung von +-35V und Lautsprechern mit 8 Ohm Nennimpedanz kann die maximale Verlustleistung im rechten Diagramm mit der mittleren Kurve zu 32 Watt abgelesen werden. Dieser Wert trifft auch zu wenn bei der Verwendung von 4 Ohm Lautsprechern eine Versorgungsspannung von +-25V verwendet wird, siehe linkes Diagramm, untere Kurve. So kann bei einer an die Last angepasste Betriebsspannung davon ausgegangen werden, dass der Kühlkörper nicht neu berechnet werden muss. Aber auch ohne Diagramm kann man die maximale Verlustleistung einfach berechnen - sie entsteht wenn am Ausgang des TDA7294 die halbe Betriebsspannung anliegt. Bei der 8 Ohm Berechnung sind das 17,5V. So berechnet ergeben sich 38W Verlustleistung. Das Datenblatt ist hier etwas optimistisch.

Von den 38W gehe ich auch ganz klassisch konservativ bei der Berechnung des Kühlkörpers aus. Da ich es gerne anschaulich habe lasse ich das Simulationsprogramm rechnen:
- Der ohmsche Widerstand stellt den Wärmewiderstand dar (Ohm => °C/Watt)
- Die Stromquelle trägt die Verlustleistung ein (Ampere => Watt)
- Die Spannungsquelle gibt die Umgebungstemperatur vor (Volt => °C)

Damit vergleiche ich jetzt die Unterschiedlichen Angaben zum Wärmewiderstand des TDA7294, montiert mit einer
elektrischen Isolierung zum Kühlkörper, den ich hier im Beispiel mit 1°C/Watt so dimensioniert habe, dass sich
an ihm eine Temperatur einstellt die bei Berührung noch keine Verbrennungen hervorruft.

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In der Simulation zu erkennen ist, dass der höhere Wärmewiderstand des TDA7294 "nur" zu einer höheren Temperatur des Chips führt. Die ist schon recht nahe an der Temperatur für die Schutzschaltungen (145°C fürs Muting, 150°C fürs Standby). Die Simulation führt auch zur Erkenntnis, dass die schon genannten und an die Last angepassten Spannungen ein sinnvolles Limit sind für einen dauerhaft zuverlässigen Betrieb.

Gruß
Bernd
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bebo65
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TDA7294 - Maximum Ratings

Beitrag von bebo65 »

Hier die Tabelle der maximal zulässigen Werte für den TDA7294, entnommen der Variante S des Chips (wohl dem Vorläufer des TDA7293 ---> hier die oben schon erwähnte neue Typenbezeichnung, den TDA7294S sucht man bei den Distributoren vergebens!)

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Sieht man sich die Tabelle genauer an, stellt man fest, dass die GND-Anschlüsse nicht zwingend an die Schaltungsmasse geklemmt werden müssen. Für die Freigabe der Mute- und der Standby-Funktion, zum Beispiel, ist nur die Differenz zwischen dem Pin StandbyGND (Pin1) und jeweils den Pins Standby (Pin9) und Mute (Pin10) maßgeblich. Das wurde in einer WERSI Orgel auch genau so umgesetzt. In meinem oben verlinkten Projekt und auch in diesem ist die Standby/Mute Funktion störend (wegen der verwendeten Schaltungstopologie) und wird durch das anklemmen der entsprechenden Pins 9 und 10 an die positive Betriebsspannung außer Kraft gesetzt. Mute und standy greifen dann nur noch bei Übertemperatur.

Auch der Signal Ground (Pin4) ist nur der Bezugspunkt für das Signal bei aktiver Mute-Funktion. Hier macht es Sinn den Pin tatsächlich mit der Schaltungsmasse zu verbinden.

Gruß
Bernd
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Bernd,
werte Mitlesende,

Ich wollte das Verlustleistungs- bzw. Versorgungsdesign besser verstehen hab mal im ST Datenblatt Seite 10 gelesen. Soweit ich verstehe sind die zwei Versorgungsanschlusspaare dazu gedacht, die Verlustleistung minimieren zu können, solange nur kleinere Leistung durch das Signal angefordert wird:
...The TDA7294 was designed to work also in higher efficiency way. For this reason there are four power supply pins: two intended for the signal part and two for the power part.
T1 and T2 are two power transistors that only operate when the output power reaches a certain threshold (e.g. 20 W). If the output power increases, these transistors are switched on during the portion of the signal where more output voltage swing is needed, thus ”bootstrapping” the power supply pins (#13 and #15)...
Ich hätte mit solch einer ausgangssignalabhängig (im zweifel also vielleicht nicht ganz rechtzeitigen) hoch- und runtergeschalteten Leistungsbetriebsspannung "HiFi-Bauchschmerzen", ganz abgesehen davon, daß man ja entsprechende Trafowicklungen vorsehen müsste...

Danke für die fortlaufende Dokumentation Deines Projektes! :cheers:

Grüße,
Winfried5392
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bebo65
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Beitrag von bebo65 »

Hallo Winfried,

ja, es ist richtig, die High Efficiency Schaltung dient dazu die Verlustleistung zu reduzieren. Ausgehend von den im Datenblatt für diesen Betrieb angegebenen Versorgungsspannungen dient dies vor allem dazu den Chip bis an seine Grenzen auszureizen. Der Leistungsteil könnte dann bis beinahe an die maximal zulässige Betriebsspannung ausgesteuert werden. Denkt man jetzt an die bei 6,5A einsetzende Strombegrenzung so sehe nur einen sinnvollen Einsatz bei einer rein ohmschen Last mit mehr als 8 Ohm. Will man den Chip maximal ausreizen darf man auch mögliche Überspannungen aus dem versorgenden Stromnetz nicht außer Acht lassen. Deshalb sind im Datenblatt für diese Schaltung wohl auch nur +/-40V für die höhere Spannung angegeben. Die Verzerrungswerte für diese Schaltung sind zwar höher als für den konventionellen Betrieb, aber noch nicht beunruhigend. Wollte ich meine Schaltung nicht möglichst einfach halten wäre die High Efficiency Schaltung einen Versuch wert. Ich denke sie könnte auch als zusammengesetzter Verstärker funktionieren. Für diesen Fall würde ich dann allerdings den TDA7293 einsetzen.

Gruß
Bernd
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo,
die aufgestockte Betriebsspannung war von NAD als Power Envelope (PE) und bei Proton als Dynamic Power On Demand erfolgreich in den Consumerbereich eingeflossen. Die ergänzenden Elkos hatten geringere Kapazität, weil solche Spitzen zumindest damals selten auftraten.
Gewaltiger Unterschied zu heute: es war lange vor Kriegszeiten (Loudness War), man steuerte CDs nur bis-3dB aus..., kein permantentes Clipping.

Die Methode PE /DPoD hält sowohl die Verlustleistung an den Transistoren im sinnvollen Bereich wie auch die Trafogröße im Zaum, dabei wurde eine hohe Reserve für die Impulsspitzen geschaffen, wie sie in Musik natürlicherweise vorkommen können. Elkos sind die teuersten passiven Bauteile, sieht man vom Trafo mal ab.
Am teuersten ist erfahrungsgemäß im High-End die Frontplatte, aber das ist ein anderes Thema :roll:

Ein Hersteller mit Qualitätsanspruchdenken wird die Betriebsspannung minus Vorwärtsspannung der Halbleiter als Scheitelwert des unverzerrten Ausgangssignals zugrundelegen. Bei dem üblichen Formfaktor des Sinus kommt man zu geteilt durch Wurzel aus 2 auf den Effektivwert der sinusförmigen Wechselpannung. Der zu liefernde Strom ergibt sich aus der Impedanz des Lautsprechers, Phasenproblematik mal vernachlässigt. Entsprechend großer Trafo und Siebelkos plus Kühlkörper wären nötig und nicht billig zu haben.
Die aufgestockte Betriebsspannung gibt die Möglichkeit, mit Dimensionierung der zusätzlichen Elkos ein bremsendes Zeichen zu setzen, dass die ewigen Vollgasfahrer und die gnadenlos alles auf DR=maximal 6 niederknüppelnde Dynamik TonIngs es nicht schaffen, Rauchzeichen zu generieren, die die Kapitulation der Halbleiterstrecken im Amp anzeigen.

Wenn die Meerespegel steigen und unsere Deiche brechen, wird es zu spät sein, dem Klimawandel etwas bremsend entgegenzutreten.
Ich fürchte, bei dem Verständnis, wie Musik optimal zu verfremden sei, wird es keine Bestrebungen geben, der seit 30 Jahren bestehenden Tendenz Einhalt zu gebieten.

Immerhin bieten völlig übersteuerte Aufnahmen die Gelegenheit, die Transistoren einer Analogendstufe im Schaltbetrieb zu halten. Diesen Betriebszustand muss man aber bei der Trafodimensionierung berücksichtigen. Sonst gibt der Rauchzeichen, während die Netzsicherung noch hält und Strom durchlässt, bis der Emaillelack des Primärwicklungsdrahts schmilzt.
Wer mir hier Zynismus unterstellt hat wohl Recht, wer aber hat zuerst an der Spirale gedreht, die uns heute ungeahnte Probleme beschert?
Grüße
Hans-Martin
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bebo65
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Beitrag von bebo65 »

Hallo Hans Martin,

vielen Dank für Deinen Beitrag. Kannst Du den letzten Absatz daraus etwas genauer ausführen? Ich habe nicht wirklich verstanden was Du uns hier mitteilen möchtest.

Gruß
Bernd
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo Bernd,
ich will damit sagen, dass in der heutigen Zeit die Aufnahmen dazu verleiten, die Elektronik voll gegen die Wand zu fahren, weil das energetische Gefüge der ausgelieferten Musik krass von dem Live natürlich vorkommenden, entsprechend vorgefundennen Verhältnis Impulsspitzen gegenüber Mittelwert abweicht. Damals nannte man den Crestfaktor für Klassikaufnahmen bis über 50 , Pop um 25.
In Zeiten des Loudnesswars ist der Durchschnittswert nicht mehr weit vom Aussteuerungslimit entfgernt. Das bedeutet erheblich mehr Belastung des Netzteils.
Die DIN-Normen für Belastbarkeit, und die Definition Sinus- und Musikleistung lassen sich angesichts der verschobenen Verhältnisse m.E. nicht mehr wie gewohnt anwenden. In den letzten 30 Jahren ist der Worst Case ein anderer geworden.
Wenn man einen sauberen Sinus zum Rechteck macht, wird bei gleichem Lastwiderstand die Leistung verdoppelt. Das ist annähernd der Fall, wenn starke Dynamikkompression angewandt wird, wie man sie mit einem Blick beim WAV-Editor auf dem Bildschirm oft entdecken kann.

Ich kenne aus der Praxis genügend Partyschäden, wo die Wärmeableitung des Netztrafos nicht ausreichte, ihn vor dem Durchbrennen der Primärseite zu bewahren, wobei die Netzsicherung auf den doppelten Strom des Nominalbetriebs ausgelegt war. Als der Kurzschlussfall im Trafo eintrat, brannte die schließlich auch durch, es gab aber auch einfache Unterbrechung der Wicklung, die Sicherung blieb heil.
Sicherungen haben 20% Toleranz, netzseitig sind träge Ansprechcharakteristik sinnvoll, die Zuverlässigkeit von Sicherungen nicht infrage stellend kann man auf die Gesamtleistungsaufnahme zurückschließen.

Die Ursprungsfrage war, warum 4 Anschlüsse für die Stromversorgung der Endstufe. Bei dynamikkomprimiertem Material stellt sich die Sinnfrage erneut - jedoch unter anderen Aspekten als die Tradition hergibt...

Es gibt natürlich auch im professionellen Bereich Endstufen, bei denen alle Stufen bis hin zu den Treibern eine eigene geregelte Stromversorgung haben (weitestgehend Class-A, Stromfluss überschaubar), während die Leistungstransistoren mit etwas niedrigerer Betriebsspannung gefahren werden, nur mit den üblichen fetten Elkos gesiebt, die dafür genügend Strom hergeben müssen. Dieser Fall scheint mir aber hier nicht vorzuliegen.
Aufwand kostet ... an der richtigen Stelle macht er sich bezahlt.
Grüße
Hans-Martin
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bebo65
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Beitrag von bebo65 »

Vielen Dank, Hans Martin.
Werden typische HiFi-Verstärker zur Party-Beschallung verwendet sind nicht selten die Trafos danach defekt. Auch ich kenne das aus meiner Praxis. Schaut man sich die Dimensionierung der Trafos an und vergleicht sie mit den Leistungsdaten des Verstärkers ist offensichtlich dass unterdimensioniert wurde und der Verstärker die Angabe des Herstellers nur bei kurzen Impulsspitzen erreicht (entsprechend dem von Dir angeführten crest-Faktor). Gerade beim Einsteiger-HiFi trifft dies oft zu. Hier hat dann wohl die Marketing-Abteilung den Rotstift angesetzt. Das Thema Netzteil-Dimensionierung steht ja in meiner Beschreibung noch aus...

Gruß
Bernd
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bebo65
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Der zusammengesetzte Verstärker

Beitrag von bebo65 »

Wie in den Simulationen fürs Verständnis schon zu erkennen soll der Verstärker ein zusammengesetzter Verstärker werden. Der Grund hierfür ist schnell erklärt: man kann die Qualität eines hochwertigen Kleinsignal-ICs mit der Kraft eines Leistungsverstärkers kombinieren und erhält das Beste aus beiden Welten - seltsam dass einem diese Schaltungstopologie in HiFi-Kreisen so selten begegnet.

Die Umsetzung einer solchen Schaltung ist dabei um einiges Aufwändiger als üblich, denn die Gegenkopplungsschleife umfasst hier zwei komplette Verstärkungseinheiten die selbst wiederum aus je drei Teileinheiten besteht. Und jede Einheit dreht an der Phase - ehe man sich versieht hat man einen Oszillator gebaut. Hier gilt: die Simulation ist Dein Freund - geeignete Modelle vorausgesetzt. Dabei zeigt sich recht schnell, dass der Verstärker stabil arbeitet wenn der Ausgangsverstärker eine größere Bandbreite als der Eingangsverstärker hat. Wer die Eckwerte der angestrebten ICs LM4562 und TDA7294 kennt wird jetzt anmerken, dass die Verhältnisse hier genau anders herum sind....am Ende entscheidet die Beschaltung selbiger.

Das positive am zusammengesetzten Verstärker ist, dass sich die Verstärkungsfaktoren beider ICs addieren - dadurch können die unerwünschten
Verzerrungen der gesamten Einheit doch deutlich reduziert werden, sobald die Gegenkopplungsschleife geschlossen ist. Dass das (mit der auf meiner Homepage beschriebenen Variante) hörbar ist hat sich im Freundeskreis bestätigt - ein Octave V50 und ein Pärchen SAC nano la forza wurden "in Rente" geschickt. Schaut man sich die Schaltung der la forza etwas genauer an stellt man fest, dass die Schaltungstopologie des zusammengesetzten Verstärkers auch dort Anwendung findet - allerdings mit diskret aufgebautem Leistungsteil.

Wer etwas tiefer in die Materie einsteigen will - hier noch einige Links:

https://www.ti.com/lit/an/sboa015/sboa015.pdf
https://www.analog.com/media/en/technic ... /an21f.pdf
https://www.analog.com/en/analog-dialog ... ision.html
https://www.analog.com/en/analog-dialog ... pamps.html

Gruß
Bernd
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Bernd,

vielleicht als Ergänzung und als Referenz: Das von Dir beschriebene Konzept ist auch mit LM3886/LME497x0 als sog. "Composite Chipamp" mit symmetrischem/balanced Eingang realisiert worden und hier detailliert beschrieben. Vielleicht ist diese Entwicklung ja "bereichernd" und vielleicht sogar eine (vergleichende) Simulaton bzw. Modifikation wert?

Grüße,
Winfried5393
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