Wie misst man die Netzspannung?

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Fortepianus
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Wie misst man die Netzspannung?

Beitrag von Fortepianus »

Liebe Messwertliebhaber,

habt Ihr Euch schon mal gefragt, wie man eigentlich den Wert der Netzspannung genau misst? Blöde Frage, denkt da wahrscheinlich so mancher, da steck ich mein Multimeter in die Steckdose, stell auf "True RMS" und dann zeigt mir das die Netzspannung an. Habt Ihr Euch schon mal Gedanken darüber gemacht, mit welcher Genauigkeit das dann angezeigt wird? Ich schaue dazu mal in die Bedienungsanleitung meines Standard-Multimeters, ein Voltcraft VC 860. DC-Bereiche 0,1% Genauigkeit, fein. Frequenz 0,01%, sehr fein. Schauen wir mal bei AC nach, ups, 1%. Das heißt zu deutsch: Wenn die Spannung auf dem Netz z. B. gerade genau 230V beträgt, kriege ich irgendwas zwischen 227,7V und 232,3V angezeigt. Was soll's, ich hab' ja noch vier Multimeter, da wird schon eins davon genauer sein. Von wegen, alle +-1% oder sogar +-1,5% bei dem hohen Wechselspannungsbereich. Wenn ich diese Toleranzangaben mal übersetzen darf, steht da schwarz auf weiß, dass ich mich nicht wundern soll, wenn ich von den Geräten angelogen werde.

Eigentlich wüsste ich das gerne genauer, schön wäre +-0,1%. Wenn ich mit so einem Schätzeisen wie meinem Voltcraft zum Beispiel die Anzeige meines PS Audio Power Plant versuche zu kalibrieren, muss das ja falsch sein, was da raus kommt, weil ich den wahren Wert der Netzspannung nicht kenne. Ich schaue mich also mal im Internet um, ob es vielleicht irgendwo bezahlbare Multimeter gibt, die besser sind. Fehlanzeige. Aber selbst ist der Mann. Ich baue mir also folgendes Gerät:

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Zunächst muss man wissen, wo die Phase ist, wenn man die Spannung der Phase gegen Null messen will. Dazu gibt es eine LED hinten, die anzeigt, wenn man den Stecker rumdrehen soll:

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Vorne gibt's vier Buchsenpaare und zwei Schalter:

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Fangen wir mal links an. Am Ausgang "DC out" liegt der DC-Anteil der Netzspannung, und zwar 1:1. Am AC-Ausgang liegt der sog. RMS-Wert (Root Mean Square), das ist der Wert, der uns interessiert. Der liegt dort als DC-Spannung durch 100 geteilt. Ist also die Netzspannung 230V, liegen dort 2,3V Gleichspannung, Noch eins weiter rechts gibt es ein Buchsenpaar "Ext In", ein Eingang also, an dem man z. B. den Ausgang eines DACs oder Vorverstärkers anlegen kann und dann 1:1 sowohl den DC-Offset wie auch 1:1 den RMS-Wert der Ausgangsspannung kriegt. Der RMS-Wert wird präzise gebildet bis in den MHZ-Bereich. Und ganz rechts ist ein Buchsenpaar "Ext out", da liegt die Netzspannung geteilt durch 100 an und man kann dort z. B. mit einer Soundkarte den Klirr auf dem Netz messen oder mit einem Frequenzzähler oder Oszi die genaue Netzfrequenz anzeigen lassen. Und dann hat es noch zwei Schalter: Der untere ist zum Umschalten auf den externen Eingang, ansonsten wird die Netzspannung gemessen. Und der obere hat es in sich, der ist zum Kalibrieren der ganzen Apparatur.

So, das klingt ja alles wie ein Wunschkonzert, aber wie bitteschön soll man denn mit so einer Bastelkiste Genauigkeiten von 0,1% oder besser erreichen? Ich will gerne zeigen, wie das geht. Fangen wir mal mit der DC-Messung an:

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Die ist im oberen Teil des Bilds zu sehen, ein Tiefpass mit 24dB pro Oktave und Grenzfrequenz von 1Hz. Das sorgt für eine gute Unterdrückung der 50Hz, die sind nämlich fünfeinhalb Oktaven weg von der Grenzfrequenz. Rein rechnerisch bleiben da von den 230V Wechselspannung noch ungefähr 0,06mV übrig am DC-Ausgang, und man sieht im Wesentlichen den DC-Anteil der Netzspannung. Bevor man jedoch die Netzspannung vermisst, schaltet man auf den externen Eingang und lässt den offen (ist intern mit 47kOhm abgeschlossen). Dann gleicht man zunächst mit dem blauen 20Gang-Trimmer im Bild oben den Offset der ganzen Schaltung genau auf Null ab, so dass das fünfstellige Multimeter also 0,0000V anzeigt. Und jetzt kommt der Witz mit der Kalibrierung: Nun schaltet man den rechten oberen Schalter auf "Kalibrieren AC+DC 2,5V" und damit werden 2,5V über das Tiefpassfilter ans Multimeter gelegt:

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Das soll der Baustein machen, der in der 8poligen Fassung rechts oben im Bild noch fehlt :-). Es ist ein MAX6225A und der hat 2,5V am Ausgang, und zwar mit einer Genauigkeit von +-0,02% (!). Damit kann man nun das Multimeter im DC-Bereich kalibrieren (innen im Multimeter gibt es einen Kalibriertrimmer), und wir haben das damit auf 0,02% Genauigkeit getrimmt. Dieser Baustein für die Referenzspannung ist allerdings gerade noch auf dem Weg zu mir.

Weiter geht's mit der AC-Messung. Die RMS-Rechnung macht der IC AD637, der das von Haus aus mit 0,1% Genauigkeit kann. Allerdings kann man den auf noch besser trimmen: Man sieht im Bild oben zwei Trimmpotis, das rechte wieder für den Offset, das linke für die Kalibrierung. Man steckt also das bereits auf 0,02% getrimmte Multimeter in den AC-Ausgang und macht auch hier zunächst den Offsetabgleich, stellt also den AC-Ausgang ohne Signal genau auf Null. Dann schaltet man wieder auf Kalibrieren, und dann wird die DC-Spannung an den RMS-Baustein gelegt, der AC wie DC messen kann. Nun gleicht man mit dem Kalibrierpoti die Spannung am Ausgang wieder genau auf 2,5000V ab und hat damit die AC-Messung auf die gleiche Genauigkeit getrimmt wie den DC-Ausgang, nämlich auf 0,02%.

Nun kommt der größte Toleranzbeitrag: Der Spannungsteiler von der Netzspannung runter auf 1:100. Dafür muss man ein bisschen in die Tasche greifen, aber dann kriegt man die Widerstände mit 0,02% Toleranz. Da man zwei Widerstände für einen Teiler braucht, addieren sich die beiden Toleranzen zu 0,04%. Zusammen mit den 0,02%, auf die das Multimeter kalibriert ist, sind wir bei 0,06% - nicht schlecht für einen schnellen Eigenbau, finde ich. Damit werde ich dann also erheblich weniger angelogen als vorher: Liegen genau 230V an, kriegt man einen Wert zwischen und 229,862 und 230,138V. Im worst case. Das gefällt mir schon viel besser.

Aber auch schon mit den 0,1%, die das Multimeter von Haus aus mitbringt im DC-Bereich, kann ich schon recht genau messen, solange der Referenzspannungs-IC noch unterwegs ist. Netzspannung durch 100 gerade hier in der Werkstatt:

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DC-Anteil:

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Frequenz:

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Viele Grüße
Gert
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musikgeniesser
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Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall

Beitrag von musikgeniesser »

Lieber Gert,
liebe Forenten,

abgefahren! Ideal für Menschen, die Zeit haben!

Oder:

Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall.

Für Hochsprachler: sin = sein (das kann man sich noch vorstellen), Uhl = Eule (da wird's schon schwieriger). Und so misst Du Spannungen, wo ich mir hab die Zähne zeigen lassen (viewtopic.php?f=5&t=10860#p173843).

Hast Du einen praktischen Nutzen vor Augen oder ist das -- wie im erwähnten Beispiel bei mir -- mehr die Freude an der Suche nach dem, was die Welt im innersten zusammenhält?

Tausend Dank für Euer Interesse

Peter
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo lieber Peter,
musikgeniesser hat geschrieben: 21.10.2019, 21:41 abgefahren! Ideal für Menschen, die Zeit haben!

Oder:

Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall.
nun, ich habe in meinem langen Arbeitsleben als Ingenieur schon so manches Mal von einem Kaufmann Unverständnis für mein Tun geerntet, was oft auf Gegenseitigkeit beruhte. Das ist hier offensichtlich nicht anders :mrgreen: .
musikgeniesser hat geschrieben: 21.10.2019, 21:41Und so misst Du Spannungen, wo ich mir hab die Zähne zeigen lassen (viewtopic.php?f=5&t=10860#p173843).
Bei den angesprochenen 9-Gang-Automaten, die ich persönlich gut kenne, liegt neben der beeindruckenden Mechanik ein großer Teil der Kunst in der Elektronik des Steuergeräts bzw. dessen Software.
musikgeniesser hat geschrieben: 21.10.2019, 21:41Hast Du einen praktischen Nutzen vor Augen oder ist das -- wie im erwähnten Beispiel bei mir -- mehr die Freude an der Suche nach dem, was die Welt im innersten zusammenhält?
Zunächst mal
musikgeniesser hat geschrieben: 21.10.2019, 21:41Ideal für Menschen, die Zeit haben!
Zeit sparen :cheers: . Du ahnst wahrscheinlich nicht, wieviele Multimeter der Profis jeden Tag mit der Post zu den Unternehmen oder Instituten unterwegs sind, die einen Kalibrierservice anbieten. Wenn man, egal was, messen möchte, muss man zunächst die Grenzen der Messapparatur kennen, um die Messung bewerten zu können. Nun dauert so ein Durchlauf durch einen Kalibrierservice in der Regel ca. 7 Arbeitstage. Mein Gerät war nach 1 Arbeitstag fertig. Ok, man kann auch, wie mir Hans-Martin in einer sehr netten PN schrieb, am Tag der offenen Tür zur PTB (Physikal Technischen Bundesanstalt) reisen und dort den Kalibrierservice in Anspruch nehmen. Gut, Tag der offenen Tür ist dort nicht immer, das kann also etwas dauern, bis man drankommt. Und wenn man mit der Bahn dorthin reist, kann es einem gehen wie dem netten Forumskollegen aus Wolfsburg, der mich letzten Freitag besuchen wollte und gar nicht ankam.

Zugegeben, die Messgenauigkeit bei Strom, Spannung und Widerständen bei der PTB liegt im ppm-Bereich, während ich mich über 0,06% freue, was 600ppm sind, aber für meine Zwecke ausreicht. Und ob ein Multimeter, das man bei einem Kalibrierservice hat vermessen lassen, am nächsten Tag oder wenn's wärmer wird draußen oder bei Vollmond oder bei Regen immer noch die gleiche Messgenauigkeit hat wie die, die beim Kalibrieren festgestellt wurde, weiß man nicht. Ich schon, denn ich kann das mit dem Umlegen meines Schalters auf "Kalibrieren" jeden Tag machen, wenn ich möchte.

Viele Grüße
Gert
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Die eigentliche Krux ist ja die Zahlengläubigkeit des Menschen. Ein Beispiel:

Gib jemandem ein Multimeter und ein Poti oder einen Trimmer z.B. einer Gleichspannung von 5V. Das Meßgerät zeigt nun 4.8 V an. Dann dreht der Mensch eben am Poti, kommt auf 4.998V ... nicht gut genug, also weiterdrehen ... 5.03V ... Mist ... uff, geschafft, jetzt sind es 5,00V. Das Audiogerät muss nun prima laufen :mrgreen:

Nicht berücksichtigt sind dann dabei die Toleranz des Multimeters (was zu diesem Topic geführt hat), wobei neben der Toleranz auch noch Angaben zu +-1 oder x digit dazugehören. Man kann also arg daneben liegen und glaubt alles perfekt gemacht zu haben.

Früher nahm man ein analoges Zeigerinstrument, drehte am Poti, schaute auf die Zeigerposition und ... gut war's. Bestenfalls hat man nochmal eine Referenzspannung verwendet, am Abgleich des Zeigers gedreht und danach eben gemessen. Man war sich bewusst dass es Toleranzen gibt.

Grüsse
Uli
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Uli,
uli.brueggemann hat geschrieben: 22.10.2019, 10:36 Die eigentliche Krux ist ja die Zahlengläubigkeit des Menschen.
ja genau. Wie Du sagst, wenn früher ein Analoginstrument irgendwas angezeigt hat, hat man nochmal vorsichtig an das Gerät geklopft, um den Zeiger in eine stabile Endlage zu bringen, und dann hat man mit Hilfe des Spiegels, der hinter der Zeigerebene war, mit einem geschlossenen Auge den Zeiger mit seinem Spiegelbild zur Deckung gebracht. Dann wurde der angezeigte Wert zwischen den beiden nächsten Skalenstrichen Pi mal Auge interpoliert. Da war jedem klar, dass man einen Messfehler hat, einen systematischen (die Genauigkeit des Instruments) und einen zufälligen, nämlich die eher zufällige Ablesegenauigkeit des Betrachters. Bei einem digital angezeigten Wert von 2,5000V ist man aber geneigt zu glauben, das seien dann genau 2,5V.

Aber nach Peters Vermutung, das alles würde ich nur machen, um mir die Langeweile zu vertreiben :) , möchte ich gerne zeigen, was man mit so einer selbst gemachten Alubüchse noch machen kann, außer die Netzspannung zu messen. Heute kam der Chip mit der 2,5V-Referenzspannung +-0,02%. Der nette UPS-Bote, der immer zu mir kommt, meinte grinsend mit Blick auf das Leichtgewicht in seiner Hand, heute mal was ganz Kleines. Er ist da nicht verwöhnt von unserem Haushalt, so muss er z. B. demnächst wieder die Winterräder für unseren Mercedes abladen. Der Chip mit der Referenzspannung steckt jetzt drin:

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Das Multimeter Voltcraft VC860 angeschlossen:

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Angegeben ist das Multimeter mit +-0,1% im 4V-DC-Bereich +5 Digits (danke für den Hinweis, Uli). Es liefert aber eine Anzeige von 2,4872V, das ist 0,512% zu wenig. Die plus fünf Digits hinten machen bei einem fünfstelligen Multimeter und einem Messwert von 2,5V +0,02% aus, halb so viel wie die Genauigkeit der Referenzspannung, das ist zu verschmerzen. Aber die 0,5% bedeuten zu deutsch: Das Ding lügt ungefähr fünfmal mehr als es sollte. Ok, die 0,1% sind natürlich die Anfangsgenauigkeit, wenn es neu ist, und das Multimeter hat schon viele Jahre auf dem Buckel. Ich öffne es und finde drei Trimmer, VR2, VR4 und VR6. Welcher ist denn jetzt der richtige für die Kalibrierung? Ich finde nach ein wenig Suche tatsächlich den Schaltplan im Internet. Es ist VR2, das blaue 25-Gang-Trimmpoti:

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Ich versorge das auseinandergebaute Gerät mit 9V aus einem Labornetzteil (weil der Batteriekasten im abgebauten Boden ist) und gleiche mit besagtem Trimmer die Anzeige ab:

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Wieder zusammengebaut, auf AC gesteckt und den RMS-Baustein ebenfalls abgeglichen:

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Jetzt aber mal alle antreten:

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Von links nach rechts, ein uraltes Metex, ein nur wenig jüngeres Voltcraft M-3650B, dann zwei Voltcraft VC265 jüngeren Datums und das eben kalibrierte Voltcraft VC860. Die beiden VC265 mit 2,5V Referenzspannung versorgt:

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Das eine zeigt 0,16% zu wenig, das andere 0,14%. Dafür, dass in den technischen Daten +-1% steht, ist das recht ordentlich. Dann das alte M-3650B:

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Es geht nur bis Anzeige 1999 in jedem Bereich, deshalb muss man in den 20V-Bereich gehen, um die 2,5V anzuzeigen. Der Wert stimmt, aber die Kommaanzeige ist defekt, und drei Stellen sind schlicht zu wenig.

Das gleiche Problem mit der nur dreistelligen Anzeige hat das Metex:

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Noch ein Multimeter finde ich in einer Schublade:

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Ebenfalls nur drei Stellen, aber für schnelle Messungen unterwegs ganz nett, gut geeignet für Elektriker. Sicher genauer als die übliche Elektrikermethode "Finger nass machen und dran an die Phase" (falls meine Kinder das lesen sollten, nicht nachmachen). Ich räume die letzten drei Geräte wieder weg, aber die beiden neueren VC265 verwende ich gerne im Hörraum mit einem Adapterkabel Banane -> XLR, um die Pegel von Audiogeräten bei 1kHz zu vergleichen, und ich habe zwei davon, weil Stereo zwei Kanäle hat, die man so gleichzeitig anzeigen kann. Ich mache mal eins davon auf, um zu sehen, ob es kalibrierbar ist:

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VR1 und VR2 sind gleich ein Volltreffer, der eine für DC, der andere für AC, alles auf der Platine beschriftet, sehr schön. Ich versuche den Abgleich und verzweifle dabei. Das winzige smd-Poti darf man kaum berühren, schon hat sich die Anzeige um 100mV verändert. Ich beschließe, die beiden Potis gegen 25-Gang-Präzisionstrimmer zu tauschen:

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Jetzt lässt sich das sauber abgleichen:

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Ich baue das zweite VC265 genauso um, kalibriere seinen 4V-DC-Bereich und mache einen kleinen Versuchsaufbau für den AC-Bereich:
  • Sinusgenerator an den externen Eingang meiner RMS-Büchse anschließen und auf 1kHz stellen
  • Das kalibrierte VC860 an den AC-Ausgang anschließen, um den genauen RMS-Wert des Generators zu sehen
  • Parallel zum Generator am externen Eingang werden die beiden VC265 angeschlossen und auf Volt AC gestellt
Dann versuche ich, am Sinusgenerator 2,5V einzustellen. Das gelingt aufgrund der digitalen Schritte und der Toleranz nicht ganz genau, aber immerhin:

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Interessanterweise kommen die 2,501V RMS dann raus, wenn man am Generator 2,451V RMS einstellt. Der hat also von Haus aus einen Amplitudenfehler von 2%. Die beiden VC265 wechseln jetzt zwischen 2,501V und 2,502V und sind damit bei 1kHz bestens kalibriert. Ein Test zeigt, dass sie dann bei 50Hz 0,5% zuviel anzeigen - egal, denn ich möchte sie bevorzugt bei 1kHz einsetzen.

So lassen sich mit relativ einfachen Mitteln Messgeräte selbst kalibrieren und ich weiß jetzt, wie weit ich meinen Spannungsmessgeräten trauen kann, sowohl bei Gleich- wie bei Wechselspannung.

Viele Grüße
Gert
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo Gert,

schöner Exkurs zum Thema Genauigkeit! Du hast ja meine Exkursion zur Kalibrierung meines BCVS (Billig-China-Vielfach-Schätzeisens) schon erzählt, da möchte ich noch eine Beobachtung hinzufügen.

Zuerst kam die Gleichspannungsmessung und der Vergleich von Soll- und Ist-Anzeige. Bei den meisten Instrumenten sind es Bereiche 2, 20, 200. Bei der Wechselspannungsanzeige war ich überrascht, dass ein kaum nennenswerter zusätzlicher Fehler gegenüber der DC hinzukam, die Abweichung fand ich nahezu bedeutungslos. Der Kalibrator lieferte 50 Hz.

Aber nun wurde es interessant, als ich fragte, wie denn das mit anderen Frequenzen aussehe. Gefragt, getan, die Frequenz wurde über den Audiobereich hinaus in Stufen verstellt, bis die Anzeige auf meinem Messgerät ... anstieg! Hatte ich noch vor 45 Jahren bei meinem ersten Zeigerinstrument die frequenzabhängige Variation des Zeigerausschlags in Form einer Grafik festgehalten, wo der Begriff Vielfach-Schätzeisen in jeder Beziehung auslegbar wurde (da half der Spiegelstreifen zur Vermeidung von Parallaxe/Ablesefehern auch nicht weiter), zeigte der Kalibrator auf, dass erst bei Annäherung an 100kHz bei meinem DVM die Anzeige zu wandern anfing.

Die Schlussfolgerung daraus kann eigentlich nur lauten: es gibt natürlich eine Gleichrichtung. Danach wird die auf einem Kondensator integrierte DC unter Berücksichtigung der Vorwärtsspannung der Halbleiterstrecken ausgewertet. Ein definierter Entladewiderstand schafft es bei höheren Frequenzen wohl nicht, den Kondensator angemessen zu entladen, die Zeitkonstante scheint auf 99,98% der Praxisfälle Messfrequenz abgestimmt, nicht aber perfekt auf die Anzeigewiederholrate.

Da ich nur ein BCVS in der Tasche hatte, fehlt der Vergleich mit einem anderen Vertreter der Gattung. Die Farbgebung Gelb/Grau erinnert stark an FLUKE. Allein die Farbgebung eines chinesische Vielfachschätzeisens könnte schon aufzeigen, dass der Plagiator sich evtl. am falschen Hersteller orientiert hat. :mrgreen:

Grüße
Hans-Martin

P.S.: für die Youngsters: DVM = DigitalVoltMeter
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cddumat
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Beitrag von cddumat »

Fortepianus hat geschrieben: 21.10.2019, 19:53 Nun kommt der größte Toleranzbeitrag: Der Spannungsteiler von der Netzspannung runter auf 1:100.
Auch wenn Dein Kasten ja praktisch schon fertig ist und Du den Hamon-Divider vermutlich kennst, vielleicht noch als kleine Anmerkung wie man einen dekadischen Spannungsteiler mit extrem guter Präzision auch mit weniger genauen Widerständen selbst aufbauen und abgleichen kann: http://conradhoffman.com/HamonResistor.html

Viele Grüße, Clemens
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Hans-Martin,
Hans-Martin hat geschrieben: 24.10.2019, 01:18Zuerst kam die Gleichspannungsmessung und der Vergleich von Soll- und Ist-Anzeige. Bei den meisten Instrumenten sind es Bereiche 2, 20, 200. Bei der Wechselspannungsanzeige war ich überrascht, dass ein kaum nennenswerter zusätzlicher Fehler gegenüber der DC hinzukam, die Abweichung fand ich nahezu bedeutungslos. Der Kalibrator lieferte 50 Hz.
das deckt sich mit meiner Beobachtung beim VC860. Als ich den Gleichspannungsbereich kalibriert hatte, war die Abweichung zwischen der sehr genauen Messung mit der RMS-Messkiste und dem direkt angeschlossenen Multimeter im AC-Bereich nur 0,2%.
Hans-Martin hat geschrieben: 24.10.2019, 01:18Aber nun wurde es interessant, als ich fragte, wie denn das mit anderen Frequenzen aussehe. Gefragt, getan, die Frequenz wurde über den Audiobereich hinaus in Stufen verstellt, bis die Anzeige auf meinem Messgerät ... anstieg! Hatte ich noch vor 45 Jahren bei meinem ersten Zeigerinstrument die frequenzabhängige Variation des Zeigerausschlags in Form einer Grafik festgehalten, wo der Begriff Vielfach-Schätzeisen in jeder Beziehung auslegbar wurde (da half der Spiegelstreifen zur Vermeidung von Parallaxe/Ablesefehern auch nicht weiter), zeigte der Kalibrator auf, dass erst bei Annäherung an 100kHz bei meinem DVM die Anzeige zu wandern anfing.
Das hängt natürlich von der genauen Beschaltung innen ab. Beim VC860 hat es für die echte RMS-Wert-Bestimmung einen Baustein namens AD737, das ist die Billigausführung des AD637, den ich in meiner Kiste verwende.
Hans-Martin hat geschrieben: 24.10.2019, 01:18Die Schlussfolgerung daraus kann eigentlich nur lauten: es gibt natürlich eine Gleichrichtung. Danach wird die auf einem Kondensator integrierte DC unter Berücksichtigung der Vorwärtsspannung der Halbleiterstrecken ausgewertet. Ein definierter Entladewiderstand schafft es bei höheren Frequenzen wohl nicht, den Kondensator angemessen zu entladen, die Zeitkonstante scheint auf 99,98% der Praxisfälle Messfrequenz abgestimmt, nicht aber perfekt auf die Anzeigewiederholrate.
Eine echte Effektivwertmessung geht nochmal ein bisschen anders, wie ein Blick in den Tietze-Schenk zeigt. Man muss dazu mit Analogrechnern quadrieren und logarithmieren, und das geht mit der geforderten Genauigkeit nur, wenn alle Bauteile auf einem Chip interiert sind. Der AD637 macht das jedenfalls ziemlich genau so, wie das im Tietze-Schenk vorgerechnet wird. Der Witz an der hier verwendeten Effektivwertschaltung ist, dass es ihr egal ist, welche Wellenform man reingibt. Das bedeutet, dass sie den Effektivwert einer sinusförmigen Wechselspannung genauso präzise ausgibt wie den Effektivwert einer Gleichspannung, der natürlich definitionsgemäß genau gleich ist wie der Wert der Gleichspannung. So kann ich mit Gleichspannung den RMS-Baustein kalibrieren.

Hallo Clemens,
cddumat hat geschrieben: 24.10.2019, 10:05
Fortepianus hat geschrieben: 21.10.2019, 19:53
Nun kommt der größte Toleranzbeitrag: Der Spannungsteiler von der Netzspannung runter auf 1:100.
Auch wenn Dein Kasten ja praktisch schon fertig ist und Du den Hamon-Divider vermutlich kennst, vielleicht noch als kleine Anmerkung wie man einen dekadischen Spannungsteiler mit extrem guter Präzision auch mit weniger genauen Widerständen selbst aufbauen und abgleichen kann: http://conradhoffman.com/HamonResistor.html
danke für den Tipp! In der Tat mache ich das so ähnlich auch, aber natürlich nicht abgleichbar, sondern mit entsprechend genauen Widerständen. Mit was sollte ich denn abgleichen? Die Kiste hier ist das genaueste, was ich habe. Allerdings musste ich eh gerade was beim Digikey bestellen und habe mir die entscheidenden Widerstände jetzt in 0,01%-Ausführung gegönnt, so wie diesen hier:

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Die kamen heute an und sind bereits drin. Ok, das ist jetzt wirklich nur noch für's gute Gefühl, aber ich weiß jetzt, dass die Wechselspannungsmessung am Stromnetz damit verdammt genau ist. Zur Anwendung, die ich eigentlich im Hinterkopf hatte, als ich die Kiste gebaut habe, geht's hier.

Viele Grüße
Gert
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cddumat
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Beitrag von cddumat »

Fortepianus hat geschrieben: 24.10.2019, 13:02 danke für den Tipp! In der Tat mache ich das so ähnlich auch, aber natürlich nicht abgleichbar, sondern mit entsprechend genauen Widerständen. Mit was sollte ich denn abgleichen? Die Kiste hier ist das genaueste, was ich habe.
Das clevere an dem Hamon Teiler ist ja, dass nichts absolut, sondern nur zwei Widerstände auf Gleichheit abgeglichen werden müssen, um einen präzisen dekadischen Teiler zu erhalten. Und das ist ja recht einfach, z.B. in einer Wheatstone- oder Thomson-Brücke und einem Millivoltmeter, oder einfach mit einem Voltmeter und abwechselnder (hochauflösender aber nicht unbedingt genauer) Messung der über als Spannungsteiler geschalteten Widerstände abfallenden Spannung, die dann eben gleich sein muss, absoluter Wert wieder egal, nur zwischen den Messungen sollte er nicht driften .

So sind dann Genauigkeiten erreichbar, die im ppm Bereich liegen, und das auch ohne sonderlich teures Equipment. Temperaturdrift macht das meist ohne weiteren Abgleich wieder kaputt, und auch Thermospannungen können dann relevant werden.

Für den vorliegenden Anwendungsfall sind die 0,01% aber sicher mehr als genau genug. :)

Viele Grüße, Clemens
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phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

Hallo Gert

Wie bedienungssicher ist das Gerätchen eigentlich ? Ich sehe zwar, dass du die Netzsteckerpolung checkst. Aber eine Bananenbuchse, welche direkt an einem Spannungsteiler hängt, der selber nicht galvanisch vom Netz getrennt ist, ist nicht so harmlos.

Gruss

Charles
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Charles,
phase_accurate hat geschrieben: 25.10.2019, 08:18 Wie bedienungssicher ist das Gerätchen eigentlich ? Ich sehe zwar, dass du die Netzsteckerpolung checkst. Aber eine Bananenbuchse, welche direkt an einem Spannungsteiler hängt, der selber nicht galvanisch vom Netz getrennt ist, ist nicht so harmlos.
um meine Gesundheit mach Dir keine Sorgen :) . Erst, wenn Phase am richtigen Pol detektiert wurde, wird über ein Relais die interne Masse vom Schutzleiter (wird zur Detektion benötigt) auf den Nullleiter umgeschaltet. So kann die Phase nicht an die Buchsen gelangen, wenn der Stecker falsch drin steckt.

Viele Grüße
Gert
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h0e
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Beitrag von h0e »

Hallo Charles,

das Gerät ist ja auch nicht für die Benutzung durch Laien gedacht, sonder für Dr. G himself. :mrgreen:
Insofern ist Hinweis für DIYler sicher richtig.

Grüsse Jürgen
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Ralph Berres
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Beitrag von Ralph Berres »

Es gibt von Hewlett Packard und von Fluke wunderschöne 8,5stellige Multimeter, welche sicherlich was Genauigkeit und Stabilität betrifft dem Forenteilnehmer Fortepianus gerade so gerecht werden könnte. Voraussetzung ist natürlich das das Gerät jedes Jahr von einen zertifizierten Kalibrierlabor, oder noch besser, vom PTB direkt kalibriert werden.

Aber mal im Ernst. Was bringt es, wenn man die Netzwechselspannung auf 0,1% genau kennt? Das eigene Gewissen was man beruhigt?

Nur so am Rande, vielleicht würde ja ein HP 34401 ausreichen. Das ist gebraucht immer noch halbwegs erschwinglich und auch erstaunlich langzeitstabil, wie eine Kalibrierung eines unserer HP 34401 nach knapp 15 Jahren Betriebszeit ergab.

Ralph Berres
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