Trinaurales Hören

KSTR
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Beitrag von KSTR »

uli.brueggemann hat geschrieben:Die ganze Betrachtung gilt hier für eindeutig zugeordneten Signalen/Frequenzen. Wie es denn aussieht, wenn ein Phantomsignal durch Pegel- und Laufzeitdifferenzen entsteht und das dann nun trinaural gerechnet wird, kann ja gern der Nächste eruieren :-)
Mir war so, als häbe ich das vor Jahren mal hier(?) getan. Das sich durch Überlagerung ergebende Vektorfeld in Kopfnähe ist bei Tri etwas größer und homogener bei tiefen und mittleren Frequenzen, bei hohen jedoch zerfällt es stärker diffus als Stereo, weil aus jedem Quellpuls halt ein Triplett wird statt ein Doublet, an jedem Ohr für sich und jeweils kopfpositionsabhängig modulierend. Bei bestimmten Panposition haben wir zudem eine Reduktion um genau einen LS, also 2 statt 3 bzw 1 statt 2, und bei Stereo sind das die oft einzeln vorkommenden "100%"-Aussensignale (also hart L oder R), bei Tri die "50%"-Aussensignale, die wesentlich seltener Plätze im Mix belegen. Mir gefällt das Vertauschen der Real- und Phantomquellenabstrahlungen bei Tri schon sehr gut, also (fast) reale Mitte und virtuelle Aussen, das passt auch besser zum Lokalisationschärfebereich ggü Einfallswinkel unserer Ohren. ("fast", weil L und R bei einem Mittensignal immer noch mit jeweils -6dB eine Kopie senden).

Haben wir Quell-Signale mit Laufzeitdifferenzen, verdoppelt sich halt alles, für jeden Einzelpuls der Schallquelle gibt es dann zwei gepannte Pulse im Quelltonträger, die man einzeln wie oben betrachten kann. Die Besonderheit liegt aber darin, das Laufzeitsignale bei Stereo keine Mischung in den LS-Signalen erleben, während bei Tri ja die Kanäle anteilig mischen. Das ergibt dann leichte bis ausgeprägte Kammfiltereffekte in den Signalen der einzelnen LS. Am Kopf "entmischt" sich das ganze wieder für tiefe und mittlere Frequenzen, für höhere aber nicht.

Meine Arbeitshypothese ist nun, dass diese verbleibenden Kammfiltereffekte durch das Mischen der Quellkanäle in den LS-Signalen dann verschiedene Schalleinfallswinkel simulieren (bzw. dem Ohr helfen, sich welche dazu "auszudenken") -- auch für noch zu reflekierenden Diffus-Schall --, was den Klang von Laufzeitstereo-Anteilen und Stereo-Hallfahnen etc. im Mix so groß und räumlich macht und auch irgendwie unabhängiger vom Hörraum.

Sei dem auch wie, ich fand bei meinen Versuchen ebenso wie Harald (schön beschrieben übrigens, deine Experimente), dass man mit dem Gewichtungsfaktor spielen muss um eine ausgewogene Bühnendarstellung zu erhalten bei gleichzeitig möglichst großen Sweetspot. MilesTech macht das bei Trisonic so:

L' = L - kR
R' = R - kL
C = (1-k)(L+R)

k=0.5 wäre Tri, k=1 das reine S-signal von M/S, und k=0 wäre "Stereo mit zusätzlichem Mono-Center". Die Extremstellungen sind also wenig brauchbar, aber so zw. 0.3 und 0.7 kann schön die "Breite/Wölbung" der Bühne einstellen. Den Faktor kann man gar frequenzabhängig machen (á la Michael Gerzon) und damit eine Feinabstimming der empfundenen Größe/Positionierung und vor allem der "Vertikalität" der Phantomquellen vornehmen ...

Dennoch funktionierte für mich "hartes Tri" schon auf Anhieb sehr gut wenn man die 45°-Winkel der Aussenachsen und die Kreisform sauber einhält deren Mitte sich knapp vor dem Kopf befinden sollte, und stark bündelnde LS nimmt (dann funktioniert das Trading besser). Etwas breiter und leicht gebläht in der Mitte wird's schon als Stereo, ich empfinde das aber selten als falsch oder unangenehm, auch wenn es Aufnahmen entlarvt wo der Toni bockelhart nur drei verschiedene Pans verwendet für alle Signale, hart L, hart R und genau in der Mitte, am besten auf einem Digitalpult mit 0% Toleranzen. Tri macht deutlich wieviel Platz da eigentlich gewesen wäre, schon bei Pegelstereo ...
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Andreas Gernemann hat dazu einen Artikel http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/a ... sation.pdf, in dem er 3 Lautsprecher 2 gegenüberstellt und Laufzeit wie Pegelunterschiede darstellt. Bei den Laufzeiten ergeben sich deutlich mehr Unlinearitäten.

Auf seiner Seite findet man mehr Artikel, auch zum Thema 3 Mikrofone.

Grüße Hans-Martin
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Kein schlechter Aufsatz, er behandelt jedoch *nicht* die Verhältnisse bei der Trinaural-Matrizierung (erkennbar an Tabelle 2), von daher sind die Ergebniss nicht übertragbar.

Wobei, ein halber Fall aus der Tabelle kommt auch bei Trinaural vor, nämlich der mittlere (50% zur Seite, reine Pegelunterschiede).
Hat ein Quellsignal die Stereo-Mischung R=0.5L (Pan "halb links"), dann ergibt sich:
L' = L-0.5R = L-0.25L = 0.75L
C = (L + R)/2 = (L+0.5L)/2 = 0.75L
R' = R - 0.5L = 0.5L - 0.5L = 0 !
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nihil.sine.causa
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Beitrag von nihil.sine.causa »

Hallo Hans-Martin, Uli und Klaus,

vielen Dank für Eure Beiträge. Das Thema ist insgesamt sehr interessant und vielschichtig.

Zu Deiner Frage, Hans-Martin, wie die LS stehen: Meine Stereo-Hördreieck ist nahezu gleichseitig. Die Stereo-LS wie auch der Center sind alle gleich weit vom Hörplatz entfernt. Der Center besteht aus einer um 90° gedrehten alten BM 6. Die Stereo-LS dagegen sind AGM 5.4. Das macht einen deutlichen Qualitätsunterschied zwischen den LS. Der der Center erzeugt ein etwas holzschnittartig-grobes Klangbild, wenn ich es mit den Stereo-LS vergleiche. Über das Abstrahlverhalten der LS kann ich nichts sagen. Klar ist, ich habe die Aufstellung nicht auf Trinaural-Belange ausgerichtet.

Dein Rechenbeispiel, Uli, ist sehr anschaulich und auch die Konsequenz ist klar geworden:
uli.brueggemann hat geschrieben:Aus der Phantommitte wird eine stabile Mitte, aus der stabilen Seite wird eine Phantomseite.
Ich habe darauf hin eine Aufnahme konvertiert, die sehr deutliche Phantomquellen auf den Seiten macht: Loussier - Vivace aus dem Konzert in c-Moll. Trommeln die sehr weit links und rechts verortet sind. Bei dieser Aufnahme funktioniert Trinaural MS überhaupt nicht. Die links-rechts Illusion bricht zusammen.

Dagegen klingen andere Stücke, die ich vorher getestet hatte, wie z.B. Pollinis Sturmsonate, 2 Satz (wir hatten dieses Stück beim Forumstreffen) sehr schön räumlich mit TrinauralMS.

Es hängt also sehr stark von der Aufnahme ab. Meine Beispielstücke, die ich zufällig gegriffen hatte, sind offenbar weniger empfindlich gegen die "Phantomisierung der Seiten".

Vergleichen wir nochmals die verschiedenen Konfigurationen. Ich verwende dabei die üblichen Definitionen M := L + R und S := L – R (das unterscheidet sich um den Faktor 0,5 von der in meinem letzten Beitrag verwendeten Formeln).

Stereo – „Stabile Seiten - Phantommitte“
  • Kanal 1 "links" : L
  • Kanal 2 "rechts": R
  • Kanal 3 "center": 0
TrinauralMS – „Stabile Mitte - Phantomseiten“
  • Kanal 1 "links" : 0,5 S = 0,5 (L - R)
  • Kanal 2 "rechts": - 0,5 S = 0,5 (R - L)
  • Kanal 3 "center": 0,5 M = 0,5 (L + R)
Bringen wir die klassische Trinaural-Formel in die folgende Schreibweise:

Trinaural
  • Kanal 1 "links" : L – 0,5 R = 0,5 L + 0,5 S
  • Kanal 2 "rechts": R – 0,5 L = 0,5 R – 0,5 S
  • Kanal 3 "Center": 0,5 (L + R) = 0,5 M
Das bedeutet, dass sich die klassische Trinaural-Situation durch eine 1:1 Überlagerung der Extrema Stereo und TrinauralMS ergibt. Die Überlagerung ist kanalweise, z.B.
0,5 Kanal1 (Stereo) + Kanal1 (TrinauralMS) = Kanal1 (Trinaural)

Deine Formeln mit dem k-Faktor, Klaus, lassen sich in eine ähnliche Form bringen.

Trinaural, k-Formel, 0 <= k <= 1
  • Kanal 1 "links" : L – k R = (1-k) L + k S
  • Kanal 2 "rechts": R – k L = (1-k) R – k S
  • Kanal 3 "Center": (1-k) (L + R) = (1-k) M
Hier wird es etwas schwieriger, weil der Center-Anteil „asymmetrisch“ (Faktor 1-k) zu den Seitenanteilen (Faktor k) behandelt wird. Dennoch helfen vielleicht auch hier die bei den o.g. Extrema festgemachten Effekte zur Erklärung. Vergleichen wir die Veränderungen zur „klassischen“ Trinauralsituation (k = 0,5):

Für k < 0,5 verstärkt sich der Mono-Center-Anteil. Gleichzeitig wird die Phantommitte verstärkt und die „Phantonmisierung“ der Seiten verringert.

Für k > 0,5 verringert sich der Mono-Center-Anteil. Gleichzeitig wird die Phantommitte verringert und die „Phantomisierung“ der Seiten verstärkt.

Viele Grüße
Harald
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

nihil.sine.causa hat geschrieben:Der Center besteht aus einer um 90° gedrehten alten BM 6. Die Stereo-LS dagegen sind AGM 5.4. Das macht einen deutlichen Qualitätsunterschied zwischen den LS. Der der Center erzeugt ein etwas holzschnittartig-grobes Klangbild, wenn ich es mit den Stereo-LS vergleiche.
Achtung Fallstrick: Wenn das Phasenverhalten (also die Weichenauslegung) nicht gleich ist, wird es immer schwierig mit Tri&Konsorten.

Sprich, nur dann (und *nur* dann), wenn du mit den beiden *verschiedenen* Boxen genauso auch Stereo hören könntest ohne jegliche Einbussen, geht es auch mit Tri. So "gleich" müssen sie dann ebenso sein, obwohl man gelegentlich liest es täten "ähnliche" Boxen auch reichen. Das ist falsch, es gilt der gleiche strenge Maßstab wie bei Stereo bzgl Matching der LS, nur das es sich nicht ganz so finster falsch anhört wenn es nicht stimmt.

Du hast mit dem Comvolver VST natürlich das ideale Setup um eine ggf notwendige Amplituden- und vor allem Phasenkorrektur vorzunehmen, aber ich habe jetzt nichts gelesen dass du das (mit Acourate oder dergl.) auch gemacht hast, bzw überprüft hast (per Messung), ob es notwendig ist ... mit Glück haben die LS annähernd gleiche Trennfrequenzen und vor allem gleiche akustische Filterordnungen, dann kann man die Korrektur auf "gleich" idR weglassen, sonst nicht.
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

KSTR hat geschrieben:... mit Glück haben die LS annähernd gleiche Trennfrequenzen und vor allem gleiche akustische Filterordnungen, dann kann man die Korrektur auf "gleich" idR weglassen, sonst nicht.
Klaus,
das erinnert mich doch irgendwie an einen Test, wo man mir mal zum Test einen 2-Wegerich auf der einen Seite und einen 3-Wegerich auf der anderen Seite vorgesetzt hat :mrgreen:

:cheers:
Uli
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nihil.sine.causa
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Beitrag von nihil.sine.causa »

Hallo Klaus,
KSTR hat geschrieben:
nihil.sine.causa hat geschrieben:Der Center besteht aus einer um 90° gedrehten alten BM 6. Die Stereo-LS dagegen sind AGM 5.4. Das macht einen deutlichen Qualitätsunterschied zwischen den LS. Der der Center erzeugt ein etwas holzschnittartig-grobes Klangbild, wenn ich es mit den Stereo-LS vergleiche.
Achtung Fallstrick: Wenn das Phasenverhalten (also die Weichenauslegung) nicht gleich ist, wird es immer schwierig mit Tri&Konsorten.

Sprich, nur dann (und *nur* dann), wenn du mit den beiden *verschiedenen* Boxen genauso auch Stereo hören könntest ohne jegliche Einbussen, geht es auch mit Tri. So "gleich" müssen sie dann ebenso sein, obwohl man gelegentlich liest es täten "ähnliche" Boxen auch reichen. Das ist falsch, es gilt der gleiche strenge Maßstab wie bei Stereo bzgl Matching der LS, nur das es sich nicht ganz so finster falsch anhört wenn es nicht stimmt.
Danke für diesen Hinweis. Mir ist der Kompromiss, den ich im Moment eingehe aber durchaus klar. Selbst wenn ich die Phase korrigiere - was ich durchaus schon getestet habe - bleibt die unterschiedliche Klangsignatur zwischen den verschiedenen Lautsprechern. Die Feinheiten kann mein Center momentan nicht so auflösen, wie ich das von den Stereo-LS gewohnt bin. Dies gilt nicht "nur" für Trinaural sondern vor allem auch für Mehrkanal 3.x und 5.x, wenn der Center entsprechend ins Spiel kommt. Daher ist mein Plan, mittelfristig einen adäquaten Center einzusetzen.

Beste Grüße
Harald
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