Pro & Contra FIR-Bassentzerrung

wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Klaus,
fftransformation hat geschrieben:... Das ist insofern ein prinzipielles Dilemma, als dass man steile -- oder vielmehr "scharfkantige" -- Filter (auch normale minimalphasige) eigentlich da nicht gut einsetzen kann wo man sie am meisten bräuchte, nämlich dann wenn Chassis weit auseinanderliegen ...
Bedeutet das auch, dass man z.B. bei einer Hochtontrennung um 3,5 kHz, mit Membranzentrumsabstand von ca. 8 cm (eine 38 mm Kalotte und ein 25x35 mm AMT übereinander), mit FIR Filtern niederer Steilheit (sagen wir FIR 24 db/Okt.) das "off-axis" Preringing gegenüber höherer Steilheit (sagen wir FIR 96 dB/Okt.) vermindern kann? Oder ist das eher egal und man sollte FIR Filter an dieser Stelle überhaupt vermeiden? Falls ja, welche Filter sind da dann angeraten?

Danke und Gruß,
Winfried

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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Hallo Winfried,

Das Problem liegt mehr in der Scharfkantigkeit, also wie schnell die Flankensteilheit erricht wird. Ein NT1-Filter hat unendliche Flankensteilheit, aber erreicht diese mit einem sehr gutmütigen, eher langsamen Verlauf, also mit einer eher gemütlichen Krümmung.

Wichtig ist ebenso eine möglichst gleiche Richtcharakteristik der Treiber im Trennbereich. In deinem Beispiel wäre das gut gegeben. Ist das nicht der Fall, cancelt sich das off-axis-ringing noch weniger als eh schon (dann nämlich in jeder Richtung nicht), der breiter strahlende Treiber -- damit off-axis lautere -- knallt dann sein Ringing voll raus.

Bei hoher Trennung (also 4kHz++ oder so) spielt ein Gesamtphasengang hörtechnisch eine vergleichsweise geringe Rolle, finde ich. Wichtiger ist dann eher ob die Filter (akustisch) die gleiche Phase haben (phasensynchron auf +-10° oder so, mindestens bis etwa -20dB links und rechts der TF), auch wegen der Abstrahlung (Hauptkeule sauber nach vorne), aber nicht nur (zB weil das idR auch das Klirr-Optimum ergibt).
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Vielen Dank Klaus,

mit der Antwort kann ich was anfangen! Und dazu dann noch die gute Nachricht, dass ausgerechnet beim (abstands- und interferenz)kritischen 3,5 kHz Übergang der Kalotte zum AMT, zumindest erstmal theoretisch, kaum Ringingprobleme durch die FIR die Trennung auftreten sollten. Ich plane da 48 - 96 dB/Okt. zu testen, neige aber vorab zum flacheren Filter, weil beide Treiber nicht nahe an ihren "Problemzonen" getrennt werden.

Wie stelle ich eigentlich fest welchen Filtertyp meine DEQX Weiche verwendet? In den Specs ist dazu nichts gesagt, aber in den Diagrammen hatte ich den Eindruck, dass sie im Übergangsbereich nicht "scharf" abknicken.

Beste Grüße,
Winfried

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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

wgh52 hat geschrieben: Wie stelle ich eigentlich fest welchen Filtertyp meine DEQX Weiche verwendet? In den Specs ist dazu nichts gesagt, aber in den Diagrammen hatte ich den Eindruck, dass sie im Übergangsbereich nicht "scharf" abknicken.
Winfried,

mach eine Schleife vom Ausgang der Soundkarte zum Eingang. Hänge das DEQX dazwichen. Nimm mit Acourate einen Logsweep auf und schau Dir den sich ergebenden Frequenzgang an.

Grüsse
Uli
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Uli,

das werde ich siche machen, aber momentan ist der DEQX wegen "Repassivierung" der B&Ws auf "Durchzug" programmiert. Ich mach das dann mit den BM-11 Filtern.

Ulli wies mich gerade darauf hin, dass im DEQX White Paper "Linear-phase zero-distortion digital crossovers" steht. Ist das genügend spezifisch um die FIR Filterart zu identifizieren? Ich dachte bisher da gäbe es einige bis viele Topologien...

Gruß,
Winfried

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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Uli,
uli.brueggemann hat geschrieben:mach eine Schleife vom Ausgang der Soundkarte zum Eingang. Hänge das DEQX dazwichen. Nimm mit Acourate einen Logsweep auf ...
Ulli war so freundlich diese Sache "mal schnell" zu machen, danke dafür! Ich habe Dir die *.dbl Dateien per eMail geschickt, weil ich zwar die unterschiedlichen Filtercharakteristiken erkennen kann (BW, LR u. FIR sind ja leicht zu unterscheiden), aber nicht daraus interpretieren kann welche Art von FIR Filter da implementiert wurde. Möglicherweise kannst Du das ja herausfinden, das wäre interessant!

Danke im Voraus,
Winfried

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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Uli hat sich meiner Frage zu DEQX FIR Filtern angenommen, die aufgenommenen Sweeps mit Acourate nachsimuliert und untersucht.

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Nun, was kann ich sagen... Es sind richtige FIR Filter mit linearer Phase und exakter Summenbildung. Die Sperrdämpfung scheint nicht so hoch wie bei Ulis Acourate Filtern, ist aber mit um die 90 dB praxisgemäss gut.

Uli sagte was von einem "sinc" filter, wovon ich nicht so richtig verstanden habe, ob das den eigentlichen Filtertyp bezeichnet, aber vielleicht sagt uns Uli ja noch etwas dazu.

Danke für die Arbeit Ulli und Uli!

Gruß,
Winfried

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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

wgh52 hat geschrieben:Uli sagte was von einem "sinc" filter, wovon ich nicht so richtig verstanden habe, ob das den eigentlichen Filtertyp bezeichnet, aber vielleicht sagt uns Uli ja noch etwas dazu.
Ein sinc-Filter ist ein ideales linearphasiges Tiefpassfilter, welches mit einer maximalen Steilheit alle Frequenzen oberhalb einer vorgegebenen Grenzfrequenz wegfiltert. Der Frequenzgang wird praktisch abgeschnitten, deshalb verwendet man auch den Begriff Rechteck-Filter.
Die sinc-Funktion entspricht der Definition sinc(x) = sin(x)/x [wobei sinc(0)=1 definiert ist]
Weiteres zu sinc-Filtern siehe hier

Der Nachteil des sinc-Filters ist, dass es unendlich lang ist. Es bedarf mit gegebenen linearphasigen Eigenschaft einer (unendlich) langen Einschwing- und Ausschwingzeit, ist also technisch so nicht zu gebrauchen. Man behilft sich durch ein Abschneiden des Filters, üblicherweise durch eine Fensterung. Durch die Art des gewählten Fensters kann man eine spezielle Gewichtung vornehmen, z.B. alle Samples ausserhalb eines Abstandes zur Pulsmitte mit 0 multiplizieren.

Ich zeig das mal am Beispiel des DEQX-Filters:

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Der lange sinc-Puls (rote Kurve, 65536 Samples) mit dem Rechteckverhalten im Frequenzgang wird hier mit einem Blackman Exact Fenster (grüne Kurve) der Breite 272 Samples multipliziert. Man sieht, dass links und rechts davon das Ergebnis (blaue Kurve) = 0 ist. Entlang des Blackman-Fensters wird mit der jeweiligen Fensteramplitude gewichtet, in der Mitte ist der Faktor = 1 (zur besseren Darstellung hier maßstäblich verkleinert). Die blaue Kurve lässt sich so als Filter der Länge 272 Samples verwenden (die Nullen werden einfach weggelassen). Der zugehörige Frequenzgang entspricht dem ermittelten Filter des DEQX.

Grüsse
Uli
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Uli,

danke vielmals für die ausführliche (Er)Klärung. Ich glaube im letzten Bild ist das sogenannte 300 dB Filter gezeigt. Ich habe bei der N804 Aktivierung das 96 dB sinc Filter benutzt.
Ich wäre noch interessiert, wie bei diesen Filtern das Pre-Ringing (in der Sprunganwort zu sehen, richtig?) aussehen würde.

Gruß,
Winfried

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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Es ist das 96 dB Filter dargestellt.
Die Sprungantwort:

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Grüsse
Uli
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fftransformation
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Beitrag von fftransformation »

KSTR hat geschrieben:Wenn die Chassis sehr dicht beieinander sind (oder eben koaxial angeordnet), ergibt sich sehr wenig Laufzeitunterschied im Übergangsbereich auch bei Abstrahlung ausserhalb der Hörachse (zB auf 30° vertikal). Dadurch addieren sich die beide Wege fast immer noch perfekt und nur wenig vom Ringing kommt durch.
Mercy, jetzt ist es klar, den Sprung von Samples verschieben und Chassisabstand habe ich nicht geschafft. :)

Um aber zu ursprünglichen Thema zurückzukommen, ist doch gerade der Korrektur mit FIR-Filtern durch Preringing extrem Grenzen gesetzt, denn da hat man ja keine Auslöschung wie bei einem Filterzweig (Hoch Tiefpassübergang).
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Da darf man jetzt nicht das Preringing eines "Schulbuch"-FIR-Filters (Low-Cut) und das einer aus dem Ruder laufenden Excessphasenkorrektur verwechseln. Welches meinst du hier?

Das kurze Anschwingen eines linearphasigen Roll-Offs eines nicht zu drastischen FIR-Lowcuts ist human und eher, wenn überhaupt, als Rauschfahne hörbar, während ein 2 Sekunden lang anschwellendes Ringing einer zu brutalen "Raumkorrektur" leider heraussticht, selbst wenn es leise und tief ist.
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fftransformation
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Beitrag von fftransformation »

KSTR hat geschrieben:Welches meinst du hier?
Tja eigentlich beide, aber es klingt einleuchtend, dass man zur Entzerrung wohl eher nicht so steile Filter einsetzt. :) Trotzdem könnte es ab und an vorkommen, dass man 12dB Überhöhung recht schmalbandig kompensieren müsste.

Ganz anders, gehe ich von der Phasenlage eines am Abhörplatz gemessenen Signals aus, da rollt die Phase 100mal durch, ich glaube, da würden eher solche Filter zum Einsatz kommen, allerdings kann ich nicht abschätzen wie "heftig" das die Phase gedreht werden muss.

Anbei ein Bild was ich meine:

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KSTR
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Beitrag von KSTR »

fftransformation hat geschrieben:Anbei ein Bild was ich meine:
Hier ist offenbar eine Totzeit dominant... nämlich die Laufzeit bis zum Mikrofon, die nicht rausgerechnet wurde in der Darstellung (weil sie eh irrelevant ist). Der tatsächliche Phasengang liegt unter dem allgemeinen Wegrollen komplett begraben. Das sähe man auch gut wenn die Darstellung eine lineare Frequenzachse hätte und ausserdem nicht die 360° wrap-arounds... da sieht man die Totzeit als ziemlich saubere Gerade mit fast konstanter Steigung (und die Steigung ist eben die Totzeit).

Das ist ein Problem das fast jede Software hat (also dass die Totzeit nicht automatisch oder halbautomatisch eliminiert wird)... ausser einer, die deswegen auch mein Mittel der Wahl ist und zudem Freeware: HolmImpulse
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fftransformation
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Beitrag von fftransformation »

Ohje, ich merke gerade dass ich absolut kein Plan habe, wie die Phase aufgenommen wird und ob daraus die Gruppenlaufzeit berechnet wird usw.
Blos hat dies absolut nix mit dem Thema hier zu tun, soll ich mal ein neues Thema aufmachen, wo zB: Messen und seine Tücken?
Oder hast du schon die Nase voll von meinen Fragerreien? :?
Ich könnte es es verstehen...
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