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"Raum"korrektur für Kopfhörer!?

Verfasst: 13.02.2020, 00:29
von frankl
Hallo Forenten,

kürzlich habe ich hier über ein Kopfhörer-Setup berichtet, das ich mir zugelegt habe.

Nachdem ich mit der Hardware- und Abspielprogramm-Konfiguration einigermaßen zufrieden war, stellte ich mir die Frage, was sich bei einem Kopfhörer mit Falten des Signals so machen lässt.

In meiner Lautsprecher-Anlage nutze ich drei Arten von Filtern: Raum-/Systemkorrektur, Race (um das Übersprechen links-rechts zu verringern) und LoCo.

Im Web konnte ich zu diesen Themen im Zusammenhang mit Kopfhörern nichts finden. Vielleicht sind mir nicht die richtigen Suchbegriffe eingefallen und einige von Euch haben hierzu noch Tipps.

Race: Dies soll die "Kanaltrennung" verbessern, da bei Lautsprecherwiedergabe das linke Ohr ja auch die Töne aus dem rechten Lautsprecher (etwas später als das rechte Ohr) hört, und umgekehrt. Bei Race wird (rekursiv) das Signal des rechten Kanal invertiert, leiser und verzögert auf den linken Kanal addiert, und umgekehrt. Bei Kopfhörerwiedergabe tritt das Problem so gut wie gar nicht auf, jedes Ohr hört nur seinen Kanal. Dies führt aber dann machmal umgekehrt zu einer so starken Kanaltrennung, dass das Klangbild unzusammenhängend und anstrengend ist. Deshalb habe ich ein "Anti"-Race ausprobiert, wie oben, aber ohne Invertieren. Bei manchen Aufnahmen ist das ein angenehmer Effekt, der gesamte Klang wird räumlicher und rückt etwas nach vorne aus dem Kopf heraus. Andererseits verliert man auch etwas Präzision. Ob das gut oder schlecht ist, hängt sehr von der individuellen Aufnahme ab.

"Raum"-Korrektur: Ich habe einiges über Messung von Kopfhörern gefunden; da ist dann die Rede von genormten Kunstköpfen und Mikrofonkapseln in Ohrkanälen. Das scheint mir aber nicht zu sein, was ich gesucht habe. Wenn ich eine Raumkorrektur bei Lautsprecherwiedergabe machen möchte, benutze ich auch keinen Kunstkopf mir eingebauten Mikros, sondern ich versuche die Impulsantwort direkt vor dem Ohr möglich zu perfektionieren. Die AKG K812pro Kopfhörer, die ich angeschafft habe, sind offene Kopfhörer, der Aufbau ist hauptsächlich ein Abstandhalter für die eigentlichen Lautsprecher im Hörer um das Ohr herum und begrenzt damit auch einen gewissen "Raum" um das Ohr. Ich habe mir dann überlegt, wie ich in dieser Situation eine sinnvolle Messung für die Korrektur der Impulsantwort machen könnte. Ich habe das dann so gemacht, dass ich das Messmikro (mein ECM8000) am Kieferknochen entlang durch die kleine Lücke am Ohr in die Ohrmuschel ca. 1 cm vor den Gehörgang schiebe und so festhalte. Dann spiele ich einen Logsweep in erträglicher Lautstärke und berechne dazu die Impulsantwort, für die ich dann (mit DRC) einen Korrekturfilter ausrechne.

Und wie klingt das? Ich muss sagen, dass das Ergebnis auf Anhieb sehr überzeugend war, die Wiedergabe gewinnt erheblich an Präzision, so wie ich mir das wünsche. Nach meinem Erstversuch habe ich das Verfahren noch ein bisschen weiter optimiert, indem ich leicht unterschiedliche Kopfhörereinstellungen und Mikrofonstellungen ausprobiert habe.

Ich habe nirgends Berichte gefunden, dass jemand etwas ähliches probiert hätte (höchstens mal etwas mit Equalizern rumspielen). Hat jemand von Euch damit Erfahrung (und eventuell Tipps für weitere Verbesserungen)?

LoCo: Das Problem der frequenzabhängigen Richtungswirkung bei Stereowiedergabe gibt es im Prinzip für Kopfhörer genauso wie für Lautsprecher. Allerdings ist das mit der Richtung nicht so eindeutig, wenn der Klang sehr nahe am Kopf oder sogar im Kopf empfunden wird. Ich habe aber mal mein Hörtest-Verfahren zur Bestimmung eines LoCo-Filters ausprobiert. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Testtöne verschiedener Frequenzen sich nicht nur unterschiedlich schnell zwischen rechts und links bewegen, sondern auch auf verschiedenen Ebenen, d.h. ich höre diese unterschiedlich weit vorne oder hinten. Das macht den Test des Gleichlaufes zwischen links und rechts etwas schwieriger. Aber mit etwas Übung und etwas anderen Parametern als bei dem Test mit Lautsprechern ist es mir einigermaßen gelungen, "Mess"werte für eine Filterberechnung zu bestimmen. Auch hier war das Ergebnis auf Anhieb überzeugend (mit ähnlichen Effekten wie bei der Lautsprecherwiedergabe).

Also ohne "Raum"korrektur und LoCo möchte ich mit den Kopfhörern nicht mehr hören.

Viele Grüße,
Frank

Verfasst: 13.02.2020, 00:42
von grobian.gans
Hallo,

SPL hat für dieses Thema eine Lösung https://spl.audio/studio/phonitor-2/

Grüße

Hartmut

Verfasst: 13.02.2020, 08:11
von Hans-Martin
Hallo Frank, Hartmut,
Ich habe den Phonitor auf den NDHT wiederholt getestet und festgestellt, dass hörbare Effekte einstellbar sind, ich aber die Wirkung nicht als spektakulär bezeichnen würde.
Bei Kopfhörern setzt man Crossfeed ein, die Kurve verläuft in etwa reziprok zu der bei LS bekannten Kurve.
Blauertsche Bänder wollen beachtet werden und gehen in die Beurteilung mit ein.
Ichbevorzuge invertiertes Material (entgehen der LS-Wiedergabe), damit wird die Lokalisation etwas diffuser, was weniger Imkopflokalisation bewirkt (diffus gleichgesetzt mit entfernt).
Bei der für den STAX Lambda Pro am IRT durchgeführten Erfassung von Daten zur Diffusfeldentzerrung kamen die Werte verschiedener Probanden nicht genau überein, nach Gedächtnis war es erforderlich, die bis zu 9dB abweichenden Werte zu mitteln. Prinzipiell verstehe ich das Verfahren so, dass mit Terzrauschen gearbeitet wurde, linearisierte Lautsprecher als Referenz für den Kopfhörervergleich herangezogen wurden.
In der PTB hat man 4 linearisierte Koax-Lautsprecher (Isophon 2000) in Tetraeder-Anordnung zur Erzeugung eines homogenen diffusen Feldes um den Kopf, um die Wirkung von Gehörschutz am menschlichen Ohr zu erfassen, Kopfhörer könne damit verglichen werden.
Auf einer abgestürzten Festplatte lagern 52 verschiedene Kunstkopfumläufe mit rosa Rauschen, die Schädel- und Ohrmuschelform-Varianten von Probanden repräsentieren.
Brüel&Kjaer hat ein künstliches Ohr, an dem KH üblicherweise gemessen werden.

Über LS wiedergegeben RACE Beispiele haben mich noch nicht überzeugen können, in der Abbildung standen inmeiner Wahrnehmung auch Verschlechterungen vermeintlichen Verbesserungen gegenüber.
Zu allen genannten Aspekten habe ich mich hier im Forum schon mal "ausgebreitet" , momentan ist meine Zeit zu knapp.. :wink:
Grüße
Hans-Martin

Verfasst: 13.02.2020, 14:51
von musikgeniesser
Liebe Forenten,

der selige Revox A 720 Empfänger-Vorverstärker (der mit der Röhrenziffernanzeige der Senderfrequenz) hatte eine "BINAURAL"-Taste, mit der man das Signal kopfhörertauglicher machen konnte. Entsprechend wirkte die Taste auch nur auf den Kopfhörerausgang, einer Klinkenbuchse an der Frontseite. Unterhalb einer bestimmten Frequenz -- waren es 50 Hz oder 500 Hz oder noch eine ganz andere, das müsste ich recherchieren, den Test von FonoForum oder Stereo müsste ich noch haben -- wurde das Signal des einen Kanals zeitversetzt dem anderen zugemischt, wenn ich mich recht entsinne -- über 40 Jahre her. Dunkel in Erinnerung ist mir aus dem Testbericht die Anmerkung, dass man keine besondere Wirkung feststellen könne, "außer, dass die im-Kopf-Lokalisation zurückgeht" oder so ähnlich.

Bei Interesse würde ich in mein Archiv steigen und den Test einmal heraussuchen und scannen.

Danke für Euer Interesse

Peter

Verfasst: 13.02.2020, 15:40
von Melomane
Hallo Peter,

das dürfte dann in etwa dem entsprechen, was die Crossover-Schaltung z.B. im Meier-Corda macht. Der sagt, wenn ich mich recht erinnere, dass er nicht einen räumlicheren Eindruck generieren möchte, wohl aber ein entspannteres Hören, da das Ohr eben nicht so auf links-rechts vom Kopf konzentriert sein müsse. Nachteil dabei: Freunde von Präzision mögen damit u.U. nicht gut leben.

Gruß

Jochen

Verfasst: 13.02.2020, 19:17
von nihil.sine.causa
Hallo Frank,

tolle Grundlagenarbeit, wieder einmal! Spontaner Gedanke dazu: Stereo-Signale sind (wenn wir nicht gerade Kunstkopf-Aufnahmen haben) keine Ohrsignale. Um zu Ohrsignalen zu kommen, könnte man folgendes tun:
  • Stereo-Lautsprecher in einem "idealen" Raum aufstellen und möglichst nah an den Ohren die Impulsantwort des Raumes messen (natürlich unter Verwendung von systemkorrigierten Lautsprecher-Signalen). Die so ermittelte Impulsantwort berücksichtigt auch Deine individuelle Head-related transfer function*) und liefert "Raum"-korrigierte Ohrsignale (noch ohne die Anti-Race Korrektur).
  • Auf Basis dieser "Raum"-korrigierten Signale die von Dir beschriebenen Messungen durchführen. Dann hast Du die Systemkorrektur der Kopfhörer mit drin.
  • Anti-Race und ggf. LoCo addieren
Viele Grüße
Harald

*)Hierzu müsste man 4 Filter unterscheiden: linker LS zu linkem Ohr, linker LS zu rechtem Ohr, rechter LS zu rechtem Ohr, rechter LS zu linkem Ohr. Bei der Anti-Race-Korrektur müssten diese 4 Filter verwendet werden.

Verfasst: 13.02.2020, 20:05
von bvk
Hast du vielleicht so etwas gemeint?
https://mathaudio.com/headphone-eq.htm
Grüße,Bernd

Verfasst: 13.02.2020, 22:22
von planetti
Hallo Frank,

vor einiger Zeit gab es einen Versuch in eine ähnliche Richtung: viewtopic.php?f=40&t=7648
Ich habe damals mit einem kleinen Kapselmikro und dem Messwürfel gemessen (heute gibt es den erschwinglichen miniDSP Messkopf), allerdings ist das Messergebnis nicht genormt und die Targetkurve in Acourate nicht trivial. Ich habe mich letztenendes auf die Glättung von Peaks und geschmacklich geprägten tonalen Anpassungen beschränkt.

Um das Ganze wirklich akkurat zu betreiben, ist der Messaufwand beliebig groß. Sean Olive von Harmann Kardon hat diesbezüglich sehr viel veröffentlicht.

Bezüglich inKopfLokalisation hilft das angesprochene Crossfeed etwas, am angenehmsten finde ich persönlich bisher MeiersCrossfeed als Plugin für Foobar oder als Funktion in Peace/APOequalizer. Da wird relativ einfach eine Equalizerkurve um wenige ms zeitverzögert auf das andere Ohr gegeben und möglicherweise der Hauptschall nochmal im Amplitudenverlauf nachkorrigiert.

Gruß
Uli

Verfasst: 14.02.2020, 22:45
von Hans-Martin
musikgeniesser hat geschrieben: 13.02.2020, 14:51der selige Revox A 720 Empfänger-Vorverstärker (der mit der Röhrenziffernanzeige der Senderfrequenz) hatte eine "BINAURAL"-Taste, mit der man das Signal kopfhörertauglicher machen konnte. Entsprechend wirkte die Taste auch nur auf den Kopfhörerausgang, einer Klinkenbuchse an der Frontseite. Unterhalb einer bestimmten Frequenz -- waren es 50 Hz oder 500 Hz oder noch eine ganz andere, das müsste ich recherchieren, den Test von FonoForum oder Stereo müsste ich noch haben -- wurde das Signal des einen Kanals zeitversetzt dem anderen zugemischt, wenn ich mich recht entsinne -- über 40 Jahre her.
Hallo Peter,
dein gutes Gedächtnis ist schon bewundernswert.
Hier der entsprechende Auszug aus dem Schaltbild:
BildL1 und L2 sind allerdings nicht spezifiziert. ReVox hat dort vermutlich selbst gefertigte Induktivitäten, auf Ferritkern gewickelt.
Ich denke, man ist Benjamin B. Bauer (1961) gefolgt:http://bs2b.sourceforge.net/#Theoretical_issue (mit zahlreichen Links zu den Referenzen, die FrankL sicher interessieren könnten).
Grüße
Hans-Martin

Verfasst: 16.02.2020, 13:31
von Dipolaktiv
Hallo

eine Lösung hatte mal Beyer Dynamic gehabt: Beyerdynamic Headzone ProSurround Sound Headphone System, neu in 2007.

AKG hatte auch mal eine Software auf Windows, war nicht besonders gut.

IRCAM hear: VST Plug-In. Geht so, ein gewisser Effekt aber nicht völlig befriedigend.
https://www.flux.audio/project/ircam-hear-v3/

Eine weitere Lösung ist Smyth A8 und neu Smyth A16.
Ein Protoyp war an der HighEnd München, glaube war ca. 2017 zu hören. Habe den gehört (individuall eingemessen). Hervorragend, verblüffend!
Mehr hier:
https://smyth-research.com/

Peter