Arturo Benedetti Michelangeli - Mozarts Konzert KV 466

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Dr. Holger Kaletha
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Arturo Benedetti Michelangeli - Mozarts Konzert KV 466

Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Von Arturo Benedetti Michelangeli (ABM) gibt es folgende Mitschnitte des Konzerts KV 466

1. mit C. M. Guilini Rom 15.12.1951
2. mit Dimitri Mitropoulos Florenz 17.6.1953
3. mit Karl Münchinger Stuttgart 22.11.1967
4. mit Cord Garben Bremen 1989 (DGG)

In Berührung gekommen bin ich mit ABMs Mozart durch die alten Mitschnitte mit Guilini. Noch heute versetzen mich diese Aufnahmen in Staunen: Das ist wahrlich überirdiisches Klavierspiel, das jede Erdenschwere verloren hat mit einer magischen Ausstrahlung. „Schönheit“ ist ja ein vieldeutiger Begriff. Wenn man von Schönheit bei ABM spricht, dann sollte man wissen, was man meint. ABM ist jedenfalls nicht Karajan – Schönklang um seiner selbst willen, sozusagen als Sauce und Politur der Musik, hat er nie produziert. „Schön“ bei ABM kann man finde ich nur philosophisch verstehen im Sinne von Plotin: gemeint ist eine Klarheit und Reinheit, eine musikalische Lauterkeit, intime Schlichtheit und Klassizität (nicht zu verwechseln mit einem Klassizismus, das wäre nun wieder zu billig!). Joachim Kaiser hat in seinem Nachruf auf ABM wenigstens etwas von dieser metaphysischen Dimension angesprochen: das fast schon übermenschliche Bemühen, nichts musikalisch Wesentliches unter den Tisch fallen zu lassen, Verdeckungseffekte zu vermeiden: schöne Harmonie als die Vereinbarkeit des Unvereinbaren.

Natürlich ist dieser Mozart nicht „historisch“ – genauso wenig übrigens, wie die ebenso uneingeschränkt bewundernswerten Aufnahmen von Clara Haskil. Aber auch das wäre zu vordergründig – hier hilft Nietzsches philosophische Abhandlung über "Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben". Nietzsche unterscheidet dort antiquarische, monumentalische und kritische Historie. Antiquarisch wäre, wenn die Interpretation sich darum bemühte, den Zeitgeist des 18. Jahrhunderts zu treffen in einer Mischung aus Empfindsamkeit und Rationalismus. Für diesen Versuch steht für mich etwa Alfred Brendels – sehr hörenswerte (!) – Aufnahme bei VOX aus den 60igern mit dem Orch. der Wiener Volksoper unter Wilfried Boetcher. Das ist Mozart empfindsam – als naives Naturkind sozusagen. ABMs Mozart dagegen hat alle sensualistische Naivität verloren, seinen Umgang mit der Historie würde ich mit Nietzsche als monumentalisch bezeichnen. Das Monumentalische nach Nietzsche ist das Große, Einzigartige, Idealische und deshalb Wiederholbare in der Geschichte. Mozart ist für ABM in diesem Sinne die Verwirklichung eines „überzeitlichen“ Klassizitätsideals. Die reinste Verkörperung dieses Ansatzes ist bei ABM die Aufnahme mit Münchinger von 1967, welche diese metaphysische Leichtigkeit mit einer luziden – durchaus nüchternen – Klarheit verbindet.

Der signifkante Unterschied des Mitschnitts von 1967 zu denen von Anfang der 50iger sind die Kadenzen. ABM verzichtet auf die „erotischen“ Kadenzen, die mit ihrer klangschwelgerischen Morbidität tatsächlich etwas an Rachmaninow erinnern und wählt nun die von Beethoven – wobei ich die Bemerkung von Gardiner nur als – Entschuldigung – borniert empfinden kann. Es ist bekannt, daß ABM ein großer Bewunderer des Pianisten Rachmaninow war. Man höre sich in diesem Zusammenahng einmal Rachmaninows Aufnahme von Beethovens Variationen WoO 80 an. Sie läßt erahnen, daß er einer der Wegbereiter modernen Klavierspiels war mit seinem absolut unaffektierten, rhythmisch ungemein präzisen und strukturbetonten Spiel, das aber eben jene Aura hat – den „goldenen Ton“, den Artur Rubinstein an Rachmaninow so bewunderte. Keine Frage, dem Puristen ABM müssen diese nicht ganz „stilechten“ Kadenzen im reiferen Alter als eine Jugendsünde erschienen sein, so daß er sie schließlich der Selbstzensur geopfert hat. Andererseits bieten sie Gelegenheit, unser musikalisches Selbstverständnis einmal historisch-kritisch zu hinterfragen. Kadenzen waren ursprünglich für den Interpreten ein Freiraum der Improvisation. Hier konnte er seine Individualität einfließen lassen, mit der Welt des Komponisten kommunizieren. Warum soll diese Kommunikation nicht auch die zwischen verschiedenen musikalischen Epochen und Denkweisen einschließen? Akzeptiert man das – im Sinne eines Verständnisses von Kunst von Wagner und Schlegel, wonach jede Interpretation das Werk „weiter dichtet“ im Sinne eines unabschließbaren "work in progress" – dann ist das Kriterium der Stilreinheit hier Fehl am Platze.

Zwischen der Aufnahme von 1967 und der von 1989 mit Cord Garben liegen wiederum Welten. Wenn man die älteren magischen Einspielungen kennt, dann löst diese Aufnahme – so war es jedenfalls bei mir – einen regelrechten Schock aus: das ist ein Fall vom Himmel auf die Erde! Verständlich wird dieser Wandel nur vor seinem biographischen Hintergrund. Bei einem Konzert in Bordeau am 15.10.1988 in Bordeau brach ABM während des Vortrags von „Ondine“ (Gaspard de la nuit) mit einer schweren Herzattacke zusammen. Das Leben haben ihm zwei zufällig im Saal anwesende Kardiologen gerettet: Dr. Jacques Clementy und Prof. Deville. Von ihnen hat er sich operieren lassen und mit der Familie von Dr. Clementy eng befreundet. Die beiden haben ihm eröffnet, daß er mit dieser Herzerkrankung maximal noch 4 Jahre zu leben hat! Die Aufnahme der Mozart-Konzerte 1989 war für ihn also eine Art Auferstehung von den Toten, der Versuch, im (Konzert-)Leben wieder Fuß zu fassen. Von daher wird auch verständlich, daß die metaphysische Unschuld seiner früheren Aufnahmen verschwinden mußte: der Tod zerstört das Schöne, wie das schon Schiller wußte. Die apollinische, schön-klassische Fassade zerbröckelt regelrecht in dieser Aufnahme. (ABM bevorzugte – zum großen Ärger seines Produzenten Cord Garben – den Live-Mitschnitt und ließ die fertige Studioaufnahme unveröffentlicht!) Am eindrucksvollsten nachvollziehbar ist das in der Kadenz. Sie wirkt in der 1967iger Aufnahme noch harmlos. Hier nun brechen Leid und quälende Verzweiflung durch, es gibt schroffe, ganz „unschöne“ Abbrüche! Diese Kadenz ist das Abgründigste und Tiefsinnigste, was ich jemals Vortrag eines Mozarts-Konzerts gehört habe! Ansonsten erscheint dieser wahrlich nicht eingängig-leichte Mozart dieser Aufnahme wegweisend modern mit seiner nachdrücklichen, „sprechenden“ Phrasierung, gewollt oder ungewollt anknüpfend an die historische Aufführungspraxis mit ihrer Wiederentdeckung der musikalischen Rhetorik. ABM, der übrigens die Angewohnheit hatte, vor dem Dirigenten zur Probe zu erscheinen und die Musiker zu instruieren (sein Freund Celibidache sagte diesbezüglich zu seinen Musikern: „Tun sie, was Michelangeli sagt, der hat immer recht!“), machte seinen Schüler und Produzenten C. Garben, der gar kein Dirigent ist, kurzerhand zum Dirigenten und hat ihm diese Phrasierungen am Klavier quasi „diktiert“!

Bei ABM ist es ratsam, immer erst einmal ABM mit ABM zu vergleichen...

Beste Grüße
Holger
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