Konzertabend Arcadi Volodos, Bielefeld Oetker-Halle 16.09.07

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Dr. Holger Kaletha
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Konzertabend Arcadi Volodos, Bielefeld Oetker-Halle 16.09.07

Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Konzertabend Arcadi Volodos. Bielefeld, Oetker-Halle 18.9.2007
(c. 19.9. 2007)

Auf dem Podium steht ein großer Steinway D -- vor diesem weit über 100000 Euro teuren Instrument aber nicht etwa der dazu passende edle Klavierhocker aus teurem Leder, sondern ein ganz ordinärer, grauer Ikea-Küchenstuhl mit Lehne! Volodos liebt es nämlich, sich zurückzulehnen, er braucht die rückwärtige Stütze. Mit seinen 35 Jahren schleppt er sich, deutlich übergewichtig, wie ein alter Herr auf die Bühne: Ein bischen Leibesertüchtigung -- sprich Sport -- täte ihm sicherlich gut!
Das Programm ist eine Überraschung! Da wagt es jemand, ohne die großen >Reißer< daherzukommen und fast ausschließlich unbekannte oder sehr selten gespielte Werke vorzuführen: Eine Sonate von Clementi (op. 25 Nr. 5), einem Zeitgenossen Beethovens, der eigentlich nur Kennern ein Begriff ist, darauf folgt ein völlig unspektakuläres Brahms-Programm: Intermezzo op. 76 Nr. 4 und Capriccio op. 76 Nr.5, dann die nahezu unbekannten Variationen über ein eigenes Thema op. 21 Nr. 1.

Nach der Pause die eher schlichten >Waldszenen< von Schumann, gefolgt von der abgründigen, kargen Trauergondel Nr. 2 und dem düsteren Gemälde einer gescheiterten Revolution, >Funerailles< -- beides von Franz Liszt. Volodos wurde berühmt mit seinen zugleich poetischen und tastenstürmenden Bearbeitungen und Wiederauflagen von Virtuosennummern seines großen Vorbildes Vladimir Horowitz, die er nach Gehör (!) aufgeschrieben hat. Und entsprechend hat man ihn als Horowitz-Nachfolger gehandelt. Worum es ihm aber eigentlich geht ist die Wiederbelebung der Poesie auf dem Klavier. Das wird an diesem beglückenden Konzertabend vom ersten Moment an klar: Den Scarlatti verwandten erste Satz der Clementi-Sonate spielt er hauchzart, mit einer himmlischen Leichtigkeit. Niemand wie er kann heute ein so singendes und sinnliches Pianissimo spielen an der Grenze zum Nichts. Das ist romantisches Klavierspiel im besten Sinne: Reine Poesie, die alle irdischen Mühen -- auch die klaviertechnischen! -- vergessen läßt, sich versenkt in ein Geisterreich, die Kunst als schöne Nebenwelt abgeschiedenen von der häßlichen Realität heraufbeschwört. Volodos hat in seinem Programm Perlen des Schönklangs aneinandergereiht, bot eine Klavierstunde der selbstvergessenen Versenkung in die Welt des schönen Scheins -- ein von der Dauer her eher kurzes Programm (knapp 40 Minuten vor der Pause!), aber passend: Erlesene Pralinen genießt man ja auch mit Maßen!

Nach der Pause die >Waldszenen< op. 82 von Schumann, wo er zeigt, daß er zu charakterisieren vermag. Im bekanntesten Stück des Zyklus, >Vogel als Prophet<, gelang ihm zum Ende des Mittelteiles eine gleichsam prophetische Entrückung in eine andere, bessere Welt. Das abschließende Liszt-Programm wollte wohl zeigen, daß dieses Schöne vergänglich ist. Der späte Liszt hat in die Abgründe der menschlichen Seele geleuchtet, die Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verbitterung, Überdruß und die Verzweiflung der Seele mit schonungsloser Offenheit in Tönen ausgesprochen. Damit ist er zum Wegweiser der Musik des 20. Jahrhunderts geworden: Musik soll nicht bloß schön, sie soll vor allem wahr sein, wie Schönberg sagt. Liszt verläßt hier die Tonalität mit seiner diabolischen Tritonus-Harmonik. (Der Tritonus, die übermäßige Quarte, gilt traditionell als der Teufel in der Musik (diabulus in musica), weil er die tonale Ordnung zerstört.) Die Trauergondel Nr. 2 ist ein wahrlich erschütterndes Zeugnis für solchen Expressionismus. Da flammt ein leises Hoffnungsflämmchen auf und wird von rabenscharzen Baßakkorden gleich wieder erstickt. Das Ende ist Ratlosigkeit, ein Gefühl absoluter Verlassenheit und Auflösung in das unheimliche Nichts: Einzelne Töne, die richtungslos umherirren und sich schließlich in einem atonalen Niemandsland verlieren.

Volodos ging von diesem Niemandsland gleitend über in das Leichenbegräbnis (>Funerailles<) für die gefallenen Helden des gescheiterten Ungarn-Aufstandes vom Oktober 1849. Dort gibt es diese Oktave zu Beginn in der extremen Baßlage: Man hört so keine Funktionsharmonik mehr, keine banale Oktave, sondern das Chaos, ein großes leeres Nichts zwischen zwei extrem auseinandergespannten Tönen. Der schäbig- trotzige Trauermarsch mit seinen Beklemmungen wird schließlich hinweggefegt durch einen Oktavensturm: Die Revolution als Naturereignis, das aber wie ein heftiger Sturm verfliegt, so, als sei nichts gewesen. Auf den ersten Oktavensturm folgt wiederum der Marsch als ein trotziges Sich-Behaupten (gleichsam als Durchhalteparole, das Subjekt versucht mühsam, die Fassung zu bewahren), darauf eine wehmütige Erinnerung an die nun unendlich ferngerückten, verlorenen Hoffnungen und schließlich der wieder kurz auflebende Sturm und ein offener Schluß: Ein Ende, das auch Anfang sein könnte (es erinnert etwas an die Staccato-Töne zu Beginn der h-moll-Sonate), Symbol des Unabgeschlossenen und Unvollendeten: Das Werk der Revolution ist nicht vollbracht worden, findet ein abruptes, verfrühtes Ende. (Die beiden Liszt-Stücke finden sich auf Volodos auf seiner großartiger Liszt-CD, vgl. dazu meine CD-Besprechung!)

Das Zugabenprogramm (Volodos ist sehr Zugaben freundlich, wenn dieses etwas steife Bielefelder Publikum nur etwas mehr Stehvermögen gehabt hätte!) begann er wiederum mit spätem Liszt: Das Nocturne >En reve<, das eine gewisse Verwandtschaft mit einer der Franziskus-Legenden, der Zwiesprache mit den Vögeln, ausfweist -- Liszt ist der Erfinder des religiösen Klavierstücks. Danach meldete sich der Virtuose Volodos zu Wort: Seine Bearbeitung von Moszowskys >Etincelles< (>Funken<), eine funkensprühende Virtuosennummer, die Horowitz in Moskau vortrug und die Volodos noch um einige pianistische Kabinettstückchen bereichert hat. Zum Schluß gab er eine selbst komponierte, virtuos-spektakuläre Carmen-Fantasie zum Besten. Und dann die Überraschung!

Andere Künstler verziehen sich nach dem Konzert ins Künstlerzimmer. Volodos tauchte umgehend an der Garderobe auf, um seine Liszt-CD zu signieren! Ich habe ihm auf Englisch ein paar Komplimente gemacht, aber offenbar versteht er außer Russisch wohl nur noch Spanisch und Französisch (in Madrid und Paris hat er studiert). So habe ich aber schließlich auch noch ein Autorgramm von ihm ergattert, als Erinnerung an einen selten beglückenden Konzertabend!
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