Dirigenten der zweiten (?) Reihe

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
Melomane
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Dirigenten der zweiten (?) Reihe

Beitrag von Melomane »

Hallo,

oder nur die neben den allseits bekannten Stars eher unbeachteten, vom Mainstream verkannten?

Wie auch immer, heute war mal wieder Rudolf Kempe bei mir auf dem Teller. Erst Beethovens 1. und 3. Als SACD von Esoteric. Nicht übel. Aber für meine Ohren toppten die 6. als EMI-LP und vor allem der Don Quixote von R. Strauss (ebenfalls EMI-LP) die SACD. Was die Wikipedia über Kempe schreibt, finde ich durchaus passend:

"Kempe war ein selbstbeherrschter Dirigent, der sein großes technisches Können ganz in den Dienst der Orchester, der Musiker und Sänger stellte. Er sah und erlebte Musik weniger als publikumswirksame Veranstaltung, sondern eher aus der Perspektive der gemeinsam Musizierenden. Daher war er auch ein Anhänger des Ensembletheaters. Seine klare Zeichengebung unterstützte seinen strukturalistischen Interpretationsstil, den man gut daran erkennen kann, dass er gerade in den großen spätromantischen Partituren die kammermusikalischen Qualitäten, die Nebenstimmen und die feinen Klangschattierungen hörbar machte."

Wenig mehr siehe bei der Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Kempe

Ich mag den sehr aus den von der Wikipedia genannten Gründen. Die Verkaufte Braut und sein Lohengrin sind ja durchaus nicht unbekannt.

In der Reihe dieses Threads wäre vielleicht W. Steinberg eine Erwähnung wert. Oder Peter Maag. Oder... Also haltet euch dran. ;)

Viele Grüße

Jochen
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo,

der Herbst naht, die Sonne zieht sich zumindest für den Moment zurück. Also Gelegenheit, wieder mehr Musik zu hören. Und wenn schon, denn schon. Mit Wagners Ring des Nibelungen. Und zwar in drei Einspielungen mit Rudolf Kempe, diese nämlich:

1957 aus Covent Garden

https://www.discogs.com/de/release/1904 ... n-Sylvia-F

dann zwei Zyklen aus Bayreuth

1960

https://www.discogs.com/de/release/2461 ... -live-1960

und 1961

https://www.discogs.com/de/release/9151 ... -R%C3%A9gi

Reingehört nur, nicht komplett durchgehört. Der Interessent muss wissen, dass es nur Mono zu hören gibt. Mehr gab es noch nicht auf den Bühnen. Darüber hinaus wurde unterschiedlich remastered. Die Orfeo-Ausgabe erscheint mir ein wenig zu hell, die 1960 Aufnahme stellt die Sänger in den Vordergrund. Das ist gar nicht so übel, die Testverständlichkeit ist sehr gut, soweit bisher gehört.

In der Summe eine für mich spannende Angelegenheit. Und wenn man Karajan als die lyrische Alternative zur Dramatik Soltis hinstellt, so mag das stimmen, aber verglichen mit Kempe erscheint Karajan mir eher glatt-schönklingend (ist ja auch eine Studioaufnahme), und Kempe dirigiert hingegen eine lyrische Bühnendarstellung. Spannend - wie gesagt. Und die Charakterisierung seines Dirigats - im vorigen Beitrag zitiert - trifft auch hier zu, sofern mono und live das transportieren können.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Jochen

ich finde das sehr spannend. Und da ich für den Herbst ein neues "Projekt" suche, ist das eine gute Idee, diese Aufnahmen mal intensiver zu vergleichen.
Bin gespannt, wie sich die Unterschiede anhören werden!

Viele Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo,

ich habe vorhin die erste CD von Kempes Einspielung des Palestrina von Pfitzner gehört:

https://www.jpc.de/jpcng/classic/detail ... um/5554661

Monomitschnitt Salzburg 1955. Klangqualität na ja. Aber: Kempes Dirigat schafft es, mich zumindest in den Sog der Musik hineinziehen zu lassen. Ich habe aus Stereozeiten andere Einspielungen der Oper, aber die bislang nie lange durchgehalten. Nun gut, auch der Kempe-Palestrina ist noch nicht durchgehört. Aber das wird gewiss geschehen.

Und da möchte ich einen Unterschied etwa zu Carlos Kleibers Dirigierkunst (bei anderen Werken) sehen. Der poliert die Partitur und vor allem die Noten, bis du völlig hingerissen bist. Ein anderer Ansatz. Und so ist es schön, wieder feststellen zu können, dass es viele Wege nach Rom gibt. Und so findet ein jeder etwas für sich.

Sie lasen den Einwurf des Tages. ;)

Viele Grüße

Jochen
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo,

vielleicht sollte man diesen Thread Rudolf Kempe widmen und ihn nicht unter Dirigenten einordnen?

Jedenfalls habe ich gerade angefangen, seinen Rosenkavalier von 1950 zu hören:

https://www.jpc.de/jpcng/classic/detail ... um/6394591

Ich stimme den dort zu lesenden Besprechungen voll und ganz zu. Kempes Dirigat ist "himmlisch" stimmig, die Textverständlichkeit hervorragend. Und die Aufarbeitung der alten Monoaufnahme fällt allenfalls positiv auf, ist ebenfalls hervorragend gelungen. Da lohnt sich jeder Cent! Wenn man Werk und Interpreten mag.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Jochen,

ich habe in den letzten Wochen wieder viel Wagner gehört - darunter auch deine 3 hier angegebenen Empfehlungen mit Kempe. Bislang allerdings nur das "Rheingold" im Vergleich.
Melomane hat geschrieben: 24.09.2022, 18:35 Reingehört nur, nicht komplett durchgehört. Der Interessent muss wissen, dass es nur Mono zu hören gibt. Mehr gab es noch nicht auf den Bühnen. Darüber hinaus wurde unterschiedlich remastered. Die Orfeo-Ausgabe erscheint mir ein wenig zu hell, die 1960 Aufnahme stellt die Sänger in den Vordergrund. Das ist gar nicht so übel, die Testverständlichkeit ist sehr gut, soweit bisher gehört.

In der Summe eine für mich spannende Angelegenheit.
Ja, eine spannende Angelegenheit. Kempes Dirigat ist (für meine Ohren) wirklich formidabel - wie er die Sänger begleitet (und sie nicht gegen das Orchester anschreien lässt) und gleichzeitig die Orchestermusiker "singen" lässt. Die Tempi sind sehr flüssig und zielgerichtet auf die dramatischen Höhepunkte zusteuernd. Interessantes Detail bei der 1957´er Covent Garden-Aufnahme: hier singt die junge Joan Sutherland eine der Rheintöchter ;-)

Apropos Rheingold: diese Oper endet bekanntlich mit Loges Untergangsvision "Ihrem Ende eilen sie zu ..." und dem Klagen der Rheintöchter ob des verlorenenen Goldes. Wenn Loge dann die Rheintöchter verhöhnt, sie mögen sich doch statt im Rheingold fortan "in der Götter neuem Glanze selig sonnen" lachen die Götter - nach Partitur - laut über diesen Scherz. In der Bayreuth-Aufnahme von 1961 jedoch nicht! Als ob sie bereits ahnten, dass sie ihrem endgültigen Untergang entgegengehen. Ein kleiner, aber interessanter Effekt.

Viele Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

ich werde mich dem Kempe demnächst auch mal wieder widmen. Zur Zeit ist nur Wagner dran. Der Ring mit Karajan. Nicht übel. Aber dann eine LP-Seite Solti gehört. Und du weißt, was dem Karajan abgeht: Die Intensität, die Energie, der Drive, den Solti und Culshow auf Band verewigt haben. Und wie sagt man: Die Einspielung hört man noch in 500 Jahren. :cheers:

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Moin Jochen,

Soltis legendärer Aufnahme wird sich wohl keiner ganz entziehen können. Nichtsdestotrotz ist auch diese Interpretation nicht die endgültige Deutung; die wird es nie geben. Es ist auch zu unterscheiden, ob ich den Ring vom Dirigenten her betrachte oder/und von den Sängern. Oder von der Inszenierung. Bei letzterem können heutige, frische Ansätze punkten, bei den Sänger(in)nnen eher nur verlieren.

Solti entzündet ein farbenprächtiges Feuerwerk, unterstützt vom 3D-Geräuschillusionismus eines Culshaws. Karajan dagegen spielt eine ent-dramatisierte, feinfühlige - du hast es mit Recht lyrisch genannnt - , detaillverliebte Version. Und auch das gefällt mir unglaublich gut. Ob nun DFD ein guter oder schlechter Wotan ist - seis drum. Für mich jedenfalls eine überragende Aufnahme.

Alternativen gibt es m.M.n. mit Keilberth, Clemens Krauss und eben Kempe. Mit Abstrichen noch Levine und Haitink.
Aber jetzt wird es offtopic ...

Beste Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

volle Zustimmung. :cheers:

Man müsste nur mal sich die Zeit nehmen, alle Einspielungen im Bestand durchzuhören. Und darunter sind alle von dir genannten. Und noch einige mehr. ;)

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Moin Jochen,
Melomane hat geschrieben: 03.11.2022, 10:14 Man müsste nur mal sich die Zeit nehmen, alle Einspielungen im Bestand durchzuhören. Und darunter sind alle von dir genannten. Und noch einige mehr. ;)
gute Idee :cheers:
Ich habe damit im September begonnen und bin mit dem Rheingold durch. Neu dabei war für mich (via Qobuz) die Aufnahme mit dem Cleveland Orchestra unter Christoph von Dohnanyi Mitte der 90´er. Sehr guter Klang mit noch recht guten Sängern. Sehr detailverliebt. Ich würde sie als "auf den Spuren" von Solti mit weniger überrealistischen Übertreibungen charakterisieren wollen. Leider wurde diese begonnene Gesamtaufnahme des Rings von DECCA nach der Walküre abgebrochen ...

Viele Grüße
Jörg
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Guten Morgen, Jochen (und wer sonst noch hier mitliest ;-) )
Melomane hat geschrieben: 24.09.2022, 18:35 Also Gelegenheit, wieder mehr Musik zu hören. Und wenn schon, denn schon. Mit Wagners Ring des Nibelungen. Und zwar in drei Einspielungen mit Rudolf Kempe, diese nämlich:

1957 aus Covent Garden
dann zwei Zyklen aus Bayreuth 1960 und 1961
....
Die Orfeo-Ausgabe erscheint mir ein wenig zu hell, die 1960 Aufnahme stellt die Sänger in den Vordergrund. Das ist gar nicht so übel, die Testverständlichkeit ist sehr gut, soweit bisher gehört.
inzwischen habe ich den Großteil dieser Ringaufnahmen durchgehört und kann deinen Eindruck sehr gut nachvollziehen. Und der RIng von 1960 gefällt mir derzeit am Besten - klangtechnisch und von der Interpretation her. Vorallem die Walküre scheint mir sehr gut gelungen.

Ist schon erstaunlich, wenn man weiß, wie kurzfristig Kempe damals (als Ersatz für den von Wieland Wagner "abgeworbenen" Sawallisch) einspringen musste und die Wagner-Welt auf den Eklat dieser Neuinszenierung durch dessen Bruder Wolfang Wagner wartete. Übrigens alles wunderbar nachzulesen in dem sehr detailliert und spannend geschriebenen zweibändigen (und im wahrsten Sinne des Wortes "gewichtigen") Werk von Oswald Georg Bauer "Die Geschichte der Bayreuther Festspiele". Jedem Wagner-Aficionado zu empfehlen (aber auch nur denen - alle anderen werden sich wohl kaum die 1.300 Seiten antun ;-))

Beste Grüße
Jörg
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo zusammen,

obgleich der Thread-Titel hier nicht wirklich zum Tragen kommt (schade eigentlich - ich zumindest hätte gerne mehr Dirigenten aus der "2. Reihe" - im Sinne von "nicht sooo bekannt" - kennengelernt), will ich zu meinem Kommentar
alcedo hat geschrieben: 03.11.2022, 10:04 Alternativen gibt es m.M.n. mit Keilberth, Clemens Krauss und eben Kempe. Mit Abstrichen noch Levine und Haitink.
Aber jetzt wird es offtopic ...
noch eine Ergänzung hinzufügen: es gibt aus meiner Sicht noch einen wichtigen "Ring der Nibelungen"! Und zwar den "Bayreuther Jahrhundertring" von Chéreau/ Boulez/ Peduzzi 1976-1980.

Den habe ich erst nur über das Radio (oder doch LPs ?) kennengelernt und überhaupt nicht gemocht. Und lange nicht mehr gehört. Nur irgendwann mal als (VHS?) Video gesehen. Diese Woche aber in Ruhe via DVD-Video. Und das hat mich so gefesselt, dass ich sie an 4 Tagen komplett durchgehört/-gesehen habe! Wer braucht schon ein Bayreuther Festspielhaus, wenn er einen DVD-Player besitzt ;-)

Genial, was das Team Chéreau, Peduzzi & Boulez damals bewerkstelligt haben. Und dann erschliesst sich auch das Dirigat von Boulez, das sich nur mit dem dazugehörigen Bühnenbild (für mich) erschließt. Elegant und schlank - da passt alles zusammen!
Es gäbe viel zu dieser Ring-Inszenierung zu sagen, die sich von skandalträchtig (1976) zu frenetischem Applaus (101 Vorhänge über 89 (!) Minuten in 1980) mauserte - aber das würde als OT hier komplett den Rahmen sprengen.

Beste Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

danke für deine Ausführungen. Offenbar will dieser Ring auch mit den Augen konsumiert werden. Als LP fand ich den Querschnitt, den ich habe, nicht so sehr anregend, dass ich mir den ganzen Ring hätte kaufen wollen. Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, fand ich den klanglich recht dünn. Aber vielleicht passt das ja gut zur Inszenierung. Da baucht es dann aber wieder die Augen. ;)

Viele Grüße

Jochen
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo,

hm, ich kann nicht viel zu ihm sagen, nämlich Heinz Wallberg. Habe eine Aufnahme von Humperdincks Hänsel und Gretel von ihm. Und in nicht schlechter Erinnerung, auch wenn "nur" Kinder den Hänsel und die Gretel singen. Aber das macht gerade auch den Reiz und die Besonderheit dieser Aufnahme aus. Wenn ich den Wikipedia-Eintrag über ihn lese, scheint mir eine Beschäftigung mit seinen Einspielungen lohnenswert:

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Wallberg

Der Satz: "Unvergessen bleiben seine Interpretationen der Symphonien Anton Bruckners." aus dem Artikel macht doch neugierig.

Des weiteren weist meine Datenbank eine Salome mit Wallberg aus, außerdem einen Per Gynt und einige Kompilationen. Alle im Moment nicht erinnerlich. Aber das hat nichts zu sagen. Wird also zur Wiedervorlage beordert.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Guten Abend,

damit man nicht lange suchen muss: hier habe ich ein wenig zum ebenfalls der Vergessenheit anheim gefallenen Dirigenten Václav Talich geschrieben.

Grüße
Jörg
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