Beethovens Große Fuge

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
alcedo
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Beitrag von alcedo »

nihil.sine.causa hat geschrieben: 12.07.2022, 23:16 Aber vielleicht doch noch einmal zurück zu dem eigentlichen Anlass für diesen Thread. Habt ihr euch denn das Malion-Quartett angesehen? Hier nochmals der Link:
https://www.youtube.com/watch?v=8fwW09Zwrg4
Aus meiner Sicht ist das eine ganz besondere Inszenierung der Großen Fuge. Goethe schreibt von der Gattung des Streichquartetts "Man hört vier vernünftige Leute sich unterhalten, ..." Das kenne ich von vielen Streichquartett-Aufführungen und -Aufnahmen. Das Malion-Quartett geht weit darüber hinaus. Es wird sehr emotional und packend.
Hallo Harald,

ich habe mir das Video noch mal in Ruhe angeschaut und ein wenig im Internet dazu recherchiert, da ich mich gefragt habe, warum wird das Werk so theatralisch inszeniert. Ist das ein Marketing-Gag (eines noch recht unbekannten jungen Quartetts) oder steckt mehr dahinter? Schließlich wird den 4 Musikern hier auch ein gewisses schauspielerisches Talent abgefordert.

Schnell findet sich auf der Hompage eine Erklärung: mit dem (zumindest dem Namen nach) mit der Cellistin verwandten Fotograf und Regisseur Andreas Kessler wurde die Frage erörtert, wie die große Fuge „verständlich“ zu verfilmen sei und wie „Musik im Netz" überhaupt vermittelbar sein könnte. Ihre Antwort darauf ließ diesen Film entstehen:

Mit "Andreas Kessler wurde deutlich, dass eine Lichtstudie mit Sonnenlicht die geeignete assoziative Kraft sein könnte, da die körperlich-sinnliche Erfahrung durch das Einwirken der Sonne in jedem Menschen allgegenwärtig ist.

Auf der Insel Krk in Kroatien sind die unterschiedlichen Licht- und Dunkelphasen besonders gut zu erleben/einzufangen. Das Quartett resp. die Musik, der Fixpunkt der Aufnahmen, wechselt je nach Lichtstimmung den Ort (Dunkelheit, Sonnenaufgang, Zenit, blaue Stunde, Sonnenuntergang, Nacht…), bleibt aber an jedem neuen Ort in der selben statischen Position sitzen, die Kamera dreht sich gemäß der Erde um das erklingende Musikwerk und erst im Zenit der Strahlkraft erblickt die Kamera die Gesichter der Spielenden, stehen sich Musik und leuchtende Kraft Auge in Auge gegenüber. Musikalisch wird hier der heftigste Gipfel der Fuge erklingen, bevor das Licht bricht und die Schatten länger werden, der Tag verklingt, der Mond aufsteigt, Musik und Spieler im Dunkel verschwinden."


Interessante Idee - und Danke für diesen Tipp, Harald!

Viele Grüße
Jörg
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo,
das hochmodern klingende Chaos der Großen Fuge
oder - zitiert aus einer Diplomarbeit -:
Auf viele Zeitgenossen muss die Große Fuge gewirkt haben wie eine kontrapunktische Übung, die keine Rücksicht auf klangliche Qualität, praktische Umsetzbarkeit und erst Recht nicht auf Popularität nimmt, trotz Beethovens Wunsch, auch der „Phantasie“ zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dem Werk eigen ist eine intellektuell-philosophische Aura, die es stark vom Rest des B-Dur-Quartetts unterscheidet.

Der hohe Schwierigkeitsgrad der Aufführung und die mehr oder weniger publikumsferne Progressivität des Werks hatten unweigerlich zur Folge, dass es nur äußerst wenige Aufführungen gab.

Nach bald 200 Jahren an Analyse und Rezeption hat das Werk an Anerkennung und Bewunderung gewonnen, dennoch werde es, wie Joseph Kerman es treffend formuliert, nach wie vor „eher respektiert als geliebt“.

Sogar für Hörer, die vertraut sind mit Ernster Musik des 20. Und 21. Jahrhunderts, wirkt die Große Fuge dissonant und fordernd. Sie ist und war immer ein Werk, das stark polarisiert.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die gesamte Rezensionsgeschichte geprägt ist von überschwänglich positiven wie auch negativen Kommentaren, von denen einige exemplarisch zitiert werden sollen, ohne näher auf sie einzugehen:
Von Beethovens Zeitgenossen und erstem Biograf, Anton Schindler, stammt der Ausspruch vom „Monstrum aller Quartettmusik“, mit dem er das B-Dur-Quartett in dessen ersten Version bedachte , zweifelsohne vorrangig auf die Große Fuge bezogen.
Damit alles andere als ein empfehlenswerter Einstieg für Klassikneulinge!

Ich selbst habe mir 5 Einspielungen auf CD besorgt, drei weitere bisher aus Kostengründen noch zurückgestellt.

Was mir bei den Streichertrios und -quartetten - mit Mozart KV 563 habe ich mich über Jahre sehr ausgiebig beschäftigt - auffällt, ist die unterschiedliche Intonierung der Instrumente.

Bei der - für mich - älteren Variante bei der Abstimmung ist mehr Grundton vorhanden, der tonal fast wie ein leichter Bauch wirken kann.

Ich vergleiche das gerne mit der Verkostung von Rieslingen, nicht selten ist das Spiel zwischen Säure und fruchtiger Süße für mich zu stark, zu kontrastreich ausgeprägt. Ein milderer Übergang führt zu einem harmonischeren Gesamterlebnis in der Vielfalt der Aromen.

So auch bei den eingesetzten Streichinstrumenten, die ja zusätzlich noch miteinander klingen müssen.

Ein Beispiel der älteren Abstimmung wäre für mich die Aufnahme mit dem Alban Berg Quartett, EMI Classics, Red Line.

Schon weniger kontrastreich abgestimmt sind das Philharmonia Quartett Berlin und das Budapest String Quartet.

Aber es fehlt mir bei beiden CDs am Esprit im Spiel, diesem scheinbar so chaotischen Werk sollte kräftig Leben eingehaucht werden.

Das finde ich beim Artemis Quartet sehr gut umgesetzt, ein durchgängig schlanker Ton bei den Instrumenten gepaart mit einem ordentlichen Schuß Spielfreude, die sich von einer durchschnittlichen Musikdarbietung absetzen kann.

Es grüßt

Bernd Peter

PS: Das angesprochen YouTube Video ist außer Konkurrenz, denn schließlich hören die Augen ja mit. Unsere Sehsinn verbraucht ordentlich Prozessorleistung zwischen den Ohren, das geht zu Lasten des Hörsinns.
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